US-Präsident Donald Trump hat sich mehrfach in außergewöhnlicher Weise in den Prozess um den Navy-Seal und Elitesoldaten Edward Gallagher eingemischt. Der bisherige Höhepunkt war die Entlassung von Marinestaatssekretär Richard Spencer am Sonntag. Diese Ereignisse haben erneut die tiefe Krise im Zentrum des amerikanischen Establishments und seines massiven Militärapparats offengelegt.
Gallaghers Kameraden bei den Seals warfen ihm Kriegsverbrechen und sadistische Gewalttaten vor, die sogar vor dem Hintergrund des Blutbads in der irakischen Stadt Mossul, bei dem bis zu 40.000 Menschen getötet wurden, als besonders grausam hervorstechen. Er wird beschuldigt, Zivilisten gezielt mit einem Scharfschützengewehr getötet zu haben, darunter ein junges Mädchen. Außerdem soll er einen verwundeten jugendlichen irakischen Kämpfer erstochen haben, der gerade von einem Sanitäter der Seals behandelt wurde. Danach fotografierte er sich mit der Leiche und schrieb dazu: „Den habe ich mit meinem Jagdmesser erledigt.“ Bezeichnenderweise war Gallaghers Spitzname unter seinen Seal-Kameraden „Blade“ (Klinge).
Trotz oder vielmehr gerade wegen dieser Verbrechen wurde Gallagher von der extremen Rechten, von Fox News und dem US-Präsidenten als Held gefeiert. Zuerst hatte Trump die Navy angewiesen, ihn aus dem Militärgefängnis zu entlassen, wo er vor Prozessbeginn einsaß. Er hatte gedroht, die Mitglieder seiner Einheit zu ermorden, die gegen ihn ausgesagt hatten. Später wurde er wegen des minderschweren Vorwurfs schuldig gesprochen, mit der Leiche seines Opfers posiert zu haben, weil der Seal-Sanitäter seine Aussage geändert hatte (ihm droht jetzt ein Verfahren wegen Meineids). Daraufhin begnadigte Trump Gallagher und wies die Navy an, die verhängte Mindeststrafe zurückzunehmen: die Degradierung um einen Rang und die entsprechende Gehaltskürzung.
Zuletzt forderte er die Einstellung eines routinemäßigen Prüfverfahrens, ob Gallagher von den Seals ausgeschlossen werden sollte. Diese letzte Einmischung führte zur Entlassung des Marinestaatssekretärs. Die Rückendeckung durch den Präsidenten und ein Anwälteteam aus engen Verbündeten der Trump Organization und Trumps persönlichem Anwalt Rudy Giuliani ermutigte Gallagher, der noch vor Monatsende aus den Seals ausscheidet, seine Vorgesetzten öffentlich zu beschimpfen.
Dass Trump so beispiellos eingreift und das System der Militärjustiz außer Kraft setzt, hat die Spannungen zwischen dem Weißen Haus und der Pentagon-Führung verschärft, die bereits durch seinen abrupten und missglückten Befehl für einen teilweisen Truppenrückzug aus Syrien stark belastet sind.
Gallagher ist bereits der vierte Angehörige des US-Militärs, der in den letzten Monaten von Trump begnadigt wurde, obwohl sie wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurden. Zwei von ihnen wurden beschuldigt, unbewaffnete Gefangene willkürlich hingerichtet und dann die Leichen verbrannt zu haben, um ihre Verbrechen zu vertuschen. Ein weiterer soll Soldaten befohlen haben, auf Afghanen zu schießen und sie zu töten, obwohl er wusste, dass sie unbewaffnet waren.
Am Montag erklärte Trump vor dem Pressekorps des Weißen Hauses, Gallagher sei „einer unserer ultimativen Kämpfer“ und betonte: „Ich muss meine Frontkämpfer beschützen.“ Er erklärte außerdem: „Ich setze mich für unsere Streitkräfte ein.“
Im Weiteren verglich er sein Verhalten mit dem seines Amtsvorgängers Barack Obama, dem er vorwarf, er habe Sergeant Bowe Berghdahl und die mutige Soldatin Chelsea Manning begnadigt. Berghdahl hatte sich in Afghanistan von seiner Einheit entfernt und wurde fünf Jahre lang von den Taliban gefangen gehalten. Manning hatte WikiLeaks die historischen Enthüllungen über US-Kriegsverbrechen zugespielt, die 2010 veröffentlicht wurden.
Trump hatte bereits im Präsidentschaftswahlkampf gegen Berghdahl gehetzt, die Todesstrafe für ihn gefordert und Manning als „Verräterin“ beschimpft. Berghdahl wurde von einem Militärgericht degradiert und unehrenhaft entlassen. Manning wurde zu 35 Jahren Haft verurteilt, von denen sie sieben Jahre in einem Militärgefängnis verbüßte, bevor ihr der Rest der Strafe von Obama am letzten Tag seiner Amtszeit erlassen wurde. Im Mai dieses Jahres wurde sie erneut inhaftiert, weil sie sich weigerte, vor einer Grand Jury gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange auszusagen.
Es steckt eine unverkennbare politische Logik dahinter, dass Trump verurteilte Kriegsverbrecher verherrlicht und zwei ehemalige Soldaten attackiert, die Widerstand gegen Washingtons verbrecherische Kriege geleistet haben – ein Widerstand, der unter den fast drei Millionen Veteranen der Kriege in Afghanistan und dem Irak auf große Resonanz stößt.
Im Fall von Gallagher und den anderen begnadigten Kriegsverbrechern nährt er das Narrativ, die „Frontkämpfer“ würden von einem „politisch korrekten“ Establishment und sogar von einer ungenügend blutrünstigen Pentagon-Führung zurückgehalten.
Hierbei handelt es sich um eine Abwandlung der Dolchstoßlegende, die in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg von rechten Kräften propagiert wurde. Sie machten Zivilisten, vor allem Sozialisten und Juden, für die deutsche Kriegsniederlage verantwortlich und warfen ihnen Verrat gegenüber der Armee vor. Diese Legende wurde zur zentralen ideologischen Säule der Freikorps, bewaffneten Milizen aus ehemaligen Soldaten, die Tausende von Arbeitern ermordeten, um Revolutionen niederzuschlagen. Sie war außerdem ein wichtiger Bestandteil der Nazi-Ideologie.
Trump soll gegenüber seinen engsten Beratern erklärt haben, dass er die begnadigten Kriegsverbrecher als Unterstützer in seinem Wahlkampf 2020 einsetzen will und ihnen sogar eine Hauptrolle auf dem Parteitag der Republikaner zugedacht hat. Ganz offensichtlich sollen diese Begnadigungen nicht nur Kriegsverbrechen im Ausland begünstigen, sondern auch rechte Kräfte aufbauen, die im Inland gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden können. Er fördert damit die Entstehung von Freikorps nach amerikanischem Muster.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der zaghafte Widerstand gegen Trumps Vorgehen, der in Äußerungen der Demokraten und heuchlerischen Leitartikeln in der New York Times und der Washington Post zum Ausdruck kam, hat nichts mit einem Kampf gegen die wachsende Gefahr für demokratische Grundrechte zu tun. Vielmehr zielt er darauf ab, die Autorität der Militärführung zu verteidigen und die Heuchelei zu propagieren, es ginge darum, dass sich das US-Militär an „das Kriegsrecht“ hält und einen „höheren Standard“ befolgt.
Was für ein Unsinn! Seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie vor fast 30 Jahren hat das US-Militär Angriffskriege geführt – das Hauptverbrechen, für das die überlebenden Führer des Dritten Reichs in Nürnberg vor Gericht gestellt wurden. Diese Angriffskriege haben mehr als eine Million Todesopfer gefordert und zur Zerstörung eines Großteils des Nahen Ostens geführt. Die Kriegsverbrechen, die von Trump entschuldigt wurden, sind ein unvermeidliches Nebenprodukt der noch viel größeren Kriegsverbrechen, welche die demokratischen und republikanischen US-Regierungen seit drei Jahrzehnten begangen haben.
Die Opposition der Demokraten gegen Trump ist von rein taktischem Charakter. Wie die Anhörungen zur Amtsenthebung im Kongress gezeigt haben, sprechen die Demokraten für Teile der US-Geheimdienste und des Außenministeriums, die die militärische Konfrontation mit Russland verschärfen wollen, die zu einem Atomkrieg führen könnte. Im Rahmen dieser reaktionären Strategie kommen Trumps Angriffe auf demokratische Rechte, die Zerstörung von Sozialprogrammen und seine brutale Politik gegen Migranten überhaupt nicht vor.
Beide großen Parteien verteidigen das amerikanische kapitalistische System, in dem die massive Vermögenskonzentration beim reichsten Prozent und die beispiellose soziale Ungleichheit völlig unvereinbar mit traditionellen demokratischen Herrschaftsformen geworden sind.
Die Gefahr faschistischer Reaktion und Diktatur entspringt nicht einfach nur dem kriminellen Denken eines Donald Trump. Sie ist untrennbar verbunden mit der angsterfüllten Reaktion der amerikanischen Eliten auf den Ausbruch von Klassenkämpfen in den USA und dem Widerstand der Arbeiterklasse weltweit.
Die Arbeiterklasse, gegen die sich diese Drohungen richten, ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die einen erfolgreichen Kampf dagegen führen kann. Dazu muss sie ihre Kämpfe über alle nationalen Grenzen hinweg gegen Ursache dieser Entwicklung vereinen: das kapitalistische System.