Zurzeit sind anlässlich des hundertsten Jahrestags der Novemberrevolution 1918/19 Werke des Malers und Zeichners George Grosz im Bröhan-Museum in Berlin zu sehen. Die Sonderschau mit über 200 Exponaten aus Berliner Museen, Privatsammlungen, dem Kunsthandel und aus seinem Nachlass ist in mehrfacher Hinsicht sehenswert.
Grosz‘ Karikaturen widerlegen die gegenwärtige Propaganda, die Weimarer Republik sei die Geburtsstunde der deutschen Demokratie gewesen. Er zeigt, wie sich hinter der demokratischen Fassade die Kräfte der Reaktion sammelten, wie in allen Poren des Staatsapparats die Konterrevolution lauerte, nachdem die Revolution niedergeschlagen und die Macht des Kapitals und des Militarismus gerettet worden waren. Ein Satz von Hannah Arendt, den die Ausstellung am Eingang zitiert, drückt genau das aus: „Wir jungen Studenten lasen in jenen Jahren keine Zeitung. George Grosz‘ Karikaturen erschienen uns nicht als Satire, sondern als realistische Fotoreportage.“
Zugleich sind Grosz‘ Zeichnungen und politische Bilder von verblüffender Aktualität. Unwillkürlich tauchen vor dem inneren Auge des Besuchers Gesichter, Figuren und Ereignisse aus der gegenwärtigen Politik auf, in der die Eliten im Namen von Demokratie erneut Militarismus, Faschismus und Polizeistaat vorantreiben. Wieder stützen sie sich dabei auf die willigen Helfer der Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie.
Schließlich zeigt die Ausstellung im Bröhan-Museum auch, wie ein herausragender Künstler, der sich an die Seite der Revolution 1918/19 gestellt und, inspiriert durch sie, einprägsame, in die Zukunft weisende Werke geschaffen hat, letztlich durch die tragischen Niederlagen der Arbeiterklasse, den Verrat des Stalinismus und schließlich die faschistische Katastrophe in Resignation versunken ist. In seinem amerikanischen Exil standen am Ende subjektivistische, apokalyptische Bilder, und seine späten karikaturistischen Versuche verblassten vor den ungeheuren Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs.
Grosz hat wie kein anderer mit beißender Satire das hässliche, undemokratische Gesicht der deutschen Bourgeoisie und ihrer sozialdemokratischen Helfershelfer in der Weimarer Republik dargestellt. Das bekannteste Gemälde von George Grosz, Stützen der Gesellschaft (1926), das Staatsmacht, Justiz, Militär, Presse, Kirche und Sozialdemokratie als Vertreter der herrschenden Klasse illustriert, wird im Bröhan-Museum leider nicht gezeigt. Es ist derzeit in der Berlinischen Galerie in einer Sonderausstellung zur 1918 gegründeten Künstlervereinigung „Novembergruppe“ zu sehen, der Grosz zeitweilig angehörte.
Aber auch seine im Bröhan-Museum gezeigte kolorierte Zeichnung zur Inthronisation Hindenburgs mit dem Titel „Der Sieg des republikanischen Gedankens“. Von Loebe empfangen. Von Noske begrüsst. Von Ebert gerufen aus dem Jahr 1925 bringt die politischen Verhältnisse auf den Punkt. Die Rückkehr des altersschwachen obersten Militaristen und Monarchisten aus dem Ersten Weltkrieg, Paul von Hindenburg, als Reichspräsident – und späterer Königsmacher von Hitler – wäre ohne die SPD und ohne die Unterdrückung der Revolution mit ihrer Hilfe nicht möglich gewesen.
Die letzte umfassende Ausstellung des Gesamtwerks von George Grosz wurde vor über zwanzig Jahren, in den Jahren 1995/1996, in Deutschland gezeigt. Die jetzige Ausstellung im Bröhan-Museum ist nicht so groß, gibt jedoch einen hervorragenden Einblick in das vielfältige Schaffen des Künstlers. Das gilt ganz besonders für die ausführliche Präsentation des grafischen Werks. Die Mappen mit ihren bissig-bösen Karikaturen sind nur selten in dieser Vollständigkeit zu sehen.
Sie zeigt aber auch eher unbekannte Seiten des Künstlers, wie seine Arbeiten für das Theater und seine Fotografien von der Überfahrt nach New York 1932 und den ersten Eindrücken in der Neuen Welt, die unfreiwillig seine neue Heimat werden sollte. Auch ein wunderbar gezeichneter Brief über die Seereise an seinen kleinen Sohn ist zu sehen.
Georg Ehrenfried Groß, so sein eigentlicher Name, wird am 26. Juli 1893 in Berlin-Mitte als Sohn eines Gastwirtsehepaares geboren. Die Familie lebt im Arbeiterviertel Wedding. Nach dem frühen Tod des Vaters 1902 zieht die Mutter mit dem Sohn nach Stolp in Pommern (heute polnisch Słupsk), wo die Mutter die Bewirtschaftung eines Offizierskasinos übernimmt.
Seine künstlerische Ausbildung erhält er von 1909 bis 1912 an der Königlich Sächsischen Kunstgewerbeschule in Dresden, von der er jedoch verächtlich mitteilt, sie habe vor allem aus der „Wiedergabe von Gipsabgüssen in Originalgröße“ bestanden. Die im Bröhan Museum ausgestellten Frühwerke des Künstlers zeigen, wie Grosz sich zunächst als Spätromantiker und im Jugendstil versucht. Unverkennbar sind allerdings schon deutlich karikierende Zuspitzungen.
Grosz war, wie er selbst berichtet, in jener Zeit vollkommen unpolitisch, verstand sich dennoch als Teil einer Rebellion gegen die „Obrigkeit“, die er in seiner Schulzeit mit dem Rohrstock und später mit dem Polizeisäbel kennenlernt.
Nach dem Diplom kann er mit einem Staatsstipendium in Berlin weiterstudieren. Grosz besucht in Berlin Ausstellungen moderner Kunst, aber auch Jahrmärkte, Kneipen und Tanzlokale. Überall skizziert er Figuren und Szenen. Im Frühjahr 1913 kann er für acht Monate nach Paris gehen, wo er ebenfalls die Atmosphäre und die Menschen studiert. Er nimmt Unterricht im Aktzeichnen und lässt sich von Honoré Daumier und Henri de Toulouse-Lautrec inspirieren.
Wie viele andere junge Künstler damals meldet sich Grosz 1914 freiwillig zum Kriegsdienst, wird aber bereits 1915 nach einer Operation wegen einer Stirnhöhlenvereiterung als dienstuntauglich entlassen. Wie sein Freund Helmut Hertzfeld (John Heartfield) anglisiert er 1916 aus Protest gegen Hurrapatriotismus und Deutschtümelei seinen Namen in George Grosz. Außerdem drückt er darin seine Begeisterung für Amerika aus, in dem er wie viele seiner Zeitgenossen – u.a. sein späterer Freund Bertolt Brecht – ein Land der Freiheit und der Demokratie sieht. Seine Lithografie Erinnerung an New York (veröffentlicht in der Ersten George Grosz Mappe,1917) entsteht bereits, lange bevor er das Land der Sehnsucht wirklich kennenlernen sollte.
Nach eigener Angabe sollte er als Deserteur erschossen werden und wurde nur durch die Intervention seines Mäzens Harry Graf Kessler gerettet. Im Januar 1917 wird er wieder eingezogen, erleidet jedoch schon zwei Tage später einen Nervenzusammenbruch. Er leidet unter Depressionen und Halluzinationen. Während seines Aufenthalts in einer Nervenheilanstalt greift er einen Sanitätsoffizier an. Aufgrund eines Gutachtens des berühmten Psychiaters Magnus Hirschfeld wird er schließlich wegen Dienstuntauglichkeit Ende April 1917 endgültig aus dem Militär entlassen. „Krieg war für mich Grauen, Verstümmelung und Vernichtung“, erklärt er. Noch während des Krieges erscheinen Gedichte und Lithografien von ihm in Franz Pfemferts Zeitschrift Die Aktion und in der Zeitschrift der Brüder Herzfelde Neue Jugend.
Dada und Novembergruppe
Am Kriegsende schließt Grosz sich der Berliner Dadabewegung an, die mit wilden Provokationen die Stadt, das Bildungsbürgertum und die Kunstszene aufmischt. Viele der dadaistischen Experimente wirken bis heute in der Kunstszene nach: Aktionskunst, neuartige, verfremdete Verbindungen von Wort und Bild, Wort- und Buchstabenspiele und die von so unterschiedlichen Künstlern wie Hannah Höch und John Heartfield entwickelte Kunst der Collage. Letztere nimmt Grosz nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf, die Berliner Ausstellung zeigt einige Beispiele.
Wie Grosz wenden sich viele Künstler und Intellektuelle in dieser Zeit nach links. Während des Spartakusaufstandes 1919 wird Grosz verhaftet, kann aber entkommen. Zusammen mit seinen Freunden Wieland Herzfelde, John Heartfield und dem Theaterregisseur Erwin Piscator tritt Grosz 1919 der neugegründeten Kommunistischen Partei bei. Er wird Mitglied der Novembergruppe, eine Künstlervereinigung, die sich als radikal und revolutionär versteht und eng mit dem Arbeitsrat für Kunst zusammenarbeitet.
Als die Novembergruppe entgegen ihrer Zielsetzung sehr rasch zum bloßen Ausstellungsverein verkommt, bildet sich eine Opposition, zu der sich Otto Dix, George Grosz und andere der KPD nahestehende Künstler bekennen. Sie wollen „Ausdruck der revolutionären Kräfte, Instrument der Notwendigkeiten unserer Zeit und der Massen ... sein“. (Veröffentlicht in der Zeitschrift Der Gegner, II/8-9, 1920/21)
In der russischen Oktoberrevolution sehen sie einen Weg in eine Zukunft ohne Krieg und soziales Elend. Grosz sucht nach einem neuen „Realismus“, einer Wirksamkeit der Kunst im Leben und einer der politischen Situation angemessenen „Tendenzkunst“.
Im Malik Verlag der Brüder Herzfelde erscheint ab 1919 die Zeitschrift Die Pleite mit großformatigen Grosz-Zeichnungen, die in Berlin im Original zu sehen sind. Zu den darin erschienenen Zeichnungen gehören das Blatt von Geldsacks Gnaden mit einer bissigen Karikatur Friedrich Eberts, oder auch die Karikaturen Ludendorfs Rückkehr und Noske bei der Arbeit. Das Titelblatt der Nummer 3 zeigt Noske triumphierend und trägt den Titel Prost Noske! - das Proletariat ist entwaffnet! Nummer 4 ziert die Maifeier in Plötzensee, auf dem gefangene Revolutionäre auf einem Gefängnishof herummarschieren müssen.
Grosz‘ Darstellung des Proletariats ist geprägt von tief empfundener Anteilnahme an den Mühen und Leiden der unterdrückten Klasse, die die neue Gesellschaft aufbauen soll. Hohles Siegespathos und falscher Optimismus sind in diesen Bildern – vor allem in seiner Mappe Im Schatten (1921) – nicht zu finden, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch große Hoffnungen hegt, dass die Abrechnung folgt.
Immer wieder thematisiert er den Gegensatz zwischen Kapitalisten, Bankiers, Kriegsgewinnlern und Militärs auf der einen Seite und den Ausgebeuteten auf der anderen, wie in dem Blatt Früh um 5 Uhr. Im Vordergrund feiernde Bourgeois mit ihren Damen und darüber auf der Straße Proletarier, die zur Arbeit eilen, eine Bildgestaltung, die er oft verwendet und selbst als „dialektisch“ charakterisiert. Zu dieser Zeit ist Grosz Gründungsmitglied der Internationalen Arbeiterhilfe, für die er gemeinsam mit Käthe Kollwitz und Otto Dix Plakate gestaltet.
Bemerkenswert sind die Zeichnungen und Titel der Mappe Die Räuber (1922/1923), die er mit Zitaten aus dem Drama Friedrich Schillers unterlegt sowie jeweils mit englischen und französischen Titeln versieht. Auch hier steht der Gegensatz von Arm und Reich im Mittelpunkt. Zum Beispiel kombiniert er das Bild, in dem ein feister Reicher am Tisch sitzt und tafelt, vor ihm ein dünnes, nacktes, ausgehungertes Kind, das bettelnd die Hände ausstreckt, mit dem Zitat: „Löwen und Leoparden füttern ihre Jungen, Raben tischen ihren Kleinen auf …“
Grosz und die Weimarer Justiz
In der Mappe Gott mit uns (1920) kontrastiert Grosz die Gleichgültigkeit, mit der Politik, Militär, Justiz, Kirche und Ärzte auf die Leiden der Rekruten reagieren. Auf dem Blatt mit dem Titel Licht und Luft dem Proletariat kreisen Gefangene mit gesenktem Kopf unter der Aufsicht eines Justizbeamten in einem von hohen Mauern mit winzigen, vergitterten Fenstern umgebenen Gefängnishof.
Zu dieser Mappe gehört auch die Zeichnung Die Kommunisten fallen und die Devisen steigen. Im Hintergrund werden demonstrierende Arbeiter von der Polizei mit Gewehren und Knüppeln angegriffen, im Vordergrund prosten sich zwei dicke Aktionäre mit Sektgläsern zu.
Dreimal wird Grosz angeklagt, wegen Beleidigung der Reichswehr, Angriffs auf die öffentliche Moral und Gotteslästerung. Letztere Klage betraf seine Darstellung einer Christusfigur am Kreuz mit Gasmaske und Soldatenstiefeln unter dem Titel Maul halten und weiterdienen.
1927 arbeitet Grosz mit an Erwin Piscators Schwejk-Inszenierung in der Berliner Volksbühne, bei der eine Fülle neuer Mittel eingesetzt werden: Projektionen, Verfremdungseffekte, Filme usw. Grosz zeichnete die Hintergrundbilder, die dann in der Mappe Hintergrund erscheinen. Auch diese Arbeiten, dazu Figurinen und Kostümentwürfe werden in der Bröhan-Ausstellung gezeigt.
Siegfried Hitler
Schon früh nimmt Grosz wahr, wie mitten im Schoß der „demokratischen“ Weimarer Republik das Gespenst des Nationalsozialismus vorhanden ist. Grosz zeichnet die an der Macht gebliebenen Repräsentanten des Staatsapparats, die im Kampf gegen das Proletariat nicht zögern, ihre Zuflucht zu den Methoden von Diktatur und Polizeistaat zu nehmen. In einer Fotolithografie von 1923 zeigt er Siegfried Hitlerim Germanenfell mit den Hitlerzitaten: „Ich schlage vor, dass die Leitung der deutschen Regierung ICH übernehme“ und „Der morgige Tag findet entweder in Deutschland eine nationale Regierung oder uns tot. Es gibt nur eins von beiden.“
1922 unternimmt Grosz zusammen mit dem Schriftsteller Martin Andersen Nexö eine fünfmonatige Russlandreise, hört dort Reden von Wladimir Lenin und Leo Trotzki. Interessiert verfolgt er die vielfältigen künstlerischen Projekte der sowjetischen Künstler. Auch mit den heftigen Kontroversen in und außerhalb der bolschewistischen Partei über Fragen der Kunst setzt er sich auseinander. Er diskutiert darüber mit Karl Radek und Anatoli Lunatscharski, dessen Konzeption des Proletkults er ablehnt: „Der Name war schlecht gewählt. Eine proletarische Kultur konnte es doch nicht geben, wenn man den Sinn des Wortes nicht grob verfälschte. Es entwickelt sich der Prolet nach oben zur Kultur hin, so war er eben kein Prolet mehr in dem Sinne wie man bisher das Wort verstanden hat.“ (George Grosz, Ein kleines Ja und ein kleines Nein. Sein Leben von ihm selbst erzählt, Hamburg, 1955, S. 175)
Die beginnende bürokratische Degeneration in der Sowjetunion lässt ihn an seinen politischen Auffassungen zweifeln. 1923, als der deutsche Oktober scheitert, reagiert Grosz wie viele seiner künstlerischen und intellektuellen Zeitgenossen mit zunehmender Skepsis in die Arbeiterklasse. Immer mehr wird sie in seinen Augen zur leidenden und manövrierbaren Masse. Grosz tritt 1923 aus der KPD aus, bleibt aber weiter ihr Unterstützer und engagiert sich in der internationalen Roten Hilfe.
Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise karikiert Grosz mit seinem Blatt Weltpolitiker (1931) weitsichtig die Lage zwei Jahre vor Hitlers Machtübernahme: Der britische Premierminister Ramsay MacDonald, der französische Ministerpräsident Pierre Laval und der belgische Premierminister Henri Jaspar spielen Karten um die Zukunft Europas. Im Hintergrund bearbeitet inzwischen der deutsche Reichskanzler Heinrich Brüning eine Weltkarte mit dem Rasierer. Und vorne rechts in der Ecke sitzt Josef Stalin, der unbekümmert über einem Kästchenspiel brütet. In ihm sieht Grosz offenbar alles andere als die Hoffnung des internationalen Proletariats.
Grosz in Amerika
1932 erhält Grosz einen Ruf von die New Yorker Art Students League. Amerika, das gelobte Land, erscheint ihm wie ein rettender Strohhalm, und sein Entschluss, am 12. Januar 1933 endgültig dahin überzusiedeln, erweist sich buchstäblich als Lebensrettung. Am 31. Januar wird Hitler Reichskanzler und wenige Tage danach durchsuchen die Nazis seine leere Wohnung in Berlin. Kaum vorstellbar, dass er in Deutschland geblieben, den Naziterror überlebt hätte. Kurz darauf brennen seine Werke auf den Scheiterhaufen. Einige seiner Bilder werden in der Ausstellung Entartete Kunst in München 1937 gezeigt. Schon 1933 wird Grosz von den Nazis ausgebürgert.
Zunächst ist er von Amerika begeistert. Er findet seine Jugendträume verwirklicht, zeichnet und fotografiert begeistert in den Straßen von New York. In seinem Hotelzimmer fertigt er Hunderte von Aquarellen über das am Tage Beobachtete an. Aber bald ist er ernüchtert: „Einem europäisch erzogenen Menschen und besonders einem Künstler fällt natürlich diese gleichsam totale Anpassung nicht immer leicht. Es bedarf ständiger Übung, jeden Tag zu allem und jedem ja und amen zu sagen.“ (Grosz, Ein kleines Ja..., S. 233)
Durch Kunstunterricht, später durch ein Guggenheim-Stipendium hat er sein Auskommen. Aber in vieler Hinsicht teilt er das Schicksal vieler Emigranten aus Nazideutschland. Er kann künstlerisch nicht wirklich Fuß fassen in der Neuen Welt und auch nicht von seiner Kunst leben. Vielmehr muss er weiterhin unterrichten, und auch seine Frau muss durch Arbeit zum Lebensunterhalt beitragen. Jackson Pollock und James Rosenquist gehören zu seinen Schülern. Rosenquists Collagen weisen eine deutliche Verwandtschaft mit denen von Grosz auf, eine Kunstform, die er in seiner letzten Schaffensphase noch einmal aufnimmt.
Er kann trotz Anerkennung in Kunstkreisen, Ausstellungen in Galerien und großen Museen nur relativ wenige Werke verkaufen. Seine Malerei der amerikanischen Zeit zeichnet sich durch eine Vielfalt an Themen und Stilexperimenten aus. Seine Stillleben, Landschaften, Porträts und Selbstporträts scheinen oft wie verzweifelte Versuche, Symbole und Ausdrucksformen für den Zustand der Welt und des Individuums George Grosz zu finden. Auch dies wird in der Bröhan-Ausstellung dokumentiert.
Prophetisch spiegelt sich schon früh in den amerikanischen Aquarellen und Ölbildern die drohende Kriegsgefahr und Zerstörung. Er drückt seine Gefühle in apokalyptischen Landschaften aus, ihm ist bewusst, zwischen zwei Kriegen zu leben. 1934 entsteht das Aquarell The Menace. (Die Bedrohung). Aus dunklen Wolken blickt eine riesige Hitlerfratze mit bluttriefendem Mund hervor, am Himmel ein Bomber, unten Feuer und Zerstörung. Er malt Alpträume von brennenden, zerstörten Städten und sumpfigen Landschaften, in denen Monster oder Elendsgestalten herumtaumeln.
Interregnum
Mit seiner Mappe Interregnum, einer Sammlung antifaschistischer Zeichnungen, die ebenfalls in Berlin vollständig zu sehen ist, knüpft er noch einmal an seine satirischen Geißelungen der Spießer und Militaristen der frühen 20er Jahre an. Darin charakterisiert er das Nazi-Regime und seine Grausamkeiten. Einige der darin enthaltenen Blätter deuten auch eine Gleichsetzung von Stalinismus und Faschismus an. In der tief gespaltenen New Yorker Kunstszene findet seine neue Mappe keinen starken Widerhall.
Grosz lehnt die Mitte der dreißiger Jahre von der amerikanischen Kommunistischen Partei betriebenen Volksfrontbündnisse ab, in denen sich zahlreiche bürgerliche Intellektuelle und Künstler im Zeichen des Kampfs gegen die faschistische Gefahr um die Stalinisten scharen.
Sein nachfolgendes amerikanisches Werk lässt vermuten, dass er sich immer weiter aus politischen Diskussionen zurückgezogen hat. Er verkehrt in den 1930er Jahren mit antistalinistischen Intellektuellen wie Edmund Wilson, Dos Passos und dem damaligen Trotzkisten Max Eastman. Unter dem Eindruck der immer katastrophaleren Politik der Stalinisten, ihrer Verbrechen in Spanien und den Moskauer Prozessen wendet er sich schließlich vollkommen von der kommunistischen Bewegung ab und verliert jedes Vertrauen in die Arbeiterklasse.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und kurz danach malt er apokalyptische und alptraumartige Bilder von Tod, Chaos und Schrecken der Zerstörung, die an Hieronymus Bosch oder Breughel erinnern, darunter das erschütternde Kain oder Hitler in der Hölle (1944), das in der Berliner Ausstellung zu sehen ist.
Die Serie Stickmen (Die Stockmänner) drückt seine tiefe Resignation aus: Substanzlose Menschen bewegen sich in einer substanzlosen Welt. In den 1940er Jahren fühlt er sich zunehmend ausgehöhlt und leer. Die Bilder mit dem Titel Maler des Lochs (1947/48) sind ein Sinnbild für sein damaliges Lebensgefühl, voller düsterer Selbstironie dafür, dass der Maler in seinem Tun eigentlich keinen Sinn mehr sieht. Er produziert buchstäblich „nichts“ mehr, symbolisiert durch ein Loch in seinem Kopf, auf der Stirn, auf der Staffelei und auf allen darum herumstehenden Bildern.
In der letzten Phase seines Lebens widmet er sich der Collage, imaginiert sich selbst als Clown und sinniert über sein Amerika: „Wenn auch mein amerikanischer Traum ‘ne Seifenblase war, schön geschillert hat se doch.“
Mit seinen Collagen, die im letzten Teil der Ausstellung zu sehen sind, knüpft er noch einmal an Dada und die Berliner Zeit an. Hier schließt sich der Kreis und endet wieder in Berlin, wo die Karriere von George Grosz begann. Am 28. Mai 1959 kehrt er etwas widerwillig in seine Heimat zurück, aber es gelingt ihm nicht mehr, einen neuen Anfang zu machen. Am 6. Juli fällt er im Flur des Hauses Savignystraße 5 betrunken die Treppe herunter und erstickt an seinem Erbrochenen. Fast könnte man diesen Tod als Grosz‘ letzten Kommentar zu Adenauers Deutschland begreifen, in dem es im Staatsapparat unter demokratischer Maske von alten Nazis und Militärs nur so wimmelte.
George Grosz in Berlin / 18.10.2018—6.1.2019 / Bröhan-Museum, Schlossstraße 1a, Berlin-Charlottenburg, www.broehan-museum.de / Noch bis zum 6. Januar zu sehen.