Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur sogenannten Krankenhausreform beschlossen. Damit wird eine flächendeckende Schließung von Kliniken eingeleitet, die die gesundheitliche Versorgung breiter Schichten massiv verschlechtert.
Die Reform soll ab dem 1. Januar 2025 wirksam werden. Lauterbach selbst spricht von der „größten Krankenhausreform seit 20 Jahren“. Tatsächlich hat das Gesundheitssystem in Deutschland in den letzten 20 Jahren durch Sparmaßnahmen und Privatisierung extrem gelitten. Die jetzt beschlossene Reform treibt diesen Prozess auf die Spitze und richtet das Gesundheitswesen allein an den Erfordernissen der Haushaltslage und den Interessen großer Konzerne aus.
Nicht zufällig hat der Gesundheitsminister kürzlich eine „Zeitenwende im Gesundheitswesen“ verkündet. Sie bedeutet, dass die Gesundheitsausgaben zugunsten der militärischen Aufrüstung immer weiter zusammengestrichen werden und das Gesundheitssystem „kriegstüchtig“ gemacht wird.
Bewusst fehlen bislang zahlreiche konkrete Details in dem Reformpapier. Laut Lauterbach soll das gesamte Vorhaben schrittweise über die nächsten zehn Jahre umgesetzt werden. Damit wird sichergestellt, dass es immer weiter verschärft werden kann.
Der Gesetzentwurf versucht dies im Wesentlichen mit einer geänderten Finanzierung und mit der Spezialisierung der bundesweit noch rund 1700 Krankenhäuser zu erreichen. Vorgesehen sind dafür Vorhaltepauschalen und Leistungsgruppen.
Die Vorhaltepauschalen ergänzen die weiterhin geltenden Fallpauschalen. Zukünftig erfolgt die Finanzierung der Krankenhäuser bis zu 60 Prozent über Vorhaltepauschalen, deren Höhe sich an der Ausstattung des Krankenhauses bemisst. Zu diesem Zweck sind 65 Leistungsgruppen (wie beispielsweise Kardiologie, Onkologie) definiert worden. Behandlungen können nur noch abgerechnet werden, wenn der Klinik die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde und sie über die vorgeschriebene, meist sehr teure Ausstattung und das entsprechend qualifizierte Personal verfügt.
Die Fallpauschalen werden dabei nicht abgeschafft, wie Lauterbach in der Vergangenheit mehrfach angekündigt hatte, sondern lediglich durch die Vorhaltefinanzierung ergänzt. Der Kostendruck für die Kliniken bleibt unvermindert vorhanden, da die Fallpauschalen weiterhin bestehen und darüber hinaus die Voraussetzungen für die Vorhaltefinanzierung erfüllt werden müssen.
Hinzu kommt, dass das Vorhaltebudget aus den Fallzahlen der Vorjahre berechnet wird und es eine Art Korridor geben soll, in dessen Rahmen das Vorhaltebudget selbst bei steigenden Fallzahlen nicht angepasst wird.
Dadurch wird klar, dass es in keiner Weise zu einer „Entökonomisierung“ kommen wird, wie sie offiziell als Ziel der Reform genannt wurde. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, hat ausdrücklich bestätigt, dass die Reform keine Entlastung von ökonomischem Druck bedeutet. Eine Reform, die bewusst die Zahl der Kliniken reduzieren wolle, habe komplexe Folgen für die Patientenversorgung, warnte Johna.
Das Krankenhaus-Transparenzgesetz mit dem Online-Klinikatlas ist ebenfalls Teil der Krankenhausreform. Der Atlas ist inzwischen veröffentlicht worden. Patienten sollen dort ablesen können, welche Kliniken wie oft welche Eingriffe vornehmen und wie viel Personal vor Ort ist. Für ausgewählte Eingriffe sollen in Zukunft auch Komplikationsraten veröffentlicht werden. Außerdem sollen gezielte Vergleiche zwischen Kliniken und Behandlungen möglich sein.
An diesem Klinikatlas gibt es zahlreiche berechtigte Kritik. Zum einen werden dort keine relevanten Daten veröffentlicht, die nicht bereits jetzt zugänglich wären. Im Deutschen Krankenhausverzeichnis werden bereits seit langem alle wichtigen Informationen dargestellt. Patientenverbände kritisieren den Atlas auch als „ungeeignet“, um sich als Patient ein Bild von der Versorgungsqualität zu machen.
Doch dies ist auch nicht das Ziel, das die Regierung damit verfolgt. Während es oberflächlich um eine öffentliche Aufstellung über Leistungsangebote, Fallzahlen und die personelle Ausstattung der Kliniken geht, schafft der Klinikatlas tatsächlich die Grundlage für die Neueinteilung der Häuser nach „Leistungsgruppen“ und „Levels“. Damit werden vermutlich mehr als 300 Kliniken zu ambulanten Zentren abgestuft und verlieren damit ihren Status.
Bereits vor dem Beschluss des Kabinetts gab es von vielen Seiten Kritik an der Reform. Vor allem weil die Finanzierung der Reform fast vollständig unklar ist und es hier erhebliche Differenzen zwischen Bund, Ländern, Kommunen und den gesetzlichen Krankenkassen gibt, auf die ein Großteil der Kosten abgewälzt werden soll.
Der Vizechef des AOK-Bundesverbands, Jens Martin Hoyer, erklärte, die Reform werde die Beitragszahler „sehr teuer“ zu stehen kommen und zu höheren Beitragssätzen führen, sollte es zu keiner Änderung kommen. Auch der Vorstandschef der BARMER, Professor Christoph Straub, prophezeite, dass allein durch die Regelungen zum Transformationsfonds bis zu 25 Milliarden Euro aus Beitragsgeldern aufgebracht werden müssten.
Einigkeit besteht im Wesentlichen in der Annahme, dass mit der Reform insbesondere in ländlichen Regionen zahlreiche Krankenhäuser geschlossen werden und bestimmte Leistungen nicht mehr angeboten werden. Alleine in diesem Jahr wurden in Deutschland 30 Krankenhäuser geschlossen oder stehen kurz vor der Schließung.
Nach einer Erhebung des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) erwarteten 78 Prozent der Kliniken für 2023 ein Minus in der Bilanz. Die Befragung zeigt auch, dass große Krankenhäuser mit mehr als 600 Betten ihre aktuelle wirtschaftliche Situation besonders schlecht einschätzen. Für 2024 erwarten drei von vier Kliniken dieser Größe, dass sich die Lage eher verschlechtert.
Diese Situation führt dazu, dass Kliniken immer weiter den Rotstift ansetzen. Dies betrifft nicht mehr nur die Sach- und Energiekosten, sondern immer stärker auch die Personalkosten. In Berlin haben die landeseigenen Kliniken von Vivantes das Geschäftsjahr 2023 mit einem Defizit von 131 Millionen Euro abgeschlossen und drohen der Belegschaft bereits mit drastischen Sparmaßnahmen.
Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen von Lauterbach, die Regierung ziehe mit der Reform die Notbremse, der blanke Zynismus. „Ohne die Strukturen der stationären Versorgung zu ändern, drohen Klinik-Insolvenzen, schlechte Behandlung und weite Wege,“ so der Gesundheitsminister.
Trotz Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen befürworten sämtliche Parteien den Kahlschlag im Gesundheitswesen zu Lasten von Patienten und Beschäftigten. Auch die Linke steht – trotz teilweise öffentlich zur Schau getragener Kritik – grundsätzlich hinter der Reform der Ampel-Regierung. Die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard lobte die Reform und begrüßte, dass Lauterbach „unerschrocken voranschreitet“.
Die Gewerkschaft Verdi stellt sich ebenso ausdrücklich hinter die Reform der Ampel-Regierung. Zwar müsste bei der Finanzierung „nachgebessert werden“, erklärte Verdi-Gesundheitsexpertin Grit Genster, aber grundsätzlich erklärte Verdi bereits bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers ihre Unterstützung. Verdi spielte bereits in den letzten Jahren eine zentrale Rolle dabei, die weitverbreitete Wut der Beschäftigten im Gesundheitswesen zu unterdrücken und die wachsende Zahl von Streiks und Protesten ins Leere laufen zu lassen.