In den Fluten nach dem Sturm Daniel, der Anfang September über Griechenland hinwegfegte, sind mindestens 17 Menschen gestorben. Alle Todesfälle ereigneten sich in der mittelgriechischen Region Thessalien.
„Daniel“ war der größte jemals aufgezeichnete tropische Wirbelsturm im Mittelmeer, der in Griechenland, Bulgarien, der Türkei und zuletzt auch in Libyen massive Überschwemmungen verursachte. In Libyen sind Schätzungen zufolge weit über 20.000 Tote zu beklagen.
Große Flächen Thessaliens wurden in einen riesigen See verwandelt, darunter auch Gebiete in Larissa und Volos, den größten Städten der Region. Angesichts der großen Zahl von Migranten ohne Papiere, die bei der Ernte in der thessalischen Landwirtschaft beschäftigt sind, ist die tatsächliche Zahl der Todesopfer wahrscheinlich viel höher.
Giannis Chatzis, ein Einwohner der Stadt Palamas, sagte in einer Live-Sendung des Fernsehsenders SKAI TV: „In einem der Häuser in der Nähe von mir ist eine Großmutter ertrunken und schwimmt im Wasser. Tote Nutztiere schwimmen vorbei, als wären es Boote, und drei bis vier Häuser sind zerstört worden. Es gibt keine koordinierte Reaktion [der Regierung]. Es hätte von Anfang an Hilfe geleistet werden müssen.“
Der Bürgermeister von Palamas, Giorgos Sakellariou, äußerte sich in einem Interview mit Open TV am 6. September erschüttert: „Sie haben uns gesagt, dass sie Boote schicken würden. [Es waren] Paddelboote, die nur eine weitere Person aufnehmen können... Ich bin sicher, dass Menschen ertrinken werden. Seit gestern habe ich einen Hubschrauber angefordert. 35 Menschen sind in einem Dorf gefangen. Diese Menschen werden ertrinken.“
Eine Woche nach den Überschwemmungen waren sieben Dörfer in Thessalien noch immer von der Außenwelt abgeschnitten, und große Teile des örtlichen Straßennetzes standen unter Wasser. Dazu gehörten auch Abschnitte der Autobahn Athen-Thessaloniki, die zehn Tage lang gesperrt wurden. Das Eisenbahnnetz zwischen Athen und Thessaloniki war ebenfalls unterbrochen.
Die Überschwemmungen haben auch die Wasserversorgung beeinträchtigt, so dass große Teile der Region, darunter auch Volos mit über 90.000 Einwohnern, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Die Stromversorgung war ebenfalls gestört, so dass etwa 4.000 Haushalte in Thessalien auch eine Woche später keinen Strom hatten.
Laut offiziellen Angaben wurden bereits über 200.000 verendete Tiere gemeldet, darunter Schafe, Ziegen, Schweine, Rinder und Vögel. Aufgrund der unzähligen Tierkadaver, des stehenden Wassers und der fehlenden Hygienemaßnahmen herrscht auch Wochen nach dem Sturm noch eine hohe Seuchengefahr.
Wissenschaftler schlagen Alarm und warnen vor der Verbreitung von Krankheiten. In Thessalien wurden bis zum 17. September bereits 278 Fälle von Gastroenteritis und 308 Atemwegsinfektionen gemeldet. Auch Hautprobleme nehmen zu.
Stehende Gewässer sind zudem ein Nährboden für Moskitos, was das Risiko von Krankheiten wie dem West-Nil-Virus erhöht. Letzte Woche wurden 12 neue Fälle des Virus gemeldet, drei Patienten sind gestorben. Damit erhöht sich die Gesamtzahl der Erkrankungen in diesem Jahr auf 131, ein Großteil der Fälle trat in der Flutregion Thessalien auf.
Auf einer Pressekonferenz erklärte Vassilis Kikilias, der Minister für Klimakrise und Katastrophenschutz der rechten Regierungspartei Nea Dimokratia (ND): „Ich weiß, dass das Wort ‚beispiellos‘ schon oft verwendet wurde und vielleicht keinen Eindruck hinterlässt. Aber in diesem Fall wird selbst dieses Wort der Schwere des Phänomens nicht gerecht. Wir sprechen hier von unvorstellbaren Wassermengen.“
In Wirklichkeit wusste die Regierung im Voraus, dass der Klimawandel ein solches Ereignis wahrscheinlicher macht. Die eigenen Karten des Umweltministeriums aus dem Jahr 2018 wiesen die meisten der jetzt betroffenen Gebiete bereits als Hochrisikogebiete aus.
Vor drei Jahren wurde Thessalien während des Sturms Ianos überflutet. Als Reaktion darauf stellte die Regierung 400 Millionen Euro bereit, um den Hochwasserschutz in der Region zu verstärken, aber es wurde so gut wie nichts getan.
In einem Gespräch mit der griechischen Tageszeitung I Efimerida Ton Syntakton beschrieb Nikitas Milopoulos, Professor für Hydrologie an der Universität Thessalien, die durchgeführten Arbeiten als „fragmentiert, klein und halbfertig, mit Schwerpunkt auf einigen lokalen Hochwassertunneln, die unwirksam sind“. Er kommentierte den Missbrauch der Finanzmittel: „Natürlich wurde alles, was mit Bauarbeiten zu tun hatte, als ‚Hochwasserschutzprojekt‘ bezeichnet, sogar die Instandsetzung von Straßen.“
Wie schwerwiegend die Folgen der Klimakrise für die Wetterlage in der Mittelmeerregion sind, hat die Recherchegruppe der „World Weather Attribution“ (WWA) in einer jüngsten Studie untersucht. Das internationale Wissenschaftlerteam aus Griechenland, USA, Niederlande, Deutschland und Großbritannien analysiert, dass der menschengemachte Klimawandel in den betroffenen Regionen in Griechenland, Bulgarien und der Türkei ein Extremereignis wie den Sturm Daniel bis zu zehnmal wahrscheinlicher und bis zu 40 Prozent intensiver gemacht hat.
Ein griechischer Meteorologe prognostizierte gegenüber dem Fernsehsender Open TV in dieser Woche, dass nach dem jetzigen Hoch ein erneutes Unwetter über Thessalien und anderen griechischen Regionen zu erwarten sei, das allerdings schwächer als der letzte Sturm ausfallen werde. Sollte seine Prognose eintreffen, wird sich die Notlage in der Flutregion noch weiter verschärfen.
Da ein Fünftel aller Ackerflächen in der Ebene von Thessalien unter Wasser steht, geht der wirtschaftliche Schaden in die Milliarden. Der Geologe und Katastrophenschutzexperte Efthymios Lekkas schätzte im staatlichen Rundfunksender ERT, dass es mindestens fünf Jahre dauern wird, bis das betroffene Land wieder fruchtbar ist.
Die Ebene von Thessalien, die als „Kornkammer“ Griechenlands gilt, macht 12 Prozent der Anbauflächen des Landes und ein Viertel der landwirtschaftlichen Produktion aus. Dies entspricht einem Wert von über zehn Milliarden Euro, etwa fünf Prozent des griechischen BIP.
Etwa ein Viertel des Weizens und der Gerste Griechenlands stammt aus Thessalien. Ersten Schätzungen zufolge wurden große Mengen des kürzlich geernteten Getreides vernichtet.
Etwa 35 bis 45 Prozent des Viehbestands in der Region sind verendet, was sich auf die Versorgung mit Fleisch und Milchprodukten auswirken wird. Allein auf Thessalien entfallen 71 Prozent der Schweinefleischproduktion, 50 Prozent der Käseproduktion und fast ein Fünftel der Milcherzeugung in Griechenland.
Die daraus resultierende Verknappung wird die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben und notleidende Arbeiterfamilien weiter belasten, die in den letzten zwei Jahren bereits einen Anstieg der Lebensmittelpreise um 26 Prozent erlebt haben.
Die Regierung hat ein Hilfspaket von rund 2 Milliarden Euro für die Betroffenen angekündigt – ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts des Ausmaßes der Zerstörung. Der Generalsekretär der Panhellenischen Union der Viehzüchter Nikos Palaskas merkte an: „Um 1.000 Tiere zu kaufen, braucht man 250.000 Euro. Um einen Viehzuchtbetrieb zu bauen, braucht man 250.000 Euro. Die Beihilfe von 5.000 bis 6.000 Euro reicht nicht einmal für eine Woche Tierfutter.“
Auch die EU versprach lediglich Almosen. Vor einer Woche traf sich der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis mit der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen in Straßburg. Von der Leyen gewährte Griechenland Zugang zu EU-Mitteln in Höhe von 2,25 Milliarden Euro zur Bewältigung der Krise. Sie verschwieg dabei, dass es sich um Mittel handelt, die bereits für andere Projekte vorgesehen waren und nun umgeschichtet werden müssen. Die einzigen neue Mittel, die versprochen wurden, sind läppische 400 Millionen Euro aus dem EU-Solidaritätsfonds, und selbst das hängt davon ab, ob andere Mitgliedstaaten zustimmen, den Topf aufzustocken.
Statt der benötigten Hilfe verstärkt die Regierung die Polizeipräsenz in Thessalien – unter dem Vorwand, man müsse Plünderungen nach der Flut verhindern. In einem Gespräch mit dem Fernsehsender MEGA TV prahlte der griechische Minister für Bürgerschutz: „Wir haben große Einsatzkräfte in der Region, die in den letzten drei Tagen mit 100 zusätzlichen Personen verstärkt wurden. Es wird alles getan, um Plünderungen zu verhindern.“
In Wirklichkeit wird die Polizeipräsenz erhöht, um die weit verbreitete Wut in der Bevölkerung über den Umgang der Regierung mit der Krise einzudämmen. Es gab bereits einige Proteste. Bereits vor der Flut hatte der Unmut auf die Regierung massiv zugenommen, weil die Waldbrände wochenlang andauerten und Dutzende Menschen in den Flammen starben, darunter 18 Flüchtlinge im Dadia-Nationalwald in Nordgriechenland.
Am 9. September protestierten Angehörige der Flutopfer in Thessalien auf dem Athener Syntagma-Platz. Auf einem riesigen Transparent, das sie vor dem Parlamentsgebäude entrollten, verurteilten sie die Regierung: „Ihr habt die Felder ertränkt, unsere Wut wird euch ertränken.“
Am Sonntag setzte die Polizei in Larissa Tränengas ein und griff Flutopfer an, die gegen den Besuch von Mitsotakis protestierten. Ein Video, das von der Nachrichtenseite The Press Project veröffentlicht wurde, dokumentiert, wie ein Polizist im Vorfeld Anweisungen gab, und bestätigt damit, dass die Angriffe geplant waren: „Wir werden in die Menge gehen! Sie werden sich auflösen. Auch wenn sie sich nicht wehren, werden wir sie verprügeln.“ Zwei Tage später, am Dienstagabend, kam es zu einem zweiten Angriff, als die Bereitschaftspolizei Tränengas gegen einen friedlichen Marsch durch das Stadtzentrum von Larissa einsetzte.
Die pseudolinke Oppositionspartei Syriza, die in den letzten Parlamentswahlen im Juni eine vernichtende Niederlage erlitt, hat versucht, die Flutkatastrophe in Thessalien für ihre Zwecke auszunutzen. Doch das ist Heuchelei. Während ihrer Regierungszeit hat Syriza den Hochwasserschutz genauso vernachlässigt. Im November 2017 forderten die Überschwemmungen in West-Attika bei Athen 23 Menschenleben. Syriza ergriff keine Maßnahmen, um den Hochwasserschutz in der Region zu verstärken, obwohl es dafür bereits einen Plan gab, als sie 2015 an die Macht kam.