Am Donnerstagabend traf Joe Biden in Berlin zu seiner letzten Europareise als US-Präsident ein, um sich an einem eintägigen Krisengipfel mit Vertretern der Regierungen von Deutschland, Großbritannien und Frankreich zu beteiligen. Am Freitag erhielt er mit der „Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik“ von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die höchste deutsche Auszeichnung. Anschließend traf er am Nachmittag zunächst nur mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen und dann auch mit dem britischen Premierminister Sir Keir Starmer und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Auch wenn über die genauen Details der Gespräche nichts bekannt wurde, ist klar, dass es vor allem um die Eskalation der Kriege im Nahen Osten und gegen Russland in der Ukraine ging. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz lobten sich Scholz und Biden gegenseitig für ihre Rolle bei der Nato-Kriegsoffensive gegen Russland und der damit verbundenen massiven militärischen Aufrüstung.
„Deiner Führung ist es zu verdanken, dass Putins Plan gescheitert ist. Dass die Ukraine dank der Tapferkeit ihrer Streitkräfte und der Unterstützung vieler Staaten – allen voran der und Deutschlands – dem imperialistischen Russland seit mehr als zweieinhalb Jahren die Stirn bietet“, erklärte der Kanzler. Deutschland und die USA würden sich weiterhin für eine starke Nato einsetzen, „die jeden Quadratzentimeter ihres Bündnisgebietes verteidigt.“
Biden pries Scholz dafür, mittlerweile „zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben“ und ermutigte ihn, den Kriegsetat weiter zu erhöhen: „Bleiben Sie dran! Es zählt!“ Dass es dabei nicht nur um die Unterwerfung Russlands geht, sondern um die imperialistische Neuaufteilung der gesamten Welt, sprach er offen aus. „Unser Bündnis mit Deutschland geht weit über die Ukraine und Europa hinaus. Es ist global“, erklärte Biden. Man bespräche „zum Beispiel auch die regionale Sicherheit im Nahen Osten sowie die anhaltenden Bemühungen den Libanon und Gaza betreffend.“
Scholz und Biden verteidigten explizit das „Selbstverteidigungsrecht Israels“ – also Israels Völkermord an den Palästinensern – und feierten die Ermordung das Hamas-Führers Yahya Sinwar als wichtigen Schritt hin zu einem Waffenstillstand in Gaza. In Wirklichkeit ist die Tötung Sinwars Bestandteil einer enormen Kriegseskalation in der gesamten Region. Diese richtet sich nun immer direkter gegen den Iran und kennt keinerlei Grenzen und rote Linien mehr.
Der Vorsitzende der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, David North, kommentierte dies mit den Worten: „Bidens Erklärung, in der er die Tötung von Yahya Sinwar begrüßt, hätte von einem faschistischen Führer stammen können und ist ein Beispiel für die Ablehnung demokratischer Grundsätze auf höchster Ebene des US-Staates. Attentate und Völkermord werden als legitime Politik begrüßt.“
Das Gipfeltreffen fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Welt am Rande einer katastrophalen Eskalation der Nato-Kriege im Nahen Osten und in Europa steht. Die Differenzen innerhalb der Nato verschärfen sich sichtbar. In den herrschenden Kreisen Europas wächst die Befürchtung, ein Sieg Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen im nächsten Monat könnte die Beziehungen zu Amerika zerstören. Russland und der Iran haben derweil gewarnt, sie würden Angriffe auf ihr Staatsgebiet durch Nato-gestützte Regime in der Ukraine und Israel mit verheerenden Gegenangriffen beantworten.
Biden sollte bereits letzte Woche zu einem Nato-Gipfel auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein kommen, auf dem der Ukraine der Einsatz von Nato-Langstreckenraketen für Angriffe auf Russland erlaubt werden sollte. Dies scheiterte jedoch, nachdem Russland seine Nukleardoktrin dahingehend geändert hatte, dass auch Atomschläge gegen Atommächte möglich sind, die Länder wie die Ukraine für Angriffe auf russisches Staatsgebiet bewaffnen. Da die Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien und Frankreich mit einem möglichen nuklearen Vergeltungsschlag rechnen mussten, sagte Biden den Nato-Gipfel ab und organisierte stattdessen ein kurzes 24-stündiges Arbeitstreffen der vier Mächte in Berlin.
Der Iran warnt angesichts von Israels Völkermord in Gaza, dass er „entschlossene“ Maßnahmen vorbereite, falls Israel den Iran erneut bombardiert. Nach Israels Einmarsch in den Libanon und der Ermordung des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah hat der Iran als Warnung 200 Raketen auf Israel abgefeuert, woraufhin Israel mit Angriffen auf die iranische Öl- und Atomindustrie gedroht hat. Teheran reagierte darauf mit dem Abbruch der diplomatischen Gespräche mit den USA im Sultanat Oman.
Der iranische Außenminister Abbas Araghchi erklärte am Mittwoch gegenüber UN-Generalsekretär Antonio Guterres: „Der Iran tut zwar alles, um den Frieden und die Sicherheit in der Region zu schützen, ist aber auch in vollem Umfang auf eine entschlossene und bedauerliche Reaktion auf alle Abenteuer vorbereitet.“ Beim ersten Angriff, der als Warnung gedacht war, überforderten Hunderte von iranischen Raketen die israelische Luftabwehr, und viele konnten ihre Ziele treffen. Ein uneingeschränkter Angriff mit tausenden Raketen, und diesmal ohne Vorwarnung, könnte Israel verwüsten.
Bereits die Nato- und die EU-Gipfel am Donnerstag hatten gezeigt, dass die imperialistischen Mächte ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung eine weitere Eskalation ihrer Kriege planen. Die überwältigende Mehrheit der Arbeiter lehnt den Völkermord in Gaza ebenso ab wie die Forderungen aus herrschenden Kreisen, Nato-Truppen in der Ukraine für den Krieg gegen Russland einzusetzen. Doch die Nato-Vertreter diskutieren genau diese Maßnahmen, obwohl sie einen Wirtschaftskollaps oder einen Atomkrieg auslösen könnten.
Am Donnerstag und Freitag faind in Brüssel ein zweitägiges Gipfeltreffen der Nato-Verteidigungsminister statt, bei dem es um die Ukraine und die Kriegspläne der Nato gegen China im Pazifik geht. Nato-Generalsekretär Mark Rutte erklärte, die europäischen Nato-Mächte würden dieses Jahr 50 Milliarden Dollar für die Ukraine ausgeben. Er forderte, die Militärplanung in Asien zu intensivieren.
Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea nahmen zum ersten Mal an einem Nato-Gipfel in Brüssel teil. Rutte begrüßte ihre Anwesenheit mit den Worten: „China und andere autoritäre Regimes unterstützen weiterhin Russlands Angriffskrieg und gefährden die europäisch-atlantische Sicherheit. ... Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass Instabilität in Europa weitreichende Folgen für die ganze Welt haben kann, und dass tausende Kilometer entfernte Länder wie der Iran, China und sogar Nordkorea die Sicherheit in unserem eigenen Hinterhof gefährden können.“
Ruttes Äußerungen fielen vor dem Hintergrund steigernder Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Sowohl die süd- als auch die nordkoreanischen Streitkräfte befinden sich in erhöhter Alarmbereitschaft, nachdem das nordkoreanische Regime als Reaktion auf südkoreanische Drohnenflüge über sein Gebiet die Grenze geschlossen und mit atomarer Vergeltung gegen jeden Einmarsch gedroht hat.
Der Europäische Rat der EU-Staats- und Regierungschefs traf sich ebenfalls am Donnerstag. Sie ließen sich vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erneut den so genannten „Siegesplan“ vorstellen, den er einen Tag zuvor im ukrainischen Parlament präsentiert hatte. Dieser Plan sieht vor, die ukrainischen Bodenschätze im Wert von Billionen Dollar billig an die Nato-Staaten zu verkaufen, und fordert den Beitritt zur Nato sowie Angriffe auf Russland mit Langstreckenraketen, obwohl diese Maßnahmen einen Atomkrieg auslösen könnten.
Der Europäische Rat bekräftigte das Versprechen der Nato, der Ukraine weitere 50 Milliarden Dollar an Hilfe zu zahlen. Er erklärte sich zwar „zutiefst alarmiert über die dramatische militärische Eskalation im Nahen Osten“, bekräftigte aber „Israels Recht, sich zu verteidigen“ – der gleiche Vorwand, den Washington und das israelische Regime für den Völkermord in Gaza und die Aggression gegen den Libanon anführen.
Die weltweite Ausweitung von Kriegen, der Völkermord in Gaza und Selenskyjs Angebot, die Ukraine zugunsten von Bergbaukonzernen der Nato-Staaten ausplündern zu lassen, entlarven die Nato. Sie kämpft nicht für Demokratie in der Ukraine oder gegen islamistischen Terrorismus. Angesichts der Widersprüche des Kapitalismus reagieren die Nato-Mächte wie im letzten Jahrhundert mit Plünderungs- und Vernichtungskriegen. Diese Widersprüche sind einerseits die Unvereinbarkeit der Weltwirtschaft mit dem Nationalstaatensystem, andererseits die Unvereinbarkeit von vergesellschafteter Produktion mit privatem Profit. Die großen Marxisten des 20. Jahrhunderts haben diese Widersprüche als Ursachen für Weltkriege identifiziert.
Dass die Kriege aus unlösbaren wirtschaftlichen Konflikten resultieren, wird aus Berichten deutlich, wonach Russland beim Gipfeltreffen der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) im russischen Kasan nächste Woche die Gründung eines internationalen Zahlungssystems als Alternative zum US-Dollar errichten könnte, das möglicherweise auf Gold basiert. Dies wäre von entscheidender Bedeutung, wenn Russland und China versuchen sollten, die US-Sanktionen zu umgehen und den Iran in einem Krieg gegen Washington wirtschaftlich zu unterstützen. Indem es den Einsatz des Dollars im Welthandel einschränkt, könnte dies zu einem beträchtlichen Wertverlust des Dollar führen.
Die katastrophalen Ergebnisse dieser Kriege für die Nato-Verbündeten treiben die Nato zu weiteren rücksichtslosen, eskalierenden Maßnahmen. Die israelischen Truppen haben es trotz ihrer völkermörderischen Gewalt in Gaza nicht geschafft, die Hamas zu zerschlagen, und ihr Vormarsch gegen die Hisbollah im Libanon ist nach kaum einem Kilometer ins Landesinnere ins Stocken geraten. Eine weitere israelische Eskalation könnte einen katastrophalen Krieg im Nahen Osten auslösen und den Ölhandel des Irans und anderer Staaten am Persischen Golf unterbinden, was die Ölmärkte und die Weltwirtschaft zum Erliegen bringen würde.
In der Ukraine fanden in Kiew Massenproteste gegen das Gemetzel an der Front statt. Die Armee hat mehr als eine Million Todesopfer oder Verwundete zu beklagen und befindet sich an der gesamten Front auf dem Rückzug. Es wird immer klarer, dass die Nato-Mächte in großem Stil eigene Truppen in die Kriege schicken müssten, um die Lage zu ändern.
Ein destabilisierender Faktor für die Pläne der Nato sind die wachsenden Spannungen zwischen Washington und seinen europäischen Verbündeten angesichts der US-Präsidentschaftswahlen. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit verheerende Zölle auf europäische Exporte in die USA verhängt, und es mehren sich die Befürchtungen, dass er diese nach seiner Wiederwahl verschärfen könnte. In einem Artikel von Politico über das Gipfeltreffen in Berlin mit dem Titel „Bidens Mission: Deutschlands Angst vor Trump besänftigen“ wurden einige der Bedenken in den herrschenden Kreisen Europas aufgegriffen.
Darin hieß es: „Trotz des unausweichlichen Geredes über die Bedeutung des Bündnisses zwischen den beiden Nationen hinterließen Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz der Welt einen eingefrorenen Konflikt in der Ukraine ... Ein Sieg Donald Trumps in den US-Präsidentschaftswahlen, der Zweifel an der weiteren amerikanischen Unterstützung für Kiew aufgeworfen hat... würde die amerikanisch-europäischen Beziehungen über Nacht in eine Krise stürzen.“
Politico warnte vor einem Wettrüsten innerhalb Europas und fügte hinzu: „Ein Sieg Trumps würde Länder wie Deutschland dazu bringen, sich mehr auf die Stärkung ihrer eigenen Sicherheit zu konzentrieren, statt weiterhin der Ukraine zu helfen.“ Medienberichte, laut denen das Gipfeltreffen in Berlin ausdrücklich darauf ausgelegt war, Polen auszuschließen, unterstreichen diese innereuropäischen Spannungen.
Die entscheidende Frage ist, die Arbeiter weltweit vor der drohenden Gefahr einer militärischen Eskalation zu warnen und sie dagegen zu mobilisieren. Die Pläne der kapitalistischen Regierungen, noch mehr Blut zu vergießen, weitere Milliarden in diese Kriege zu stecken, ihre Kriegsmaschinerien auszubauen und den Lebensstandard und die sozialen Rechte der Arbeiter anzugreifen, um diese Skrupellosigkeit zu finanzieren, müssen bekämpft werden. Dies erfordert den Aufbau einer internationalen sozialistischen Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg und das kapitalistische System.