Friedensdemo in Berlin: Eine bankrotte Perspektive

Rund 10.000 Teilnehmer beteiligten sich am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, an einer bundesweiten Friedensdemonstration unter dem Motto „Nein zu Kriegen“ in Berlin. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von mehr als 3000 Gruppen und Einzelpersonen, das vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der Linkspartei dominiert wird. Weniger als ein Jahr, nachdem sich die beiden Parteien getrennt haben, arbeiteten sie wieder einträchtig zusammen.

Demonstration gegen Krieg, 03.10.2024 Berlin

Gekommen waren weitgehend ältere Teilnehmer, darunter viele Veteranen der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre und der Proteste gegen den Irakkrieg 2003. Lediglich die Grünen fehlten, die sich inzwischen zur führenden deutschen Kriegspartei entwickelt haben. Teilnehmer unter 50 Jahren waren kaum zu finden. Die Organisatoren hatten sich offenbar nicht bemüht, Jugendliche für die Demonstration zu gewinnen – und wären dazu auch kaum in der Lage gewesen.

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Das liegt am Bankrott ihrer Perspektive. Die Kundgebung verfolgte nicht das Ziel, eine breite Bewegung gegen die Kriegstreiber in Berlin und Washington aufzubauen, sondern eine solche zu unterbinden und der Bundesregierung den Rücken frei zu halten.

Während Deutschland zusammen mit den USA die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten rücksichtslos eskaliert und jede rote Linie überschreitet, beschränkten sich die Kundgebungsredner auf hohle pazifistische Phrasen und moralische Appelle. Sie schürten die Illusion, man könne die Bundesregierung so von ihrem Kriegskurs abbringen. „Waffenstillstand, Verhandlungen, Diplomatie“ lauteten die Stichworte, die einer nach dem anderen wiederholte.

Nicht einer ging auf die Ursachen und Triebkräfte der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten ein, die die Menschheit mit einer nuklearen Katastrophe bedrohen: den Bankrott des Kapitalismus und den Kampf der imperialistischen Mächte, allen voran der USA und Deutschlands, um Hegemonie und die Unterwerfung Russlands, des Nahen Ostens und Chinas.

Gesine Lötzsch (Mitte) mit Linken-Transparent "Russland muss raus aus der Ukraine"

Als erste sprach Gesine Lötzsch, ein führendes Mitglied der Linkspartei, die den Kriegskurs der Bundesregierung in der Ukraine und dem Nahen Osten grundsätzlich unterstützt. Lötzsch schwadronierte sechs Minuten lang allgemein über Frieden, ohne die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.

Während sie sich darüber beklagte, dass Panzer zu viel kosten und durch hohen Spritverbrauch die Umwelt verschmutzen, und dazu aufrief, die Aktie des Panzerbauers Rheinmetall in den Keller zu schicken, marschierte sie gemeinsam mit Parteikollegen hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Russland muss raus aus der Ukraine“. Dem würden auch Selenskyj, Scholz und Biden zustimmen.

Doch es kam noch schlimmer. Nächster Redner war der SPD-Politiker Ralf Stegner, der die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Unterstützung Israels durch die Bundesregierung offensiv verteidigte und behauptete, auch die SPD sei Teil der Friedensbewegung. Das war selbst den duldsamsten Teilnehmern zu viel. Stegners Beitrag ging in Pfiffen und Buhrufen unter.

Doch die Kundgebungsleitung bestand darauf, ihn ausreden zu lassen. Auch Sahra Wagenknecht lobte anschließend ausdrücklich Stegners „Mut“, auf der Kundgebung zu sprechen, auch wenn sie nicht mit all seinen Aussagen übereinstimme.

Als nächstes sprach Peter Gauweiler, der am rechten Rand der bayrischen CSU steht und Donald Trump unterstützt. Der 75-Jährige bekannte, dass er zum ersten Mal in seinem Leben auf einer Friedenskundgebung spreche. Er lobte ausdrücklich seinen politischen Mentor Franz Josef Strauß, der in den 1950er Jahren als Verteidigungsminister die Bundeswehr nuklear bewaffnen wollte und später wegen des Spiegel-Skandals zurücktreten musste. Strauß und CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl, behauptete Gauweiler, hätten sich stets an die deutsche Verfassung gehalten und internationale Einsätze der Bundeswehr abgelehnt. Er erntete stürmischen Applaus.

Sahra Wagenknecht spricht zur Kundgebung

Auf Gauweiler folgte Sahra Wagenknecht. Sie und ihr Ehemann Oskar Lafontaine sind mit Gauweiler seit Jahren persönlich befreundet. Sie lobte ausdrücklich Michael Gorbatschow, der die Deutsche Einheit vor 34 Jahren mit dem Abzug der sowjetischen Truppen ermöglicht habe. Dass damit auch der Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus begann, erwähnte sie nicht.

Wie üblich erzeugte Wagenknecht viel Lärm mit wenig Substanz. Sie wetterte gegen die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, die das BSW wegen seiner Wahlerfolge als “Sicherheitsrisiko“ bezeichnet habe. In Wirklichkeit sei Baerbock das Sicherheitsrisiko: „Wir wollen nicht in Kriege hineingezwungen werden.“ Sie empörte sich über die „Doppelmoral“, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteile, aber nicht die amerikanischen Angriffskriege gegen den Irak und andere Länder.

Sie beschwerte sich über die mangelnde Empathie für die palästinensischen und iranischen Kriegsopfer, die menschenverachtend sei. Sie erklärte, Terroristen könnten nicht durch Terror gestoppt werden. Sie forderte, „Maulhelden der Kriegsführung“ – wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Norbert Röttgen (CDU) – als Kämpfer an die Front zu schicken, damit sie aus eigener Erfahrung den Krieg erlebten.

Teilnehmer der Kundgebung am Großen Stern

Doch auch sie ging nicht über die Forderung nach etwas mehr Diplomatie hinaus. Es ist offensichtlich, dass Wagenknecht trotz ihrer momentanen Wahlerfolge keine Antikriegsbewegung führt und dies auch nicht will. Ihr geht es vielmehr darum, die kapitalistische Herrschaft zu stabilisieren. Deshalb führt sie mit den hundertprozentigen Kriegsbefürwortern CDU und SPD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg Sondierungsgespräche über eine gemeinsame Regierung.

Über Video als Redner zugeschaltet war Salah Abdel-Shafi, der bei der UNO die Palästinensische Autonomiebehörde vertritt, die über den Hals in die israelischen Verbrechen verwickelt ist.

Die Sozialistische Gleichheitspartei verteilte auf der Demonstration den Aufruf „Kampf gegen Krieg bedeutet Kampf gegen Kapitalismus!“, in dem es heißt:

Es ist die tiefe, internationale Krise des Kapitalismus, die die imperialistischen Mächte in den Krieg treibt. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und der Nationalstaat, auf denen der Kapitalismus beruht, sind nicht mit dem internationalen Charakter der modernen Produktion vereinbar, die Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter auf der ganzen Welt in einem einzigen gesellschaftlichen Prozess vereint. Die Jagd der großen Konzerne und Banken nach Profiten, Absatzmärkten und Rohstoffen lässt sich – wie schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg – nicht mehr mit friedlichen Methoden regeln. Die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine sind Teil eines globalen Kampfs um die Neuaufteilung der Welt. …

Die einzige Möglichkeit, die Kriege zu stoppen und eine Katastrophe zu verhindern, besteht in der Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus – also derjenigen, die den ganzen gesellschaftlichen Reichtum schaffen und von der Kriegspolitik am schwersten getroffen werden.

Für eine solche Bewegung entwickelt sich eine mächtige objektive Grundlage: auf der ganzen Welt brechen Proteste und Streiks gegen Massenentlassungen und Lohnkürzungen aus, die sich in wachsendem Maße dem lähmenden Einfluss der Gewerkschaften entziehen. Die zentrale Aufgabe besteht darin, diese Schlachten mit dem Kampf gegen Krieg zu verbinden.

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