Der Flugzeugbauer Boeing hat begonnen, als Reaktion auf den anhaltenden Streik von 33.000 Beschäftigten in Washington, Oregon und Kalifornien seine Beschäftigten in Zwangsurlaub zu schicken. Der Streik begann am 13. September als Revolte gegen die Führung der International Association of Machinists (IAM), die einer konzernfreundlichen vorläufigen Vereinbarung zugestimmt und versucht hatte, sie den Arbeitern aufzuzwingen.
Die noch arbeitenden Boeing-Beschäftigten wurden am vergangenen Mittwoch über den Zwangsurlaub informiert. In der Ankündigung dazu hieß es, dass diese Maßnahme für die Dauer des Streiks gilt und dass Zehntausende von nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten betroffen sein werden. Das gilt sowohl für Arbeiter und Angestellte als auch für das untere Management. Laut der Seattle Times wird es alle vier Wochen eine Woche unbezahlten Urlaub geben, beginnend mit den Beschäftigten in Washington und Oregon am letzten Freitag.
Laut dem neu eingesetzten Boeing-Konzernchef Kelly Ortberg wird es für Führungskräfte von Boeing nur eine „angemessene Gehaltskürzung“ geben. Die Zwangsbeurlaubungen bezeichnete er als „harte Entscheidung“, um „Geld zu sparen“.
Ortbergs Sorge um die Liquidität klingt jedoch unglaubhaft angesichts der Tatsache, dass das Unternehmen Streikbrecher einfliegen lässt, um den Streik zu brechen. Boeing hat mehr als 400 Leute aus Alabama, Mississippi und Texas eingeflogen, um die Hausmeistertätigkeiten zu erledigen, für die normalerweise Mitglieder der IAM zuständig sind. Das Unternehmen hat außerdem versucht, die 17.000 Ingenieure, die der Society of Professional Engineering Employees in Aerospace (SPEEA) angehören, für Arbeiten zu gewinnen, die normalerweise von den Mechanikern erledigt werden, oder den Zwangsurlaub zu akzeptieren. Berichten zufolge lehnten die SPEEA-Mitglieder beides einstimmig ab.
Die Zwangsbeurlaubungen erfolgten zudem am gleichen Tag, an dem die Verhandlungen zwischen der IAM, Boeing und der bundesstaatlichen Schlichtungsbehörde zum Stillstand kamen. Während die Führung der IAM erklärte, sie sei „für weitere Gespräche offen“, schrieb Ortberg: „Wir sind weiterhin entschlossen, unsere Beziehung zu unseren Beschäftigten und der Gewerkschaft neu zu gestalten.“ Das tatsächliche Ziel von beiden ist jedoch, den Streik der Belegschaft auszusitzen.
Boeing spürt den Druck durch den Streik bereits. Laut einem Bericht des Senders King5 vom Freitag hat er das Unternehmen bisher etwa 455 Millionen Dollar oder zirka 65 Millionen pro Tag gekostet. Dazu kommen die Schulden in Höhe von 60 Milliarden Dollar, die der Luft- und Raumfahrtkonzern im Laufe der Jahre durch Prozesse und rückläufige Verkaufszahlen angehäuft hat.
Die Entscheidungen des Managements, bei der Sicherheit zu sparen und Flugzeuge schnell in Betrieb zu nehmen, führten in den Jahren 2018 und 2019 zu zwei Abstürzen der 737 MAX 8, bei denen 346 Männer, Frauen und Kinder ums Leben kamen. Im Januar war an einer 737 MAX 9 die Tür abgebrochen, und seither gab es noch zahlreiche weitere Unfälle und Beinahe-Unfälle.
Die Arbeiter sind entschlossen zu verhindern, dass Boeing sie zwingt, für die kriminellen Aktivitäten des Managements zu bezahlen. Sie haben schon vor langer Zeit erkannt, dass Sicherheit und Menschenleben Vorrang vor Profiten haben müssen. Das war einer der Gründe, warum dieses Jahr so viele Whistleblower bei Boeing aufgetaucht sind, darunter John „Mitch“ Barnett und Joshua Dean, die beide unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen.
Tatsächlich ist eine der Hauptforderungen der Boeing-Beschäftigten die Wiedereinrichtung von Hunderten von Arbeitsplätzen in der Qualitäts- und Sicherheitskontrolle, die in den letzten Jahren abgebaut wurden.
Letzten Mittwoch gründete eine Gruppe von Arbeitern das Boeing Workers Rank-and-File Committee, das unter anderem folgende Forderung stellt: „Kontrolle der Arbeiter über die Sicherheit. Kein Flugzeug darf ohne die Zustimmung der Arbeiter, die es gebaut haben, ausgeliefert werden. Arbeiter müssen das Recht haben, jeden Versuch außer Kraft zu setzen, Inspektionen im Eiltempo durchzuführen oder das Verfahren abzukürzen.“
Das Aktionskomitee betonte auch die Notwendigkeit, an andere Teile der Arbeiter zu appellieren, wenn der Streik erfolgreich sein soll. In seiner zweiten Erklärung schrieb es: „Wir können diesen Kampf nicht alleine gewinnen. Der Streik muss auf alle Teile der Boeing-Belegschaft ausgedehnt werden, einschließlich der Ingenieure in der SPEEA und der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter im Werk in South Carolina. Es sollten Informations-Streikposten aufgestellt werden, um die Unterstützung der Hafenarbeiter, der Eisenbahner, der Beschäftigten des Staates Washington und des Gesundheits- und Bildungswesens zu gewinnen.“
Das Boeing Workers Rank-and-File Committee wird am Sonntag um 14 Uhr Pazifikzeit bzw. 17 Uhr Ostküstenzeit bei seiner Veranstaltung auf diese Themen weiter eingehen und sie vertiefen. Arbeiter und andere Unterstützer der Streikenden bei Boeing können sich hier registrieren.
Ein streikender Arbeiter schrieb der World Socialist Web Site, Boeing sollte „die Lohnobergrenze um MINDESTENS 40 Prozent erhöhen, damit die Facharbeiter bei Boeing zumindest die Mindestlöhne der lokalen, gewerkschaftlich organisierten Bauarbeiter erhalten, die nach steuerfinanzierten Tarifverträgen bezahlt werden. Boeing, ein gewinnorientiertes Unternehmen, das jede Woche mehrere Flugzeuge im Wert von 350 Millionen Dollar ausliefert, kann sich das leisten.“
„Sie versuchen, unsere Arbeitsplätze zu delegitimieren, um uns weniger Lohn zu zahlen“, fuhr er fort. „Die Wiedereinführung der Lehrlings-Gesellen-Struktur wird zu einer strukturierten Ausbildung, Stolz auf unsere Arbeit und Karrierewünschen führen und künftige Generationen dazu ermutigen, in die Luft- und Raumfahrtindustrie einzusteigen.“
Die IAM-Bürokratie hat ihrerseits die Arbeiter auf Streikposten weiter ausgehungert. Die Gewerkschaft wird erst ab der dritten Streikwoche (vermutlich am nächsten Freitag) ein dürftiges Streikgeld von 250 Dollar zahlen. Gleichzeitig erhalten die obersten Vorstände der IAM nach wie vor ihr volles Gehalt. Letztes Jahr erhielt der Präsident von IAM International, Robert Martinez, 668.070 Dollar, der General-Vizepräsident, Steve Galloway, 623.656 Dollar und der Präsident von Distrikt 751, Jon Holden, 225.000 Dollar.
Der Gewerkschaftsapparat hat erst zum Streik aufgerufen, nachdem 95 Prozent der Arbeiter den von der IAM unterstützten Deal abgelehnt hatten. Holden und Konsorten stimmten dem Vorschlag einstimmig zu, obwohl er keine Wiedereinführung der Betriebsrenten und lediglich eine Lohnerhöhung von 25 Prozent über vier Jahre vorsieht. Dabei haben die Boeing-Arbeiter aufgrund früherer Verlängerungen des Tarifvertrags durch die IAM seit mehr als zehn Jahren trotz galoppierender Inflation keine Lohnerhöhungen mehr erhalten.
Wachsender Klassenkonflikt
Der Boeing-Streik findet vor dem Hintergrund eines raschen Anwachsens des Klassenkampfs in den USA und weltweit statt.
An der Ostküste wird Ende September der Tarifvertrag für 45.000 Hafenarbeiter auslaufen, die mit einem Streik drohen, um gegen die sinkenden Löhne und die Prekarisierung der Beschäftigten zu kämpfen. In der Belegschaft gibt es Tausende von Tagelöhnern ohne tarifliche Rechte. Da sich die International Longshoremen's Association mit einem ähnlichen Aufstand wie bei Boeing konfrontiert sieht, hat sie einen Streik versprochen, wenn bis zum 30. September kein Tarifvertrag zustande kommt.
Bei Eaton Aerospace haben am 16. September 525 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt, nachdem sie zwei vorläufige Vereinbarungen abgelehnt hatten, die ihnen die United Auto Workers vorgelegt haben. Ihre Hauptforderungen sind der Erhalt der Renten für neue und altgediente Arbeiter sowie eine bessere Gesundheitsversorgung für Rentner. Die Belegschaft ist auch entschlossen, die Einführung eines Zweistufen-Lohnsystems durch Eaton zu verhindern, wie es in der Autoindustrie mit dem Segen der UAW eingeführt wurde.
Es herrscht auch massiver Widerstand gegen die anhaltende Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Autoindustrie, darunter die Streichung von 2.500 Arbeitsplätzen am 8. Oktober im Warren-Truck-Werk in einem Vorort von Detroit. UAW-Präsident Shawn Fain, der mit den Tarifabkommen im letzten Jahr den massiven Arbeitsplatzabbau ermöglicht hat, versucht dem Widerstand zuvorzukommen, indem er einen Streik ins Spiel gebracht hat.
Die Boeing-Arbeiter sollten an die Tausenden von Arbeitern im Raum Seattle appellieren, die vor dem gleichen Kampf stehen. Dazu gehören die Flugbegleiter von Alaska Airlines, die im August einen Tarifvertrag abgelehnt haben, der ihnen von der Führung der Association of Flight Attendants-CWA vorgelegt wurde und nur eine Lohnerhöhung von 24 Prozent vorsieht, nachdem sie seit 2014 unter dem gleichen, immer wieder verlängerten Tarifvertrag gearbeitet haben. Die Flugbegleiter fordern eine Lohnerhöhung von mindestens 32 Prozent sowie Nachzahlungen und eine Anrechnung der Arbeitsstunden für die gesamte Zeit, in der die Flugbegleiter arbeiten und nicht nur, wenn die Flugzeugtüren geschlossen sind.
In Seattle sind die Lehrer mit der Schließung von 17 bis 21 Schulen konfrontiert, durch die fast 50 Prozent der Schüler in Seattle gezwungen sein werden, die Schule zu wechseln. Die Klassengrößen werden steigen und weitere außerschulische Programme gestrichen. Seattle ist einer von Hunderten solcher Schulbezirke im ganzen Land, die von der Streichung der Bundesmittel für Covid-19 betroffen sind.
Etwa 380.000 Lehrkräften im ganzen Land droht der Verlust ihrer Arbeitsplätze, während die Biden/Harris-Regierung und beide Parteien des Großkapitals eine Billion Dollar pro Jahr für Krieg ausgeben, u.a. für Waffenlieferungen an Israel für dessen kriminelles Massaker an den Palästinensern und seinen eskalierenden Krieg gegen den Libanon und den Iran sowie für den US-Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland.
Diese Kämpfe werden nicht von oben durch die Gewerkschaftsbürokratie vereint werden, die die Arbeiter dem kapitalistischen Zweiparteiensystem, dem Krieg und dem Faschismus unterordnen. Es ist nur von unten möglich, durch die Ausweitung des Netzwerks der Aktionskomitees und die Organisation einer industriellen und politischen Gegenoffensive der Arbeiterklasse.
Gegen Trumps Aufwiegelung zur Gewalt gegen Immigranten und gegen die Eskalation der Kriege des US-Imperialismus für die globale Vorherrschaft durch die Biden/Harris-Regierung muss die Arbeiterklasse eine mächtige politische Bewegung aufbauen, um die Macht zu übernehmen und im Rahmen der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft Großkonzerne wie Boeing in kollektive öffentliche Versorgungsunternehmen unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter zu verwandeln.
Tretet dem Boeing Workers Rank-and-File Committee bei, um den Kampf für Arbeiterkontrolle aufzunehmen! SMS (406) 414-7648 oder E-Mail an boeingworkersrfc@gmail.com. Füllt das Formular am Ende des Artikels aus, wenn ihr selbst ein Aktionskomitte in eurem Betrieb aufbauen wollt.
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