Perspektive

Biden und die amerikanische Oligarchie

Präsident Joe Biden im Oval Office des Weißen Hauses während seiner Abschiedsrede am Mittwoch, 15. Januar 2025 [AP Photo/Mandel Ngan/Pool]

Die Abschiedsrede von US-Präsident Joe Biden am Mittwochabend war eine Mischung aus selbstbeweihräucherndem Gerede und fantastischen Behauptungen über die Erfolge der vier Jahre seiner Amtszeit. Doch inmitten der Plattitüden gab Biden eine Erklärung ab, in der er kurz die düstere Realität der amerikanischen Gesellschaft ansprach.

„Ich möchte das Land vor einigen Dingen warnen, die mir große Sorgen bereiten“, sagte Biden. „Und das ist die gefährliche Konzentration von Macht in den Händen einiger weniger sehr reicher Leute. Heute bildet sich in Amerika eine Oligarchie mit extremem Reichtum, Macht und Einfluss heraus, die buchstäblich unsere gesamte Demokratie, unsere Grundrechte und Freiheiten bedroht...“

Unter Berufung auf Dwight Eisenhowers Abschiedsrede von 1961, in der der scheidende Präsident und ehemalige General vor den Gefahren eines „militärisch-industriellen Komplexes“ warnte, verwies Biden auf den Aufstieg eines „technisch-industriellen Komplexes, der auch für unser Land eine echte Gefahr darstellen könnte.“

Biden sprach zwar nur bedingt von „potenziellen“ Entwicklungen, die „Gestalt annehmen“, doch der oligarchische Charakter der amerikanischen Gesellschaft ist bereits eine fest verankerte Realität, die über Jahrzehnte hinweg von eben jenem System kultiviert wurde, das er verteidigt.

Es ist ein Leichtes, auf die erstaunliche Heuchelei von Bidens Äußerungen hinzuweisen, in denen er die Konsolidierung der oligarchischen Kontrolle über die Gesellschaft so darstellt, als hätte seine eigene Regierung nichts damit zu tun. Nach Angaben von Bloomberg News wuchs das Vermögen der 100 reichsten Amerikaner während Bidens vierjähriger Amtszeit um 1,5 Billionen Dollar – ein atemberaubender Anstieg um 63 Prozent. Prominente Persönlichkeiten aus dem „technisch-industriellen Komplex“ konnten ihrem Reichtum beim Wachsen zusehen. Musks Vermögen hat sich versechzehnfacht, von 25 Milliarden Dollar im Jahr 2020 auf über 415 Milliarden Dollar. Das Vermögen von Amazon-Chef Jeff Bezos hat sich verdoppelt, das von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg fast vervierfacht.

Bei seinem Ausscheiden aus dem Amt spricht Biden von einer Oligarchie, bei deren Förderung und Wachstum er und die Demokratische Partei eine zentrale Rolle gespielt haben, unter anderem durch die massiven parteiübergreifenden Bankenrettungen 2008 und 2020. Bidens zentrales Anliegen als Präsident war es, die Öffentlichkeit dazu zu bringen, während einer grassierenden Pandemie wieder ein „normales“ Wirtschaftsleben zu führen, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Löhne zu senken und die Kosten für Großunternehmen zu reduzieren.

Es hat etwas zutiefst Erbärmliches, wenn ein Mann, der in den letzten vier Jahren im Weißen Haus saß und jahrzehntelang als Senator von Delaware diente – dem Zentrum der Steuerhinterziehung von amerikanischen Unternehmen –, sich jetzt als Gegner der Oligarchie aufspielt.

Noch grundlegender: Biden konnte und wollte sich nicht mit den Ursprüngen dieser Oligarchie oder ihrer inneren Verbindung zu dem sozialen und wirtschaftlichen System auseinandersetzen – dem Kapitalismus –, das er und das gesamte politische Establishment verteidigen.

Wir wissen nicht, ob Biden oder seine Mitarbeiter die World Socialist Web Site gelesen haben. Aber Biden bestätigte im Wesentlichen aus berufenem Munde die Analyse der trotzkistischen Bewegung über einen längeren Zeitraum und insbesondere im Zusammenhang mit der Wiederwahl von Donald Trump.

„Donald Trump spricht nicht einfach als ein kriminelles Individuum“, schrieb die WSWS in ihrer ersten Stellungnahme nach der Wahl, „sondern als Vertreter einer mächtigen kapitalistischen Oligarchie, die in den letzten drei bis vier Jahrzehnten Gestalt angenommen hat. Multimillionäre und Milliardäre – angeführt von Leuten wie Elon Musk, Jeff Bezos, Peter Thiel und Larry Ellison – nutzen Trump, um in ihrem Interesse eine reaktionäre Umstrukturierung der amerikanischen Gesellschaft zu erreichen.“

Die WSWS analysierte nicht nur, was der Zerstörung demokratischer Herrschaftsformen gesellschaftlich zugrunde lag, sondern schlug auch vor, was dagegen zu tun sei. Nach der Wahl organisierte die Socialist Equality Party am 20. November eine Online-Veranstaltung mit dem Titel „Von der Oligarchie, für die Oligarchie: Trumps Kabinett und die Umstrukturierung des amerikanischen Staats“, die sich genau mit diesem Thema befasste.

Zur Bedeutung von Trumps Wiederwahl erklärte der Vorsitzende der internationalen Redaktion der WSWS, David North: „Der oligarchische Charakter der sozialen Beziehungen in diesem Land, die enorme Konzentration von Reichtum in den Händen einer Handvoll von Menschen, absolut unvereinbar mit einem demokratischen System.“ North fügte hinzu: „Die Grundlage für Demokratie in ihrer modernen Form kann nur durch die Entwicklung einer Massenbewegung der Arbeiterklasse, den Kampf gegen das kapitalistische System, die Übertragung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Kontrolle der Gesellschaft durch die breite Masse der Bevölkerung entstehen.“

In ihrer Neujahrserklärung „Sozialismus gegen Oligarchie, Faschismus und Krieg“ stellte die WSWS den Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Oligarchie und der gesamten Politik der herrschenden Klasse her – einschließlich der mörderischen Reaktion auf die Pandemie, die Millionen von Menschen das Leben gekostet hat, und dem eskalierenden globalen Krieg, der die gesamte Menschheit bedroht.

„Hinter diesen zusammenhängenden Krisen steht eine Oligarchie“, schrieben wir, „die die gesamte Gesellschaft dem Profit und der Anhäufung von persönlichem Reichtum unterwirft. Der Kampf gegen die Oligarchie ist seinem Wesen nach eine revolutionäre Aufgabe. Ihr Reichtum muss enteignet werden, und das wirtschaftliche und politische Leben muss aus ihrem Würgegriff befreit werden.“

Die gegenwärtige gesellschaftliche Realität ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses. Bidens Verweis auf Eisenhower verrät mehr, als er beabsichtigt. Als Eisenhower 1961 seine Warnung aussprach, befand sich der amerikanische Kapitalismus auf dem Höhepunkt seiner globalen Vorherrschaft. 64 Jahre später spricht Biden als alternder Vertreter einer herrschenden Klasse, die bei lebendigem Leibe verfault.

Die Demokratische Partei schlägt nichts vor und kann auch nichts vorschlagen, um die Realität, auf die Biden kurz anspielte, anzugehen. Trotz sporadischer Verweise auf die „Gefahr“ durch Trump und seine autoritären Politik hat die Demokratische Partei die Gefahr des Faschismus stets heruntergespielt und lässt diese Warnung nun ganz fallen. In seiner Abschiedsrede wiederholte Biden seine frühere Aussage: „Ich wünsche der neuen Regierung Erfolg.“ Es war sein einziger tatsächlicher Hinweis auf die Regierung, der er die Macht übertragen wird.

Die Vorstellung, dass diese Regierung innerhalb des bestehenden politischen Rahmens oder ohne einen direkten Angriff auf den Reichtum und die Macht der Oligarchie bekämpft werden kann, ist reine Fantasie. Die herrschende Klasse hat ihre Absichten deutlich gemacht: Sie will demokratische Rechte abbauen, abweichende Meinungen unterdrücken und der Arbeiterklasse Kürzungen aufzwingen, während sich die Finanzoligarchie bereichert. Der einzige Weg nach vorn erfordert einen direkten Angriff auf den Reichtum und die Macht der Oligarchen. Ihr Würgegriff über die Gesellschaft muss durch die Enteignung ihres Reichtums und die Neuorganisation des Wirtschaftslebens auf der Grundlage der sozialen Bedürfnisse und nicht des privaten Profits gebrochen werden.

Diese Aufgabe ist untrennbar mit dem Kampf für den Sozialismus verbunden. Die Socialist Equality Party und die World Socialist Web Site haben immer wieder vor den Folgen der sich vertiefenden Krise des Kapitalismus gewarnt, vom Aufkommen faschistischer Politik bis zum eskalierenden imperialistischen Krieg.

Während Trump ins Weiße Haus zurückkehrt, steht die SEP an der Spitze des Kampfs für eine sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse, in den USA und international. Dies ist die wichtigste und dringendste politische Aufgabe.

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