Der Tod des Boeing-Whistleblowers John „Mitch“ Barnett wurde zwei Tage nach dem Fund seiner Leiche zum Selbstmord erklärt. Tot aufgefunden wurde der 62-jährige ehemalige Mitarbeiter des Luft- und Raumfahrtkonzerns in einem Lastwagen, der in einer Hotellobby geparkt war. Es gibt reichlich Gründe, die Darstellung als Selbstmord in Frage zu stellen.
Zum Zeitpunkt seines Todes befand sich Barnett in Charleston, im US-Bundesstaat South Carolina, im Rahmen einer Zeugenbefragung in einem Zivilprozess, den er gegen Boeing angestrengt hatte. Barnett arbeitete die meiste Zeit seiner 32-jährigen Karriere als Qualitätsmanager bei Boeing und warf in dieser Zeit viele ernsthafte Fragen zur Sicherheit des Boeing 787 Dreamliner Verkehrsflugzeugs auf. In der Klage wird Boeing beschuldigt, ihn am Arbeitsplatz schikaniert, Beförderungen verzögert und ihn schließlich gezwungen zu haben, das Unternehmen zehn Jahre vor seinem geplanten Ruhestand zu verlassen.
Barnett hatte gerade eine zweitägige Befragung am 7. und 8. März hinter sich. Nach Angaben seiner Anwälte Rob Turkewitz und Brian Knowles war er müde, aber entschlossen, auch am dritten und letzten Tag auszusagen. Als er am 9. März nicht vor Gericht erschien und nicht auf Anrufe reagierte, riefen Barnetts Anwälte das Hotel an, in dem er wohnte, um sich nach ihm zu erkundigen. Hotelangestellte fanden Barnett mit einer Schusswunde im Kopf tot auf.
Der Gerichtsmediziner von Charleston County stellte als Todesursache „eine selbst zugefügte Wunde“ fest. In einem Polizeibericht heißt es, die Beamten hätten „ein weißes Stück Papier, das einem Zettel ähnelte“, bei Barnetts Leiche gefunden. Barnetts Anwälte bestritten jedoch sofort die Behauptung, beim Tod ihres Mandanten könne es sich um einen Selbstmord handeln. Sie gaben folgende Erklärung ab:
Es gab keine Anzeichen dafür, dass er sich das Leben nehmen würde. Niemand kann das glauben. Die Polizei von Charleston muss diesen Fall vollständig und genau untersuchen und die Öffentlichkeit informieren. Kein Detail darf unberücksichtigt bleiben.
Eine Freundin der Familie Barnett namens Jennifer sagte am 15. März gegenüber dem Sender ABC, Barnett habe sie gewarnt: „Wenn mir etwas zustößt, ist es kein Selbstmord.“
Jennifers Aussage wäre in einer Welt, die auf Vernunft, Gerechtigkeit und dem Schutz der Öffentlichkeit basiert, der Ausgangspunkt für Ermittlungen zu anderen möglichen Todesursachen im Fall Barnett. Stattdessen haben die Medien diese Aussage größtenteils ignoriert, obwohl in den letzten Monaten über verschiedene Beinahe-Katastrophen mit Boeing-Flugzeugen berichtet wurde.
Es lohnt sich, den Tod von Barnett und seine Folgen mit dem des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny zu vergleichen, der im Februar tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden wurde. Die Nachrichtensender und Präsident Joe Biden verloren keine Zeit und erklärten ohne jeden Beweis, dass Nawalnys Tod das Werk des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei.
Doch obwohl es mehr als genug Hinweise gibt, die auf ein falsches Spiel beim Whistleblower gegen Boeing hindeuten, werden diese ignoriert.
Barnett hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über die gefährlichen und fahrlässigen Praktiken von Boeing geäußert, nachdem er das Unternehmen 2017 verlassen hatte. In einer Reihe von Interviews beschrieb er, wie Boeing die Qualitätskontrolle in einer Weise beeinträchtigte, die für die Passagiere von Boeing-Flugzeugen „katastrophal“ war. Das übergeordnete Ziel war es, so Barnett, „die Kasse klingeln zu lassen“.
In einem Interview mit Corporate Crime Reporter legte Barnett die Rolle der militärischen Verbindungen von Boeing offen, die aus der Fusion mit McDonnell Douglas im Jahr 1997 stammen. „Das gesamte Team kam von der militärischen Seite“, sagte er. „Ihr Motto war: Wir sind in Charleston und können tun, was wir wollen. Sie setzten uns unter Druck, Mängel nicht zu dokumentieren, außerhalb der geregelten Verfahren zu arbeiten und zuzulassen, dass fehlerhaftes Material eingebaut und dies nicht korrigiert wird.“
Die berüchtigtsten Katastrophen mit Boeing-Flugzeugen sind die tödlichen Abstürze der 737 Max 8 im Oktober 2018 und März 2019, bei denen alle 346 Passagiere und Besatzungsmitglieder an Bord der beiden Flugzeuge ums Leben kamen. Beide Abstürze wurden durch eine neu eingeführte und noch relativ unbekannte Software, das Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS), verursacht.
Durchgesickerte Dokumente und Anhörungen im US-Kongress haben gezeigt, dass die Boeing-Führung wusste, dass MCAS einen Absturz verursachen kann, indem es ein Flugzeug in den Sturzflug zwingt und die Kontrolle des Piloten außer Kraft setzt. Dennoch hatte der Konzern die Software in allen seinen neuen Flugzeugen installiert. Die oberste Leitungsebene tat ihr Möglichstes, um die Existenz des Systems vor Piloten, Fluggesellschaften und Regulierungsbehörden zu verbergen, bis sie nach dem ersten Absturz zur Offenlegung gezwungen war. Aber selbst dann bestand Boeing darauf, dass die Max-8-Flugzeuge sicher seien - bis zum zweiten Absturz, der ein weltweites Flugverbot für das Flugzeug auslöste.
Keine einzige Führungskraft wurde jemals für das Verbrechen bezüglich Entwicklung und des Einsatzes eines defekten Flugzeugs und der tödlichen Konsequenzen verurteilt. Bei entsprechenden Untersuchungen in den USA kamen der damalige Geschäftsführer Dennis Muilenburg und der derzeitige Geschäftsführer David Calhoun unbeschadet davon. Muilenburg verdiente während seiner Zeit als CEO mehr als 80 Millionen Dollar, und Calhoun verdiente im Jahr 2022 allein 22,5 Millionen Dollar.
Boeing spielt eine große Rolle in der amerikanischen Wirtschaft und im militärisch-industriellen Komplex der USA. Boeing ist einer der größten Hersteller und Exporteure des Landes und einer der Hauptlieferanten für die riesigen Mengen an Kriegsmaterial, die von der US-Regierung gekauft werden. Niemand sollte daran zweifeln, dass diese in der Lage ist, Profite und die Interessen des amerikanischen Imperialismus mit allen Mitteln zu verteidigen, selbst wenn dies bedeutet, einen Unruhestifter zum Schweigen zu bringen.
Barnett ist nicht der erste, der ein verdächtiges Ende nimmt, kurz bevor er potenziell vernichtende Beweise gegen eine entscheidende Stellschraube im amerikanischen Staatsapparat bzw. Kapitalismus liefert.
Der Journalist Michael Hastings wurde tot aufgefunden, nachdem er zum Zeitpunkt einer Recherche über den damaligen CIA-Direktor John Brennan mit 160 km/h gegen einen Baum geprallt war. Seine letzte Geschichte, “Why Democrats Love to Spy On Americans” (“Warum die Demokraten gerne die Amerikaner ausspionieren”), wurde am 7. Juni 2013, 11 Tage vor seinem Tod, von BuzzFeed veröffentlicht.
Seth Rich war Mitarbeiter der Demokratischen Partei und mutmaßlich verantwortlich für ein Leak von 20.000 E-Mails des Democratic National Committee, in denen sich eine außergewöhnliche Korruption im Wahlkampf von Hillary Clinton zeigte. Rich wurde im Juni 2016 erschossen, als er offensichtlich Opfer eines Überfalls wurde.
Der Finanzier und Sexhändler Jeffrey Epstein wurde im August 2019 tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden. Zuvor drohten die Ermittlungen zu seinen Geschäften schmutzige Verbindungen zu hochrangigen Führungskräften und Politikern in den USA und auf der ganzen Welt aufzudecken.
In jedem einzelnen Fall wurde von den Leitmedien eine für die Bourgeoisie politisch vertretbare Geschichte verbreitet: Autounfall, missglückter Raubüberfall, Selbstmord durch Erhängen. Es gibt keine ernsthaften Ermittlungen oder Folgeuntersuchungen, weder von der Polizei noch von denjenigen, die sich selbst als „Journalisten“ bezeichnen
Es besteht kein Zweifel daran, dass Barnett noch mehr zu sagen gehabt hätte, was die Kriminalität der Boeing-Führung betrifft und was den amerikanischen Kapitalismus insgesamt noch weiter entlarvt hätte. Der zivile und militärische Luftfahrt-Riese bleibt nur deshalb im Geschäft, weil er auf allen Ebenen von Bundesbehörden geschützt wird. Strafen für tödliche Praktiken lassen sich mit einem Handschlag abwenden. Die Politik wiederum macht Gesetze, welche die Produktion von so komplexen Maschinen wie Flugzeugen im Wesentlichen ohne Aufsicht ermöglichen.
Diese Kräfte in Staat und Politik dienen wiederum den Bankern der Wall Street und den Führungskräften der Unternehmen, welche die Oligarchie in den USA und aller Welt bilden. Für sie stehen das Führen von Kriegen und das Erzielen von Gewinnen über Fragen der Sicherheit und des Schutzes von Menschenleben.