Israels Völkermord in Gaza, der mit den Waffen und der Unterstützung des US-Imperialismus durchgeführt wird, hat die größte weltweite Antikriegsbewegung seit den Protesten gegen den Irakkrieg 2003 ausgelöst. Nach einer langen Periode scheinbarer Entpolitisierung von Arbeitern und Jugendlichen wurden Millionen Menschen aufgerüttelt und radikalisiert, die Zeuge eines sich entwickelnden Völkermords im 21. Jahrhundert wurden.
In den Vereinigten Staaten ist vor allem die Demokratische Partei in Misskredit geraten. Die Biden-Regierung hat die Waffen, die Mittel und die Geheimdienstinformationen für diesen Völkermord bereitgestellt, während sie in Zusammenarbeit mit den faschistischen Republikanern den Polizeistaat gegen Demonstranten an den Universitäten einsetzt.
Die überwältigende Mehrheit derjenigen, die sich den Protesten in den USA angeschlossen haben, wurden im 21. Jahrhundert geboren. Sie sind mit den nicht enden wollenden Kriegen des US-Imperialismus, der sozialen Austeritätspolitik und zuletzt mit dem Massensterben durch Covid-19 aufgewachsen, welches das Ergebnis der mörderischen Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie ist.
Während dieser ganzen Zeit wurde der Klassenkampf von den Gewerkschaftsbürokratien unterdrückt, und jegliches Verständnis von Geschichte und Gesellschaft wurde durch das vorherrschende Klima der Reaktion und die Förderung von Antimarxismus unterminiert. Unter diesen Bedingungen ist es unvermeidlich, dass die erste Phase der Radikalisierung der Massen mit dem plötzlichen Auftauchen von Organisationen und Tendenzen verbunden gewesen ist, die bis vor kurzem noch wenig bekannt waren.
Zu den prominentesten unter ihnen zählt die Partei für Sozialismus und Befreiung (PSL), die viele der Proteste mitorganisiert hat, und die mit ihr verbundene ANSWER Coalition. Mit ihrer Rhetorik appelliert die PSL an antiimperialistische und antikapitalistische Stimmngen und stellt sich selbst als wesentlich radikaler dar als die Democratic Socialists of America, die als „linke“ Fraktion innerhalb der Demokratischen Partei arbeitet. In ihrer diesjährigen Präsidentschaftskampagne stellt sich die PSL auch als sozialistische Alternative zur Demokratischen Partei und als Keimzelle einer neuen „Partei der Arbeiterklasse“ dar.
Doch wie jede politische Organisation oder Tendenz kann auch die PSL nicht nach dem beurteilt werden, was sie über sich selbst sagt, sondern nach ihrer Geschichte und ihrem politischen Programm. Nur auf dieser Grundlage können der Klassencharakter einer Organisation und die Auswirkungen ihrer Politik beurteilt werden. Sie bedürfen daher einer ernsthaften Analyse.
Die historische Bilanz der PSL: Verteidigung des Stalinismus, des Totengräbers der sozialistischen Revolution
Die PSL schreibt und sagt nichts über ihre eigene Geschichte. Auf ihrer Website sucht man vergeblich nach einer Darstellung ihrer historischen Wurzeln und ihrer Einschätzung der wichtigsten Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Für dieses Schweigen gibt es eindeutige Gründe.
Erstens lehnt die PSL, wie jede kleinbürgerliche Tendenz, eine historische und klassenbasierte Herangehensweise – d. h. marxistische Politik – ab und entwickelt ihre Politik stattdessen auf der Grundlage pragmatischer Überlegungen.
Zweitens entlarvt ihre gesamte Geschichte die PSL als eine antitrotzkistische Tendenz, die der Arbeiterklasse und dem Marxismus erbittert feindlich gegenübersteht.
Die PSL ist historisch aus einer Spaltung innerhalb der Workers World Party hervorgegangen. Die Spaltung zwischen den beiden Organisationen wurde nie von einer von ihnen erklärt, und die Veröffentlichungen der PSL berufen sich bis heute auf das, was sie als „organisatorisches Genie“ von Sam Marcy (1911-1998) bezeichnen, und beanspruchen seine Politik als ihr Erbe.
Sam Marcy wurde in der Zwischenkriegszeit radikalisiert und trat in den 1930er Jahren der kommunistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten bei. Er fühlte sich zum Trotzkismus hingezogen und schloss sich in den 1940er Jahren der Socialist Workers Party, der damaligen amerikanischen Sektion der Vierten Internationale, an.
Die trotzkistische Bewegung entstand 1923-24 im Kampf für die Verteidigung des Programms der sozialistischen Weltrevolution gegen das nationalistische Programm des Stalinismus. Stalin vertrat die Interessen einer privilegierten Bürokratie, die sich infolge der internationalen Isolation der UdSSR innerhalb des Arbeiterstaates konsolidiert hatte, und formulierte das Programm des Aufbaus des „Sozialismus in einem Land“. Dieses nationalistische Programm sollte die Grundlage für eine jahrzehntelange gewaltsame Reaktion gegen die Oktoberrevolution von 1917 bilden.
Die Politik der Stalinisten führte zu verheerenden Niederlagen der Arbeiterklasse. In China unterstellten die Stalinisten während der Revolution von 1925-27 die Kommunistische Partei Chinas der nationalen Bourgeoisie, was zu einem Massaker an Kommunisten führte. Diese verhängnisvolle Linie wurde später im Nahen Osten und anderen Regionen wiederholt, wo der Stalinismus die unterdrückten Massen in ihrem Kampf gegen den Imperialismus entwaffnete. In den fortgeschrittenen imperialistischen Ländern begannen die Stalinisten in den 1930er Jahren mit den „demokratischen“ Fraktionen der Bourgeoisie zu kollaborieren. In den USA äußerte sich dies darin, dass sich die KP schließlich vollständig der Demokratischen Partei unterordnete.
In der UdSSR entwickelte die Bürokratie einen gewalttätigen Apparat, um die Arbeiterklasse zu unterdrücken. In seiner wissenschaftlichen Studie über die Entstehung des Stalinismus, „Die verratene Revolution“, betonte Leo Trotzki, dass die Usurpation der politischen Macht durch die Bürokratie nur durchbrochen und die Degeneration des Arbeiterstaates umgekehrt werden kann, indem die Arbeiterklasse in einer politischen Revolution für den Sturz der Bürokratie kämpft, als Teil des Kampfes für die internationale Ausdehnung der Revolution.
Im Großen Terror der 1930er Jahre ermordete die stalinistische Bürokratie Hunderttausende sozialistische Arbeiter, Intellektuelle und Trotzkisten in der UdSSR und andernorts, wie in Spanien während des Bürgerkriegs. Wie Trotzki es ausdrückte, „zieht die gegenwärtige Säuberung zwischen Bolschewismus und Stalinismus nicht nur eine blutige Linie, sondern einen ganzen Strom von Blut.“ Im Jahr 1940 wurde Trotzki selbst von einem stalinistischen Agenten in Mexiko ermordet.
Nachdem er die Arbeiterklasse politisch enthauptet hatte, spielte der Stalinismus in der Nachkriegszeit die zentrale Rolle dabei, die revolutionären Bewegungen der Arbeiterklasse in Europa und Asien zu sabotieren. So sicherte er das Überleben des kapitalistischen Weltsystems, das durch die Barbarei des Faschismus und den Zweiten Weltkrieg zutiefst diskreditiert worden war. Für die Vierte Internationale, die 1938 von Trotzki gegründet worden war, entstanden dadurch äußerst schwierige Bedingungen. 1953 wurde das Internationale Komitee der Vierten Internationale gegründet, um das Programm des Trotzkismus gegen die kleinbürgerlich-liquidatorische Tendenz des Pablismus zu verteidigen.
Die Pablisten reagierten impressionistisch auf die Restabilisierung des Kapitalismus in der Nachkriegszeit und erklärten, dass eine „neue Weltrealität“ entstanden sei, die durch den Kampf zwischen „zwei Lagern“ – dem Imperialismus und der Sowjetunion – bestimmt sei. Der Kampf zwischen diesen beiden Lagern trat nach Ansicht der Pablisten an die Stelle des internationalen Klassenkampfes. Die Pablisten lehnten folglich die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse ab und schrieben diese Rolle stattdessen der stalinistischen Bürokratie zu. Auf der Grundlage dieser Perspektive arbeiteten die Pablisten systematisch daran, die Vierte Internationale in den stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien sowie in bürgerlich-nationalistischen Bewegungen aufzulösen.
Marcy schloss sich den Pablisten zunächst nicht an, erlag aber bald demselben politischen Klassendruck und entwickelte ähnliche politische Vorstellungen. In einem Nachruf auf Marcy im Jahr 1998 erklärte Fred Mazelis, ein Gründungsmitglied der Workers League (Vorläufer der Socialist Equality Party), den Rechtsruck von Marcy und breiteren Teilen der Mittelschicht:
Die Restabilisierung des Imperialismus in der Nachkriegszeit, die durch den starken Einfluss und die konterrevolutionäre Politik des sowjetischen Regimes begünstigt wurde, hat viele, die in früheren Jahren gegen kapitalistische Ausbeutung und ihre Vertreter in den sozialdemokratischen und stalinistischen Bürokratien gekämpft hatten, zutiefst verwirrt. Die rasche Bürokratisierung der CIO-Gewerkschaften und die relative Ruhe der amerikanischen Arbeiterklasse [in der Nachkriegszeit] führten dazu, dass sie den Kampf für marxistische Prinzipien in der Arbeiterklasse als ein hoffnungsloses Projekt zurückwiesen. Gleichzeitig wurden die Ausdehnung des Sowjetblocks und die Revolutionen in China und Jugoslawien als Beweis dafür genommen, dass die Sowjetbürokratie und die stalinistischen Parteien anderswo gezwungen werden könnten, den Weg der Revolution einzuschlagen. Die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution, die die Begründer der marxistischen Bewegung und die Führer der russischen Revolution beseelt hatte, wurde im Namen einer „neuen Weltrealität“ aufgegeben.
Als Marcy in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit dem Programm des Trotzkismus brach, tat er dies auf einer ausdrücklich pro-stalinistischen Grundlage. Als er 1956 noch in der SWP war, reagierte Marcy auf die politische Revolution der ungarischen Arbeiter gegen die stalinistische Bürokratie, indem er die Arbeiter als „Konterrevolution“ denunzierte. Er begrüßte die Niederschlagung des Aufstandes durch die militärischen Kräfte der Bürokratie. Etwas mehr als zwei Jahre später, Anfang 1959, spaltete Marcy von der SWP und gründete die Workers World Party (WWP).
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten gelang es Marcy und der WWP, wie es im Nachruf der WSWS hieß, „das kriecherische Lob für stalinistische Tyrannen wie den verstorbenen Kim Il Sung in Nordkorea und Nicolae Ceaușescu in Rumänien mit der kriecherischen Unterstützung für die antikommunistische AFL-CIO-Bürokratie zu verbinden.“
Die verstorbene Helen Halyard, eine langjährige Führerin der trotzkistischen Bewegung in den USA, charakterisierte die WWP im Jahr 2000 wie folgt:
In der WWP laufen mehrere ideologische Tendenzen mit wesentlich reaktionärem Charakter zusammen. Dazu gehören die Perspektiven der Protestpolitik, der Stalinismus, der bürgerliche Nationalismus und Formen der Identitätspolitik wie der schwarze Nationalismus. All dies sind Kennzeichen dessen, was wir oft als Mittelklasse-Radikalismus bezeichnet haben, d. h. eine politische Perspektive, die nicht die Interessen der Arbeiterklasse widerspiegelt, sondern die Interessen von Schichten der Mittelklasse, die mit ihrer Position in der kapitalistischen Gesellschaft unzufrieden sind, aber nicht in der Lage sind, eine wirklich revolutionäre Opposition gegen den Status quo voranzubringen. In der kapitalistischen Gesellschaft kann nur ein Programm, das die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse artikuliert und für die Einheit der Arbeiterklasse und ihre politische Unabhängigkeit von allen Teilen der Bourgeoisie – sowohl der liberalen als auch der konservativen – kämpft, die Grundlage für eine revolutionäre sozialistische Bewegung bilden.
In ihren Grundzügen hat die PSL die Weltanschauung und Politik der WWP geerbt.
Die Verbündeten der PSL heute: Unterwerfung unter die Demokratische Partei und bürgerlich-nationalistische Regime
Es gibt eine direkte Kontinuität zwischen der historischen Verteidigung des Stalinismus durch die PSL und ihrer heutigen politischen Ausrichtung.
In ihrem politischen Programm tritt die PSL für eine reaktionäre, moderne Version des „Sozialismus in einem Land“ ein – in diesem Fall in den USA. Trotz ihrer radikalen Rhetorik ist sie ganz darauf ausgerichtet, die älteste kapitalistische Partei der Welt, die Demokratische Partei – das wichtigste Instrument der Wall Street, des US-Militärs und der Geheimdienste – unter Druck zu setzen.
In einem Artikel nach dem anderen und einer Rede nach der anderen versucht die PSL, junge Menschen und Arbeiter davon zu überzeugen, dass es auch nach neun Monaten Völkermord und über 186.000 Toten „funktioniert“, „Druck“ auf die Regierung Biden auszuüben.
Diese Perspektive, Druck auf die Demokratische Partei auszuüben, hat die Proteste gegen die Invasion des Irak durch die Bush-Regierung in den Jahren 2003-2004 angeleitet, die in den USA vor allem von der ANSWER Coalition organisiert wurden. Damals wie heute hat sie sich als völlige Sackgasse erwiesen. Genauso wenig wie diese Perspektive die Invasion des Irak und das daraus resultierende Abschlachten von bis zu einer Million Irakern in einem Jahrzehnt der Besatzung verhindern konnte, wurde der Völkermord in Gaza nicht gestoppt oder behindert, sondern eher verschärft.
Weit davon entfernt, auf den Druck zu „reagieren“, haben die Demokraten und Republikaner nicht nur den Angriff auf die demokratischen Rechte im eigenen Land verschärft, sondern demonstrativ auch den obersten Schlächter Benjamin Netanjahu eingeladen, am 24. Juli vor dem Kongress zu sprechen und einen „Bericht“ über den Völkermord vorzulegen. Die Hauptforderung der ANSWER-Koalition und der PSL richtete sich erneut an die Biden-Regierung: Benjamin Netanjahu soll verhaftet und an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden.
Bei diesen Bemühungen haben die PSL und die ANSWER Coalition die Unterstützung der Gewerkschaftsbürokratie der United Auto Workers (UAW) erhalten, die vollständig in die Biden-Administration und die Demokratische Partei integriert ist – den Hauptunterstützern von Israels Völkermord in Gaza. UAW-Präsident Shawn Fain war Ehrengast bei Bidens Rede zur Lage der Nation, hat das Weiße Haus seit seiner betrügerischen Wahl im Jahr 2022 mehrfach besucht und Biden versprochen, dass er „in den Krieg ziehen und die Macht der Mitgliedschaft hinter Sie stellen“ werde.
Die PSL setzt sich auch für eines der wichtigsten Instrumente ein, mit dem die amerikanische herrschende Klasse die Arbeiterklasse spaltet: Rassen- und Identitätspolitik. Ein besonders bezeichnendes Zeugnis für ihre Ablehnung des Marxismus, der historischen Wahrheit und grundlegender demokratischer Prinzipien ist, dass die PSL die Angriffe auf die amerikanischen Revolutionen und Abraham Lincoln unterstützt, die ihren abscheulichsten Ausdruck im 1619-Projekt der New York Times gefunden haben.
Während die PSL rassenbezogene und nationalistische Politik betreibt und mit den Gewerkschaftsbürokratien in den USA, im Nahen Osten und auf internationaler Ebene zusammenarbeitet, unterstützt sie bürgerliche nationalistische Regime und lehnt eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus und das nationalstaatliche System ab. In ihren Artikeln über den Völkermord in Gaza verbindet die PSL die Förderung einer zahnlosen Protestpolitik, die darauf abzielt, Druck auf den US-Imperialismus auszuüben, mit einer schamlosen Verherrlichung bürgerlicher und kleinbürgerlicher nationalistischer Kräfte wie der Hamas und der Houthi-Rebellen im Jemen. Sie bezeichnet diese als „Achse des Widerstands“, die Israel bereits eine „strategische Niederlage“ zugefügt habe.
Zu den weiteren politischen Helden der PSL gehören Persönlichkeiten wie Jose Maria Sison, der für blutige Niederlagen der Arbeiterklasse auf den Philippinen verantwortlich war und gegen Ende seines Lebens die faschistische Duterte-Regierung unterstützte. Dennoch bezeichnete ihn die PSL als „Genossen“ und „brillanten und engagierten Revolutionär“.
In China verherrlicht die PSL das kapitalistische Regime von Xi Jinping. Am 22. Oktober 2022 bezeichnete sie die Kommunistische Partei Chinas als „Regierungspartei“, der „das Wohl des chinesischen Volkes am Herzen liegt“. Das war nur wenige Wochen, bevor die KPCh dem Druck der imperialistischen Mächte nachgab und jegliche Maßnahmen zur Eindämmung von Covid aufgab, was innerhalb weniger Wochen zu mehr als einer Million Todesopfern führte. Es sollte betont werden, dass die PSL ebenso wie die herrschende Klasse in den USA und weltweit die andauernde Covid-19-Pandemie zu einem Nicht-Thema erklärt hat und sie in ihrer Präsidentschaftskampagne und auf ihrer Website völlig ignoriert.
Wenn auch weniger offenkundig, so befürwortet die PSL auch eine Ausrichtung auf das Putin-Regime und hat sich geweigert, dessen reaktionären Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 zu verurteilen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In einer Erklärung, die zwei Tage vor dem Einmarsch veröffentlicht wurde, bezeichnete die PSL die Nato-Erweiterung als existenzielle Bedrohung für Russland und als „klare Rechtfertigung von einem geopolitischen Standpunkt“ für die „Entscheidungsfindung“ Russlands. Als „Lösung“ appellierte die PSL an die Nato und forderte sie auf, sich selbst aufzulösen. Die PSL erklärte: „Die Abschaffung der Nato würde sowohl die explosiven Spannungen in Osteuropa auflösen als auch einen historischen Schritt in Richtung Weltfrieden darstellen.“ Es versteht sich von selbst, dass die herrschende Klasse in den imperialistischen Ländern diesen „historischen Schritt zum Weltfrieden“ nicht getan hat!
Als das Putin-Regime weniger als 48 Stunden später einmarschierte, gab die PSL eine Erklärung heraus, in der sie sich erneut ausschließlich auf die Rolle der Nato bei der Provokation des Krieges fokussierte und darauf bestand, dass die Nato der Aggressor sei. Während dies für sich genommen richtig ist, laufen solche Aufrufe ohne eine Verurteilung des reaktionären Einmarsches des Putin-Regimes und ohne eine klare Linie der Arbeiterklasse in Russland, der Ukraine, Europa und den USA, sich diesem Krieg entgegenzustellen, faktisch auf eine Anpassung an die Politik des Putin-Regimes und eine Rechtfertigung derselben hinaus. Die PSL bediente sich sogar der Sprache des Kremls und bezeichnete den Krieg als eine „militärische Spezialoperation“. Seitdem hat die PSL kein einziges programmatisches Dokument zum Krieg in der Ukraine veröffentlicht.
Im Gegensatz dazu hat das Internationale Komitee der Vierten Internationale bereits wenige Stunden nach Beginn des Krieges die Invasion unmissverständlich verurteilt. In einer prinzipiellen Erklärung vom 24. Februar 2022 erklärte das IK:
Ungeachtet der Provokationen und Drohungen der USA und der Nato-Mächte muss der Einmarsch Russlands in die Ukraine von Sozialisten und klassenbewussten Arbeitern abgelehnt werden. Die Katastrophe, die durch die Auflösung der Sowjetunion 1991 in Gang gesetzt wurde, kann nicht auf der Grundlage des russischen Nationalismus abgewendet werden – einer durch und durch reaktionären Ideologie, die den Interessen der von Wladimir Putin vertretenen herrschenden Kapitalistenklasse dient.
Die Rückkehr zur Außenpolitik des Zarismus aus der Zeit vor 1917 ist keine Lösung. Stattdessen muss der sozialistische Internationalismus, der die Oktoberrevolution von 1917 inspirierte und zur Gründung der Sowjetunion als Arbeiterstaat führte, in Russland und der ganzen Welt zu neuem Leben erweckt werden. Der Einmarsch in die Ukraine, wie auch immer er vom Putin-Regime gerechtfertigt wird, dient nur dazu, die russische und ukrainische Arbeiterklasse zu spalten, und spielt den Interessen des US-amerikanischen und europäischen Imperialismus in die Hände.
Oberflächlich betrachtet mag es widersprüchlich erscheinen, wenn die PSL an die Biden-Regierung und die Nato appelliert, „sich selbst abzuschaffen“, während sie gleichzeitig das Putin-Regime und das Xi-Regime de facto unterstützt. Vom grundlegenden Standpunkt der historischen und sozialen Orientierung aus gesehen ist diese Linie jedoch vollkommen schlüssig.
Tatsächlich spiegelt die PSL, insbesondere in ihren Appellen an die imperialistische herrschende Klasse, die neostalinistische Politik des Putin-Regimes wider, das als bonapartistisches Regime aus der Restauration des Kapitalismus in der UdSSR durch die stalinistische Bürokratie hervorgegangen ist. Mit seinem reaktionären Einmarsch in der Ukraine hat das Putin-Regime versucht, Druck auf die imperialistischen Mächte auszuüben und sie an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Auch wenn dieses Kalkül katastrophal gescheitert ist, hat der Kreml es nicht aufgegeben. Das Putin-Regime, dessen Hauptanliegen die Sicherung des Vermögens der Oligarchen gegen die Bedrohung durch eine soziale Revolution ist, teilt die Orientierung der stalinistischen Bürokratie auf eine „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus. Diese neostalinistische Außenpolitik ist nicht nur prokapitalistisch, sondern auch nicht lebensfähig.
Wie David North 2023 erklärte:
Die friedliche Verteilung und Aufteilung der globalen Ressourcen unter den kapitalistischen und imperialistischen Staaten ist unmöglich. Die Widersprüche zwischen der Weltwirtschaft und dem kapitalistischen Nationalstaatensystem führen zum Krieg. In jedem Fall erfordert die Verwirklichung einer „multipolaren“ Welt, abgesehen von ihren falschen theoretischen Grundlagen, ihre friedliche Akzeptanz durch die heute dominierende imperialistische Macht, die Vereinigten Staaten. Dies ist keine realistische Vorstellung. Die Vereinigten Staaten werden sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Bemühungen widersetzen, ihr Streben nach „unipolarer“ Hegemonie zu behindern. So führt das utopische Streben, eine „unipolare“ durch eine „multipolare“ Welt zu ersetzen, in seiner eigenen verdrehten Logik zum Dritten Weltkrieg und der Zerstörung des Planeten.
Schluss
Es ist ein Grundprinzip sozialistischer Opposition gegen imperialistischen Krieg, dass sie in der Arbeiterklasse und ihrer internationalen Vereinigung verwurzelt sein muss. Darüber hinaus haben revolutionäre Sozialisten seit dem Ersten Weltkrieg immer darauf bestanden, dass Arbeiter in jedem Land in einem reaktionären Konflikt die Position des revolutionären Defätismus einnehmen müssen – d. h. eine Politik des revolutionären Opposition gegen ihre „eigene“ Kapitalistenklasse, die mit den Mitteln des Krieges ihre eigenen nationalen und wirtschaftlichen Interessen gegen die Arbeiterklasse im In- und Ausland zu verteidigen sucht.
Die PSL stellt alle diese Prinzipien auf den Kopf: Unter den Bedingungen eines sich abzeichnenden Weltkriegs und der Diskreditierung bekannterer pseudolinker Tendenzen wie der DSA versucht sie verzweifelt, die Arbeiterklasse und die Jugend an diese oder jene Fraktion der Bourgeoisie zu binden. Weit davon entfernt, eine echte sozialistische Tendenz zu sein, ist sie eine nationalistische kleinbürgerlich-radikale Gruppierung, deren Hauptaufgabe darin besteht, radikalisierte Jugendliche und Arbeiter daran zu hindern, den Weg zu einer echten sozialistischen und revolutionären Politik zu finden.
Dies hat sich deutlich in der Rolle der PSL als „politische Polizei“ der Proteste gegen den Völkermord gezeigt: Während sie auf der Bühne radikale Phrasendrescherei betreibt, hat die PSL, unbemerkt von den meisten Demonstranten, routinemäßig IYSSE- und SEP-Mitglieder daran gehindert, auf den Protesten zu sprechen.
Die gesamte Geschichte und Politik der PSL, deren Politik am besten als neostalinistisch bezeichnet werden kann, hat einen üblen Beigeschmack. Sie recycelt all die alten faulen Manöver des Totengräbers der sozialistischen Revolution des 20. Jahrhunderts, sei es im Zentrum des Weltimperialismus in den USA oder in den unterdrückten Ländern. Es spricht für die tiefe Krise der herrschenden Klasse, dass sie sich jetzt auf solche Kräfte stützen muss, um die Massenopposition gegen ihre Politik zum Entgleisen zu bringen und ihre Herrschaft zu stützen.
Es bedarf keiner großen historischen Weitsicht, um vorauszusagen, dass diese Stütze tatsächlich wackelig ist. Die PSL ist ein Hauptkandidat für das, was Trotzki treffend den „Mülleimer der Geschichte“ nannte. Ihre Politik wird den kommenden Erschütterungen des Krieges und des Klassenkampfes nicht standhalten. Das Auftauchen und Verschwinden solcher Tendenzen ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel bei jedem Prozess der Radikalisierung der Massen.
Die Bewegung der Massen in Richtung Revolution kommt nicht über Nacht. Die Arbeiterklasse und die Jugend durchlaufen bestimmte Kampferfahrungen, in deren Verlauf sie mit verschiedenen politischen Tendenzen in Berührung kommen und die politischen und ideologischen Hindernisse überwinden müssen, die ihnen von der herrschenden Klasse in den Weg gelegt werden.
Aber das macht die Aufgabe, die politischen Lehren aus den vergangenen zehn Monaten der Proteste und der Rolle von Organisationen wie der PSL zu ziehen, nur noch dringlicher.
Die Protestbewegung gegen den Völkermord im Gazastreifen steht an einem Scheideweg. Wenn sie weiterhin von kleinbürgerlich-nationalistischen Organisationen dominiert und der Demokratischen Partei untergeordnet wird, wird sie unweigerlich zusammenbrechen und ein Gefühl der Demoralisierung und politischen Verzweiflung unter jungen Menschen verstärken, das bereits zu dem tragischen Selbstmordprotest von Aaron Bushnell geführt hat.
Der andere Weg besteht in einer Hinwendung zur Arbeiterklasse und dem Aufbau einer mächtigen sozialistischen Antikriegsbewegung, die in der Lage ist, dem sich entwickelnden dritten Weltkrieg ein Ende zu setzen, der sich über den Nahen Osten und Osteuropa ausbreitet, wobei Russland, China und der Iran im Visier des US-Imperialismus stehen.
Die International Youth and Students for Social Equality, die Jugend- und Studierendenorganisation der trotzkistischen Weltbewegung, ruft daher alle Jugendlichen und Arbeiter, die gegen imperialistischen Krieg kämpfen wollen, auf, am Aufbau einer sozialistischen Führung in der Arbeiterklasse teilzunehmen! Studiert die Geschichte und Politik des Trotzkismus! Studiert die Reden, die auf der von der Socialist Equality Party (US) und der IYSSE organisierten Kundgebung am 24. Juli in Washington D.C. gehalten wurden, um eine echte sozialistische Antikriegsbewegung aufzubauen und den Völkermord in Gaza, den Krieg in der Ukraine und die Eskalation in Richtung eines dritten Weltkriegs zu stoppen!
Dieser Artikel erschien zuerst in englischer Sprache am 22. Juli 2024. Wir haben das Ende des Artikels aktualisiert.
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