Der syrische Flüchtling Amed Ahmad ist im September 2018 in der Justizvollzugsanstalt Kleve bei lebendigem Leib verbrannt. Er hätte dort allerdings nie inhaftiert werden dürfen. Angeblich hatte die Polizei den hellhäutigen Syrer mit dem dunkelhäutigen Amedy G. aus Mali verwechselt, gegen den ein Haftbefehl wegen Diebstahls vorlag.
Trotz der offensichtlichen Verwechslung saß der 26-jährige Amed zwei Monate lang in Haft, bis in seiner Zelle am 17. September 2018 ein Feuer ausbrach. Zwölf Tage später, am 29. September, erlag er im Krankenhaus seinen schweren Brandverletzungen.
Die Hintergründe des Falles – der Grund für die „Verwechslung“, die Frage nach Suizid oder Mord, die Ursache für die verzögerte Reaktion des JVA-Personals – wurden weder durch die staatsanwaltlichen Ermittlungen noch durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zufriedenstellend aufgeklärt. Daten blieben verschwunden, Widersprüche unaufgelöst.
Am 28. August sprach die WSWS mit Malek Ahmad, dem Vater des Verstorbenen. Er beteiligte sich an einer Podiumsdiskussion, die der „Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen“ im Rahmen eines Fests in Duisburg organisiert hatte. Der Verein bemüht sich um die Aufklärung des Todes von Amed Ahmad, des rassistischen Brandanschlags, der 1984 in Duisburg sieben Menschen tötete, und anderer rechtsextremer Gewalttaten.
An der Diskussion nahmen auch Betroffene weiterer rechter Terroranschläge teil. Auf dem Podium saßen neben Malek Ahmad und Überlebenden des Anschlags in Duisburg auch Talya Feldmann, Überlebende des Anschlags auf eine Synagoge in Halle im Oktober 2019, Çetin Gültekin, Bruder des im Februar 2020 in Hanau ermordeten Gökhan Gültekin, und Mitat Özdemir, ehemals Vorsitzender der Interessensgemeinschaft Keupstraße, wo der NSU im Jahre 2004 eine Nagelbombe zündete.
Wir sprachen im Anschluss an die Veranstaltung mit Malek Ahmad und bedanken uns bei Rahim für das Dolmetschen.
Vielen Dank Malek, dass du dir Zeit für uns nimmst. Zuerst etwas Persönliches. Wie war Amed? Was waren seine Wünsche, seine Träume?
Amed hatte ein schwieriges Leben in Syrien. Er hat viel Mist erlebt als Jugendlicher. Er war im Gefängnis und hatte all die Probleme, die sich ergeben, wenn man unter einem diktatorischen Regime lebt. Er war in Syrien drei Jahre im Gefängnis und ist dort gefoltert worden. Als er aus dem Gefängnis gekommen ist, war er krank. Ich habe versucht, in Syrien eine Behandlung zu finden. Das hat aber nicht geklappt. Deshalb sind wir zunächst in die Türkei geflohen.
Wir waren ein Jahr in der Türkei und Amed war wieder weitgehend gesund. Er wollte gerne heiraten und eine Familie gründen. Mit meinem ältesten Sohn bin ich dann von der Türkei nach Deutschland weiter geflohen. Amed wollte möglichst schnell hinterherkommen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Aber er hatte kein Geld. Um die Überfahrt nach Griechenland zu finanzieren, hat er das Schlauchboot gesteuert, so dass er nicht bezahlen musste.
In Griechenland hat er zunächst anderen Flüchtlingen geholfen. Er ist dann aber aufgebrochen und 40 Tage zu Fuß nach Deutschland gelaufen, zunächst in einer kleinen Gruppe von drei, vier Leuten, ab Serbien allein. Ameds Wunsch war, irgendwann zu heiraten, aber das war ihm leider nicht mehr vergönnt.
Wie hast du vom Tod deines Sohnes erfahren?
Das war eine schwierige Erfahrung und hat von Anfang an richtig weh getan. Der erste Schmerz war, als ich die Nachricht bekommen habe, dass mein Sohn im Gefängnis gestorben ist. Aber es schmerzt noch mehr, dass ich zwei Wochen lang kein Bescheid bekommen habe, was passiert ist. Amed war knapp zwei Wochen im Krankenhaus und vorher zwei Monate im Gefängnis. Davon wusste ich nichts. Niemand hat mich informiert, dass mein Sohn festgenommen ist, dass er schwer verletzt im Krankenhaus liegt und schließlich gestorben ist.
Hast du von offizieller Seite, von staatlichen Behörden jemals eine Erklärung erhalten, warum dein Sohn sterben musste?
Leute von der Polizei waren bei mir und haben gesagt, was passiert ist, aber ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass sie nicht die ganze Wahrheit sagen und versuchen, etwas zu vertuschen.
Ich war auch in Düsseldorf im Büro des Innenministers von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, und auch im Gefängnis in der Zelle, wo mein Sohn verbrannt ist. Sie haben mir dort gezeigt, wie es passiert sein soll, aber ich hatte immer das Gefühl, etwas stimmt nicht.Sie haben alles versucht, damit die Rolle der Polizei nicht in den Fokus rückt. Ich denke, wir sind in einem demokratischen Land und es ist wichtig, dass sich alle an die Regeln halten. Aber wenn es um eine große Sache, um einen Tod oder gar Mord geht, läuft es nicht so, wie es laufen muss. Sie nehmen den Fall nicht richtig ernst. Im Fall meines Sohnes hat niemand etwas gesehen. Ich war sehr überrascht über die vielen offenen Fragen.
Dein Sohn ist angeblich mit dem Malier Ahmedy G. verwechselt worden. Innenminister Herbert Reul hat diese Woche vor dem Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag ausgesagt, dass er sich das „auch nicht erklären könne“. Hast du eine Erklärung dafür, warum die Polizei in Geldern und Kleve nicht feststellen konnten, dass es sich um zwei völlig verschiedene Personen handeln muss?
Ich glaube nicht, dass es ein Versehen war. 20 Tage vor dem Brand in der Zelle hat die Staatsanwaltschaft in Hamburg der Polizei in Kleve und der JVA Kleve mitgeteilt, dass es nicht die richtige Person ist. Er ist trotzdem noch 20 weitere Tage in Haft geblieben. Ich glaube daher nicht, dass es ein Fehler war. Sie haben meinen Sohn bewusst festgehalten. Mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten hätten sie eigentlich spätestens nach einem Tag die Verwechslung feststellen und klären können. Aber es hat 40 Tage gedauert, und auch danach haben Sie meinen Sohn weiter in Haft gehalten.
Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, sind die Datensätze von Ahmedy G. und deinem Sohn erst nach seiner Verhaftung manipuliert worden. Was hast du gedacht, als du das erfahren hast?
Ich glaube, die Daten wurden von der Polizei absichtlich manipuliert. Je mehr ich über die Umstände und Einzelheiten informiert worden bin, desto mehr glaube ich, dass das, was mir erzählt wird, nicht stimmt.
Beim BKA sind die Daten deines Sohnes in der Datenbank Inpol zwischenzeitlich gelöscht worden. Glaubst du, dass eine Aufklärung des Falles bewusst verhindert wird?
Das ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass von Seiten der Polizei kein Interesse an einer Aufklärung besteht. Die Polizei manipuliert den ganzen Fall. Sie nimmt mich nicht ernst und behandelt mich als wäre ich ein Idiot, dem man alles erzählen könne.
Als dein Sohn am 6. Juli 2018 von der Polizei am Baggersee aufgegriffen wurde, lagen keine Tatsachen vor, die eine Inhaftierung hätten begründen können. Weißt du, warum dein Sohn trotzdem verhaftet worden ist?
Nein. Kurze Zeit vor der letzten Verhaftung wurde mein Sohn schon einmal verhaftet, weil er im Zug schwarzgefahren ist. Das war in Düsseldorf. Sie haben auch dort seine Daten verglichen und es ist nichts passiert. Zwei Wochen später wird auf einmal behauptet, er sei ein gesuchter Straftäter. Das ergibt keinen Sinn.
Auch die Vermutungen der Staatsanwaltschaft zum Brand in der Zelle in der JVA Kleve weisen einige Ungereimtheiten auf. Das Ganze erinnert an den Fall Oury Jalloh, der im Polizeigewahrsam in Dessau verbrannt ist. Was denkst du zum Brandhergang in der JVA Kleve?
Wenn mein Sohn sich selbst verbrannt hätte, dann hätte er das schon in Syrien gemacht. Er war dort drei Jahre im Gefängnis, er ist dort misshandelt und gefoltert worden und es war viel schlimmer als hier in Deutschland. Freunde von ihm sind dort gestorben, und er hat unglaubliches Leid gesehen. Aber er hat sich dort nicht umgebracht. Warum sollte er es dann in einem Gefängnis in Deutschland tun?
Der tragische Tod deines Sohnes wird von der Staatsanwaltschaft und den Medien wesentlich als Folge einer „tragischen Datenpanne“ betrachtet. Was denkst du über die Hintergründe des Todes deines Sohnes?
Ich denke, selbst wenn es ein Fehler war, ist die Polizei verantwortlich. Aber ich glaube, das war kein Fehler. Ich habe mit der Polizei und den Gefängniswärtern gesprochen. Ich wollte wissen, wie der Brand passiert ist. Selbst, wenn mein Sohn selbst das Feuer gelegt hat, so wird doch das ganze Gefängnis überwacht. Es gibt überall dort Überwachungskameras. Aber niemand will etwas vom Feuer bemerkt haben. Ich versuche zu verstehen, wie mein Sohn verbrennen konnte. Ich weiß auch nicht, warum mein Sohn in einer Einzelzelle gewesen ist. In Syrien bedeutet, in eine Einzelzelle gesteckt zu werden, dass man sehr gefährlich ist. Aber mein Sohn war nicht gefährlich.
Ich verstehe auch nicht, wie es passieren konnte, dass bei meinem Sohn 60 Prozent der Haut verbrannt worden sind. Er hatte kein Benzin oder ähnliches. Er hatte nur ein Feuerzeug und seine Sachen. Warum konnten bei meinem Sohn 60 Prozent der Haut verbrennen? Das ergibt keinen Sinn und ich verstehe es nicht.
Der ganze Brand muss sehr lange gedauert haben. Aber niemand hat etwas bemerkt und das Feuer gelöscht? Ich glaube, das ist alles so, weil die Polizei etwas vertuschen will.
Die Initiative Amad Ahmad verlangt Aufklärung und Gerechtigkeit. Was denkst du, wie Gerechtigkeit erreicht werden kann?
Ich habe große Hoffnung, da es viele Aktivisten gibt, die unsere Initiativen unterstützen und irgendwann kann vielleicht Gerechtigkeit hergestellt werden. Ich möchte allen danken, die für Menschlichkeit einstehen. Nicht nur für Gerechtigkeit für meinen Sohn, sondern auch für alle anderen Opfern von rassistischer Gewalt durch die Polizei. Und irgendwann, mit eurer Hilfe, haben wir hoffentlich auch soziale Gerechtigkeit.