Im Vorfeld von Trumps Amtseinführung: Oberster Gerichtshof bestätigt TikTok-Verbot und greift 1. Zusatzartikel an

Das Logo der TikTok Inc. auf dem Konzerngebäude in Culver City (Kalifornien), 11. März 2024 [AP Photo/Damian Dovarganes]

Am Freitag, nur wenige Tage vor der Amtsübernahme von Donald Trump, der „vom ersten Tag an als Diktator“ regieren will, feuerte der Oberste Gerichtshof der USA eine schwere, einstimmig beschlossene Breitseite gegen den 1. Zusatzartikel der Verfassung ab.

Der Angriff erfolgte in Form einer Entscheidung, mit der ein bundesstaatliches Verbot von TikTok, des viertpopulärsten Social-Media-Netzwerks in den USA, bestätigt wurde. Das Gericht entschied, „nationale Sicherheitserwägungen“ hätten Vorrang vor der freien Meinungsäußerung. Diesen gängigen pseudolegalen Mechanismus haben bisher noch alle Diktaturen für Angriffe auf demokratische Rechte benutzt.

Das Verbot von TikTok tritt am 19. Januar in Kraft, doch die Biden-Regierung hat erklärt, sie werde es nicht durchsetzen. Damit liegt das Schicksal des sozialen Netzwerks in den Händen der nächsten Regierung. Trump hat erklärt, er habe noch nicht entschieden, wie er vorgehen wolle, und ließ die Möglichkeit einer politischen Vereinbarung offen, um es unter größerer staatlicher Kontrolle weiter verfügbar zu halten.

Allerdings hat das Urteil des Obersten Gerichtshofs weitreichende Auswirkungen, die weit über den Fall von TikTok hinausgehen. Jameel Jaffer, geschäftsführender Direktor des Knight First Amendment Institute, erklärte:

Die Zukunft von Tiktok wird von der Politik abhängen, nicht von der heutigen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Doch niemand sollte sich täuschen: Indem er das Verbot in Kraft treten ließ, hat der Oberste Gerichtshof den 1. Zusatzartikel geschwächt und die Befugnis der Regierung, Meinungsfreiheit im Namen der nationalen Sicherheit einzuschränken, deutlich ausgeweitet. Die Auswirkungen auf TikTok mögen zwar begrenzt sein, doch das Urteil schafft Raum für andere repressive Maßnahmen in der Zukunft.

Der größte Teil des nicht signierten Urteils ist dem unaufrichtigen Argument gewidmet, die Sperrung von TikTok werfe keine Probleme mit dem 1. Zusatzartikel auf, weil das Verbot keine politischen oder intellektuellen Standpunkte einschränken soll. Doch direkt nachdem sie dieses Argument vorgebracht hat, stellt die Urteilsbegründung die Meinungsfreiheit der „nationalen Sicherheit“ entgegen und stellt sich kategorisch auf die Seite der Letzteren:

Zweifellos bietet TikTok mehr als 170 Millionen Amerikanern eine unverwechselbare und umfangreiche Möglichkeit, sich auszudrücken, und ein Mittel, sich zu engagieren, sowie einen Ort der Gemeinschaft. Doch der Kongress hat beschlossen, dass die Veräußerung notwendig ist, um seine gut begründeten Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit in Bezug auf TikToks Datenerhebungspraktiken und seine Beziehung zu einem ausländischen Gegner auszuräumen.

Mit anderen Worten, die Urteilsbegründung räumt ein, dass die Verfügbarkeit von TikTok eindeutig im Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an freier Meinungsäußerung liegt, aber dass die „nationale Sicherheit“, wie sie von der amerikanischen Regierung definiert wird, dieses Interesse überwiegt.

Zur Rechtfertigung dieser Schlussfolgerung erklärt der Oberste Gerichtshof unter Berufung auf ein früheres Urteil: „Wir berücksichtigen, dass dieses Gesetz in einem Kontext entsteht, in dem Fragen der ,nationalen Sicherheit und außenpolitische Bedenken im Zusammenhang mit Bestrebungen entstehen, sich entwickelnde Bedrohungen in einem Bereich zu konfrontieren, in dem Informationen schwer zu beschaffen und die Auswirkungen bestimmter Verhaltensweisen schwer einzuschätzen sind‘... Daher räumen wir dem ,sachkundigen Urteil‘ der Regierung hier beträchtlichen Respekt ein.“

Die Implikationen dieser Worte sind weitreichend. Im 1. Zusatzartikel der US-Verfassung heißt es: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen..., das die Rede- oder Pressefreiheit einschränkt.“ Im amerikanischen System der Gewaltenteilung („checks and balances“) ist es die Pflicht des Obersten Gerichtshofs, den Kongress daran zu hindern, etwas zu tun, was gegen die Verfassung verstößt.

Das Urteil erklärt jedoch, der „beträchtliche Respekt“ vor dem „sachkundigen Urteil“ der Regierung in außenpolitischen Fragen könne als Hebel benutzt werden, um den grundlegendsten Schutzmechanismus der Verfassung, die Meinungsfreiheit, auszuhebeln.

Nach dieser Logik könnte jede inländische Opposition gegen Krieg mit der Begründung verboten werden, dass sie „ausländischen Gegnern“ Unterstützung und Beistand leistet. Als Reaktion auf Kritik, dies sei verfassungswidrig, könnte der Gerichtshof dann erklären, es sei schwierig festzustellen, wer „ausländische Gegner“ sind. Daher müsse der Meinung der Regierung „beträchtlicher Respekt“ entgegengebracht werden.

Der gesamte Rahmen des Urteils beruht auf der Doktrin des „Großmachtkonflikts“, die mit der Nationalen Sicherheitsstrategie der Trump-Regierung von 2018 angenommen wurde. Diese erfordert die „nahtlose Integration mehrerer Elemente der nationalen Macht – Diplomatie, Information, Wirtschaft, Finanzen, Geheimdienste, Strafverfolgung und Militär“.

Die Kampagne zum Verbot von TikTok, die unter der ersten Trump-Regierung eingeleitet und vom republikanischen Erzkriegstreiber Michael Gallagher, einem ehemaligen Kongressabgeordneten aus Wisconsin und Geheimdienstoffizier des Marine Corps, im Irak angeführt wurde, ging direkt auf diese Doktrin zurück.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs beruht auf dem „Dekret zum Schutz sensibler Daten amerikanischer Staatsbürger vor ausländischen Gegnern“ der Biden-Regierung vom 9. Juni 2021. Darin heißt es: „Der Begriff ,ausländischer Gegner‘ bezeichnet jede ausländische Regierung oder ausländische nichtstaatliche Person, die eine langfristige oder ernsthafte Verhaltensweise zeigt, die der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten erheblich schadet.“

Innerhalb dieses Rahmens deckt der Begriff „ausländischer Gegner“ im Grunde genommen alles ab. Anfang des Monats erklärte der künftige Präsident Donald Trump, „aus Gründen der nationalen Sicherheit... ist für die USA der Besitz und die Kontrolle über Grönland absolut notwendig“. Nach der Definition der Biden-Regierung könnte Trump Dänemark als Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA einstufen, weil es Grönland besitzt.

Es ist bemerkenswert, dass der Oberste Gerichtshof an prominenter Stelle aus der Rechtssache Humanitarian Law Project vs. Holder von 2010 zitiert, in der das Gericht zugunsten der Obama-Regierung entschieden hat. Dieses Urteil bestätigte ein Gesetz, das es zum Verbrechen erklärt, „einer ausländischen Terrororganisation wissentlich materielle Unterstützung oder Ressourcen zur Verfügung zu stellen“, selbst wenn diese „Unterstützung“ nur aus „Expertenrat oder Hilfe“ für „rechtmäßige, gewaltfreie Zwecke“ besteht. In diesem Fall hatte die Organisation einer kurdisch-separatistischen Organisation juristische Beratung für friedliche Konfliktlösung erteilt.

Das Urteil schafft – auf der Grundlage der Definition Chinas als „Gegner“ durch die amerikanische Regierung – eine vollständige Diskontinuität zwischen chinesischen Konzernen und der chinesischen Regierung auf der einen Seite und amerikanischen Konzernen auf der anderen Seite. Dass chinesische Konzerne und die chinesische Regierung Daten über Amerikaner sammeln, gilt als grundsätzlich bösartig, während die gleichen Aktivitäten amerikanischer Konzerne und der amerikanischen Regierung als gutartig und förderungswürdig definiert werden.

Dabei hat die US-Regierung nachweislich immer wieder illegal die private Kommunikation der Bevölkerung ausspioniert und amerikanische Unternehmen gezwungen, die private Kommunikation von Amerikanern für illegale Überwachung zur Verfügung zu stellen.

Im Jahr 2013 enthüllte Edward Snowden, dass die US-Regierung das weltweit größte illegale inländische Überwachungsprogramm betreibt und die private Kommunikation von US-Staatsbürgern und Menschen auf der ganzen Welt digital kopiert, analysiert und speichert. Das ausdrückliche Ziel der US National Security Agency (NSA) ist die „totale Informationssensibilisierung“, um „alles zu sammeln, zu verarbeiten und zu nutzen“.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom Freitag ist grundsätzlich unehrlich, wenn es behauptet, das Verbot von TikTok richte sich nicht gegen spezifische politische Ansichten.

In der Amicus-Stellungnahme des Knight Institute hieß es:

Im November 2023 veröffentlichte der Vorsitzende des Ausschusses des Repräsentantenhauses für die KPCh, Mike Gallager, der später zum führenden Unterstützer des Gesetzesentwurfs wurde, einen Artikel, in dem er ein Verbot von TikTok forderte und TikTok als „digitales Fentanyl“ bezeichnete, durch das die KPCh „ihre Propaganda verbreiten kann“. Zwei Tage, nachdem der Gesetzesentwurf im März 2024 eingebracht wurde, wies Gallagher auf Bedenken hinsichtlich von „Privatsphäre“ und „Spionage“ in Bezug auf TikTok hin, machte jedoch deutlich, dass der „wichtigste“ Grund für ein Verbot sei, dass „junge Amerikaner“ möglicherweise „alle ihre Nachrichten von TikTok beziehen“.

Weiter hieß es:

In der kurzen Debatte im Senat beriefen sich die Senatoren als Rechtfertigung für ihre Unterstützung des Gesetzes ebenfalls auf Motivationen, die auf Ansichten basierten. Senatorin Maria Cantwell äußerte Bedenken, „außenpolitische Fragen, die von der chinesischen und der russischen Regierung missbilligt werden... haben auf TikTok weniger Hashtags als z. B. pro-ukrainische und pro-israelische Hashtags“. Senator Pete Ricketts unterstützte das Verbot, weil die KPCh TikTok angeblich nutzt, „um die öffentliche Meinung bei außenpolitischen Ereignissen in ihrem Sinne zu beeinflussen“, u.a. durch die Förderung von Hashtags, die mit ihren außenpolitischen Ansichten übereinstimmen, darunter „pro-palästinensische und pro-Hamas-Hashtags“. Tatsächlich haben mehrere Abgeordnete die überwiegend pro-palästinensischen Inhalte auf TikTok als Grund für ihre Unterstützung des Gesetzentwurfs genannt.

Die Entscheidung von Freitag folgt auf das Urteil vom Juli 2024 im Fall Trump vs. United States, das „den Präsidenten über das Gesetz stellt und den ,Oberbefehlshaber‘ effektiv in einen Diktator verwandelt, der ungestraft Verbrechen begehen kann“, wie die WSWS erklärte.

Der weitreichende Angriff auf den 1. Zusatzartikel vom Freitag verdeutlicht erneut den fortgeschrittenen Verfall der verfassungsmäßigen Ordnung in den USA. Während Trump die Errichtung einer Präsidialdiktatur in den USA anstrebt, kann kein Vertrauen darauf gesetzt werden, dass irgendwelche staatlichen Institutionen Widerstand gegen die umfassenden Angriffe auf demokratische Rechte leisten. Die Verteidigung der sozialen und politischen Rechte der Bevölkerung erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Trump und gegen die Politik von Krieg und Diktatur, die von beiden Parteien unterstützt wird.

Loading