Nur wenige Tage nach dem Rücktritt von Werner Faymann als Bundeskanzler und Parteichef hat sich die Sozialdemokratische Partei (SPÖ) auf den Manager Christian Kern als Nachfolger geeinigt. Der ausgewiesene „Nicht-Politiker“ war der Wunsch-Kandidat des rechten Parteiflügels. Er steht für eine radikale Sparpolitik und eine weitere Annäherung an die rechtsradikale Freiheitliche Partei (FPÖ).
Faymann hatte am Montag seinen sofortigen Rücktritt von seinen Ämtern als Partei- und Regierungschef erklärt. Sein Rückzug war das Ergebnis einer seit langem anhaltenden Rechtsentwicklung der SPÖ, die zu dramatischen Stimmenverlusten führte. Bisheriger Tiefpunkt war die Bundespräsidentenwahl Ende April, bei der SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer, ein langjähriger Gewerkschaftsbürokrat, nur etwas mehr als 10 Prozent der Stimmen erhielt und den Einzug in die Stichwahl verpasste.
Faymann hatte den Vorsitz der SPÖ 2008 übernommen und war kurz darauf zum Bundeskanzler gewählt worden. Im Bündnis mit der konservativen Volkspartei (ÖVP) verfolgte er einen strikten Sparkurs auf Kosten der Arbeiterklasse. Unter seiner Regierungsverantwortung wurden das Renteneintrittsalter erhöht, massiv öffentliche Arbeitsplätze abgebaut und die Löhne gedrosselt.
Nahezu sämtliche Landesverbände sprachen sich für Kern als Nachfolger Faymanns aus, ausdrücklich auch der burgenländische, der unter Hans Niessl eine Koalition mit der FPÖ anführt. Auch der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes ÖGB, Erich Foglar, sprach sich am Mittwoch für Kern aus. Foglar tritt für eine enge Zusammenarbeit und für weitere Bündnisse mit der FPÖ ein. Koalitionen mit der FPÖ sind seiner Meinung nach „in der Demokratie nichts Verwerfliches“.
Auch der Chef der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch, plädierte für Kern als Parteichef und Kanzler. Mit Kern komme einer zum Zug, der mit Sachlichkeit, aber unbeeinflusst in die Politik gehe, so der burgenländische Abgeordnete, der ebenfalls als Verfechter einer engen Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen gilt. Helmut Leitenberger, SPÖ-Stadtchef von Leibnitz, merkte an, dass nun „eine Öffnung Richtung FPÖ in Sicht“ sei.
Der Wiener Landeschef Michael Häupl, der die Partei bis zur offiziellen Amtseinführung Kerns führt, erklärte am Freitag, in der Frage einer Zusammenarbeit mit der FPÖ solle ein „Kriterienkatalog“ erarbeitet werden. „Wenn das der Ausweg sein könnte, werde ich mich dieser Diskussion nicht verschließen“, so Häupl. Häupl war der letzte einflussreiche SPÖ-Politiker, der sich bisher gegen Koalitionen mit den Rechten ausgesprochen hatte.
Im Kabinett soll es ersten Ankündigungen zufolge Veränderungen geben. Als sicher gilt jedoch, dass Verteidigungsminister Peter Doskozil im Amt bleibt. Er ist ein Vertreter des äußersten rechten Parteiflügels, der für einen strikten Abschottungskurs in der Flüchtlingskrise eintritt. Doskozil hat auch Niessl hinter sich. Niessl lobte Kern als „absoluten Profi“.
Die Ablösung Faymanns durch einen Vertreter der Wirtschaft war offenbar innerhalb der SPÖ seit längerem im Gespräch. Recht offen gestand der Medienmanager Gerhard Zeiler, der neben Kern als Parteichef gehandelt wurde, am Donnerstagabend in der Nachrichtensendung ZiB 2, er habe gemeinsam mit Kern bereits seit einem Jahr die Ablösung Faymanns vorbereitet. „Wir hatten beide eine Rolle zu spielen und waren uns einig, dass eine personelle Veränderung innerhalb der SPÖ notwendig ist“, sagte Zeiler. Den noch gültigen Parteitagsbeschluss, der eine Koalition mit der FPÖ untersagt, bezeichnete Zeiler als falsch.
Der 50-jährige Kern wurde im Wiener Arbeiterbezirk Simmering, geboren. Nach dem Publizistikstudium begann der Sohn einer Sekretärin und eines Elektroinstallateurs seine Karriere als Pressesprecher eines SPÖ-Staatssekretärs. Dank seiner politischen Zurückhaltung stieg er in der Partei rasch auf und nutzte dies, um seine berufliche Karriere voranzutreiben. Die SPÖ hievte ihn in den „Verbund“, den staatseigenen Stromversorger. 2010 machte sie ihn zum Chef der Bundesbahn ÖBB.
2014 wurde Kerns Jahresgehalt auf 700.000 Euro erhöht. Zuvor hatte er den Konzern mit drastischen Sparprogrammen aus den roten Zahlen geholt. Sein Vorgänger an der ÖBB-Spitze, Martin Huber, hatte bei hochriskanten Spekulationsgeschäften über 300 Millionen Euro verloren. Kern sanierte daraufhin die defizitäre Güterverkehrssparte RCA. Dabei wurden seit 2009 4000 Arbeitsplätze vernichtet. Die letzte Bahnbilanz, die Kern vor wenigen Wochen vorlegte, wies für das Geschäftsjahr 2015 einen Gewinn von 193 Millionen Euro aus.
Nun soll Kern auch Kürzungen bei Rente, Gesundheit und Bildung durchsetzen, die die Faymann-Regierung bereits auf den Weg gebracht hat. Der Koalitionspartner ÖVP hat erneut eine rasche Entbürokratisierung der Wirtschaft und eine Diskussion über eine Deckelung der Sozialhilfe gefordert.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung formulierte die Hoffnungen in Kern folgendermaßen: „Der sprichwörtliche Filz von Rot und Schwarz im Bund, in Ländern und Kommunen führte Österreichs Politik und Wirtschaft in die Erstarrung. Christian Kern, der erfolgreiche Bahnchef, könnte nun als Kanzler der Richtige sein, um den Reformstau in Österreich aufzulösen.“
Auch Christoph Neumayer, der Generalsekretär der österreichischen Industriellenvereinigung, forderte schnelle Reformen, die „Verkrustungen aufbrechen“, da Österreich „im internationalen Vergleich sonst weiter an Terrain“ verliere. Ob die FPÖ an einer künftigen Regierung beteiligt sei oder nicht, bezeichnete er für nachrangig, da es ihm nicht um Parteien gehe, sondern um den Standort.
Die ÖVP hat bereits am Dienstag ihre Bedingungen für eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ formuliert. Dazu zählt das Festhalten an einer strikten Obergrenze für Asylsuchende. Für den Fall, dass Kern die Grenzsicherungs- und Asylpolitik wieder aufweichen sollte, drohte ÖVP-Chef Mitterlehner mit „Beratungen“ – die sich um das Ende der Koalition mit der SPÖ und Neuwahlen drehen dürften. Der Politikexperte Peter Filzmaier erklärte im Deutschlandfunk, er halte einen „nochmaligen Kurswechsel der SPÖ in der Flüchtlingsfrage“ nicht für möglich.
Deutlich wurde dies an den jüngsten Regierungsplänen zur Inneren Sicherheit. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) stellte den Aktionsplan „Sicheres Österreich“ vor. Er sieht vor, die „Abschiebeintensität“ von Menschen ohne Bleiberecht in Österreich zu erhöhen. Justizminister Wolfgang Brandstetter forderte gleichzeitig ein „striktes Grenzkontrollmanagement“.