Der Klassenkampf in Frankreich und der Kampf gegen den Krieg

Dies ist die Rede, die Alex Lantier, der nationale Sekretär der Parti de l'Egalité Socialiste (PES) in Frankreich, am Samstag, den 4. Mai, auf der internationalen May Day Online-Rally 2024 gehalten hat.

Internationale May Day 2024 Online Rally (Alex Lantier)

Zu der heutigen Online–Maifeier, dem Tag der internationalen proletarischen Einheit, überbringe ich euch die brüderlichen Grüße der Parti de l'égalité socialiste aus Frankreich. Im Jahr 2024 stehen die Arbeiter Europas und der ganzen Welt vor der Aufgabe, ihre Kämpfe zusammenzuschließen, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern.

Im Februar hat der französische Präsident Emmanuel Macron auf einem europäischen Gipfel in Paris gedroht, französische Truppen in die Ukraine zu entsenden, um gegen Russland zu kämpfen. Die aggressive Rolle der imperialistischen Nato-Mächte ist offenkundig. Sie bedrohen nicht nur die russische Bevölkerung, sondern auch das internationale Proletariat mit einem nuklearen Krieg.

Macron und seine Nato-Verbündeten eskalieren rücksichtslos den Krieg und treten den Widerstand der europäischen Bevölkerung mit Füßen. Umfragen zeigen, dass 68 Prozent der Franzosen, 80 Prozent der Deutschen und 90 Prozent der Polen die Entsendung von Truppen in die Ukraine ablehnen. Gleichwohl rufen die Massenmedien in Frankreich und ganz Europa dazu auf, eine „Kriegsindustrie“ aufzubauen, um „Konflikte hoher Intensität“ wie den derzeitigen Krieg in der Ukraine zu führen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (links) und der französische Präsident Emmanuel Macron beim Handschlag nach einer Pressekonferenz im Elysée-Palast am 16. Februar 2024 [AP Photo/Thibault Camus]

Wie zu Beginn der beiden Weltkriege 1914 und 1939 befindet sich das kapitalistische System in einer tödlichen Krise. Konfrontiert mit internationalen und sozialen Konflikten, für die sie keine Lösung haben, rasen die herrschenden Klassen Hals über Kopf auf eine Katastrophe zu, und sie versuchen nicht einmal, sie zu verhindern.

2019 erklärte Macron im britischen Magazin The Economist, die Nato sei „hirntot“, weil sie in Syrien einen Krieg mit Russland riskierte. Im Jahr 2017 lud er den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu herzlichen Gesprächen in das Schloss von Versailles ein. Doch heute strebt Macron – ebenso „hirntot“ wie der Rest der Nato – danach, der führende Kriegstreiber Europas zu werden.

Die Unterstützung der Nato-Mächte für den Völkermord des zionistischen Regimes in Gaza entlarvt Macron und seine Verbündeten. Paris hat seit 2012 Waffen im Wert von mehreren hundert Millionen Euro an Israel verkauft. Im vergangenen Herbst, als israelische Truppen wehrlose Zivilisten in Gaza bombardierten, ist Macron nach Israel gereist, um Premierminister Benjamin Netanjahu zu umarmen, den er als seinen „Freund“ bezeichnete.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu (rechts) begrüßt den französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor Gesprächen in Jerusalem, 24. Oktober 2023 (AP Photo/Christophe Ena, Pool)

Indem die Nato den Massenmord an Zehntausenden von Zivilisten im Gazastreifen unterstützt, nimmt sie nicht nur das palästinensische Volk ins Visier. Ihre Ziele gehen über den Libanon, Syrien und den Iran, der ebenfalls von Israel bombardiert wird, hinaus. Die imperialistischen Mächte erklären dem Rest der Welt und insbesondere der internationalen Arbeiterklasse den Krieg.

Besonders die Bewegung der afrikanischen Arbeiter und Landbevölkerung, die den Imperialismus gezwungen hat, seine Truppen aus der Sahelzone abzuziehen, hat den Zorn von Paris erregt. Die Militärdiktaturen in Mali, Burkina Faso und Niger haben der explosiven Wut der Bevölkerung nachgegeben und den Abzug der französischen Truppen verlangt. Zum Schutz vor einer Invasion der mit Frankreich verbündeten afrikanischen Regierungen haben sie russische Truppen der Wagner-Miliz in ihre Länder eingeladen.

Das französische und europäische Kapital, dessen Investitionen noch immer das afrikanische Finanzwesen dominieren, hat nicht vor, Afrika den russischen Truppen oder chinesischen Konsumgütern zu überlassen. Wenn Macron Moskau droht, dann deshalb, weil die französischen Banken von hemmungsloser Plünderung träumen. Dabei haben sie nicht nur die natürlichen Ressourcen Russlands im Blick, sondern auch ihr ehemaliges Kolonialreich in Afrika.

Die Arbeiter können die militärische Eskalation stoppen und den Weltkrieg beenden, bevor er die Menschheit vernichtet. Gemeinsam können sie die Waffenlieferungen an Israel aufhalten, die den Völkermord in Gaza ermöglichen. Dazu müssen sie jedoch eine Bewegung aufbauen, die nicht national ist und darauf abzielt, die Präsidenten der einzelnen Länder für eine Änderung ihrer Diplomatie einzunehmen. Was sie brauchen ist eine internationale Bewegung, die die Arbeiter aller Länder gegen Krieg, Völkermord und Kapitalismus vereint.

Aus den jüngsten Erfahrungen des Klassenkampfs lassen sich wichtige politische Lehren ziehen; so auch aus der Bewegung in Frankreich im letzten Jahr gegen Macrons Rentenkürzungen.

Macron regiert offen gegen die Bevölkerung und hat Kürzungen durchgesetzt, um Dutzende von Milliarden Euro für den Militärhaushalt freizusetzen. Drei Viertel der Franzosen haben die Kürzungen abgelehnt, aber er hat sie ohne Abstimmung durch das Parlament gepeitscht. Er hat Bereitschaftspolizei ausgesandt, um Demonstrierende und Streikende – und sogar Unbeteiligte! – anzugreifen. Er bereitet den Weltkrieg nach außen vor, indem er Klassenkrieg im Innern führt.

Die Arbeiterklasse wollte kämpfen, aber Macron stützte sich auf die Gewerkschaftsbürokratie und ihre politischen Verbündeten, um die Bewegung zu unterdrücken. 60 Prozent der Franzosen haben sich für eine Blockade der Wirtschaft durch einen Generalstreik ausgesprochen, aber die Gewerkschaftsbosse haben Macron gerettet. Aus Furcht vor dem, was sie als „Wahnsinn“ bezeichnen, der dieses Land übernehmen könnte, der mit Gewalt, aber auch mit tiefem sozialem Zorn einhergeht, haben sie die Proteste abgebrochen.

Massenhafter Protest vor dem Panthéon in Paris

In Wirklichkeit entspringt der Wahnsinn der heutigen Gesellschaft nicht aus dem Zorn der Arbeiterklasse, sondern aus der Irrationalität des Kapitalismus. Indem sie die Bewegung gegen Macron im Keim erstickten, haben die Gewerkschaftsführer Macron den Weg für eine Eskalation des Krieges geebnet.

Die entscheidende Frage, die sich aus den Erfahrungen dieser Bewegung ergibt, lautet: Wer repräsentiert die trotzkistische Tendenz, das heißt, die revolutionäre Alternative zum Kapitalismus und zum Stalinismus? Es ist das Internationale Komitee der Vierten Internationale und, in Frankreich, die PES. Während der Bewegung gegen die Rentenkürzungen hat die PES zur Mobilisierung der Arbeiterklasse aufgerufen, um Macron und seinen Polizeistaat zu stürzen, als erste Etappe im Kampf für den Sozialismus.

Welche Linie haben die Nachkommen der Pablisten verfolgt, die sich 1953 mit dem Argument vom IKVI abgespaltet hatten, dass stalinistische Bürokratie den Arbeitern eine revolutionäre Führung bieten werde?

„Die Situation ist nicht revolutionär“, schrieb Révolution permanente, die Morenoistische Fraktion der pablistischen Bewegung in Frankreich. Sie rief dazu auf, ein „echtes Gegengewicht zur Macht der Bourgeoisie“, das heißt im Klartext: innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, aufzubauen.

Jean-Luc Mélenchon bei einer Rede im südfranzösischen Marseille am 10. Juni 2022 [AP Photo/Daniel Cole]

Die Neue Union populaire von Jean-Luc Mélenchon hat eine Delegation stalinistischer Parlamentarier losgeschickt, um einen Brief an den Präsidenten zu überbringen, in dem die Kürzungen kritisiert werden. Diese ohnmächtige Geste spiegelt den reaktionären politischen Pessimismus Mélenchons wider. Er hat zwar bei den Präsidentschaftswahlen 2022 acht Millionen Stimmen erhalten, aber er hat darauf verzichtet, einen revolutionären Appell an seine Wähler zu richten. Er erklärte sogar, er sei bereit, sowohl unter Macron als auch unter einer neofaschistischen Präsidentin als Premierminister zu dienen.

Was ist die strategische Alternative zu diesen politisch korrupten Kräften, die die Arbeiterklasse dem Kapitalismus und dem Krieg unterordnen? Ein Jahr vor dem Ausbruch des französischen Generalstreiks von 1936 schrieb Trotzki folgende Zeilen gegen die Stalinisten, die behaupteten, die Situation sei nicht revolutionär:

Die Situation ist so revolutionär, wie sie bei einer nicht-revolutionären Politik  der Arbeiterparteien nur sein kann. Genauer: die Situation ist vorrevolutionär. Um diese Situation zur Reife zu bringen, ist sofortige, kühne und unermüdliche Mobilisierung der Massen unter der Losung der Machteroberung im Namen des Sozialismus notwendig. ...

Die rituelle Phrase von der „nichtrevolutionären Situation“ dient heute einzig und allein dazu, die Arbeiter zu verdummen, ihre Willenskraft zu brechen und dem Klassenfeind die Hände zu lösen. [L. Trotzki, Wohin geht Frankreich? Essen 2023, S. 62]

Diese Analyse beleuchtet auch heute, 90 Jahre später, die objektiv revolutionäre Situation. Dies ist der richtige Weg, um Arbeiter international gegen Völkermord und Krieg zu mobilisieren.

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