Kanada: Siebentägiger Streik von 420.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst

Am Freitag traten in der kanadischen Provinz Québec 420.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in den Streik. Das Gewerkschaftsbündnis „Common Front“ kündigte an, dass Beschäftigte aus der ganzen Provinz für sieben Tage, also bis zum 14. Dezember, die Arbeit niederlegen werden.

Die Beschäftigten, darunter Pflegekräfte, Küchen- und Wartungspersonal, Lehrer und weitere Beschäftigte der öffentlichen, technischen und Berufsschulen und Klinikpersonal, schließen sich den mehr als 65.000 Lehrern an Grund- und weiterführenden Schulen an, die sich seit dem 23. November in einem unbefristeten Streik befinden.

Ab Montag, den 11. Dezember, werden sich zudem 80.000 Pflegekräfte und Pflegehilfskräfte, die in der Gewerkschaft Fédération interprofessionnelle de la santé (FIQ) organisiert sind, der Streikbewegung für vier Tage anschließen.

Streikende Lehrkräfte und weiteres Schulpersonal bei einer Kundgebung der Gewerkschaft Syndicat de Champlain in Longueuil am 21. November, dem ersten Tag des dreitägigen Streiks der Common Front im öffentlichen Dienst von Québec im vergangenen Monat

Wie zu erwarten war, werden die Angriffe der Leitmedien und der ausdrücklich wirtschaftsfreundlichen CAQ-Regierung (Québec First) auf die Streikenden immer schriller. Sie werfen den Streikenden vor, die Bildung der Kinder zu „gefährden“ und die Verschiebung nicht dringender medizinischer Eingriffe zu erzwingen.

Doch unter der arbeitenden Bevölkerung herrscht massive Unterstützung für die Beschäftigten des öffentlichen Diensts. Trotz aller unmittelbaren Unannehmlichkeiten wird allgemein anerkannt, dass die Streikenden für die Verteidigung des Bildungs- und Gesundheitswesens und anderer wichtiger öffentlicher und sozialer Leistungen kämpfen. All diese Bereiche wurden durch jahrzehntelange kapitalistische Sparmaßnahmen und die verheerende Profite-vor-Leben-Politik der herrschenden Klasse während der Pandemie verwüstet.

Obwohl die Gewerkschaften seit November – acht Monate nachdem die Tarifverträge von 625.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Québec ausgelaufen waren – widerwillig einer „Eskalation“ des Arbeitskampfs zugestimmt haben, tun sie nichts, um diese Unterstützung zu mobilisieren. Genauso wenig organisieren sie einen massenhaften Kampf der Arbeiterklasse gegen die Spar- und Kriegspläne der kapitalistischen Elite in Québec und ganz Kanada. Und sie appellieren auch nicht an die Solidarität und Unterstützung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder der Privatwirtschaft außerhalb von Québec.

Der Canadian Labour Congress und die Gewerkschaften auf nationaler Ebene wahren derweil ein auffälliges Schweigen über die Klassenkonfrontation in Québec.

Dies geschieht in einer Situation, in der die CAQ-Regierung auf Geheiß des Großkapitals versucht, den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes umfangreiche Kürzungen aufzuerlegen, die sich auf das Lohnniveau und die öffentlichen Dienstleistungen im ganzen Land auswirken werden. Zudem bereitet sie das politische Terrain für Notstandsgesetze vor, die Arbeitskämpfe unter Strafe stellen würden. Als der Premier von Québec, François Legault, letzte Woche gefragt wurde, ob seine Regierung auf ein gesetzliches Streikverbot zurückgreifen würde, erklärte er: „So weit sind wir noch nicht.“ Dann fuhr er mit einer Tirade gegen streikende Lehrkräfte fort.

Die Vorsitzenden der Common-Front-Gewerkschaften – Quebec Federation of Labour (QFL), Confederation of National Trade Unions (CNTU), Centrale de syndicats du Québec (CSQ) und der Gewerkschaft der Fachkräfte im Gesundheitswesen APTS – sowie die Fédération autonome de l’enseignement (FAE, Autonomer Lehrkräfteverband) und die FIQ haben sich in den letzten Tagen getrennt voneinander mit Finanzministerin Sonia LeBel und anderen hochrangigen Regierungsvertretern getroffen, in der Hoffnung, einen Vorwand zu finden, um die Streikbewegung zu beenden.

Führende Vertreter der Common Front wie CSQ-Präsident Eric Gingras und die FAE-Vorsitzende Mélanie Hubert erklärten sich bereit, die Arbeitskämpfe jederzeit – ohne eine vorläufige Vereinbarung oder eine Urabstimmung unter den Beschäftigten – abzusagen, sofern es einen „echten Fortschritt“ am Verhandlungstisch gäbe.

Eine neue Provokation der Regierung

Am Dienstag und Mittwoch legte die Regierung den Gewerkschaften neue, „verbesserte“ Angebote vor. Tatsächlich haben diese Angebote nur noch mehr unterstrichen, dass die Regierung entschlossen ist, den Arbeitern umfassende Reallohnsenkungen aufzuzwingen, nachdem die Beschäftigten schon jetzt wegen jahrzehntelanger „Lohnzurückhaltung“ einen enormen Niedergang ihres Lebensstandards erfahren haben.

Das „verbesserte Angebot“ sieht vor, dass die große Mehrheit der Arbeiter eine „Lohnerhöhung“ von insgesamt 12,7 Prozent über fünf Jahre verteilt erhalten. Das ursprüngliche Angebot der Regierung vom letzten Dezember lag bei neun Prozent. Ende Oktober wurde es auf 10,3 Prozent erhöht. Das bedeutet, dass Legault und LeBel nach zwölf Monaten ihr lächerliches Angebot um nur 0,74 Prozent pro Jahr erhöht haben. Während dieser zwölf Monate haben die Gewerkschaften den Arbeitern erklärt, sie müssten Druck auf die Regierung ausüben, damit diese „aufwacht“, während die Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe geschnellt sind .

Als sei das nicht schon schlimm genug, beharrt die Regierung darauf, dass die Arbeiter als Gegenleistung für die angebotene Reallohnsenkung umfassende Änderungen der Arbeitsregeln und Dienstpläne sowie bei den Rechten, die die Unternehmen für sich in Anspruch nehmen, akzeptieren. Diese Änderungen würden die ohnehin schon erdrückende Arbeitsbelastung noch erhöhen und die Beschäftigten müssten dem Management auf Abruf zur Verfügung stehen.

Die Regierung will im Namen gesteigerter „Flexibilität“ und „Effizienz“, neben vielen anderen Änderungen, Pflegekräfte und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen „nach Bedarf“ von einer Einrichtung in die andere verlegen. Pflegekräfte sollen außerdem an jedem zweiten Wochenende arbeiten müssen. Fachkräfte im Gesundheitswesen sollen nur Überstundenzuschläge erhalten, wenn sie eine volle Arbeitswoche gearbeitet haben oder arbeiten werden. In vielen Bereichen sollen die Dienstaltersrechte deutlich verringert oder gänzlich abgeschafft werden. Prekär beschäftigte Lehr- und Hilfskräfte im Bildungsbereich wären gezwungen, den ersten Arbeitsvertrag anzunehmen, der ihnen angeboten wird. Andernfalls würden sie riskieren, dass sie ihr Recht auf vorrangige Einstellung verlieren.

Vor diesem Hintergrund sahen die Gewerkschaftsbürokraten keinen anderen Ausweg, als die Angebote der Regierung zurückzuweisen.

Die Präsidentin der FIQ, Julie Bouchard, erklärte: „Das ist eine ziemliche Beleidigung.“ Der erste Vizepräsident der CNTU, François Enault, erklärte: „Mit Flexibilität meint die Regierung, sie will aus einem Tarifvertrag Seiten herausreißen und durch Rechte des Managements ersetzen.“

Die Äußerungen von QFL-Präsidentin Magali Picard waren besonders bemerkenswert. Sie erklärte am Donnerstagmorgen bei einer Pressekonferenz der Common Front: „Es wäre ein großes Drama ... wenn wir ein solches Angebot akzeptieren würden.“ Mit anderen Worten: Die Gewerkschaftsbürokraten fürchten eine Rebellion der Beschäftigten und manövrieren verzweifelt, um ihren politisch lähmenden Einfluss auf die Streikbewegung aufrechtzuerhalten.

Noch während sie die Angebote der CAQ-Regierung ablehnten, machten die Gewerkschaftsfunktionäre eine Reihe von öffentlichen Rückzügen. Zweifellos sind sie in Verhandlungen mit Regierungsvertretern hinter verschlossenen Türen bereits viel weiter von den Forderungen der Arbeiter abgerückt oder sind dabei, es zu tun.

Die Gewerkschaften der Common Front haben sich formell dazu verpflichtet, für Dreijahresverträge mit einer Lohnerhöhung von insgesamt 21 Prozent und Bestimmungen zur Angleichung der Löhne an die Lebenshaltungskosten zu kämpfen. Am Donnerstag erklärte CSQ-Präsident Gingras, das Gewerkschaftsbündnis sei bereit, längere Verträge auszuhandeln und den „Lohnnachholbedarf“ der Arbeiter über eine noch längere Laufzeit zu verteilen.

Am Freitag beeilten sich die verschiedenen Gewerkschaften, zu verkünden, dass sie sich den Forderungen der Regierung nach gesteigerter Flexibilität nicht gänzlich verschlossen haben. Die Common Front, so Enault von der CNTU, erkenne an, dass „der Status Quo nicht weiter möglich ist“. Er behauptete, das Problem sei, dass die Regierung die Vorschläge der Gewerkschaften, um „Lösungen für das Flexibilitätsproblem zu finden“, ignoriert habe.

Wie nicht anders zu erwarten war, ermutigen solche Rückzieher die Regierung, deren Zustimmungswerte im letzten Jahr abgestürzt sind. Québecs Premier Legault, der zuvor Mitglied der Regierung von Bouchard-Landry von der Parti Quebecois war, die in den 1990ern massive Kürzungen der Sozialausgaben durchgesetzt hatte, klagte vor der Presse, Arbeiter hätten zu viele Rechte: „Es ist nicht normal, dass unser Netzwerk [von öffentlichen Diensten] von Gewerkschaften statt von Managern verwaltet wird.“ Änderungen würden „Mut erfordern, weil die Gewerkschaften diese Befugnisse seit Jahrzehnten nicht aufgegeben haben“.

Am Freitag befanden sich fast eine halbe Million Beschäftigte des öffentlichen Dienstes offiziell im Streik, obwohl viele Beschäftigte im Gesundheitswesen durch arbeiterfeindliche Bestimmungen für einen „Minimalbetrieb“ nur vor oder nach der Arbeit auf Streikposten stehen konnten. Am gleichen Tag erklärte Legault, seine Regierung sei bereit, ihr lächerliches Lohnangebot erneut zu erhöhen. Allerdings nur dann, wenn die Arbeiter durch die Beschneidung ihrer Rechte ein Vielfaches an Gegenleistung erbringen. Er erklärte, die Lage drohe, „heiß zu werden.“

Der Angriff der regierenden CAQ auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst geht Hand in Hand mit ihren Privatisierungsplänen. Am Freitag kündigte sie an, dass sie eine Schließung der Parlamentsdebatte beantragt, um ein Gesetz (Bill15) durch die Nationalversammlung von Québec zu bringen, mit dem eine neue öffentliche Behörde namens Santé Québec ins Leben gerufen wird. Diese soll das gesamte Gesundheitswesen der Provinz nach Maßgabe wirtschaftlicher Kostenprinzipien und mit Hilfe von „Spitzenkräften“ aus Großunternehmen verwalten.

Die Arbeiter müssen den Kampf selbst in die Hand nehmen

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Québec befinden sich in einer starken Position. Sie haben große Unterstützung in der Arbeiterklasse der zweitbevölkerungsreichsten und einzigen mehrheitlich französischsprachigen kanadischen Provinz. Noch entscheidender ist jedoch, dass ihr Kampf Teil eines zunehmenden Aufschwungs der Kämpfe von Arbeitern in ganz Nordamerika und weltweit ist, der von Inflation, jahrzehntelangen Zugeständnissen, Austerität, der Pandemie und dem imperialistischen Krieg angetrieben wird.

Doch wenn sie sich durchsetzen wollen, müssen sie und ihre Unterstützer in ganz Kanada und der Welt erkennen, was in ihrem Kampf auf dem Spiel steht. Sie müssen die notwendigen Schritte unternehmen, um die Verschwörung zwischen der CAQ-Regierung und den korporatistischen Gewerkschaften, die die Streikbewegung eindämmen und unterdrücken wollen, zu vereiteln.

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Québec stehen vor einem politischen Kampf und das nicht nur, weil ihr Arbeitgeber die Provinzregierung ist, die sie mit einem Gesetz bedroht, das sie zurück an die Arbeit zwingen würde. Durch ihren Widerstand gegen Reallohnsenkungen und den Abbau und die Privatisierung des öffentlichen Dienstes stellen sie sich gegen den Kurs der gesamten herrschenden Klasse in Québec und Kanada, der auf eine Konfrontation mit der Arbeiterklasse ausgerichtet ist. Die herrschende Klasse ist entschlossen, die Ausbeutung der Arbeiter zu verschärfen und die letzten, noch verbliebenen sozialen Rechte auszuhöhlen, die die Arbeiterklasse im letzten Jahrhundert in Massenkämpfen errungen hat. Auf diese Weise wollen sie die wiederholten Rettungsaktionen für das Großkapital sowie die Kriege finanzieren, die der kanadische Imperialismus an der Seite Washingtons gegen Russland und China und im Nahen Osten führt und vorbereitet.

Die pro-kapitalistischen Gewerkschaftsapparate – sowohl die Gewerkschaften in Québec wie auch im Rest von Kanada – sind entschlossen, den Kampf im öffentlichen Dienst von Québec zu isolieren. Sie wollen ihn in der Zwangsjacke eines auf die Provinz beschränkten Tarifkampfs halten, dessen Regeln nach Belieben geändert werden können, um Arbeitskämpfe zu kriminalisieren, und sie versuchen, ihn in den reaktionären Rahmen der offiziellen Politik von Québec zu sperren.

Die Gewerkschaftsbürokraten in Québec und ganz Kanada fürchten allesamt, dass der militante Kampf der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Québec als Brandbeschleuniger für einen breiteren Aufstand der Arbeiterklasse dienen wird. Dieser könnte die globale Position des kanadischen Kapitalismus und die von den Gewerkschaften sowie der NDP unterstützten liberalen Trudeau-Regierung bedrohen.

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Québec müssen sich zu einem umfassenden Streik vereinen und ihn zur Speerspitze einer landesweiten Gegenoffensive der Arbeiterklasse machen, um den öffentlichen Dienst und den Lebensstandard der Beschäftigten zu verteidigen. Sie müssen sich gegen den staatlichen Angriff auf das Streikrecht und die Abzweigung massiver sozialer Ressourcen für den imperialistischen Krieg richten und für die Arbeitermacht eintreten.

Nichts davon ist möglich, indem man Druck auf die korporatistischen Gewerkschaftsapparate ausübt. Die Arbeiter müssen in allen Krankenhäusern, Schulen und sonstigen Betrieben Aktionskomitees gründen, um die Kontrolle über den Streik selbst in die Hand zu nehmen. Unter der Führung der militantesten Arbeiter müssen diese Komitees für die Vereinigung aller Gruppen des öffentlichen Dienstes – über die Köpfe der Gewerkschaftsführer hinweg – kämpfen, aktive Unterstützung innerhalb der Arbeiterklasse von Québec, in ganz Kanada und weltweit mobilisieren und sich auf einen politischen Generalstreik vorbereiten, um ein gesetzliches Streikverbot abzuwehren.

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