Im Juni 1941 begann Nazi-Deutschland das Unternehmen Barbarossa, den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, in dem nicht nur ganze Städte und die wirtschaftliche Infrastruktur der Sowjetunion zerstört, sondern auch die Bevölkerung ausgerottet werden sollten, um Platz für die Besiedelung des Landes durch deutsche Bürger zu machen. Die Folgen waren 27 Millionen Tote in der Sowjetunion sowie der Holocaust, die Vernichtung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden.
In bevölkerungsreichen Gebieten der Sowjetunion, die die Nazis besetzt hatten, wurde der „Hungerplan“ umgesetzt, der von SS-Obergruppenführer Herbert Backe, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, entwickelt worden war. Nazi-Funktionäre kamen zu dem Schluss, dass durch diesen Plan „zig Millionen Menschen verhungern“ würden. Eine Aktennotiz der Staatssekretäre hält fest: „Viele 10 Millionen von Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen.“ 3,3 Millionen Einwohner der Sowjetunion wurden vorsätzlich ausgehungert.
In diesem Monat hat der Staat Israel eine für das 21. Jahrhundert modernisierte Version des „Hungerplans“ beschlossen. Die Rolle Herbert Backes spielt heute Giora Eiland, ein ehemaliger Generalmajor der Israelischen Verteidigungskräfte und früherer Leiter des israelischen nationalen Sicherheitsrates.
Eiland hat sich seit über einem Jahr dafür eingesetzt, die Bevölkerung des Gazastreifens bewusst auszuhungern, um die Bewohner der Region auszurotten und zu vertreiben. In den letzten Monaten hat Eiland seinen Plan zu einem umsetzbaren Vorschlag konsolidiert, sämtliche Lieferungen von Nahrungsmitteln in den nördlichen Gazastreifen einzustellen, damit „die Menschen dort nicht mehr leben können. Das Wasser wird austrocknen“, wie er es formulierte.
Daraufhin würde Israel das gesamte Gebiet in eine „Free-Fire Zone“ verwandeln, in dem Todesschwadronen – moderne Neuauflagen der Einsatzgruppen der Nazis – jeden töten würden, der sich der Zwangsumsiedlung widersetzt.
Am 12. Oktober berichtete CNN:
Ein ehemaliger hochrangiger Militärangehöriger, der mit der Denkweise der israelischen Regierung und der Führung des Sicherheitsapparats vertraut ist – aber nicht direkt an der Entscheidungsfindung beteiligt war – erklärte gegenüber CNN, das Kabinett habe „eine Version“ von Eilands Vorschlag angenommen, der als „Der Plan der Generäle“ bekannt wurde. Eiland erklärte gegenüber CNN, diese Behauptung sei „durchaus wahr.“
Als Teil dieses Plans hat Israel sämtliche Lieferungen von Nahrungsmitteln in den nördlichen Gazastreifen eingestellt, sodass die Gesamtmenge der Lieferungen auf den tiefsten Stand seit Beginn der Militäroffensive im letzten Jahr gesunken ist. Einheiten der israelischen Armee haben Krankenhäuser umstellt, wahllos Luftangriffe durchgeführt und Flüchtlingslager belagert, deren Einwohner mit vorgehaltener Waffe nach Süden vertrieben wurden. Im Verlauf der Operation wurden mehr als 700 Palästinenser von israelischen Truppen getötet, zahllose andere sind verhungert oder an vermeidbaren Krankheiten gestorben.
Vor diesem Hintergrund hat US-Außenminister Antony Blinken seine elfte Reise nach Israel seit Beginn des Krieges unternommen. Am Dienstag traf er sich mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu einer – in den Worten aus Netanjahus Büro – „freundschaftlichen und produktiven Diskussion“ über Israels Krieg gegen die Palästinenser.
Spätere Medienberichte haben deutlich gemacht, dass der Massenvernichtungsplan den Mittelpunkt der Diskussion gebildet hatte. Die Washington Post schrieb:
US-Regierungsvertreter erklärten Netanjahu, es bestehe der „Eindruck“, dass Israel die Strategie verfolge, „den Norden zu isolieren und den Einwohnern zu sagen, dass sie faktisch Ziele seien, wenn sie ihn nicht verlassen, und dass keine Nahrungsmittel hineingelassen würden“.
Als die US-Delegation fragte, ob sich die Netanjahu-Regierung aus Gründen der Wirkung in der Öffentlichkeit von dem Massenvernichtungsplan distanzieren würde, „lehnten die Israelis eine derartige Erklärung ab“, schrieb die Washington Post.
Als Reaktion auf diese sehr deutliche Erklärung gab Blinken ein Kommuniqué heraus, in dem er die uneingeschränkte Unterstützung der USA für Israel erklärte: „Der Minister bekräftigte das eiserne Engagement der Vereinigten Staaten für Israels Sicherheit“ und versprach, die „laufenden Bemühungen der Vereinigten Staaten und ihrer Partner“ zur Unterstützung Israels fortzusetzen.
Blinkens Besuch ist von weitreichender politischer und historischer Bedeutung. Ein führender Repräsentant der amerikanischen Regierung wurde von Israel über einen geplanten Massenmord informiert und hat diesem Vorhaben einfach bedingungslos und umfassend seine Zustimmung erteilt.
Das bedeutet, dass der israelische „Hungerplan“ nicht nur die Politik der Netanjahu-Regierung ist, sondern auch die der Biden-Regierung, die den Völkermord mit Geld, Waffen und politischer Deckung unterstützt.
Doch gleich nachdem Biden das Treffen verließ, begann er über den Inhalt der Diskussion zu lügen: „Ich habe vom Ministerpräsidenten, der die maßgebliche Stimme in diesen Dingen ist, gehört, dass die israelische Regierung die erneute Besetzung des Gazastreifens ablehne.“
Niemand hielt es für nötig, Blinken darauf hinzuweisen, dass Israel den Gazastreifen seit 1967 – seit mehr als 57 Jahren – illegal und dauerhaft besetzt und unter Kontrolle hält, und dass Israel im Verlauf des letzten Jahres die meisten Gebäude in der Region zerstört und 95 Prozent der Bewohner vertrieben hat. Stattdessen betont Blinken, Israel habe kein Interesse an der „erneuten Besetzung“ des Gazastreifens, und die USA würden eine solche Politik nie unterstützen.
Diese Aussagen Blinkens stellen eine Form von kriegspropagandistischer Desinformation dar und sollen die tatsächliche Politik der US-Regierung vertuschen. Doch im Gegensatz zu traditioneller Desinformation, die feindliche Streitkräfte über Truppenverlegungen und Pläne hinwegtäuschen soll, ist diesmal die amerikanische Bevölkerung das Ziel der Täuschung. Die Biden-Regierung versucht, ihre Komplizenschaft an dem Völkermord zu vertuschen.
Offen gesagt, ist Blinken nach Israel geflogen, um die Erlaubnis zum vorsätzlichen Aushungern des Gazastreifens, der ethnischen Säuberung des Norden und der systematischen Ausrottung aller noch verbliebenen Einwohner zu erteilen. Die Biden-Regierung begeht in etwas kleinerem Ausmaß jedes Verbrechen, dessen Robert Jackson, der Chefankläger der Nürnberger Prozesse, die Führer von Hitler-Deutschland angeklagt hat. Jackson hatte erklärt, mit der Verurteilung der Führer des nationalsozialistischen Deutschland würde die amerikanische Regierung falls sie jemals ähnliche Verbrechen begehen sollte, „einen vergifteten Becher …an unsere eigenen Lippen“ bringen. Blinken hat diesen Kelch bis zum letzten Tropfen ausgetrunken.
Blinken, Biden und Harris sind Kriegsverbrecher. Sie sprechen nicht nur für den amerikanischen Imperialismus, sondern für alle imperialistischen Mächte, die sich offen zu jeder Form von sozialer Barbarei bekennen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, ein führendes Mitglied der Grünen, verteidigte Anfang des Monats offen Angriffe auf Zivilisten:
Wenn Hamas-Terroristen sich hinter Menschen, hinter Schulen verschanzen, dann kommen wir in ganz schwierige Bereiche. Aber wir ducken uns davor nicht weg. Deswegen habe ich vor den Vereinten Nationen deutlich gemacht: Dann können auch zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren; weil Terroristen diesen missbrauchen. Dazu steht Deutschland, das bedeutet für uns Sicherheit Israels.
Diese Erklärung wiederholt im Grunde nur, was Eiland seit über einem Jahr gesagt hat: dass „die ‘armen’ Frauen im Gazastreifen... alle die Mütter, Schwestern oder Frauen von Hamas-Mördern“ sind und genauso getötet werden sollten wie diejenigen, die bewaffneten Widerstand leisten. Die imperialistischen Mächte erklären die Zivilisten zum Freiwild, das ausgerottet werden muss.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auf der ganzen Welt erklären sie dass ein neuer Weltkrieg begonnen hat. So heißt es im Leitartikel der aktuellen Ausgabe von Foreign Affairs:
Die Ära begrenzter Kriege ist vorbei, und ein Zeitalter umfassender Konflikte hat begonnen. Tatsächlich entspricht die heutige Weltlage dem, was Theoretiker der Vergangenheit als ‘totalen Krieg’ bezeichnet haben, in dem Kombatanten immense Ressourcen zur Verfügung haben, ihre Gesellschaften mobilisieren, Kriegsführung vor allen anderen staatlichen Aktivitäten priorisieren, eine breite Palette von Zielen angreifen und ihre Wirtschaften und diejenigen anderer Staaten umgestalten.
Zu behaupten, dass diese neue Ära globaler Kriegsführung es Ländern ermögliche, „eine breite Palette von Zielen anzugreifen“, ist eine Verharmlosung des Sachverhalts, dass das Völkerrecht ausgesetzt wird und Zivilisten, Krankenhäuser oder humanitäre Organisationen Freiwild sind. Das „israelische Modell“ soll zum Vorbild für künftige Kriege werden.
Der Vorsitzende der Redaktion der World Socialist Web Site David North hielt am Dienstag in Frankfurt eine Rede mit dem Titel „Zurück in die Zukunft: Faschismus, Krieg und Klassenkampf im 21. Jahrhundert“. North erklärte: „Wir sagen ‘zurück in die Zukunft’, weil die Phänomene Krieg, Völkermord und Faschismus wiederkehren.“ Er fuhr fort:
All die Schrecken, die wir heute beobachten, die Schrecken des Völkermords, die Rückkehr des Faschismus und die Kriegsgefahr, gleichen den Realitäten des 20. Jahrhunderts, insbesondere der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und hier besonders der 31 Jahre zwischen 1914 und 1945.
North kam zu dem Schluss:
Wenn es eine Zukunft geben soll, muss sich die Arbeiterklasse und müssen sich die fortgeschrittenen Teile der Jugend wieder ein Verständnis der marxistischen Analyse der Gesetze des Kapitalismus aneignen.
Der Völkermord in Gaza hat Massenproteste von Millionen Menschen auf der ganzen Welt ausgelöst. Allerdings fehlt diesem Widerstand bisher eine Perspektive mit dem Ziel, die Grundursache von Völkermord und allen anderen Formen imperialistischer Barbarei aus der Welt zu schaffen: den Kapitalismus. Der Kampf gegen den Völkermord im Gazastreifen muss als Kampf der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System und für den Aufbau des Sozialismus durchgeführt werden.