Die Verabschiedung des sogenannten „Migrationspakts“ im April haben die Europäische Union (EU) und führende EU-Staaten zum Anlass genommen, ihre flüchtlings- und migrantenfeindliche Politik zu eskalieren und demokratische Rechte aller Arbeiter auf breiter Front anzugreifen. Während die italienische Regierung unter der Faschistin Giorgia Meloni dabei in mancher Hinsicht als Speerspitze fungiert, ist längst ein Wettrennen unter den europäischen Mächten darüber entbrannt, wer am härtesten und mit den kriminellsten Methoden gegen Migranten vorgeht.
Bei einer außerordentlichen Sondersitzung erließ das italienische Kabinett am Dienstagabend in Rom ein Dekret, das die von der Regierung festgelegte Definition für „sichere“ Herkunftsländer gesetzlich festschreibt und sofort in Kraft tritt. Die Meloni-Regierung setzt sich damit über ein Gerichtsurteil hinweg, das die Überführung von Geflüchteten nach Albanien für unrechtmäßig erklärt hatte. Künftig wird Italien auf albanischem Territorium zwei große Internierungslager betreiben, in denen Asylbewerber unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert werden.
Italienische Beamte sollen auf diese Weise „im Schnellverfahren“ außerhalb der EU über bis zu 36.000 Asylanträge im Jahr entscheiden. Wer abgelehnt wird, soll von Albanien aus wieder abgeschoben werden. Ein Artikel des Spiegel bezeichnet das Projekt als „Melonis Mini-Guantánamo“ und stellt fest, dass viele EU-Staaten die Maßnahme als „Vorbild“ betrachten. Neben dem US-amerikanischen Foltergefängnis auf Kuba dürften auch die KZ-ähnlichen Bedingungen von Flüchtlingszentren wie Moria als Vorlage dienen, die bald überall an europäischen Außengrenzen zu herrschen drohen.
Wenige Tage zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die auf EU-Ebene eng mit Meloni zusammenarbeitet, einen neuen Gesetzentwurf zur Abschiebung von Migranten angekündigt. Der geplante Vorschlag aus Brüssel habe laut Spiegel die Absicht, „den Rückführungsprozess wirksam zu straffen“ und verfolge das Ziel, „dass jedes EU-Land die Entscheidung über eine Abschiebung in einem anderen Mitgliedstaat anerkenne“. Dies erfordere in der EU einen „neuen Rechtsrahmen, um unsere Handlungsfähigkeit zu verbessern“. Von der Leyen erklärte weiter, dass die EU neben bestehenden Migrationsabkommen mit Tunesien, Libyen und der Türkei weitere ähnliche „Partnerschaften“ mit westafrikanischen Staaten wie Mauretanien, Mali und dem Senegal anstrebe.
Derweil überbieten sich die europäischen Regierungen mit reaktionären Vorstößen gegen Geflüchtete und demokratische Rechte. Die von Präsident Macron kürzlich eingesetzte weit rechts stehende französische Regierung strebt laut einem Artikel in Le Monde ein neues Gesetz an, das es erlauben soll, Flüchtende anstelle von bisher 90 Tagen künftig für bis zu 210 Tage festhalten zu dürfen. Die Regierung unter Premierminister Michel Barnier und Innenminister Bruno Retailleau teilte in dieser Woche außerdem mit, die Grenzkontrollen zu Belgien, Luxemburg, Deutschland, Italien und der Schweiz mindestens bis zum 30. April des nächsten Jahres zu verlängern. Ähnliche Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes wurden zuletzt auch von Deutschland, Österreich, Norwegen und Dänemark wieder eingeführt.
Die polnische Regierung des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk geht unterdessen noch härter gegen Einwanderer vor als ihre Vorgängerregierung der PiS-Partei. Zuletzt autorisierte sie den Einsatz von Schusswaffen bei bestimmten Fällen „irregulärer“ Grenzüberquerung. Tusk kündigte überdies eine „zeitweise territoriale Aussetzung des Asylrechts“ an, insbesondere mit Blick auf Belarus und Russland. Es handelt sich bei den Plänen um einen klaren Verstoß gegen internationale und europäische Verträge und gegen die polnische Verfassung.
Im Duktus eines lupenreinen Faschisten erklärte Tusk: „Wir befestigen die Grenze und wenn es um illegale Migration geht, werde ich absolut hart und rücksichtslos sein, auch wenn ich dafür verprügelt werde, und keine europäischen Ideen anerkennen und umsetzen, die unsere Sicherheit gefährden. Ich spreche hier vom Migrationspakt, keiner wird mich dazu zwingen.“
Tatsächlich bilden brutale und illegale Maßnahmen wie die von Tusk angekündigten geradezu den Wesenskern des sogenannten Migrationspakts und sind dessen gewünschtes Ergebnis. In einem Artikel zur Verabschiedung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) erklärte die World Socialist Web Site:
Mit der endgültigen Verabschiedung des GEAS am 10. April hat das Europäische Parlament das Asylrecht faktisch außer Kraft gesetzt und die Migrationspolitik der extremen Rechten zum Gesetz erhoben. Die beschlossenen Maßnahmen sehen die hermetische Abriegelung der europäischen Außengrenzen vor. Das bedeutet, dass Geflüchtete ihr Asylverfahren außerhalb der EU, in geschlossenen, militärisch bewachten Haftlagern durchlaufen müssen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser brüstete sich damit, dass Deutschland bei der Umsetzung des Migrationspakts vorangehen werde und kündigte ein „Sicherheitspaket“ neuer Gesetzesvorhaben an, das unter anderem zusätzliche Befugnisse für Sicherheitsbehörden und strengere Regeln beim Aufenthaltsrecht vorsieht. Außerdem sollen ausreisepflichtigen Geflüchteten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, in Zukunft die Sozialleistungen gestrichen werden.
Am Wochenende reiste Bundeskanzler Scholz nach Istanbul, um mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan über beschleunigte Rückführungen im Tausch gegen weitere Waffenlieferungen zu verhandeln. Seit 2016 besteht zwischen der EU und der Türkei ein informelles Abkommen, Flüchtlinge in der Türkei von der Einreise nach Europa abzuhalten. Zuletzt deportierte die türkische Regierung 50.000 Flüchtlinge zurück nach Syrien. Im Anschluss an das Treffen signalisierte Erdoğan, „offen“ dafür zu sein, die EU-Staaten auch von Flüchtlingen aus dem Libanon abzuschirmen.
Bereits im September unterzeichneten Scholz und Kenias Präsident William Ruto in Berlin einen weiteren umfassenden Migrationsdeal, der Deutschland zwar Zugang zu „qualifizierten Arbeitskräften“ bieten, zugleich aber Abschiebungen beschleunigen und Rutos Regierung stützen soll. Die korrupte kenianische Regierung schlägt seit Monaten Massenproteste blutig nieder, die Rutos Rücktritt und die Rücknahme von Sparmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds (IWF) fordern. Ruto, dessen Polizeikräfte mindestens 39 Demonstranten getötet haben und seit Jahren für außergerichtliche Tötungen berüchtigt sind, sprach mit Blick auf den Deal mit Deutschland gegenüber der Presse von einem „Win-Win-Ergebnis“.
Im Juli 2023 schloss die EU ein Abkommen mit der rechten tunesischen Regierung von Kais Saied, das unter anderem vorsah, das tunesische Grenzregime mit 105 Millionen Euro zu finanzieren, um Flüchtende an der Überquerung des Mittelmeers zu hindern.
An der spanischen EU-Außengrenze fungiert die marokkanische Regierung von König Mohammed VI in Übereinkunft mit der PSOE-Podemos-Regierung in Madrid seit Sommer 2022 als brutaler „Gatekeeper“ Europas. Zur Abmachung zählt, dass Spanien die Souveränität Marokkos über das ehemals spanisch besetzte Gebiet der West-Sahara anerkennt. Angaben der marokkanischen Streitkräfte zufolge wurden im Jahr 2023 rund 87.000 Migranten aufgehalten, ein starker Anstieg im Vergleich zu rund 56.000 zwischen Januar und August 2022. Die EU hat Marokko zwischen 2014 und 2022 1,2 Milliarden Euro bereitgestellt, davon hunderte Millionen für den Zweck, gegen Migranten vorzugehen.
Im Juni 2022 hatten marokkanische „Sicherheitskräfte“ Geflüchtete aus den Kriegsregionen des Sahel und des Sudan mit Waffengewalt von der spanischen Grenze vertrieben, wobei sie mindestens 23 Menschen töteten. Im Jahr 2023 starben so viele Menschen wie nie zuvor im Atlantischen Ozean bei dem Versuch, spanisches Territorium zu erreichen. Wie die österreichische Kronen Zeitung unter Berufung auf hochrangige EU-Vertreter berichtet, soll die bisherige Übereinkunft dennoch noch in diesem Jahr durch einen „Migrationspakt“ vertieft werden, auf dessen Grundzüge sich die EU und Marokko im Dezember vergangenen Jahres verständigt haben. Der Oberste Gerichtshof Spaniens verurteilte im Januar dieses Jahres die behördliche Entscheidung als „illegal“, Dutzende unbegleitete Minderjährige aus der spanischen Exklave Ceuta im Mai 2021 nach Marokko zurückzuschicken.
Auch in Libyen arbeitet die EU seit Jahren eng mit Behörden und paramilitärischen Kräften zusammen, die ein System von schwersten Verstößen gegen die Menschenrechte beaufsichtigen. So brüstet sich eine aktuelle EU-Mitteilung damit, im Rahmen der European Union Border Assistance Mission to Libya (EUBAM Libya) Grenzschutzbeamte des libyschen Innenministeriums operativ zu trainieren und auszubilden. Die sogenannte „Libysche Küstenwache“ wird von der EU seit Jahren mit Ausrüstung und Finanzmitteln im Wert von Millionen Euro unterstützt.
Die Website InfoMigrants hat Augenzeugenberichte zusammengestellt, denen zufolge Flüchtende in Libyen „täglich konfrontiert sind mit physischer und sexualisierter Gewalt, Zwangsarbeit, Ausbeutung, willkürlicher Inhaftierung und Erpressung“. Selbst die Sprecherin des Menschenrechtsbüros der Vereinten Nationen Liz Throssell sprach im Juli gegenüber der Deutschen Welle von „weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber in Libyen“, darunter Folter, Zwangsarbeit, Erpressung, Verhungern unter unerträglichen Haftbedingungen, Massenvertreibungen und Menschenhandel. Dies geschehe „in großem Umfang und ungestraft, wobei sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure oft zusammenarbeiten“.
Nach den Migrationsdeals mit der Türkei, Tunesien, Libyen und Marokko hat die EU im Mai dieses Jahres auch mit dem Libanon ein Abkommen unterzeichnet, das vorsieht, dass das Land syrische Flüchtlinge an der Ausreise nach Europa hindert und im Gegenzug eine Finanzspritze von einer Milliarde Euro erhält. Inmitten von Israels eskalierenden Militärschlägen gegen den Libanon warnen Hilfsorganisationen, dass auch dieses Abkommen weiteren Verstößen gegen die Menschenrechte den Weg bereitet.
Der Feldzug gegen Geflüchtete und Einwanderer entspringt derselben kapitalistischen Logik, die auch der weltweiten Kriegseskalation zugrunde liegt. Er richtet sich gegen die europäische und internationale Arbeiterklasse als Ganzes, deren Teil sie sind, und muss von Arbeiterinnen und Arbeitern in Europa deshalb vehement zurückgewiesen werden. Die Antwort muss eine sozialistische Politik sein, die sich auf die internationale Einheit der Arbeiterklasse, eine Anerkennung ihrer gemeinsamen Interessen und eine Perspektive stützt, den Kapitalismus zu stürzen. Für diese Orientierung kämpfen die Sozialistischen Gleichheitsparteien in Europa und weltweit.