Das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats, das der Generalbundesanwalt gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik.org eröffnet hat, stieß in den vergangenen Tagen auf heftigen Widerstand. In Berlin demonstrierten am Samstag 3.000 Menschen spontan gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit. In anderen Städten wie Frankfurt, München, Köln und Karlsruhe gab es ebenfalls Aktionen gegen den Einschüchterungsversuch. Auch viele Medien kritisierten das Vorgehen des Verfassungsschutzes und der Bundesanwaltschaft.
Im Staatsapparat selbst sind scharfe Konflikte aufgebrochen. Der Chef des Geheimdiensts und der Generalbundesanwalt griffen öffentlich die Regierung an, der sie unterstellt sind. Es wird immer deutlicher, dass die Geheimdienste als Staat im Staat agieren, die niemandem Rechenschaft ablegen. Die Entlassung von Range ist das Ergebnis dieser Weigerung sich politischen Entscheidungen unterzuordnen.
Die Lage erinnert an die letzten Jahre der Weimarer Republik, als Sicherheitsbehörden und Reichswehr weitgehend selbständig agierten und maßgeblich dazu beitrugen, den Halbdiktaturen von Papen und Schleicher und der Nazi-Diktatur an die Macht zu verhelfen.
Nach allem, was bisher bekannt ist, ging der Angriff auf die Journalisten von Netzpolitik.org vom Chef des Inlandsgeheimdiensts Hans-Georg Maaßen aus. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) hatte sich seit langem darüber beschwert, dass die Geheimdienste in der NSU- und der NSA-Affäre immer wieder öffentlich kritisiert werden.
Inzwischen ist bekannt, dass der Verfassungsschutz eng mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) verstrickt ist, dem zehn rassistische Morde, zwei Terroranschläge und zahlreiche Banküberfälle zur Last gelegt werden, und dass der Bundesnachrichtendienst (BND) bei der Bespitzelung von Politikern, Unternehmen und breiten Bevölkerungsschichten in Europa und Deutschland eng mit dem US-Dienst NSA zusammenarbeitet.
Um den Enthüllungen einen Riegel vorzuschieben und Journalisten einzuschüchtern, stellte Maaßen im März Anzeige gegen Netzpolitik.org wegen der Veröffentlichung von zwei als intern eingestuften Papieren des Verfassungsschutzes. Die Anzeige wurde an den Generalbundesanwalt in Karlsruhe weitergereicht, der sich vom Verfassungsschutz bestätigen ließ, dass es sich bei den veröffentlichten Papieren um „Staatsgeheimnisse“ handle, und am 13. Mai ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats gegen die Verantwortlichen des Online-Blogs Netzpolitik.org eröffnete.
Wie am Wochenende bekannt wurde, wusste die Bundesregierung seit geraumer Zeit über das Ermittlungsverfahren Bescheid. Laut SpiegelOnline hatte der Generalbundesanwalt das Justizministerium am 27. Mai über die Einleitung des Verfahrens informiert.
Das Justizministerium bestätigte diese Information, behauptete aber, Justizminister Heiko Maas (SPD) habe der Bundesanwaltschaft daraufhin auf allen Ebenen deutlich gemacht, dass er ein solches Vorgehen als „zu heikel, zu explosiv und ohnehin aussichtslos“ (SpiegelOnline) betrachte. Die Bundesanwaltschaft reagierte prompt und ließ mitteilen, derart klare Opposition habe es aus dem Justizministerium zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Am Dienstag griff Generalbundesanwalt Harald Range dann die Regierung in einer eilig anberaumten Pressekonferenz offen an. Er sprach von einem „unerträglichen Eingriff“ der Politik in die Unabhängigkeit der Justiz. „Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint“, sei nicht hinzunehmen. Die Presse- und Meinungsfreiheit sei zwar ein hohes Gut, fuhr Range fort. „Dieses Freiheitsrecht gilt aber auch nicht im Internet schrankenlos. Es entbindet Journalisten nicht von der Einhaltung der Gesetze.“ Darüber zu wachen sei nicht Aufgabe der Politik, sondern der Justiz.
Ein derartiger Angriff des obersten Strafverfolgers auf den Justizminister gilt in der Geschichte der Bundesrepublik als beispiellos. Der Justizminister ist Dienstherr des Generalbundesanwalts und ihm gegenüber weisungsbefugt. Die Medien schrieben von einem Affront, einer Kampfansage und einem Frontalangriff. Der Bundesjustizminister könne Range jetzt eigentlich nur noch entlassen, kommentierte SpiegelOnline. Doch dieser hätte dann dafür gesorgt, dass „auch die gesamte Bundesregierung einschließlich der Kanzlerin schlecht aussehen“.
Am Dienstagabend feuerte dann der Bundesjustizminister den Generlabundesanwalt. Mit der Begründung, das Vertrauen in die Amtsführung Ranges sei „nachhaltig gestört“, versetzte er ihn in den Ruhestand.
Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen, der dem Innenministerium und dem Kanzleramt untersteht, hatte bereits am Sonntag mit einer weiteren Attacke gegen die Medien und indirekt auch die Bundesregierung auf die öffentliche Kritik reagiert. Es sei notwendig gewesen, „gegen die Herausgabe von als vertraulich oder geheim eingestuften Dokumenten“ juristisch vorzugehen, sagte er der Bild am Sonntag. Es gehe darum, die Arbeitsfähigkeit seiner Behörde „im Kampf gegen Extremismus und Terrorismus sicherzustellen“.
Die Bundesregierung hätte das Ermittlungsverfahren gegen Netzpolitik.org von vornherein verhindern können. Das wollte sie aber offensichtlich nicht. Sie reagierte erst, als das Bekanntwerden des Verfahrens auf heftigen Protest stieß.
Auf einer Bundespressekonferenz am Montag fragte ein Journalist den Sprecher des Justizministers, warum dieser nicht von seiner Weisungsbefugnis Gebrauch gemacht habe, wenn er mit dem Vorgehen des Generalbundesanwalts nicht übereingestimmt habe. Eine Dienstanweisung aus dem Justizministerium hätte genügt, um die Ermittlungen gegen die Journalisten zu stoppen.
So lange eine Staatsanwaltschaft sich nicht rechtswidrig verhalte, bestehe kein Raum für eine Dienstanweisung, lautete die knappe Antwort des Sprechers des Justizministers.
Ähnlich ausweichend reagierte das Innenministerium. Es ließ mitteilen, Minister Thomas de Maizière (CDU) habe vorab nichts gewusst. Nur seine Staatssekretärin Emily Haber und der zuständige Abteilungsleiter seien vom Bundesamt für Verfassungsschutz über die Anzeigen gegen Netzpolitik.org informiert worden. Dabei sei von Anzeigen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen und nicht Staatsgeheimnissen die Rede gewesen. Auf die Frage, ob der Innenminister öfter von seinen leitenden Beamten nicht über wichtige Vorgänge informiert werde, blieb der Ministeriumssprecher die Antwort schuldig.
Auch das Kanzleramt ließ mitteilen, die Bundeskanzlerin sei über die Vorgänge erst aus den Medien unterrichtet worden. Allerdings war bereits am Freitag bekannt geworden, dass sich Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) schon im Herbst vorigen Jahres beim Vorsitzenden des NSA-Untersuchungsausschusses Patrick Sensburg (CDU) darüber beschwert hatte, dass dem Untersuchungsausschusses vorliegende interne Unterlagen des Bundesnachrichtendienstes (BND) an die Öffentlichkeit gelangt waren, und mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht hatte. Netzpolitik.org hatte den Brief Altmaiers an Sensburg damals im Wortlaut ins Netz gestellt.
Während viele Medien den Angriff auf Netzpolitik.org kritisieren, lehnen sie gleichzeitig eine Schwächung oder gar die Abschaffung der Geheimdienste ab. Sie fordern vielmehr, dass diese und der Generalbundesanwalt ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf die Machenschaften der US-Geheimdienste konzentrieren und die nationalen Interessen Deutschlands aggressiver vertreten.
So beginnt Heribert Prantl, der Leiter des Innenressorts der Süddeutschen Zeitung, einen Kommentar mit dem Vorwurf, Generalbundesanwalt Harald Range habe „leider nicht die Souveränität, die man sich von einem Generalbundesanwalt wünscht“. Das habe sich in den strafrechtlichen Angelegenheiten gezeigt „die das deutsche Verhältnis zu den USA berühren; da traute sich Range nicht heran“.
Auch die Linkspartei argumentiert in diese Richtung. Sie fordert, der Generalbundesanwalt solle „seinen Hut nehmen“ – nicht so sehr wegen dem Angriff auf die Pressefreiheit, sondern wegen dem unterlassenen Vorgehen gegen die NSA. Er muss gehen, fordert Linken-Chef Riexinger im Handelsblatt, „bevor noch mehr passiert oder besser gesagt unterlassen wird“.
In Wirklichkeit ist der Angriff des Verfassungsschutzes und des Generalbundesanwalts auf die Pressefreiheit, der von der Regierung weitgehend gedeckt wird, untrennbar mit der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiveren Außenpolitik verbunden. Großmachtpolitik und Militarismus gehen Hand in Hand mit dem Aufbau eines Polizeistaats und der Unterdrückung jeder inneren Opposition. Wie immer in der deutschen Geschichte spielen dabei die Geheimdienste und die Verselbstständigung des Sicherheitsapparats zu einem Staat im Staat eine wichtige Rolle.