Jassir Arafat: 1929 - 2004

Jassir Arafat wird als Mann von außerordentlichem persönlichem Mut und unerschütterlicher Ergebenheit für die Sache der palästinensischen Befreiung in Erinnerung bleiben. Millionen auf der ganzen Welt weisen die Verleumdungen mit Verachtung zurück, die von Leuten wie Ariel Scharon und George W. Bush über Arafat, dieses internationale Symbol des palästinensischen Widerstands seit fast vierzig Jahren, verbreitet werden. Diese beiden Kriegsverbrecher besitzen die Frechheit, Arafat als Terroristen zu bezeichnen.

Darauf hat Arafat schon 1974, in seiner Rede vor den Vereinten Nationen, eine ausgezeichnete Antwort gegeben:

Der Unterschied zwischen einem Revolutionär und einem Terroristen liegt in der Sache, für die er kämpft. Wer immer für eine gerechte Sache einsteht und für Freiheit und die Befreiung seines Landes von Eindringlingen, Siedlern und Kolonialisten kämpft, kann auf keinen Fall als Terrorist bezeichnet werden. [...] Aber jene, die gegen die gerechte Sache kämpfen, die Krieg führen um andere Völker zu besetzen, um zu kolonisieren und zu unterdrücken, das sind Terroristen. Das sind Menschen, deren Handlungsweise man verdammen muss, die man Kriegsverbrecher nennen muss; denn die Rechtmäßigkeit der Sache bestimmt die Berechtigung des Kampfs.

Das Ausmaß der Trauer unter den Palästinensern zeigt, wie tief die Zuneigung für Arafat ist. Es ist jedoch in erster Linie notwendig, die politischen Lehren aus seiner Tragödie zu ziehen, die nicht nur die Tragödie der Palästinenser, sondern der arabischen Bevölkerung überhaupt ist.

Es mangelte dem Kampf der brutal ausgebeuteten Arbeitermassen im Nahen Osten nie an Mut, Opfersinn oder Kampfbereitschaft. Etwas anderes fehlte jedoch, und auch Arafat konnte es nicht vermitteln: eine gangbare revolutionäre Perspektive zur Abschaffung der imperialistischen Vorherrschaft und ihrer unvermeidlichen Konsequenzen – Armut und Unterdrückung.

Die Tatsache, dass Arafats nationales Projekt letztendlich scheiterte, kann nicht den subjektiven Eigenschaften eines Individuums zugeschrieben werden. Arafats Stärken und Schwächen spiegeln die Probleme und Widersprüche der Bewegung wider, an deren Spitze er stand.

Die Sackgasse, in der sich die palästinensischen Massen heute befinden, ist keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Im ganzen Nahen Osten und überall auf der Welt hat sich der Versuch, eine nationale Lösung für Fremdherrschaft und soziale Ungerechtigkeit zu finden, als Illusion erwiesen. Selbst wo national-revolutionäre Bewegungen gegen Kolonialherrschaft erfolgreich waren und die direkte ausländische Kontrolle abschütteln konnten – wie z.B. in Algerien –, dauerte die Herrschaft der transnationalen Banken und Konzerne weiter an und die sozialen Bedingungen der Arbeiterklasse und der Bauern blieben verzweifelt, während die kolonialen Machthaber einfach durch korrupte Cliquen der lokalen Bourgeoisie ersetzt wurden.

Arafats Tragödie wurzelt in der untauglichen politischen Perspektive, auf die sein politischer Kampf sich gründete. Die fundamentale Erkenntnis aus dem zwanzigsten Jahrhundert gilt heute, angesichts der globalisierten Wirtschaft, die von einer relativen Handvoll transnationaler Banken und Konzerne kontrolliert wird, noch mehr als damals: Nationale Unterdrückung und soziale Ausbeutung können nicht auf einem nationalen, sondern nur auf einem internationalen und sozialistischen Weg überwunden werden.

Das Problem des palästinensischen Volkes ist ein internationales Problem. Es kann nicht im Rahmen der bestehenden kapitalistischen Nationalstaaten im Nahen Osten gelöst werden, durch die der Imperialismus seine Kontrolle ausübt. Selbst wenn es gelingen würde, dem heutigen Staatensystem im Nahen Osten noch einen Palästinenserstaat hinzuzufügen, könnte er das Grundproblem der palästinensischen Bevölkerung nicht lösen. Der Rahmen selbst muss beseitigt und durch ein neues System ersetzt werden, das den Bedürfnissen der Arbeitermassen entspricht. Dieses neue System sind die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens. Die soziale Kraft, die fähig ist, dies zu erreichen, ist die Arbeiterklasse, die hinter sich die armen Bauern vereinigt und den Kampf sowohl gegen den Imperialismus als auch die nationalen bürgerlichen Klassen in der Region führt.

In einer Ironie der Geschichte widerspiegelt das Scheitern des palästinensischen nationalen Projekts gleichzeitig den Fehlschlag einer weiteren bekannten nationalen Bewegung des zwanzigsten Jahrhunderts: des Zionismus. Der „Erfolg“ des zionistischen Projektes besteht darin, dass ein unterdrücktes Volk, das die kolossalste Tragödie der Menschheitsgeschichte erlitten hat, zum Unterdrücker eines anderen, des palästinensischen Volkes geworden ist.

Die Geschichte der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und Arafats zeigt wiederholt, dass die Unterjochung des palästinensischen Volkes nicht bloß ein Ergebnis der Gewalt und Militärmacht Israels war, sondern auch des Verrats der arabischen Bourgeoisie. Arafat, der auf der Grundlage seines nationalistischen Programms versuchte, die arabischen Regime unter Druck zu setzen und zwischen ihnen hin und her zu lavieren, war niemals in der Lage, eine wirkliche Unabhängigkeit von ihnen oder von ihren imperialistischen Herren zu erreichen. Auch der Versuch, sich auf die Sowjetunion als Gegengewicht zu Israel und den USA zu stützen, brachte ihn schließlich unvermeidlich in den Einflussbereich des amerikanischen Imperialismus, des entschiedensten Gegners der Palästinenser und der arabischen Massen.

Die Große Katastrophe

Arafat kam 1929 in Kairo als Mohammed Abdel Rahman Abdel Rauf Arafat al Qudwa al Husseini zur Welt. Seine Eltern waren Palästinenser, die zwei Jahre zuvor aus Gaza hierher gezogen waren. Sein Vater war ein kleiner Geschäftsmann, und Arafats Mutter starb, als er gerade fünf Jahre alt war, worauf man ihn in die Obhut von Verwandten in der Altstadt von Jerusalem gab. Als Jugendlicher stürzte sich Arafat in den Kampf um Palästina, und von dieser Entscheidung rückte er zeitlebens nicht mehr ab.

Zu jener Zeit existierte in der Arbeiterklasse ein starkes Bewusstsein für die Einheit jüdischer und arabischer Arbeiter im gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus, was 1921 zur Bildung der Palästinensischen Kommunistischen Partei (PCP) führte. Aber die stalinistische Bürokratie, die in den darauf folgenden Jahren in Moskau ihre Macht festigte, bediente sich der PCP für ihre eigenen außenpolitischen Interessen. Sie versuchte Allianzen mit imperialistischen Mächten zu schmieden und unterdrückte jede unabhängige politische Initiative der Arbeiterklasse.

Nachdem der nationalsozialistische Völkermord an den Juden Europas Millionen zu Flüchtlingen gemacht hatte, ging die Sowjetunion eine Allianz mit den USA ein und assistierte bei der Gründung des Staates Israel. Infolgedessen konnten die Zionisten die UN-Generalversammlung erfolgreich überzeugen, für die Teilung Palästinas in zwei Staaten zu stimmen, einen palästinensischen und einen jüdischen. Die Briten zogen ab, und 1948 wurde der Staat Israel gegründet.

Die Palästinenser erwarteten Hilfe von den arabischen Regierungen. Aber zum einen waren die Armeen der Arabischen Liga hoffnungslos zersplittert und den Israelis zahlenmäßig unterlegen, zum andern konnten die imperialistischen Mächte an die Klasseninteressen der konkurrierenden arabisch-bürgerlichen Cliquen appellieren, die danach strebten, ein eigenes Territorium zu kontrollieren, „ihre eigenen“ Arbeiter und Bauern auszubeuten und Beziehungen zu der einen oder anderen Großmacht aufzubauen.

Einige Palästinenser flohen während des Kriegs zwischen Israel und den arabischen Regimes aus ihrer Heimat, die meisten jedoch wurden durch eine brutale ethnische Säuberungskampagne der israelischen Armee vertrieben. Die Auswirkungen des Terrors, dessen bekanntestes Beispiel das Massaker von Deir Jassin ist, beschrieb Arafat wie folgt: Die Zionisten „besetzten 81 Prozent des gesamten Gebietes von Palästina und entwurzelten eine Million Araber. Sie besetzten 524 arabische Städte und Dörfer, von denen sie 385 zerstörten und im weiteren Verlauf vollständig auslöschten. Danach errichteten sie ihre eigenen Siedlungen und Kolonien auf den Ruinen unserer Bauernhöfe und unserer Haine.“

Nur etwa 200.000 der 1.200.000 Palästinenser verblieben in den Teilen von Palästina, die an Israel fielen, wo sie als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden. Der Rest siedelte sich in Flüchtlingslagern in den Nachbarländern an, besonders in Jordanien, das sich erst seit kurzer Zeit auch auf das Westjordanland erstreckte. Ihre Existenz als Volk wurde geleugnet, nicht nur von Israel – dessen Führerin Golda Meir den berüchtigten Ausspruch tat: „Sie existieren nicht“ – sondern auch von den arabischen Führern, die weder ein Interesse hatten, die Palästinenser zu assimilieren, noch sich für die Rückgabe ihres Landes stark zu machen.

Arafat war sich dieser Niedertracht der arabischen Herrscher wohl bewusst, doch er war von Anfang an der Ansicht, ihm bleibe nichts anderes übrig, als zwischen ihnen zu manövrieren – was verheerende Folgen haben sollte.

Oberst Gamal Abdel Nasser, der 1954 in Ägypten an die Macht kam, weckte in der ganzen arabischen Welt Hoffnungen, weil er ein Programm begrenzter sozialer und ökonomischer Reformen vertrat, die er „arabischen Sozialismus“ nannte. Nasser drängte auf die panarabische Einheit unter seiner Führung.

Arafat zog nach Gaza, das damals von Ägypten regiert wurde, und betätigte sich aktiv in paramilitärischen Palästinensergruppen, die bewaffnete Überfälle auf Israel organisierten. Er schloss sich mit Abu Ijad und Abu Dschihad zusammen. Nasser, der vom stalinistischen Regime in Moskau militärisch und wirtschaftlich unterstützt wurde, akzeptierte darauf ein UN-Abkommen, das die Polizeigewalt im Gazastreifen einer UN-Sondertruppe (UNEF) übertrug, die die palästinensische Guerilla davon abhalten sollte, weiterhin Israel anzugreifen. Darauf wurde die Guerilla aufgerieben und Arafat und seine Verbündeten isoliert.

1957 zogen Arafat und Abu Dschihad von Kairo nach Kuwait und gründeten gemeinsam mit Abu Ijad die Palästinensische Nationale Befreiungsbewegung oder Al Fatah. Das Ziel dieser Organisation lautete: Rückgabe des von Israel besetzten Landes und Schaffung eines demokratischen und säkularen Palästina.

Als Israel 1964 damit drohte, den oberen Jordan umzuleiten, war Ägypten führend an der Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga beteiligt. Nasser versuchte, die PLO über ihren Führer Ahmed Schukeiri zu kontrollieren, und die bewaffneten Kräfte der PLO waren Bestandteil der Armeen Ägyptens, Syriens, Jordaniens und des Irak.

Die Fatah trat der PLO bei, aber Arafat war darauf bedacht, die Neutralisierung der palästinensischen Kämpfer zu vereiteln, und drängte weiterhin auf den bewaffneten Kampf gegen Israel. Das führte dazu, dass Fatah-Mitglieder unterdrückt wurden. In Jordanien befahl König Hussein, Jagd auf sie zu machen und sie gefangen zu setzen.

Der arabisch-israelische Krieg von 1967 brachte für Araber wie für Juden eine Wende. Israels Vernichtung der arabischen Armeen in nur sechs Tagen beraubte die säkularen nationalistischen Regime von Ägypten und Syrien und ihre sowjetisch-stalinistischen Hintermänner jeder Autorität. Israel erweiterte ganz erheblich sein Territorium, trieb weitere 350.000 Menschen in die Flucht und annektierte Ost-Jerusalem.

Der Krieg bedeutete das Ende von Nassers pan-arabischem Projekt. Danach rückten sämtliche arabisch-bürgerlichen Regime rasch nach rechts. Militärregime oder Regierungen, die sich auf die Armee stützten, übernahmen in Syrien und dem Irak die Macht, und Ägypten schlug sich auf die Seite der ölreichen, konservativen und pro-westlichen Länder.

Fatah übernimmt die PLO

Als Reaktion auf die arabische Niederlage verzeichneten mehrere Guerillaorganisationen Zulauf, die einen unabhängigen militärischen Kampf zur Befreiung Palästinas befürworteten. Von nun an sollte der Kampf gegen Israel unter der Fahne des palästinensischen Nationalismus geführt werden und die gleiche Guerillataktik anwenden wie in Algerien und Vietnam.

Fatah erwies sich als die wichtigste dieser Guerillaorganisationen, besonders nachdem sie im März 1968 in Karameh im Westjordanland den Israelis standgehalten hatte. Auf einem Palästinenserkongress in Kairo im Februar 1969 schickte sie die alte PLO-Führung in die Wüste, und Arafat wurde neuer PLO-Vorsitzender.

Die Reihen der Fatah schwollen von ein paar hundert auf 300.000 Mitglieder an, und sie führte immer wieder Angriffe auf Israel durch. Wegen ihrer politischen und militärischen Erfolge verwandelte sich die PLO unter Führung der Fatah in eine wirkliche Bewegung der palästinensischen Massen. Ab dem Ende der sechziger Jahre wurde der Kampf der palästinensischen Bevölkerung und der PLO zum Katalysator und Brennpunkt für den revolutionären Kampf im gesamten Nahen Osten.

Die Verrat von 1970 bis 1982

In den folgenden zwanzig Jahren wurde die PLO wiederholt Opfer von Angriffen der arabischen Regime: 1970 beging Jordanien das Massaker vom „Schwarzen September“, fünf Jahre später erwies sich Syrien als Komplize bei dem libanesisch-faschistischen Gemetzel an Palästinensern in den Lagern von Karantina und Tel al Saatar, 1982 erfolgten weitere Massaker in Sabra und Schatila, und bis auf den heutigen Tag weigern sich die arabischen Regierungen, der israelische Repression in den besetzten Gebieten entgegenzutreten.

Als besonders übel erwies sich der Angriff Syriens auf die PLO, die ihre Basis nach 1970 im Libanon hatte. Mitte der siebziger Jahre wurde die PLO im Libanon in einen sich ausweitenden Bürgerkrieg zwischen linken nationalistischen Kräften unter Führung Kemal Dschumblatts und der faschistischen Christlichen Falange hineingezogen. Arafat unterstützte Dschumblatt, und als die linken Kräfte drauf und dran waren, die Rechten entscheidend zu schlagen, griff Syrien gegen sie ein. Die Massaker in Karantina und Tel al Saatar waren das Ergebnis dieses Verrats.

1982, als Israel mit Unterstützung der USA im Libanon einmarschierte, um die PLO zu vertreiben, stellte die syrische Bourgeoisie erneut ihren Hass auf die palästinensische Sache unter Beweis. Sie weigerte sich, auch nur einen Finger zur Verteidigung der PLO zu rühren. Diese wurde gezwungen, den Libanon zu verlassen und ihr neues Hauptquartier in Tunis aufzuschlagen.

1982 gebot schließlich die israelische Arbeiterklasse dem Pogrom von Sabra und Schatila Einhalt. Über 400.000 Menschen, ein Zehntel der Bevölkerung, gingen in Tel Aviv auf die Straße und demonstrierten gegen die Likud-Regierung von Menachem Begin und seinen Verteidigungsminister Ariel Scharon, die dieses Massaker zugelassen hatten. Das war ein machtvoller Ausdruck demokratischer und fortschrittlicher Gefühle, die das Potential für einen gemeinsamen Kampf arabischer und jüdischer Arbeiter zeigte. Ein solcher Kampf war nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms möglich, das sich an die Klasseninteressen der Arbeiter und Unterdrückten im ganzen Nahen Osten wandte.

Nach dem „Jom Kippur“-Krieg von 1973 unternahm der ägyptische Führer Anwar el-Sadat offene Annäherungsversuche an die USA und Israel, die ihren Höhepunkt in der Anerkennung Israels 1978 in Camp David fanden. Israel sicherte sich die Neutralität des wichtigsten arabischen Landes für künftige Kriege gegen seine Nachbarn. Damit isolierte es die PLO und stärkte seine Position gegen die Palästinenser.

Die Intifada und der Zusammenbruch der Sowjetunion

Mitte der achtziger Jahre traten wichtige politische Veränderungen ein, die Arafat mehr und mehr in die Fänge des US-Imperialismus trieben. Die wichtigste war die Hinwendung der stalinistischen Bürokratie unter Michael Gorbatschow zur kapitalistischen Restauration und die Reintegration der Sowjetunion in den Weltimperialismus. 1987 „signalisierte die UdSSR, dass sie eine politische Lösung des Konflikts mit Israel unterstützen werde, verringerte die Waffenlieferungen an ihre traditionellen Verbündeten in der Region und weitete ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Kontakte zu Ägypten, Jordanien und Israel aus“. (Marr & Lewis, Riding the Tiger, Westview Press, 1993, S. 92)

Gleichzeitig brach im Dezember 1987 in den besetzten Gebieten die Intifada aus, ein spontaner Aufstand palästinensischer Arbeiter und Jugendlicher. Das erschütterte nicht nur die Israelis, sondern auch die arabische Bourgeoisie und den US-Imperialismus, die befürchteten, die revolutionäre Bewegung könne außer Kontrolle geraten und den ganzen Nahen Osten radikalisieren.

Da sich alle arabischen Regime, auf die er sich gestützt hatte, um einen Frieden mit Washington bemühten und die USA keinen ernsthaften Konkurrenten mehr im Nahen Osten hatten, schrumpfte Arafats Manövrierfähigkeit dramatisch. Im Dezember 1988 garantierte Arafat in einer Erklärung, die Wort für Wort vom amerikanischen Außenministerium diktiert war, die Sicherheit Israels. Er akzeptierte, dass eine Friedensregelung mit Israel eine „Strategie und nicht eine vorübergehende Taktik“ sei, und sagte sich von allen Formen des Terrorismus los, sei es „individueller, Gruppen- oder Staatsterrorismus“. Als Arafat auf einer Pressekonferenz aufgefordert wurde, seine Anerkennung Israels zu erklären, gab er seine Erniedrigung offen zu. Er antwortete. „Was wollen Sie? Wollen Sie, dass ich Striptease mache? Das wäre ungebührlich.“

In einem letzten Versuch, eine Basis für den Widerstand gegen die USA und Israel zu finden, stellte sich Arafat hinter das Baath-Regime Saddam Husseins, als es 1991 von Washington angegriffen wurde. Aber er war schließlich völlig isoliert, weil sämtlich arabischen Regime vor den USA auf dem Bauche krochen. Als der erste Golfkrieg vorüber war, sah sich Arafat gezwungen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, und 1993 kam es zu den Osloer Verträgen.

Die Bedingungen, die Arafat in Oslo akzeptieren musste, ehe die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet wurde, waren weit von dem ursprünglichen Ziel der Fatah, einem demokratischen säkularen Palästina entfernt. Mit dem palästinensisch-israelischen Abkommen gab die PLO alle Ansprüche auf 78 Prozent der Landfläche Palästinas auf. Es sah eine PLO-geführte Interimsregierung vor, die für die Sicherheit in den besetzten Gebieten verantwortlich sein und Israel von der Last der Militärbesetzung befreien sollte, während sie dem zionistischen Regime die Kontrolle über die Grenzen, die Außenpolitik und den Schutz der bestehenden illegalen Siedlungen im Westjordanland und Gaza überließ.

Arafat erhielt so praktisch die Verantwortung, die Opposition der palästinensischen Massen gegen die israelische Besatzung und Unterdrückung im Zaum zu halten.

Der in Oslo begonnene sogenannte „Friedensprozess“ war ein Betrug. Die letzten zehn Jahre haben der leidgeprüften palästinensischen Bevölkerung die bittere Erfahrungen beschert. Ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage ist heute schlechter als vor der Gründung der Autonomiebehörde. Sie ist ständigen Schikanen und immer neuen militärischen Angriffen ausgesetzt, ihre Führer werden ermordet, und an der Spitze der PA hat sich eine korrupte bürgerliche Schicht eingenistet, die bereit ist, jedes verräterische Abkommen zu unterzeichnen, das die USA und Israel ausbrüten.

Israel hat seine im Rahmen der Osloer Verträge gemachte Zusage gebrochen, seine illegale Siedlungstätigkeit einzustellen. Seit 1993 hat sich die Zahl der Siedler mehr als verdoppelt. Die Zionisten haben sich außerdem immer geweigert, über zwei Schlüsselfragen, den Status von Ost-Jerusalem und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen, zu verhandeln.

Selbst die minimalsten Zugeständnisse haben bei der israelischen Rechten und den Siedlerparteien wütende Reaktionen hervorgerufen, angefangen mit dem Mord an Jitzak Rabin, dem sozialdemokratischen Regierungschef und Verhandlungspartner Arafats, im November 1995. Vor dieser Tat hatte Benjamin Netanjahu, der Führer der Siedler-freundlichen Likud Partei, hasserfüllt gegen Rabin agitiert. Rabins Witwe machte Netanjahu deshalb direkt für den Mord verantwortlich. Seit der Ermordung Rabins widersetzte sich die herrschende Schicht in Israel immer deutlicher jeder Einigung mit den Palästinensern.

Nach seinem Wahlerfolg sabotierte der Likud unter Netanjahu vorsätzlich alle Verhandlungen mit den Palästinensern. Er verlangte immer unmöglichere Zugeständnisse von Arafat – Entwaffnung, Verzicht auf das Recht auf Rückkehr und auf Ost-Jerusalem. Solche Zugeständnisse wollte Arafat nicht machen, und er konnte es angesichts der wachsenden Opposition der palästinensischen Bevölkerung auch gar nicht.

Bei den Gesprächen, die im Juli 2000 unter Federführung von US-Präsident Bill Clinton in Camp David stattfanden und an denen der PLO-Führer und Israels Labour-Premierminister Ehud Barak teilnahmen, war Arafat zu Konzessionen bereit, die noch weiter gingen als die in Oslo gemachten. Er gestand Israel zu, die größten jüdischen Siedlungen zu behalten, und verzichtete sogar teilweise auf das Recht auf Rückkehr, um dafür Entschädigungssummen aus einem internationalen Fond zu erhalten.

Aber Arafat konnte den Vorschlag nicht akzeptieren, ganz Jerusalem unter israelischer Souveränität zu belassen. Die Gespräche brachen ab und Hunderte gingen in Gaza auf die Straße, um die Intifada wiederaufleben zu lassen. Arafat wurde in Alexandria in Ägypten von jubelnden Menschenmengen und in der Palästinensischen Autonomiebehörde als Held gefeiert, weil er sich geweigert hatte, dem israelischen Anspruch auf Jerusalem stattzugeben.

Die zweite Intifada, die im Herbst 2000 ausbrach, war vom Likud und Ariel Scharon gezielt provoziert worden, um dem internationalen Druck entgegenzuwirken, der von Israel Zugeständnisse verlangte. Seither wurde Arafat von den Israelis und der Bush-Regierung in den USA dämonisiert, weil er sich weigerte, die Palästinenser mit der geforderten Brutalität zu unterdrücken. Dies spricht für ihn. Seine Nachfolger jedoch werden keine solchen Bedenken haben. Wie in allen Dingen, sind auch hier nicht die subjektiven Absichten und Qualitäten von individuellen Führern entscheidend, sondern die gesellschaftlichen Kräfte, die sie verkörpern.

Trotz seiner politischen Beschränktheit spricht es für Arafats historische Rolle und seine Treue zu seinem Volk, dass er in seinen letzten Jahren zum Gegenstand des zügellosen Hasses der israelischen und amerikanischen herrschenden Schichten wurde. Vielleicht wurde im letzten halben Jahrhundert kein anderer prominenter Politiker so verfolgt wie Arafat. Er musste die Ermordung seiner engsten politischen Verbündeten und Kampfgenossen mit ansehen und war selbst mehr als einmal das Ziel von Mordversuchen.

Seine Behandlung von Seiten Israels und der USA war barbarisch. Obwohl er alt und krank war, war er gezwungen, monatelang unter Hausarrest in den kärglichen Räumen des PA-Hauptquartiers in Ramallah zu hausen, von israelischen Truppen umzingelt und der elementarsten Annehmlichkeiten beraubt. Dennoch weigerte er sich standhaft, seinen Posten zu verlassen, da er fürchtete, die Israelis würden ihn niemals zurückkehren lassen.

Auch zuletzt stimmte er nur zu, Ramallah zu verlassen und sich in Paris einer medizinischen Behandlung zu unterziehen, nachdem die israelische Regierung ihm die Garantie gegeben hatten, dass er zurückkehren dürfe. Seine Ergebenheit für den Kampf seines Volks war nach wie vor ungebrochen.

Arafat hat ein kompliziertes und widersprüchliches Erbe hinterlassen. Aber wenn die Welt einmal von imperialistischer Unterdrückung und Ungleichheit befreit sein wird, werden künftige Generationen seinen Beitrag zur Sache der palästinensischen Befreiung anerkennen und würdigen. Er ist einer der seltenen Politiker, den die kämpfende Menschheit niemals vergessen wird.

Loading