Seit vier Jahren hat Daniel Shuminov schon für das Historische Museum Frankfurt gearbeitet. Erst als er sich für ein Palästina-Camp engagiert hat, stellte die Museumsleitung „Bedenken“ gegen ihn fest und entzog ihm alle Aufträge. Der World Socialist Web Site berichtete Shuminov in einem Interview, wie es dazu kam.
Ich habe vor etwa vier Jahren, Ende 2019, angefangen, im Historischen Museum zu arbeiten: erst als Publikumsbetreuer, der in der Ausstellung den Leuten beim Auffinden von Exponaten hilft, und seit 2021 auch als Guide. Das hat mit unserer Wechselausstellung damals angefangen, die ein Jahr lang das Thema „Frankfurt und der NS“ behandelte. Weil ich schon Erfahrung mit Workshops hatte und auch politisch als Antifaschist aktiv war, wurde mir angeboten, auf diesem Gebiet – vor allem für die Vermittlung der Geschichte des Faschismus – als Guide zu arbeiten.
Dies sei drei Jahre lang, bis zu diesem Sommer, gut gegangen, bis Daniel sich für das Palästina-Camp „Hind’s Garden“ an der Goethe-Uni engagierte. Das Camp dauerte vom 20. bis zum 26. Mai und Daniel war sein gewählter Sprecher. Der WSWS sagte Daniel damals: „Wir finden, dass es eine unbedingte Notwendigkeit ist, uns gegen den Genozid im Gaza auszusprechen (…) Wir sind Teil einer Weltbewegung von über 200 solcher Camps.“
Kurz nach dem Camp setzte der faktische Auftragsstopp des Museums ein. Seither hat es dem Soziologiestudenten keine neuen Aufträge mehr erteilt und ihn damit kurz vor Abschluss seiner Masterarbeit auch existentiell in eine schwierige Lage gebracht. Daniel berichtet:
Es begann unmittelbar nach dem Camp. Wir sind ja beim Historischen Museum freie Mitarbeiter. Das heißt, wir tragen uns selbst ein, wann wir Zeit haben. Und ich hatte mich nach dem Camp sofort wieder im Plan eingetragen. Dann erhielt ich einen Anruf am 12. Juni, wo es darum ging, dass es jetzt „Bedenken“ seitens der Geschäftsführung gegen mich geben würde, wegen meiner politischen Aktivität als Pressesprecher auf dem Camp, sowie auch wegen der Aussagen, die ich eine Woche später auf einer Demonstration getätigt haben soll.
Welche Aussagen das seien, oder wie genau die Bedenken lauteten, all das wurde nicht gesagt. Darüber gebe es interne Diskussionen, an denen ich mich nicht beteiligen könne. Ich hatte mindestens eine Führung geplant, aber am 12. Juni wurde ich schon aus allen Aufträgen ausgetragen. Ich sollte abwarten bis zum 18. Juni, um weitere Informationen zu bekommen. Schon da habe ich klar gesagt, dass ich das überhaupt nicht in Ordnung finde und gerne mitreden würde bei allem, was gegen mich im Raum stand.
Das wurde rundheraus abgelehnt. Am 18. Juni wurde mir mitgeteilt, dass ich vorerst keine Aufträge mehr erhalten könne. Das stand ganz klar im Zusammenhang mit dem Camp. Darüber würde nun das Direktorium entscheiden, und bis August dürfe ich nicht arbeiten. Auch dagegen habe ich telefonisch Widerspruch eingelegt. Auch schickte ich dem Museum das Video mit meiner Rede an besagter Kundgebung. Ich wollte wirklich Transparenz schaffen, und ich bat darum, ihre Begründung schriftlich per Mail zu bekommen.
Für mich hörte sich das beim Telefonat bereits so an, dass hier nicht mit fairen Karten gespielt wurde – denn ganz am Ende des Telefonats wurde noch die Begründung eingeschoben, dass es aktuell kein Bedarf gäbe. Bis heute erhalte ich noch die Mails, dass dringend Personal gesucht wird.
(…) Eine schriftliche Bestätigung der Suspendierung habe ich nie bekommen. Wie es aussieht, hat man penibel darauf geachtet, mir über die wirklichen Gründe nichts Schriftliches zu geben. Erst Ende Juli wurde mir dann endlich ein Gespräch angeboten, nachdem ich mehrere Protestmails geschrieben hatte. Doch sobald ich darum bat, dass ein Kollege oder eine Kollegin mitkommen könne und wir das Gespräch protokollieren dürften, wurde ich wieder ausgeladen.“
An diesem Punkt kam auf einmal das Thema ins Spiel, dass es Zweifel an der Qualität von Shuminovs Führungen gegeben habe. Dazu sagt der Guide:
„Das Narrativ, dass meine Führungen irgendwie mangelhaft waren, das entstand erst 5 oder 6 Wochen nach der Suspendierung. Das Ganze wirkte schon sehr kalkuliert, wie sie sich auch in ihren E-Mails niemals auf das Camp bezogen oder auf die Gespräche, die wir dazu schon hatten. Davor war es telefonisch durchaus klar gewesen, dass die ganze Sache Camp-bezogen war.“
Daniel Shuminov ist überzeugt, dass seine Suspendierung nichts mit der Qualität seiner Führung zu tun haben kann. Er hat seither erneut Führungen, diesmal vor dem Museum, angeboten, um den Gegenbeweis anzutreten. Auf dem Gebiet des Faschismus in Frankfurt kennt er sich aus. Die „Bedenken“ sind offenbar auf gezielte Diffamierung aus zionistischen Kreisen zurückzuführen. Er erklärt:
… wobei man sagen muss, es gab auch schon vor dem Camp eine Diffamierung gegen mich, nämlich, dass ich bei meinen Faschismusführungen Jüdinnen nicht als Opfergruppe benannt haben soll. Also: Man kann überhaupt nicht über den Faschismus reden, ohne Jüdinnen als Opfergruppe zu benennen. Es ist absurd, auch weil ich selbst einen jüdischen Familienhintergrund habe.
Er erklärt, dass er einen jüdischen Vater hat, sich selbst aber nicht als Juden bezeichnet, „weil ich nicht mehr gläubig bin und das als Religion, und nicht als Ethnie betrachte. Aber das ist eine andere Diskussion, die ich in diesem Kontext nicht wichtig finde.“ Aus „Respekt der Religion gegenüber“ beteilige er sich auch an jüdischen Festen: „Das heißt, ich hab schon viele Berührungspunkte und kenne mich auch ein bisschen aus. Das ist so mein Hintergrund.“
Inzwischen werde jedoch mehr und mehr den Verleumdungen Glauben geschenkt. Er fährt fort:
Es ist wirklich absurd. Und ich habe meiner Chefin gesagt, dass ich das als Diffamierung einschätze. Und dass ich mir wünsche, dass die Geschäftsführung das prüft. Sie könnte auch frühere Besucher fragen, ob das denn stimme. Man könnte auch gerne unangemeldet an meinen Führungen teilnehmen. Aber alldem wird leider nicht nachgegangen.
Er berichtet, dass pro-palästinensische Personen systematisch bei ihren Arbeitgebern angeschwärzt und anonym verleumdet werden:
Das hat tatsächlich System, und es gibt Leute, die bei den Arbeitgebern von pro-palästinensischen Aktivisten anrufen und wilde Sachen behaupten: Wir seien gewalttätig, wir seien Antisemiten und so weiter. Das kam sogar an der ehemaligen Arbeitsstelle meines Vaters vor (der heute Rentner ist), weil man uns beide verwechselt hat. Da hat jemand einfach gegoogelt oder irgendwie recherchiert, wo wohl ein Schuminov arbeiten könnte, und dann versehentlich dort angerufen, wo mein Vater früher mal gearbeitet hatte. Auch dort wurden schlimme Sachen über mich erzählt.
Daniel findet es besonders übel, als „antisemitisch“ verleumdet zu werden. „Das tut weh, denn wer mir Antisemitismus vorwirft, der wirft mir eigentlich auch vor, einen Teil meiner Familie zu hassen. (…) Das lenkt auch sehr stark ab vom realen Antisemitismus, den es ja gibt in Deutschland.“
Er weist darauf hin, dass der eigentliche hessische Antisemitismus-Beauftragte, der CDU-Abgeordnete Uwe Becker, Staatssekretär im hessischen Finanzministerium, sich stark im zionistischen Sinne äußert. „Ich habe noch keine politische Aktivität von Becker als Antisemitismus-Beauftragter miterlebt, die nicht im Kontext des Zionismus stand.“ Das Schlimme daran sei:
Das führt eben dazu, dass die wachsende faschistische Bewegung in Deutschland völlig ignoriert wird. Und große Parteien wie die AfD, die offen mit Antisemiten zusammenarbeiten, geraten komplett aus der Schusslinie. Denn die Sündenböcke sind ja jetzt wir pro-palästinensischen Aktivisten. Und selbst wenn wir jüdischen Familienhintergrund haben, ist das komplett irrelevant. Wir werden trotzdem aus unseren Jobs geschmissen.
Man übersieht, dass jüdische Stimmen sehr heterogen sind. In fast jeder jüdischen Familie gibt es verschiedene Einschätzungen über diesen Genozid. Das ist vollkommen menschlich und normal. (…)
Bei der Repression sind Jüdinnen und Juden massiv überrepräsentiert! Es gibt natürlich keine perfekte Datenerhebung. Aber die Zahlen, die die Aktivisten zusammengestellt haben, zeigen, dass ungefähr dreißig Prozent der Aktivisten jüdisch sind. Und der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Deutschland liegt bei 0,2 Prozent. Das ist eine massive Überrepräsentanz, ganz klar.
Aufgrund seines frühen Engagements gegen Faschismus und seiner Arbeit in der Ausstellung „Frankfurt und der NS“ weiß Daniel über die Geschichte des Faschismus in Frankfurt gut Bescheid:
Ich hatte aus der Wechselausstellung damals viele Infos, die später nicht mehr ausgestellt wurden, in das Konzept der Führungen übernommen. Das lief so gut, dass ich gefragt wurde, ob ich das Führungskonzept nicht mitüberarbeiten möchte. Ich hatte sehr viele Führungen mit Jugendlichen. Die meisten Buchungen kommen ja von Schulklassen, von der Oberstufe, die sich in den Leistungskursen damit befassen. Und wenn man sich einmal mit dieser Geschichte befasst, dann muss das ja politisieren.
Im Frankfurter Auschwitz-Prozess [1963–1965] sind gerade mal 20 der 7.000 Täter des KZ Auschwitz verurteilt worden. Tatsächlich ist keine Instanz, die in Frankfurt während der Nazizeit in besonderer Verantwortung stand, auch wirklich vor Gericht verurteilt worden. Von 3.000 Gestapo-Mitarbeitern in Frankfurt wurde nur einer, [der Leiter des sogenannten „Judenreferats“ bei der Frankfurter Gestapo] Heinrich Baab, verurteilt.
Hier in Frankfurt gab es, wenn man das Lager mit Sinti und Roma mitzählt, drei Konzentrationslager, und alle Lagerleiter wurden nach dem Krieg freigesprochen, oder die Verfahren wurden eingestellt. Auch der Oberbürgermeister von Frankfurt, der nach dem sogenannten Führerprinzip die meiste Verantwortung trug, Friedrich Krebs, kam niemals vor Gericht und wurde als „Mitläufer“ eingestuft. Er blieb noch bis 1958 im Stadtparlament, durfte später wieder als Anwalt arbeiten.
Von den Aufsichtsräten der IG Farben waren zunächst 23 angeklagt, aber nur 11 wurden verurteilt. Andere durften – wie zum Beispiel Hermann Josef Abs – später noch Vorstand der Deutschen Bank werden. Und man hat Säle und Bauwerke nach ihnen benannt.
Von den elf Verurteilten aus dem IG Farben–Aufsichtsrat kamen alle nach spätestens sechs Jahren wieder frei. Das ist annähernd die Zeit, die auch Kommunisten einsitzen mussten, als [im Jahr 1956] die KPD in Deutschland verboten wurde. Die KPD-Leute standen wieder vor den gleichen Richtern wie im Faschismus. Und diese Richter, die auch in der Nazi-Zeit schon die Kommunisten verurteilt hatten, argumentierten, dass die KPD-Mitglieder „Wiederholungstäter“ seien, und dass sie deshalb keine Bewährungsstrafe kriegen könnten.
Und so kam es, dass in Frankfurt Leute, die die KZs aufgebaut hatten – denn der IG Farben-Konzern unterhielt ja bei Ausschwitz mit Buna-Monowitz ein eigenes KZ – dass sie genauso lange im Gefängnis waren wie diejenigen, die dagegen angekämpft hatten. Und was die Aktionäre dieser verantwortlichen Konzerne betrifft: Sie waren überhaupt nie auch nur vor Gericht.
Man kann wirklich sagen, dass es in Deutschland eine Kontinuität des Faschismus gibt.
Ein offener Brief an das Historische Museum Frankfurt mit der Forderung, Daniel Shuminov wieder arbeiten zu lassen und den Vorfall kritisch aufzuarbeiten, ist bis Ende Oktober von mehr als 1500 Einzelpersonen und 45 Organisationen unterzeichnet worden.
Zu der Frage, wie heute gegen die Rückkehr des Faschismus gekämpft werden kann, haben die SGP und der Mehring-Verlag zur Buchmesse eine Veranstaltung mit David North unter dem Motto organisiert: „Zurück in die Zukunft. Krieg, Faschismus und Klassenkampf im 21. Jahrhundert.“ David North‘ Rede ist hier abzurufen.