Ein Kommentar zu David Norths Rezension, Biografie als Dämonologie: Zu Aidan Beattys Buch „The Party is Always Right: The Untold Story of Gerry Healy and British Trotskyism“

Steve Long ist seit mehr als einem halben Jahrhundert Mitglied der trotzkistischen Bewegung. Seine Reaktion auf Professor Aidan Beattys Verleumdung von Gerry Healy ist besonders bedeutsam, da Genosse Long zur Zeit der Spaltung von 1985/86  zu denjenigen in der Workers Revolutionary Party gehörte, die den politischen Kampf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale gegen den Verrat trotzkistischer Prinzipien durch Healy und die WRP unterstützten.

***

In seiner abscheulichen Schmähschrift über Gerry Healy, Genosse David North und den Trotzkismus, und offensichtlich von den bösartigen Antitrotzkisten in den Reihen der Demokratischen Sozialisten Amerikas (DSA), sowie zionistischen Kräften angestachelt, bezeichnet Aidan Beatty Healy, neben anderen Verleumdungen, als „schrecklichen Redner“. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich Gerry Healy zum ersten Mal öffentlich sprechen hörte. Nachdem ich im Alter von 18 Jahren die Schule verlassen hatte, suchte ich nach einer politischen Organisation, deren Ansichten meine eigene Überzeugung widerspiegelten, dass das kapitalistische System ungerecht und nicht nachhaltig sei und dringend durch etwas Besseres ersetzt werden müsse. Nichts, was mit der reformistischen Labour Party zu tun hatte, kam dafür in Frage. Daher schloss ich mich 1970 der Gruppe der Young Socialists an, die im Londoner Stadtteil Kensington aktiv war.

Gerry Healy, 1913–1989

Eine der ersten Veranstaltungen, der ich beiwohnte, war eine Versammlung der Socialist Labour League (SLL), der Mutterorganisation der Young Socialists, im Zentrum Londons. Ich betrat den Versammlungsraum von hinten. Er war gut besucht und ohne Stühle: das Publikum stand. Man konnte – wie man so schön sagt – eine Stecknadel fallen hören. Den Redner konnte ich kaum sehen oder hören, und ich musste mich durch die Menge schieben, um näher nach vorne zu kommen. Dann sah ich einen kleinen, breitschultrigen Mann mit Halbglatze, der ein weißes Hemd mit Hosenträgern und eine Brille trug und mit einer Stimme sprach, die allmählich lauter und klarer wurde. Dies war eine der vielen Veranstaltungen, bei denen ich Gerry Healy sprechen hörte.

Bei solchen Treffen war die anfängliche Stille des Publikums darauf zurückzuführen, dass man sich zu Beginn konzentrieren musste, den Redner zu verstehen. Die Stille während Healys Reden spiegelte die Aufmerksamkeit und Wertschätzung des Publikums wider, während Healy klar und sachlich die politische Situation und Krise beschrieb, mit der die Arbeiter in Großbritannien und international konfrontiert waren. Wie er erklärte, konnte diese Krise nur durch den Aufbau einer internationalen Partei gelöst werden, die sich auf die Lehren aus der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution in Russland im Jahr 1917 gründete.

Einige Wochen nach diesem Treffen wurde ich gebeten, an einem Massenverkauf der SLL-Zeitung, der Worker's Press, im Arbeiterviertel Shepherd's Bush teilzunehmen. Etwa ein Dutzend Mitglieder waren gekommen, um am Samstagmorgen die Zeitung auf der Hauptstraße zu verkaufen. Wir waren so viele, um bei der Öffentlichkeitsarbeit die Sicherheit der Mitglieder zu gewährleisten, denn einige Wochen zuvor war ein SLL-Mitglied von einem Mitglied der stalinistischen britischen Kommunistischen Partei niedergestochen worden.

Jüngeren Parteigenossen mag heute nicht voll bewusst sein, dass in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg körperliche Angriffe und Provokationen durch Stalinisten und andere Feinde des Trotzkismus an der Tagesordnung waren. Healy und andere SLL-Führungskräfte strahlten Entschlossenheit aus und weckten das Vertrauen, dass es trotz solcher Provokationen möglich sein würde, den Sozialismus in Großbritannien, das über eine der ältesten und am besten organisierten Bourgeoisien der Welt verfügt, zu etablieren.

In seiner ausgezeichneten Rezension von Beattys Buch verweist David North auf das Theaterstück „The Party“ von Trevor Griffiths. 1973 hatte ich das Privileg und das Vergnügen, im Londoner West End im Publikum zu sitzen und die herausragende Leistung des britischen Hauptdarstellers Laurence Olivier in der Rolle des Tagg / Healy zu erleben. Der linksgerichtete Regisseur und Produzent Tony Garnett lieferte einige Hintergrundinformationen zu diesem Stück.

Der Autor Stephen Lacey beschreibt in seinem Buch über die Arbeit des Regisseurs, wie Garnett Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre

einen Raum in seinen Büros, in denen er auch lebte, für regelmäßige öffentliche Treffen jeweils am Freitagabend zur Verfügung stellte. Garnett erklärte: „Ich sagte, wir werden regelmäßige Treffen abhalten und Redner einladen, insbesondere von links der Labour Party, und jeder kann kommen. Und ich werde ein paar Drinks ausgeben (...) Also fragten wir die IMG [International Marxist Group], und Tariq [Ali] kam ein- oder zweimal – alle möglichen Leute kamen (...) Ronnie Lang war da [der Psychotherapeut R.D. Laing], Ken Tynan kam regelmäßig.“

Etwa zur gleichen Zeit arbeitete Garnett mit Ken Loach und dem Schriftsteller Jim Allen an „The Big Flame“. Im Rahmen seiner üblichen umfassenden Recherchemethoden lernte er Gerry Healy kennen, den Anführer der Workers Revolutionary Party (WRP), einer kleinen trotzkistischen politischen Gruppe. Nach einer Weile kam auch Healy zu den Treffen und übernahm nach Garnetts Erinnerung bald die Führung: „[Nach] drei oder vier Wochen dominierte [Healy] die Versammlungen völlig. Er hatte andere politische Elemente mehr oder weniger vertrieben und hielt Hof und zog viele Menschen in seinen Bann. Er begann dann, bei diesen Treffen Mitglieder zu rekrutieren“ (Stephen Lacey, „Tony Garnett“, Manchester 2007, S. 76, aus dem Englischen).

Auf dem Höhepunkt seiner Stärke war Healy ein bemerkenswerter Redner, politischer Anführer und Autor, der in der Lage war, einem überwiegend aus der Arbeiterklasse stammenden Publikum hochkomplexe politische Prozesse zu vermitteln. Seine persönlichen Qualitäten, seine Furchtlosigkeit angesichts politischer Einschüchterung und sein Beharren darauf, dass die Loyalität gegenüber der Partei in eine politische Praxis münden müsse, trugen dazu bei, ihm in der Arbeiterklasse Ansehen zu verschaffen. Gleichzeitig war Healy Teil einer Führung, die während rund 30 Jahren eine herausragende Rolle bei der Verteidigung marxistischer Prinzipien und des Internationalismus im Kampf gegen Stalinismus und Pablismus spielte. Nur auf dieser Grundlage kann man die Leistungen von Gerry Healy wirklich würdigen.

Aidan Beatty versucht, in seinem krankhaften Hass auf den revolutionären Marxismus diese Geschichte zu begraben. Die spätere Degeneration von Healy und anderen Führern der Workers Revolutionary Party kann nur vor dem Hintergrund des enormen politischen Drucks verstanden werden, der auf der Bewegung lastete. Nach der Spaltung mit der WRP im Jahr 1985/86 hat die Führung des Internationalen Komitees diesen politischen Druck eingehend analysiert, und dies bildete die Grundlage für eine echte Renaissance des heutigen revolutionären Marxismus, d. h. des Trotzkismus.

Arbeiterinnen und Arbeiter, junge Menschen und Intellektuelle, die sich für den Sozialismus einsetzen, müssen diese Geschichte studieren. Sie werden Beattys erbärmliches neues Buch zweifellos mit der Verachtung behandeln, die es verdient.

Loading