Wohl kaum ein Ereignis in den letzten Tagen dürfte für mehr politische Klarheit gesorgt haben als der Antrittsbesuch von Alexis Tsipras in Berlin. Nur wenige Stunden nachdem der griechische Premierminister und Syriza-Chef der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim gemeinsamen Abendessen im Kanzleramt seine neue Spar- und Reformliste präsentiert hatte, traf er sich am Dienstag mit führenden Vertretern der Linkspartei.
Es sei „ein Gespräch unter Freunden“ gewesen, erklärten die Parteivorsitzende Katja Kipping und der Fraktionschef der Linken im Bundestag Gregor Gysi nach der etwa einstündigen Zusammenkunft im Berliner Luxushotel Marriot. Beide lobten ausdrücklich Tsipras’ Treffen mit Merkel und stellten sich damit hinter die Austeritätspolitik in Griechenland und ganz Europa, die nun von Syriza in enger Zusammenarbeit mit der Bundesregierung fortsetzt und verschärft wird.
Tsipras sei „ein Glücksfall für Europa“, erklärte Gysi in seiner zynischen Art. Das „Klima“ beim mehrstündigen Abendessen im Kanzleramt sei „nicht unangenehm“ gewesen und es habe „sicherlich Vorstellungen gegeben, die man korrigieren konnte“.
Kipping pries den „sehr vertraulichen Austausch“ zwischen Tsipras und Merkel, der zu „etwas mehr Verständnis für die Situation in Griechenland“ beigetragen habe. Dann erklärte sie explizit ihre Unterstützung für die von Tsipras vorgeschlagenen Kürzungen. „Es stimmt einfach nicht, dass Griechenland keine konkreten Reformvorschläge unterbreitet hat,“ betonte sie. Die griechische Regierung agiere jedoch unter „sehr schwierigen Bedingungen“. Die Lösung der Liquiditätsprobleme sei von hoher Bedeutung nicht nur für Griechenland, sondern auch für die Stabilität des Euro und die möglichen Folgen für Deutschland.
Bereits vor dem Schulterschluss zwischen Merkel und Tsipras am Montag hatten die Medien über die von Syriza geplanten arbeiterfeindlichen Maßnahmen berichtet. Die griechische Schwesterpartei der Linken wolle unter anderem „das verhasste Privatisierungsprogramm der Vorgängerregierung wieder aufnehmen“ (Spiegel Online), die Rente mit 67 einführen und weitreichende Strukturreformen – gleichbedeutend mit der weiteren Liberalisierung der griechischen Wirtschaft und des Arbeitsmarkts – angehen, vor denen die sozialdemokratischen und konservativen Vorgängerregierungen noch zurückgeschreckt waren.
Am Dienstag kommentierte die deutsche und griechische Presse das Rendezvous zwischen Merkel und Tsipras. Die liberale Zeit schrieb: „In der Nacht zum Dienstag hat Tsipras stundenlang mit Angela Merkel gesprochen. Er hat über Reformen verhandelt, die er im griechischen Wahlkampf noch rundweg abgelehnt hat: ein späteres Renteneintrittsalter und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf griechischen Urlaubsinseln.“
Die der sozialdemokratischen PASOK nahestehende griechische Tageszeitung Ta Nea erklärte laut Spiegel Online, „Merkel habe den roten Teppich ausgerollt“ und Tsipras „seine Realpolitik entfaltet“. Er habe klargestellt, dass man „einen anderen politischen Mix“ brauche, aber auch zugegeben, dass durch „die von den Geldgebern durchgesetzten Reformen in Griechenland auch Positives geschaffen wurde“. Dies dürfe nicht „niedergerissen werden“.
Dass die Linkspartei Tsipras in einer Situation den Rücken stärkt, in der dieser voll auf die Linie der Bundesregierung und die Austeritätspolitik der Troika einschwenkt, die in den vergangenen fünf Jahren Millionen von griechischen Arbeitern in bittere Armut gestürzt hat, ist keine Überraschung. Bereits Ende Februar hatte die übergroße Mehrheit der Linkspartei-Abgeordneten im Bundestag für die Verlängerung des sogenannten Hilfsprogramms für Griechenland gestimmt und sich damit offen hinter Schäuble und das europäische Spardiktat gestellt.
Seitdem fungiert die Linkspartei immer direkter als Berater der Bundesregierung und verlängerter Arm des deutschen Imperialismus. Um dessen wirtschaftlichen und politischen Interessen durchzusetzen, arbeitet sie eng mit der neuen griechischen Regierung zusammen.
Bereits im Vorfeld von Tsipras’ Besuch hatte der stellvertretende Parteivorsitzende Dietmar Bartsch die Bundesregierung in einem offiziellen Statement aufgefordert, gegenüber der griechischen Regierung verbal abzurüsten, um den Interessen der deutschen Wirtschaft nicht zu schaden. „Die Spekulationen, die es jeden Tag aufs neue gibt, ob es einen zufälligen oder einen ‚unfallartigen‘ Austritt [Grexit] gibt, die sind überhaupt nicht hilfreich, weil es auch nicht etwa dazu führt, das Investoren von wo auch immer in Griechenland investieren.“ Er rate deshalb „zur Abrüstung, denn je mehr man politisch und medial eskaliert, desto weniger kann es Lösungen geben.“
Obwohl sich die Bundesregierung und die deutschen Medien diese offensichtlich Kritik zu Herzen nahmen, warnte Gysi nach dem Treffen mit Tsipras erneut: „Wenn der Euro wirklich krachen sollte, dann leidet die deutsche Wirtschaft am meisten darunter. Unser Export bricht dann zusammen, der bricht dann wirklich zusammen, also können wir uns das Spiel gar nicht leisten.“
Auch wenn die Linke in Deutschland anders als Syriza in Griechenland (noch) nicht direkter Bestandteil der Bundesregierung ist, hat der Tsipras-Besuch erneut klar gezeigt: Sie steht wie ihre griechische Schwesterpartei nicht auf der Seite der Arbeiter, sondern verteidigt die Interessen der Wirtschaft, der Europäischen Union und der Banken.