Letzte Woche kam es in der georgischen Hauptstadt Tiflis erneut zu Protesten gegen die endgültige Verabschiedung eines Gesetzes über „ausländische Agenten“. Der Gesetzentwurf, der vorsieht, dass sich Organisationen, die mehr als ein Fünftel ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, als Vertreter der Interessen einer ausländischen Macht registrieren müssen, wurde am letzten Dienstag in letzter Lesung in einer Parlamentssitzung unter strengen Sicherheitsvorkehrungen verabschiedet. Präsidentin Salome Surabischwili wird zwar ihr Veto einlegen, doch die Befürworter des Gesetzes haben genug Stimmen, um die Entscheidung der Präsidentin zu kippen.
Gegner des Gesetzes behaupten, es trage die Handschrift des Kreml. Die russische Regierung hatte vor einigen Jahren ähnliche Maßnahmen eingeführt, und die Regierungspartei „Georgischer Traum“ gilt als Moskau-nah. Demonstranten hielten Plakate mit Aufschriften wie „Fuck Putin“, „Sklaven“ oder „Russen“ in die Höhe. Die USA und die EU kritisierten die Regierung scharf dafür, dass sie sich an die Seite Russlands gestellt habe.
Laut westlichen Presseberichten beteiligten sich letzte Woche „Zehntausende“ an den Massenversammlungen. Auf Videos ist zu sehen, wie Bereitschaftspolizei mit Knüppeln, Schilden und Tränengas gegen Menschenmengen vorgeht und Personen gewaltsam wegschleppt. Mehrere Dutzend Menschen wurden verhaftet, darunter zwei US-Staatsbürger und ein russischer Staatsbürger. Die Demonstranten blockierten wichtige Kreuzungen und errichteten Protestcamps im Stadtzentrum. Studierende zahlreicher Universitäten organisierten am 14. Mai einen eintägigen Streik.
Am gleichen Tag versuchten Demonstranten Absperrungen zu durchbrechen und in das Parlamentsgebäude vorzudringen, wo es zu Handgreiflichkeiten zwischen mehr als einem Dutzend Abgeordneter gekommen war. Die Demonstranten beabsichtigten, in die Auseinandersetzung einzugreifen, um die Abstimmung über das Gesetz aufzuhalten oder umzukehren.
Die Ereignisse in dem kleinen, aber geostrategisch bedeutenden Land im Südkaukasus weisen die Merkmale einer beginnenden „Farbrevolution“ auf. Im Laufe der 2000er-Jahre unterstützten die USA und die Nato in Ländern der früheren sowjetischen Einflusssphäre mehrfach Protestbewegungen, die angeblich für „Demokratie“ demonstrierten. Die Bewegungen führten wiederholt zum Sturz von Regierungen, die als Russland-Verbündete galten. Diese Operationen trugen verschiedene Farben als Kennzeichen, in Georgien sprach man 2003 von einer „Rosenrevolution“.
Die „Farbrevolutionen“ stützten sich allesamt auf privilegierte Schichten des Kleinbürgertums und brachten offen Nato-freundliche Fraktionen der Oligarchie an die Macht, die daraufhin verheerende Marktreformen einführten und jeden Widerstand unterdrückten. Der Präsident der georgischen „Rosenrevolution“, Michail Saakaschwili, musste letzten Endes in die Ukraine fliehen, um Anklagen wegen Korruption und brutaler Misshandlung von Gefangenen zu entkommen. Dort wurde er von der rechtsextremen Kiewer Regierung beschützt, die durch ähnliche Ereignisse an die Macht gekommen war.
Die bereits seit Wochen andauernden Proteste in Tiflis finden im Vorfeld der Parlamentswahlen im Oktober statt. Die NGOs, Oppositionsparteien und Aktivisten der „Zivilgesellschaft“, die die Demonstrationen organisieren, wollen die Partei Georgischer Traum zum Rückzug und einer unterwürfigen Haltung gegenüber den USA zwingen – oder, falls das nicht funktioniert, sie von der Macht vertreiben. Die ehemalige georgische EU-Botschafterin, Natalie Sabanadse, erklärte gegenüber CNN: „Wenn diese Regierung dieses Gesetz nicht sofort zurückzieht, solange sie noch die Chance dazu hat, wird sie es bei der Wahl schwer haben. Momentan ist es eine Spirale.“
Die USA und die EU haben heftig auf die Verabschiedung des Gesetzes über ausländische Agenten reagiert, da es einen Großteil des Netzwerks der „zivilgesellschaftlichen“ und „pro-demokratischen“ und „Menschenrechts“-Organisationen in Georgien als von den USA und der EU finanzierte Frontorganisationen entlarven könnte.
Der stellvertretende US-Außenminister Jim O’Brien warnte am Dienstag, das Land habe jetzt einen „Wendepunkt“ erreicht, und deutete an, es werde nicht mehr als Verbündeter der USA betrachtet. Er gab faktisch zu, dass die USA Milliarden Dollar ausgegeben haben, um sich in Georgien einzumischen, und erklärte, Washington bereite sich darauf vor, die Gelder für die derzeitige Regierung zu stoppen, die „jetzt als Gegner und nicht mehr als Partner angesehen“ werde.
Die EU, der Georgien beitreten wollte, deutete an, sie werde den Aufnahmeprozess des südkaukasischen Landes unterbrechen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und der Kommissar für Erweiterung Olivér Várhelyi erklärten, das Gesetz stehe „nicht im Einklang mit den Kernnormen und -werten der EU“.
Die Bevölkerung Georgiens werde „so lange gegen dieses Gesetz protestieren, wie es nötig ist“, kündigte die britische Europaministerin Nusrat Ghani an, als hätte sie das zu bestimmen. Außerdem warnte sie drohend, das Gesetz gegen ausländische Agenten sei eine „existenzielle Bedrohung“ für das Überleben Georgiens.
Die Außenminister von Lettland, Litauen, Estland und Island – Länder, die nichts tun, was ihnen Washington und Brüssel nicht vorher befohlen haben – verstießen in außergewöhnlicher Weise gegen das diplomatische Protokoll. Sie reisten am Mittwoch nach Tiflis und nahmen an den Demonstrationen teil. Der estnische Außenminister Margus Tsahkna prahlte mit seiner Anwesenheit und veröffentlichte auf seinem X-Account Videos, die ihn inmitten der Demonstranten zeigen. Dies ist etwa so, als würde der belarussische Außenminister Sergei Aleinik bei regierungsfeindlichen Demonstrationen in Washington auftauchen und Selfies machen.
Die Regierungspartei Georgischer Traum, die jahrelang versucht hat, sich Washington und Brüssel anzubiedern und gleichzeitig ihre Beziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten, sitzt in der Falle. Premierminister Irakli Kobachidse, der erklärt hatte, die Nato-Erweiterung habe den Krieg in der Ukraine provoziert, bezeichnet das westliche Bündnis als „globale Kriegspartei“. Damit bringt er Befürchtungen vor weiteren Entwicklungen zum Ausdruck, die sowohl innerhalb der herrschenden Elite Georgiens, als auch in großen Teilen der Bevölkerung verbreitet sind.
Doch wie die letzten zehn Jahre, in denen sich Georgien immer weiter an die EU und das Weiße Haus angenähert hat, deutlich gemacht haben, würde sich die Regierungspartei Georgischer Traum jederzeit mit den USA und ihren Verbündeten arrangieren, wenn sie könnte. Und die USA versuchen weiterhin, ihre Kontrolle über die „pro-russischen“ Kräfte im Süden des Kaukasus zu etablieren. Der stellvertretende Außenminister O’Brien, der letzte Woche in Tiflis eintraf, verfolgte das Ziel, sich mit dem milliardenschweren Geldgeber der Partei, Bidsina Iwanischwili, zu treffen. Berichten zufolge wurde er aber bisher abgewiesen.
Die Regierungspartei hat lange Zeit versucht, einen Mittelweg zwischen den USA und Russland zu finden. Doch der eskalierende Konflikt zwischen der Nato und Russland in der Ukraine sowie die Vorbereitungen auf einen direkten Konflikt mit dem Iran im Nahen Osten haben die Grundlage für einen solchen Balanceakt vollständig untergraben.
Im Herbst letzten Jahres berichteten die Sicherheitsdienste des Landes, sie hätten eine vom Westen finanzierte Verschwörung zum Sturz der Regierung aufgedeckt. Das Gesetz über „ausländische Agenten“ hat sich aus diesem Zusammenhang entwickelt. Es richtet sich unmittelbar gegen Organisationen und Kräfte aus dem Umfeld der USA und der Nato, da Teile der georgischen Elite fürchten, dass diese sie loswerden wollten.
Das macht das Gesetz jedoch nicht weniger reaktionär. Ähnliche Maßnahmen wurden bereits gegen Sozialisten und andere Gruppen ergriffen, die als zu links gelten. In der Ukraine sitzt derzeit der Trotzkist Bogdan Syrotjuk – ein Kämpfer gegen den Imperialismus sowie russischen und ukrainischen Nationalismus – wegen konstruierter Vorwürfe, er sei ein „ausländischer Agent“ des Kreml, im Gefängnis.
Allerdings verfügen die Protesten in Georgien über keinerlei progressiven Inhalt. Die Parolen auf der Demonstration – für „Freiheit“, „Demokratie“, eine „europäische Zukunft“ und gegen „russische Sklaven“ – laufen auf die Forderung hinaus, dass sich Georgien vollständig in eine Marionette der amerikanischen und europäischen herrschenden Klassen verwandeln und zu einem weiteren Aufmarschgebiet für einen Krieg gegen Russland werden solle.
Dies kann nur in einer Katastrophe enden. Welche Zukunft Georgien im Falle einer weiteren, von den imperialistischen Mächten unterstützten „Revolution“ erwartet, sieht man in der Ukraine, wo eine rechtsextreme, von der CIA gesteuerte Regierung die Bevölkerung im Stellvertreterkrieg des Westens gegen Russland in ein Blutbad gestürzt hat. Jeder Widerstand gegen die Regierung wird gewaltsam unterdrückt. Faschistische Hagiografie ist zur Ideologie des ukrainischen Staates geworden.
Die Interessen der USA und ihrer Nato-Verbündeten in Georgien haben nichts mit Demokratie zu tun; ihnen geht es einzig und allein um die Durchsetzung ihrer strategischen und wirtschaftlichen Interessen in einer imperialistischen Neuaufteilung der Welt. Die westlichen Militärs und Geheimdienste haben seit Jahrzehnten Beziehungen mit dem Land aufgebaut. Im Jahr 2015 wurde dort ein Gemeinsames Zentrum der Nato für Ausbildung und Auswertung eingerichtet. Im Jahr 2018 richtete die US Army das Georgian Defense Readiness Programm ein. Die amerikanische Militärführung hat wiederholt betont, wie bedeutend das Land für ihre Kriegsziele ist.
Die Region ist zudem nützlich, um Russlands Kontrolle über wichtige Handels- und Energierouten zu umgehen. Die westlichen Mächte waren maßgeblich an der Finanzierung mehrerer wichtiger Projekte beteiligt – dem Bau eines Tiefwasserhafens in Anaklia am Schwarzen Meer, dem Bau einer Stromtrasse von Georgien in die EU, die Strom aus erneuerbaren Energien auf den europäischen Markt liefern würde, und die Verlegung von Glasfaserleitungen, die Asien und Europa verbindet und dabei Russland umgeht.
Der soziale und politische Charakter der Demonstrationen in Tiflis zeigt sich auch in der Abwesenheit von Parolen, in denen es um Armut, Ungleichheit, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitshetze, Inflation oder anderen Probleme geht, mit denen die große Mehrheit der Arbeiterklasse konfrontiert ist. Diese Themen werden nicht angesprochen, weil sie für die Demonstranten nicht als wichtig gelten.
Die anti-russische Stimmung der Demonstranten hängt auch mit dem Unmut des Kleinbürgertums darüber zusammen, dass reiche Russen nach Beginn des Ukraine-Kriegs in großer Zahl in das Land zogen. In den letzten zwei Jahren sind Zehntausende in das südliche Nachbarland ausgewandert und haben die Preise für Immobilien und Luxusgüter in die Höhe getrieben. Diese Personen, die in ein Land mit nur 3,7 Millionen Einwohnern hinzukommen, besitzen Vermögen; sie waren nur deshalb in der Lage auszuwandern, weil sie für ausländische Firmen arbeiteten, über umfangreiche Ersparnisse auf ausländischen Konten verfügten oder die notwendigen Beziehungen hatten, um sich in einem neuen Land bequem niederzulassen. Mit anderen Worten, sie haben bereits erreicht, was das georgische Kleinbürgertum in einem Land mit einem der niedrigsten Bruttonationaleinkommen Europas entweder erreichen will oder mehr davon haben will.
Während wirtschaftliche und soziale Forderungen bei den Demonstrationen fehlen, gibt es umso mehr militaristischen Patriotismus. So berichtete Radio Freies Europa am 10. Mai: „Bei den Demonstrationen sind georgische Flaggen allgegenwärtig.“ Der von den USA finanzierte Nachrichtensender hob die politische Haltung des Jurastudenten Swiad Tsetschladse hervor, der „bei der Initiierung der Studentenproteste mitgearbeitet“ habe und „einer der Anführer einer Jugendgruppe namens Dafioni (,Sonnenuntergang‘) ist, die während dieser Proteste Bekanntheit erlangte“.
Das Presseorgan berichtete: „Die Gruppe erregte bei einer früheren Protestveranstaltung Aufsehen, weil Mitglieder einen Eid ablegten, ,die Souveränität des georgischen Staats zu verteidigen‘ … Auf Tsetschladses Facebook-Profilbild trägt er militärische Tarnkleidung mit einer Sturmhaube“ Weiter erklärt er: „Ich liebe militärische Sachen“. Er beschreibt seine Kommilitonen als Anhänger pro-westlicher und „libertärer“ Parteien.
Und trotz der weltweiten Massendemonstrationen gegen die Brutalität des zionistischen Staats und seiner Hintermänner auf beiden Seiten des Atlantiks haben die Demonstranten in Tiflis nichts zu den Massenverhaftungen und Misshandlungen pro-palästinensischer Demonstranten geschweige denn über das Abschlachten eines ganzen Volks in Gaza zu sagen.
Stattdessen rufen die Demonstranten in Tiflis die abgedroschenen Phrasen über „Demokratie“, fordern einen „europäischen Weg“ und feiern damit diejenigen, die für den Völkermord direkt verantwortlich sind. Diese Positionen stehen eigentlich nicht im Widerspruch zueinander. Die Bestrebungen, in Georgien ein gefügiges, Nato-freundliches Regime zu installieren, sind eine notwendige Komponente des neuen imperialistischen Weltkriegs, der die Ukraine und Palästina bereits in Schlachtfelder verwandelt hat.
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