„Johnny & me“, ein dokumentarischer Trickfilm über John Heartfield

Filmbesprechung: Johnny & me – Eine Zeitreise mit John Heartfield
Regie und Dehbuch: Katrin Rothe
Darsteller: Stephanie Stremler, Manuel Harder, Dorothee Carls, Michael Hatzius
Website und Termine:
https://heartfieldfilm.de/

Die Grimmepreisträgerin Katrin Rothe hat erneut einen bemerkenswerten Film abgeliefert: „Johnny & me – Eine Zeitreise mit John Heartfield“ ist von frappierender Aktualität. Ihr Held, John Heartfield, (1891–1968), ist der Erfinder und Meister der politischen Fotomontage.

Seine Arbeiten der 1920er und 1930er Jahre zielten auf dieselben Militaristen, Nationalisten und Faschisten, die auch heute wieder überall aus den Poren der krisenhaften kapitalistischen Gesellschaft kriechen und Staatsapparat, Polizei, Militär, Justiz und Geheimdienste durchsetzen. Deren parlamentarischer Arm, die AfD, erreicht heute in Umfragen Ergebnisse wie die NSDAP Anfang der 1930er Jahre.

In dieser Situation ist es von großer Bedeutung, dass Künstler zu dieser Politik nicht schweigen, sondern, wie damals Heartfield, mit Mitteln der Kunst einen Beitrag dazu leisten, den Rechten das Handwerk zu legen. Das versucht Katrin Rothe mit ihrem Film „Johnny & me – Eine Zeitreise mit John Haertfield“.

Ähnlich wie in ihrem dokumentarischen Animationsfilm „Der wahre Oktober“ bedient sich Rothe der Trickfilm-Collagetechnik. Sie erklärt, der neue Film sei in gewisser Weise eine Fortsetzung ihres Oktober-Films in die Zeit der 1920er und 1930er Jahre. Heartfield sei ein Collagenkünstler gewesen, „den man wunderbar mit einem Collagen-Animationsfilm zum Leben erwecken kann“. Dabei hätten sie auch gerade die Parallelen zur Gegenwart fasziniert. Der Film „Johnny & me“ setze sich damit auseinander, „wie es heute weitergeht, und wo das alles hinführt“. An diesem Anspruch muss sich der Film messen lassen.

Rothe gelingt es hervorragend, die Aktualität von Heartfields Arbeiten deutlich zu machen, nicht nur, indem sie eindringlich von Heartfield und seinem Kampf erzählt, sondern gerade weil sie sich, wie er, der Collagetechnik bedient und ihn damit gleichsam zum Leben erweckt und in die Gegenwart holt. Genial sind die gelegentlichen Animationen von Heartfields Collagen, die dem Zuschauer so noch eindringlicher und gegenwärtiger werden.

Im Film schneidet Rothes Alter Ego Stephanie die Figuren aus Papier und Pappe aus und lässt sie sprechen und sich bewegen. Diese Technik, alles mit der Hand zu machen, auszuschneiden und zu kleben, durch Fotoserien die Bewegung zu erzeugen, beherrscht Rothes Team meisterhaft. Die Mischung zwischen Spielfilm und Trickfilm-Dokumentation korrespondiert so perfekt mit Heartfields Arbeitsweise.

„Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen“ [Photo by H&UFilm]

„Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen“

Heartfield hatte im Ersten Weltkrieg mit Trickfilmen bei der UFA[1] begonnen, bevor er zur Fotomontage griff, die er immer mehr zu einer scharfen politischen Waffe entwickelte.

Aus Protest gegen die antibritische Propaganda hatte Heartfield im Ersten Weltkrieg seinen Namen (Helmut Herzfeld) anglisiert und ein Nervenleiden simuliert, um nicht mehr an die Front zu müssen. Wie im Film erwähnt, hatte er am Gründungsparteitag der KPD teilgenommen und sein Parteibuch von Rosa Luxemburg erhalten. In den 1920er Jahren gehörte er zur Dada-Bewegung, in der er als „Monteurdada“ seine Kunst provokativ entwickelte. Aus Protest gegen das Establishment hätten sie damals „alles miteinander vermischt: Kunst, Theater, Politik“, wie er im Film erzählt.

Rothe, die in der DDR aufgewachsen ist, hatte sich gewundert, „dass dieser Kommunist der ersten Stunde, ein unglaublich mutiger Künstler und Kommunist, auf den die Nazis 1939 ein Kopfgeld ausgesetzt hatten, in der DDR kaum in Erscheinung trat“. Sie ging der Frage nach und recherchierte zu Heartfields Biografie im Bundesarchiv. Dabei stieß sie auf eine Personalakte, die von der Zentralen Kontrollkommission der Sozialistischen Einheitspartei (SED) angelegt worden war. Darin fand sie Antworten auf ihre Fragen und eine Erklärung für Heartfields relativ geringe Wertschätzung in der DDR, sowie auch einen wichtigen Aufhänger für ihren Film.

Dieser beginnt mit der jungen Grafikerin Stephanie (Stephanie Stremel), die sich in einer Schaffenskrise befindet. Sie ist genervt von der belanglosen digitalen Arbeit, die von ihr opportunistische Anpassung an Kundenwünsche verlangt (was dann nicht einmal anerkannt wird). So hat sie auf Anweisung das Cover-Motiv eines Buches über Mülldeponien in Afrika mit dem Bild eines fröhlichen blonden Mädchens geschmückt und ist mit sich unzufrieden. Sie nimmt sich eine Auszeit, geht in eine Ausstellung und wird von John Heartfields Fotomontagen gepackt. Diese lassen sie nicht mehr los.

Durch einen Zeittunnel katapultiert sie sich in ein Atelier voller Filmrollen, Papierordner und alter Bücher. Dort nimmt der aus Pappe ausgeschnittene und als Trickfigur lebendig gewordene Künstler sie auf eine Reise durch sein Leben mit. Zwischen den beiden „Kollegen“ beginnen ein Dialog und eine kameradschaftliche Komplizenschaft. Sie diskutieren über den Sinn ihres Berufs und über Heartfields Leben.

Im Dialog mit der Heartfield-Figur zeichnet Stephanie Heartfields Lebensgeschichte nach. Auf einer Leine klammert sie Collagen, biografische Dokumente und Fotos der verschiedenen Lebensstationen des Künstlers wie auf einer Zeitschiene aneinander, und gemeinsam gehen sie diese noch einmal durch.

Vor hundert Jahren, 1924, zehn Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, erschien Heartfields erste politische Fotomontage: „Nach zehn Jahren: Väter und Söhne“. Auf dem Bild ist General Feldmarschall Paul von Hindenburg zu sehen; hinter ihm stehen Soldatenskelette stramm. Geradezu prophetisch zieht ein Trupp Kinder in Uniform, die künftigen Soldaten, mit geschultertem Gewehr an ihren toten Vätern vorbei.

Die berühmtesten Collagen wurden zu Titelblättern der AIZ, der Arbeiter Illustrierte Zeitung, eines 1921 von Willi Münzenberg gegründeten und weit über die KPD-Mitgliedschaft hinaus bekannten und beliebten Blattes. Diese Zeitschrift, die es bis zu einer Auflage von 500.000 Exemplaren brachte, wurde von vielen tausenden Arbeitern und Arbeitslosen getragen, die für ihre Verbreitung sorgten, denn der damalige „Zeitungspapst“ Alfred Hugenberg hatte ihr die üblichen Vertriebswege versperrt. Die AIZ erschien von 1921 bis 1933 in Berlin und von 1933 bis 1938 im Prager Exil.

Besonders beeindruckend sind Heartfields AIZ-Titelbilder, die nach der Machtübernahme der Nazis 1933 entstanden. Im Film erscheint die Collage vom Reichstagsbrand eindrucksvoll animiert. Aus dem brennenden Reichstag schlagen die Flammen, davor Hermann Göring mit blutiger Schlachterschürze und einem Henkersbeil in der Hand. Er symbolisiert, wozu die Nazis den Brand nutzten. Etwas naiv wirkt Stephanies Kommentar dazu: „Weißt du was? Das war schon Social Media in den 30er Jahren!“

Sechs Wochen nach dem Reichstagsbrand stürmte die SA John Heartfields Wohnung. Nur knapp gelang ihm die Flucht durch einen Sprung aus dem Fenster, und er entkam nach Prag.

„Durchs Licht zur Nacht“, Titelbild der AIZ mit John Heartfield-Collage zur Bücherverbrennung, 1933 [Photo by DHM Inv.-Nr.: Do 57/27.2 (MfDG)]

Ein anderes AIZ-Cover mit dem ironischen Titel „Durch Licht zur Nacht“ zeigt ebenfalls lodernde Flammen. Diesmal sind es die brennenden Bücher der linken, kommunistischen und jüdischen Dichter und Schriftsteller.

Sehr deutlich wird die Spannung zwischen Heartfield und der KPD in einer Filmsequenz vor der Reichstagswahl 1928. Mitten aus den Beratungen für ein Plakatmotiv heraus macht Heartfield sich auf zum Tor einer Fabrik und fotografiert dort die Hände der Arbeiter. Aus Hunderten Bildern wählt er eins mit fünf gespreizten Fingern und entwirft das berühmte Wahlplakat für die KPD: „Mit 5 packst Du den Feind. Wählt Liste 5 Kommunistische Partei“. Ernst Thälmann hat es nicht gefallen. Heartfield und Lene Rado von der Propagandaabteilung hatten Mühe, ihn zu überzeugen.

Diese Szene hat eine gewisse Schlüsselfunktion. Denn danach arbeitete Heartfield nicht mehr für die offizielle Parteilinie. Er erklärt Stephanie, dass er zum „antistalinistischen Stalinisten“ geworden sei.

Heartfields Festhalten an der KPD, auch als diese sich vollständig der stalinistischen Bürokratie untergeordnet hatte, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Einerseits zeigte er mit seinen Fotomontagen messerscharf den Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Krise, dem Krieg und dem Nationalsozialismus auf, andererseits ignoriert er die Rolle der KPD bei der Machtergreifung der Nazis. Das heißt, er sah keine Alternative zur KPD, obwohl er mit ihrem Kurs nicht einverstanden war. In einer kurzen Szene beklagt er, dass es keine Einheit mit sozialdemokratischen Arbeitern gegen die Nazis gab.

Hier bleiben im Film einige wichtige historische Fragen offen. Eine Einheitsfrontpolitik, gerichtet auf den gemeinsamen Kampf kommunistischer und sozialdemokratischer Arbeiter gegen Hitler, hätte den Faschismus zweifellos besiegen können. Die Linke Opposition und Leo Trotzki kämpften für eine solche Einheitsfront, die die bankrotte SPD-Führung schnell entlarvt hätte. Sie wurde jedoch von der KPD unter Stalins Einfluss mit allen Mitteln hintertrieben. Deren offizielle Politik war es, die sozialdemokratischen Arbeiter als „Sozialfaschisten“ zu verleumden und mit den Nazis gleichzusetzen.

Nach Hitlers Sieg in Deutschland gingen die Stalinisten zu einer rechten Volksfrontpolitik über, was bedeutet, dass sie jede unabhängige Perspektive für die Arbeiterklasse aufgaben und die „antifaschistische“ Einheit zwischen bürgerlichen und kommunistischen Parteien verkündeten. Wie verheerend diese Politik der Unterordnung unter die Interessen der Bourgeoisie war, zeigte sich vor allem in Frankreich und der Niederlage der spanischen Arbeiterklasse im Bürgerkrieg 1936–1939.

Willi Münzenberg, mit dem Heartfield weiter eng zusammenarbeitete, war einer der vehementesten Befürworter der Volksfrontpolitik. Die AIZ wurde, der neuen Politik entsprechend, in Volksillustrierte umbenannt.

Diese Frage ausführlich zu behandeln, hätte den Rahmen des Films vermutlich gesprengt. Aber eine kurze Erwähnung des Konflikts hätte dazu beigetragen, die historischen Hintergründe des Dilemmas und der Tragik von ernsthaften Künstlern wie Heartfield aufzuklären.

Heartfield war mit seiner politischen Haltung nicht allein. Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht und viele andere Künstler und Intellektuelle sahen trotz des Stalinismus und der verheerenden Politik der Komintern in der Sowjetunion die einzige und stärkste Kraft gegen den Faschismus. Die Politik der Linken Opposition und Trotzkis lehnten sie ab. Wie viele Biografen von Heartfields Zeit- und Gesinnungsgenossen geht auch Rothe dieser Frage nicht weiter nach.

Aus Prag vertrieben, suchte und fand Heartfield sein Exil nicht, wie die Stalinisten der Gruppe Ulbricht, in Moskau. Er gehörte zu den kritischen Intellektuellen, die in der Weimarer Zeit zwar Sympathisanten der KPD waren, aber wohlweislich nicht in die Sowjetunion emigrierten, in der die stalinistische Bürokratie die Arbeiterklasse unterjochte. Heartfield floh nach Großbritannien, während Bertolt Brecht, Hans Eisler und Anna Seghers in die USA oder nach Südamerika emigrierten. Sie entgingen so den Schauprozessen und Säuberungen, die Tausende überzeugte Kommunisten und Emigranten nicht überleben sollten. Viele befanden sich noch bis weit in die 1950er Jahre in den Gulags.

Zu den Opfern gehörte auch der Brecht-Freund Sergeij Tretjakow, mit dem Heartfield 1931 eng zusammengearbeitet hatte, als er ein Jahr in der Sowjetunion verbrachte und, wie es im Film heißt, „Rotarmisten“ seine Collage-Technik beibrachte.

In einem Schlüsselmoment im Film blättert Stephanie in der SED-Personalakte Heartfields, die 1950 im Zusammenhang mit seiner Rückkehr aus dem britischen Exil von der SED angelegt wurde. Der darin enthaltene Lebenslauf, den er bei der Einreise in die DDR verfassen musste, dient ihr als Leitfaden für ihre Zeitschiene.

Ende der 1940er Jahre forderte Brecht die mit ihm befreundeten Brüder John Heartfield und Wieland Herzfelde (Brechts Verleger) auf, in die DDR zu kommen, um dort das „bessere Deutschland“ mit aufzubauen. Brecht wurde zwar von den Stalinisten mit Misstrauen beobachtet, er war aber so berühmt, dass sich die SED-Kulturfunktionäre nicht trauten, ihn stärker zu schikanieren. Für Brecht war Heartfield einer der wichtigsten europäischen Künstler.

Das sah die SED anders. Zwar schickte das von dem expressionistischen Dichter Johannes R. Becher geleitete Kulturministerium ein Einladungsschreiben an die beiden Brüder. Becher versprach Heartfield sogar eine Professur und eine große Ausstellung. Aber das diesbezügliche Dokument des Kulturministeriums „verschwand“ in Heartfields Personalakte.

Denn Becher und Brecht hatten die Rechnung ohne die Kontrollkommission der SED gemacht, für die „alle Rückkehrer unter Generalverdacht“ standen, die aus dem Westen kamen. Rothe lässt die beiden Funktionäre Jobst und Gessel von der Zentralen Kontrollkommission als Pappfiguren auftreten, die dem in der stalinistischen DDR unerwünschten „Westemigranten“ alle möglichen Steine in den Weg legen. Es wird klar, dass die Parteibürokratie befürchtete, dass Leute wie er ihren „zersetzenden“ Geist in der DDR verbreiten könnten.

Seine Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1950 fiel in eine Zeit, als in der DDR die stalinistische Macht und alle Bereiche des öffentlichen Lebens streng zentralisiert waren. Heartfield zählte zu den verdächtigen intellektuellen Künstler-Kommunisten, die im Ulbricht-Regime zwar geduldet, aber in ihrer Kreativität strengster Kontrolle unterworfen wurden.

In Heartfields Akte finden sich auch zwei Fotomontagen von Zeitungscovern, die in der DDR entstanden waren. Eine war noch veröffentlicht worden, die zweite nicht mehr. Heartfields Collagen wurden nunmehr als „formalistische“ Spielerei abgetan. Seine Kunst galt als „Formalismus“ und wurde verboten. Ein weiteres Titelblatt, das er entworfen hatte, wurde zwar noch gedruckt, aber die gesamte Auflage eingestampft.

Stalinismus und revolutionäre Künstler

Der Film stellt die Frage, warum Heartfield seine revolutionäre Kunst nach seiner Rückkehr in der DDR nicht wieder aufgreifen und weiterentwickeln konnte. Rothe erklärt in einem Interview mit dem Filmdienst dazu:

Das verstand ich erst, als ich diese Akte [der Parteikontrollkommission] vor mir hatte. Für die SED war er im westlichen Exil gewesen und hatte dort eventuell mit den falschen Menschen gesprochen oder von den falschen Leuten ein Visum bekommen. Deshalb war Heartfield in der DDR nicht sonderlich erwünscht.

Allerdings war er, wie viele andere, nicht nur nicht erwünscht, sondern in höchstem Maße gefährdet. Anfang der 1950er Jahre fand eine neue Welle stalinistischer Säuberungen mit Schauprozessen in der Sowjetunion und den neu entstandenen Pufferstaaten statt. Zahlreiche oppositionelle Parteimitglieder oder Personen, die für solche gehalten wurden, standen vor Gericht und wurden inhaftiert oder sogar hingerichtet. Im Film bricht Heartfield in einem Zugabteil aus Angst, erneut verfolgt zu werden, zusammen.

Die stalinistische Bürokratie sah zu Recht in einer frei und selbstbewusst handelnden Arbeiterklasse eine Gefahr für ihre Herrschaft. Jede selbständige Bewegung, auch die von Künstlern, galt ihr als Bedrohung. Sie musste um jeden Preis verhindern, dass die Arbeiterklasse wieder eine revolutionäre Rolle spielen konnte, denn das hätte ihre Herrschaft ernsthaft gefährdet. Welche Gefahr der Bürokratie drohte, wurde spätestens durch die Aufstände in der DDR (1953) und in Polen und vor allem in Ungarn (beides 1956) deutlich.

Kunst wurde daher streng zensiert. Im Film heißt es im Zusammenhang mit der auch gegen Brecht und Eisler entfachten „Formalismus“-Debatte: „Wozu Bilder, wir haben ja Parolen.“ Die Verunglimpfung von Kunstwerken, die nicht der Doktrin des „sozialistischen Realismus“ gehorchten, war ein wichtiges Instrument, um die Künstler zu disziplinieren.

In den 1920er Jahren war Heartfield, wie viele andere, von dem gesellschaftlichen – und künstlerischen – Aufbruch in der Sowjetunion inspiriert. Wirksam entfaltete er seine Kreativität im Interesse einer neuen Gesellschaftsordnung. Mit der zunehmenden Bürokratisierung wurden seiner Schaffenskraft Fesseln angelegt, und im Weltkrieg geriet er zwischen die Fronten von Imperialismus und Stalinismus. Als kranker Mann kam er in die DDR und unter die Fuchtel der Bürokratie. Zwar wurde er später rehabilitiert und erhielt Auszeichnungen, aber an seine frühere künstlerische Laufbahn konnte er in der DDR nicht wieder anknüpfen. Diese Tragik kommt in Rothes Film zum Ausdruck.

Wie Leo Trotzki in seinem Aufsatz „Kunst und Revolution“ (1938) feststellt, hatte

die Oktoberrevolution der sowjetischen Kunst in allen Bereichen einen wunderbaren Aufschwung geschenkt. Die bürokratische Reaktion hat dagegen das künstlerische Schaffen mit ihrer totalitären Hand erstickt. … Die Kunst ist im Grunde eine Nervenfunktion und verlangt eine vollständige Aufrichtigkeit.[2]

In einer Szene des Films, die den Bogen zur politischen Gegenwart schlägt, sieht man durch das Atelierfenster marschierende Springerstiefel eines Neonazi-Aufmarschs. Heartfield ist sofort alarmiert und rennt hinaus, um den Faschisten entgegenzutreten. Erbarmungslos wird sein Pappfigürchen niedergetrampelt und in Einzelteile zerfetzt. Stefanie sammelt sie auf und flickt sie sorgfältig unter Ermahnungen wieder zusammen.

Die Szene zeigt, dass für die Filmemacherin die politische Perspektive für heute eine offene Frage bleibt. Der Kampf gegen die Rückkehr des Faschismus ist zu führen – keine Frage! Aber sie bleibt auf einer aktivistischen, individualistischen Ebene und damit ungelöst. Dennoch tragen die Bilder von Heartfield und Rothe in der heutigen Zeit der Heuchelei viel zur Klärung bei, in der etablierte Politiker „Rückführungsverbesserungsgesetze“ beschließen, den größten Militärhaushalt verabschieden und sich gleichzeitig an die Spitze von Massenprotesten gegen AfD und Rechtsruck stellen.

Der Film endet damit, dass die Künstlerin Heartfield fragt: „Was wärst du heute: Whistleblower, Influencer oder Gründer eines Social Media Start-ups?“ Heartfields Antwort: „Ist doch egal. Wichtig ist, was du willst.“ Worauf die Künstlerin antwortet: „Ich such mir einen neuen Job. Aber davor mach ich noch das Buchcover fertig – so wie ich es will. Schnipp-Schnapp.“


[1]

UFA; Universum Film AG, gegründet 1917, eine der ältesten und wichtigsten Filmfirmen Deutschlands

[2]

In: Leo Trotzki, Literatur und Revolution, Essen 1994, S. 503f

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