Der Imperialismus blickt auf eine lange Geschichte der Zerstörung und des Raubs von Kulturgut zurück, die eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung genozidaler Absichten zu imperialistischen Zwecken spielten.
Man denke beispielsweise an die deutsche Kolonialzeit, bei der bis heute ungeklärt ist, wie viele Objekte – zu großen Teilen durch deutsches Militär – nach Europa gelangten. So befinden sich allein aus dem heutigen Staatsgebiet Kameruns über 40.000 Kunstobjekte in deutschen Museen – mehr als sonst irgendwo auf der Welt, eingeschlossen Kameruns Hauptstadt Yaoundé, wo es rund 6000 Objekte sind. Oder an die Bücherverbrennungen der Nazis 1933, die gezielt Literatur vernichteten, welche der nationalsozialistischen Ideologie zuwiderlief.
Auch die Geschichte der Besatzung Palästinas durch den zionistischen Staat Israel ist unter anderem von der gezielten Auslöschung kulturellen Wissens geprägt. Beispielsweise in Form von Bücherplünderungen während der Nakba 1948 oder in den 1970er und 1980er Jahren, als israelische Archäologen unter dem Schutz der Armee eine Ausgrabungsstätte in Deier el-Balah im Zentrum des Gaza-Streifens plünderten. Über 3000 Jahre alte kanaanäische Stücke wurden anschließend nach Israel verbracht und werden bis heute im „Israel Museum“ in Jerusalem ausgestellt und damit der zionistischen Agenda eines jüdischen Nationalstaates dienlich gemacht.
Laut der israelischen NGO Emek Shaveh wurden seit dem 7. Oktober 2023 mindestens 60 Prozent aller kulturell bedeutsamen Orte Gazas zerstört oder schwer beschädigt – mithilfe US-amerikanischer und deutscher Waffen. Darunter religiöse Orte, Denkmäler, Museen und archäologische Ausgrabungsstätten. Hinzu kommen zahlreiche Bildungseinrichtungen, Archive, Bibliotheken und Orte für zeitgenössische Kunst.
Die Gruppe Librarians and Archivists with Palestine hebt in ihrem Bericht über israelischen Schaden an Archiven, Bibliotheken und Museen in Gaza hervor, dass aufgrund des anhaltenden, brutalen Bombardements des Gaza-Streifens bei Auflistungen vernichteten Kulturgutes von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
So wurde Ende November das Gaza-City Archiv durch israelischen Beschuss komplett zerstört – und damit tausende von über 150 Jahre alten Dokumenten, welche unter anderem historisch bedeutsame Bauten in Gaza-Stadt dokumentieren. Am 25 November 2023 wurde die Tamari Sabbagh Library zerstört. Neben hunderten Palästinensern, welche in dem Bibliotheksgebäude Schutz gesucht hatten, fielen dem israelischen Bombardement auch zehntausende Bücher zum Opfer. Ebenfalls Ende November machten israelische Luftschläge die Stadtbibliothek Gazas dem Erdboden gleich.
Gaza ist reich an archäologischen Ausgrabungsstätten, die wichtige Quellen für historisches Wissen über die Region und globale Zusammenhänge darstellen. Die ältesten Orte reichen bis in die Antike zurück. Laut dem palästinensischen Archäologen Fadel al-Otol bleibt beispielsweise von der griechischen Stadt Anthedon, etwa zwei Kilometer nördlich des Port of Gaza, nichts weiter zurück als ein Loch in der Erde. Sie ist nur eine von mindestens 200 durch israelische Luftschläge komplett zerstörten Ausgrabungsstätten.
Auch Gazas älteste Moschee, die Omari Moschee aus dem siebten Jahrhundert, wurde am 8. Dezember 2023 nahezu vollständig zerstört und mit ihr eine Sammlung von Manuskripten aus dem 14. Jahrhundert. Bei einem israelischen Schlag auf die St. Porphyrius-Kirche aus dem frühen 5. Jahrhundert kamen mindestens 16 Menschen ums Leben und viele weitere, die in dem Gebäude Schutz gesucht hatten, wurden verletzt.
Mit dem Shababeek Centre for Contemporary Art wurde im April im Zuge der israelischen Offensive auf das Al-Shifa Krankenhaus das letzte Zentrum für zeitgenössische Kunst im Gaza-Streifen dem Erdboden gleichgemacht, mit ihm über 20.000 Werke größtenteils palästinensischer zeitgenössischer Künstler, für die das Zentrum einer der wichtigsten Anlaufpunkte und Ausstellungsorte der Region war.
Teil des Zentrums waren auch immer kunsttherapeutische Programme zum psychischen Umgang mit Krieg und Besatzung. Einer der Mitbegründer des Zentrums, der Künstler Basel El Maquousi, lebt zurzeit in einem Zelt in Rafah, wo er künstlerische Workshops für Frauen und Kinder gibt.
Am 18. Januar sprengte das israelische Militär gezielt die Al-Israa Universität und das Nationalmuseum, welches über 3000 archäologische Artefakte beherbergte. Eli Eskozido, Direktor der Israeli Antiquities Authority, postete im Januar auf Instagram nach einem Video der Plünderung archäologischer Stücke durch die israelische Armee ein Foto eines Teils ebenjener geplünderten Gegenstände, die anschließend in der Knesset ausgestellt wurden.
Dies stellt eine tiefe Demütigung der palästinensischen Bevölkerung dar und erinnert an eine koloniale Praxis, in der entwendete Kunstgegenstände als Trophäen stolz in Regierungsgebäuden, Nationalmuseen und Privaträumen präsentiert wurden und werden.
Der Blick auf die Geschichte und die aktuellen Zahlen zeigen, dass es sich bei der Zerstörung von Kulturgut keinesfalls um Kollateralschäden, sondern um eine gezielte, historisch erprobte Taktik handelt. Ziele des Entzugs und der Zerstörung von kulturell bedeutsamem Material ist die Vernichtung von historischem Wissen, psychische Folter und Erniedrigung sowie der Versuch einer nachhaltigen Auslöschung kulturellen Gedächtnisses.
Neben den zehntausenden Opfern des israelischen Genozids an den Palästinensern und der weitgehenden Zerstörung der Infrastruktur zeigt auch die massive, unwiederbringliche Vernichtung kulturellen Erbes, dass es mit „CeaseFireNow“- Appellen an die herrschende Klasse nicht getan ist. Als effektive Kriegswaffe erlaubt die Zerstörung oder der Entzug von historischem Material der Besatzungsmacht nicht nur militärisch, sondern auch kulturell über die Opfer des Vernichtungskrieges zu triumphieren, indem diese ihrer Geschichte und damit nachhaltig der Möglichkeit eines Wiederaufbaus beraubt werden sollen.
Ziel der imperialistischen Mächte und der israelischen Regierung ist die vollständige Auslöschung oder Vertreibung der Bevölkerung des Gaza-Streifens zu geopolitischen Zwecken. Nur der Aufbau einer internationalen Massenbewegung von Arbeitern und Studierenden gegen Krieg und Faschismus unter sozialistischer Perspektive kann den anhaltenden Völkermord und auch die damit einhergehende Vernichtung kulturellen Erbes nachhaltig unterbinden.