Am Samstag fand in London eine landesweite Demonstration gegen den Völkermord in Gaza statt, an der etwa 175.000 Menschen teilnahmen. Es war die erste solche Demonstration, seitdem Rishi Sunak vorgezogene Neuwahlen für den 4. Juli ausgerufen hatte.
Seit Beginn des israelischen Vernichtungskriegs gegen die Palästinenser im Oktober letzten Jahres haben sich mehr als vier Millionen Menschen an Demonstrationen in London beteiligt. Der jüngste Massenprotest, an dem auch viele junge Menschen teilnahmen, verdeutlicht den anhaltenden und weit verbreiteten Widerstand gegen das Massaker und die Unterstützung, die ihm sowohl die konservative Regierung als auch die oppositionelle Labour Party gewährt.
Doch die Stop the War Coalition und die Palestine Solidarity Campaign führen diesen entschlossenen Widerstand von Arbeitern und Jugendlichen in eine Sackgasse. Sie behaupten, der Völkermord ließe sich nur beenden, wenn Druck auf die Tories, vor allem aber auf die Labour Party des führenden Völkermord-Apologeten, Sir Keir Starmer, ausgeübt werde.
Die Anführer der Demonstrationen tun alles, um ein tieferes Verständnis des Kriegs gegen die Palästinenser zu verhindern. Sie verschweigen, dass die gleichen Mächte, die Israel uneingeschränkt unterstützen, auch die Ukraine im Krieg gegen Russland unterstützen. Kein Versuch wird unternommen, den Zusammenhang zwischen dem Völkermord in Gaza und dem von der Nato unterstützten Krieg gegen Russland in der Ukraine aufzuzeigen. Dabei hat dieser Krieg in den letzten zwei Jahren zum Tod von Hunderttausenden von ukrainischen und russischen Soldaten und Zivilisten geführt. Auch am Samstag kamen den Rednern weder die Worte „Ukraine“, noch „Russland“ oder „die Nato“ über die Lippen.
Lindsey German, Sprecherin der Stop the War Coalition, wurde der Kundgebung als „Anführerin der britischen Antikriegsbewegung“ vorgestellt. Sie legte die bankrotte Politik ihrer Organisation dar,
German erklärte, man müsse alles tun, um Rishi Sunak und seine Tories davon zu überzeugen, dass es nie zu spät sei, den politischen Kurs zu korrigieren, auch nicht mitten in einem einmonatigen Wahlkampf:
Wir haben hier in Großbritannien einen Kampf, um unsere Regierung davon abzubringen, Israel zu unterstützen. Wir haben einen Kampf, um sie daran zu hindern, Israel weiter zu bewaffnen. Wir haben einen Kampf, sie dazu zu bringen, die Meinung der Mehrheit anzuerkennen, denn nur acht Prozent der Bevölkerung in diesem Land sind mit dem, was Israel tut, einverstanden.
Wir befinden uns mitten in einer Wahlkampfzeit. In dieser Wahl muss die Parole lauten: ,Kein Waffenstillstand, keine Stimme.‘ Wenn Rishi Sunak und Keir Starmer glauben, sie könnten einen Völkermord unterstützen und trotzdem die Stimmen der einfachen arbeitenden Menschen bekommen, dann irren sie sich gewaltig.
Ich will die Tories so dringend loswerden wie jeder andere auch, aber wir werden Labour keinen Blankoscheck ausstellen (...) Deshalb führen wir diesen Wahlkampf, wir unterstützen eine ganze Reihe von Kandidaten [die für einen Waffenstillstand sind] und heute mit uns demonstrieren. Wir unterstützen Jeremy Corbyn in Islington North, der heute mit uns demonstriert hat.
Corbyn wurde von Starmer vor mehr als vier Jahren aus der Labour-Parlamentsfraktion ausgeschlossen, so dass er gezwungen war, zum ersten Mal seit 1983 als Unabhängiger für seinen Sitz im Raum London zu kandidieren. Seit fast acht Monaten hat er regelmäßig von der Tribüne der nationalen Demonstrationen in London gesprochen, es aber immer sorgfältig vermieden, Starmers Namen zu erwähnen.
Nachdem er angekündigt hatte, seinen Sitz als Parteiloser zu verteidigen, wurde er ganz aus der Labour Party ausgeschlossen. Doch am Samstag hielt sich Corbyn von der Tribüne fern, obwohl er Starmer ohne Konsequenzen hätte kritisieren können.
In seinen fünf Jahren als Parteivorsitzender kapitulierte er ständig vor dem rechten Blair-Flügel und überließ zuletzt Starmer die Partei. Seine politische Loyalität gegenüber der Labour- und Gewerkschaftsbürokratie schloss jeden Angriff auf Starmer und die Labour Party aus, selbst als parteiloser Kandidat. Daher konzentrierte er seine Wahlkampagne ganz auf lokale Themen in Islington North und maß Gaza keine Bedeutung bei, außer in Form von alibihaften Verweisen auf den Kampf für „Frieden und Gerechtigkeit“.
Keiner der wenigen Labour-Abgeordneten, die sich bei früheren Londoner Kundgebungen gegen den Völkermord geäußert hatten, darunter Zarah Sultana, Apsana Begum oder Bell Ribeiro-Addy, ließen sich auf der Bühne blicken. Die führenden Köpfe der Socialist Campaign Group, die Labour-Abgeordnete sind, haben seit Monaten auf keiner Kundgebung gegen den Völkermord mehr gesprochen. Ihr Vorsitzender Richard Burgon, Corbyns ehemaliger Schattenfinanzminister John McDonnell und seine ehemalige Schatteninnenministerin Diane Abbott sind schon länger abgetaucht. Sie alle sind damit beschäftigt, Wahlkampf für eine Labour-Regierung zu machen, die Israel und den Nato-Krieg gegen Russland sowie alle weiteren Forderungen der herrschenden Elite weiterhin unterstützen wird.
Ismail Patel erklärte im Namen der Freunde der Al-Aqsa, eines weiteren Mitorganisators: „Wenn wir den Völkermord beenden wollen, ist es unsere moralische und ethische Pflicht, Palästina bei den nächsten Parlamentswahlen Priorität einzuräumen. Wir müssen sicherstellen, dass die Macht nicht an die Kriegstreiber übergeben wird.“ Aber in der Praxis bedeutet das nur, sich für „neue Abgeordnete [einzusetzen], die ein Ende des Völkermords und ein freies Palästina unterstützen. (...) Also müssen wir uns engagieren und hart für das nächste Parlament arbeiten, und eine Stimme des Volkes sein, bevor die Konzerne und Lobbyisten die Macht übernehmen und den Völkermord fortsetzen.“
Zum Abschluss der Kundgebung erklärte Ben Jamal, die Palestine Solidarity Campaign bereite „ein Instrument vor, mit dem jeder einzelne von euch jedem Kandidaten bei den Parlamentswahlen sechs eindeutige Forderungen schicken kann. Wir werden ihre Antworten veröffentlichen.“
Die Gewerkschaften rühren keinen Finger, um ihre rund sechs Millionen Mitglieder zur Unterstützung von Gaza zu mobilisieren. Dave Ward von der Communication Workers Union betrat die Tribüne und schlug in seiner Rede höflich vor, die Gewerkschaftsführer sollten sich mehr Mühe geben! „Heute möchte ich, dass wir Teil des Aufbaus des Trade Union Bloc werden, der zu diesen Kundgebungen kommt. Dazu verpflichten wir uns. Wir werden mehr tun, wir können mehr tun, und der Trade Union Bloc ist bereit.“ Der Trade Union Bloc besteht aus ein paar Dutzend lokaler Gewerkschaftsfunktionäre besteht, vorwiegend aus Ortsvereinen mit pseudolinken Mitgliedern in der Führung.
Die zentrale Botschaft von Wards Rede war, allen mitzuteilen, dass Starmer (der sich als „bedingungsloser Zionist“ bezeichnet) als potenzieller Freund der Arbeiterklasse in der Regierung unter Druck gesetzt werden könne, damit er Israels völkermörderische Politik nicht mehr unterstütze.
Wir wissen, dass diese Regierung nichts von dem unterstützt, wofür wir stehen, aber es gibt eine Labour Party, die gewählt werden wird. Und die Labour Party muss es wagen, zu sagen (...) in dieser Wahl, dass sie an einen unabhängigen freien Staat Palästina als Teil einer Zweistaatenlösung glaubt.
Die CWU und Ward haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, die verhasste Tory-Regierung an der Macht zu halten, indem sie einen landesweiten Streik der Postbeschäftigten im Rahmen der Streikwelle von 2022–2023 mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern ausverkauft haben. Die CWU ist eine der elf Gewerkschaften aus dem Umfeld der Labour Party. Sie lässt Starmer beträchtliche Spenden zukommen und hat gerade kürzlich das Wahlprogramm der Partei unterzeichnet, in dem sich Labour für Krieg und das Großkapital ausspricht, und das diese Woche veröffentlicht werden soll.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die WSWS sprach mit einigen Teilnehmern der Kundgebung.