Der WikiLeaks-Gründer Julian Assange wartet erneut auf eine Entscheidung der britischen Gerichte über seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten. Nach einer zweitägigen Anhörung, in der sein Anwaltsteam die Zulassung einer Berufung vor dem High Court beantragte, behielten sich die Richter Mr. Justice Johnson und Dame Victoria Sharp ihre Entscheidung vor. Es wird erwartet, dass sie erst nach dem 4. März, dem Stichtag für die Einreichung zusätzlicher Unterlagen durch die Anwälte, eine Erklärung abgeben werden.
Wird die Erlaubnis erteilt, muss Assange weiter im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ausharren, bis das Berufungsverfahren abgeschlossen ist und eine endgültige Entscheidung getroffen wurde.
Sollten die Richter die Zulassung zur Berufung verweigern, gibt es zwei Möglichkeiten. Assange wird unverzüglich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen und unter anderem eine Anordnung nach Artikel 39 beantragen, um seine Auslieferung zu blockieren, bis das Gericht in Straßburg seine eigene Entscheidung getroffen hat. Wenn dieser Antrag bewilligt wird, muss die britische Regierung entscheiden, ob sie sich an die Anordnung hält oder Assange trotzdem an die USA überstellt.
Alle Eventualitäten sind technisch und politisch möglich. Die britische herrschende Klasse hat eine wichtige Rolle als Kerkermeister des US-Imperialismus gespielt und Assange fast zwölf Jahre lang gefangen gehalten – zunächst in der ecuadorianischen Botschaft in London, die ständig von der Polizei belagert wurde, dann in Belmarsh. Sie könnte dies auch weiterhin tun, indem sie ihm die Einlegung von Rechtsmitteln beim High Court gewährt, die letztlich immer noch abgelehnt werden könnten, oder indem sie ein Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof zulässt.
Oder der britische und der amerikanische Staat haben beschlossen, dass es an der Zeit ist, Assange in die USA auszuliefern. Ein solcher Plan wäre durch die in dieser Woche vorgebrachten überzeugenden Argumente erschwert, aber keinesfalls ausgeschlossen.
Eine Auslieferung würde Assange vor weitere enorme persönliche und rechtliche Herausforderungen stellen. Er hat während seiner Inhaftierung in Großbritannien schweren persönlichen Schaden erlitten, sowohl physisch als auch psychisch, und war zu krank, um an der Anhörung vor dem High Court teilzunehmen oder diese auch nur per Videoübertragung zu verfolgen. Seine Frau Stella, die ihn als suizidgefährdet einstuft, wenn er in die USA geschickt würde, hat kategorisch erklärt, dass er eine Auslieferung nicht überleben würde.
Bei der ersten Auslieferungsanhörung von Assange im Herbst 2021 haben Sachverständige über die drakonischen Bedingungen einer möglichen Untersuchungshaft in den USA ausgesagt.
Ihren Angaben zufolge würde er wahrscheinlich in der administrativen Trennungseinheit des Alexandria Detention Center untergebracht und besonderen Maßnahmen unterworfen werden, die zusammengenommen zu seiner fast vollständigen Isolierung führen und seine Fähigkeit, sich an seiner eigenen Rechtsverteidigung zu beteiligen, stark beeinträchtigen würden.
Welche barbarische Behandlung ihn erwartet, hat der Umgang mit Joshua Schulte gezeigt, der kürzlich zu 40 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er Beweise für CIA-Spionagesoftware weitergegeben hatte. Schulte sagte bei der Urteilsverkündung: „Die US-Regierung foltert mich rund um die Uhr mit weißem Rauschen und Einzelhaft. Das Fenster ist verdunkelt. Wenn man mir Zugang zur juristischen Bibliothek gewährt, muss ich auf den Boden urinieren und defäkieren. Ich werde neun Stunden lang dort gelassen.“
„Ich bin in meinem Folterkäfig mit Nagetier-Exkrementen eingesperrt worden. In der Nähe des Fensters sammelt sich Eis an. Ich wasche meine Kleidung in meiner Toilette. Ich bin gezwungen, mit meinen bloßen Händen zu essen wie ein Tier. Sie schauen auf dich herab, als wärst du kein Mensch.“
Auch die Anwälte von Assange müssen mit Einschränkungen rechnen. Abgesehen davon, dass sie nur begrenzten Zugang zu ihrem Mandanten haben, werden ihnen auch Hürden in den Weg gelegt, wenn sie Zugang zu Materialien der US-Regierung haben wollen, die für seine Verteidigung relevant sind, und wenn sie deren Details mit Assange teilen wollen.
Inzwischen hat WikiLeaks alle seine Mitarbeiter aus Angst vor Verfolgung vor Reisen in die USA gewarnt.
Die Tatsache, dass das Spionagegesetz keine Einrede des öffentlichen Interesses enthält, wird es der Staatsanwaltschaft ermöglichen, jeden Versuch zu unterbinden, Beweise über den tatsächlichen Inhalt der WikiLeaks-Veröffentlichungen, über das Recht der Öffentlichkeit auf Wissen oder über Assanges Beweggründe für sein Handeln vorzulegen. Der Classified Information Procedures Act wird der Regierung und den Geheimdiensten jede Möglichkeit geben, Beweise zu beeinträchtigen, die seine Anwälte formell vorlegen dürfen.
Medizinische Zeugen bei Assanges Auslieferungsanhörung haben auch die reale Selbstmordgefahr im Falle einer Auslieferung und Inhaftierung unter diesen Bedingungen bezeugt sowie über den erschreckenden Zustand der psychiatrischen Versorgung in US-Gefängnissen berichtet. Diese Beweise wurden vom Richter als Grundlage für eine erste Entscheidung gegen die Auslieferung akzeptiert. Diese wurde nur aufgrund von „Zusicherungen“ der US-Regierung gekippt, die so vage formuliert sind, dass sie das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen.
Außerdem besteht die reale Gefahr, dass Assange diese Bedingungen unter Androhung der Hinrichtung ertragen muss. Wie seine Anwälte bei der Anhörung in dieser Woche erklärten, kann er wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten, die bereits mit einer 175-jährigen Haftstrafe belegt sind, erneut wegen Kapitalverbrechen angeklagt werden. Keine der üblichen Zusicherungen, dass die Todesstrafe nicht verhängt werden würde, ist ihm je gegeben worden.
Der „Selbstmord“ von Jeffrey Epstein nach nur einem Monat Haft und noch vor der erwarteten Aufdeckung von Verbrechen auf höchster Ebene der amerikanischen Gesellschaft schwebt wie ein Schatten über dem Fall Assange.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Assanges Rechtsfall hat diese Scheingerichtsverfahren sehr sorgfältig und effektiv aufgedeckt, ebenso wie den Missbrauch von Assanges Rechten durch die amerikanisch-britische Verschwörung und den abschreckenden Präzedenzfall, den die US-Regierung durch die Beschlagnahme und das Verschwindenlassen eines ausländischen Journalisten auf der Grundlage des Spionagegesetzes zu schaffen versucht. Doch ob im Vereinigten Königreich vor dem High Court, in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof oder in den Vereinigten Staaten – der Kampf für die Freilassung von Assange kann nur als Teil einer großen politischen Kampagne erfolgreich sein.
Eine solche Bewegung kann und muss aufgebaut werden. Die Kräfte, die vom Vereinigten Königreich und den USA gegen Assange eingesetzt werden, sind mächtig. Aber es gibt noch eine andere, noch gewaltigere Kraft, die noch nicht zu Wort gekommen ist: die britische, amerikanische und internationale Arbeiterklasse.
In einem Artikel, der nach der Hauptverhandlung von Assange vor dreieinhalb Jahren veröffentlicht wurde, erklärte die World Socialist Web Site:
Der Fall Assange hat Arbeitern gezeigt, was Imperialismus heißt: Es ist ein System von Gewalt und Repression gegen die Weltbevölkerung seitens der mächtigsten Staaten und zugunsten der herrschenden Finanzoligarchie.
Seitdem haben der Nato-Russland-Krieg in der Ukraine und der Völkermord in Gaza der Arbeiterklasse neue Lektionen in Sachen imperialistischer Gewalt erteilt. Der Widerstand gegen Israels Völkermord an den Palästinensern, der von den USA, Großbritannien und anderen imperialistischen Mächten voll unterstützt wird, hat weltweit Millionen Menschen auf die Straße gebracht, während der Krieg in der Ukraine zu einer rasanten Ausweitung der Militärausgaben führt und die bereits akuten sozialen Spannungen weiter anheizt. Die herrschende Klasse reagiert darauf mit zunehmend diktatorischen Gesetzen und polizeilicher Repression.
Unter Hinweis auf Schritte in diese Richtung bereits im Jahr 2020 sagte die Perspektive voraus:
Solche Maßnahmen führen unvermeidlich zu massenhaftem Widerstand in der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse. Unter dem Einfluss der revolutionären Partei wird diese Bewegung erkennen, dass sie sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegen den verfaulenden Kapitalismus und Imperialismus befindet. Die Kampagne zur Freilassung von Assange ist ein wesentlicher Teil dieses Kampfs.
Dies ist das Konzept, das die dringende Arbeit leiten muss, die notwendig ist, um die Massenbewegung aufzubauen, um Assange zu befreien. Sein Fall ist vor Gericht nicht zu lösen, außer durch antidemokratische und unfaire Urteile, die im Interesse der herrschenden Klasse in Großbritannien und den USA gefällt werden. Um diese Kräfte zu bekämpfen, bedarf es mehr als juristischer Argumente. Es erfordert die Mobilisierung der Arbeiter und der jungen Generation weltweit gegen Diktatur und Krieg und zur Verteidigung eines Menschen, der von Hunderten von Millionen als Held angesehen wird, weil er die Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, für die die Schuldigen ihn für immer zum Schweigen bringen wollen.