Die Berliner Landesregierung plant vier Aktivisten aufgrund ihrer Beteiligung an pro-palästinensischen Protesten abzuschieben. Alle vier sind aufgefordert, Deutschland bis zum 21. April zu verlassen oder ansonsten zwangsabgeschoben zu werden. Dieses Vorgehen ist bisher in Deutschland beispiellos und zeigt, dass die Herrschenden in Deutschland dem faschistischen US-Präsidenten Donald Trump in nichts nachstehen und auch hier die brutale Kriegspolitik mit diktatorischen Methoden durchsetzen.
Von den vier Menschen, die abgeschoben werden sollen, sind drei EU-Staatsbürger, für die normalerweise Bewegungsfreiheit zwischen den EU-Staaten gilt. Shane O’Brien (29) und Roberta Murray (31) sind irische Staatsbürger. „Mein Leben ist hier, ich mache keine Pläne für Irland“, sagen sie gegenüber der Zeitung The Intercept. Der 35-jährige Kulturarbeiter und polnische Staatsbürger Kasia Wlaszczyk hat, seit er zehn Jahre alt ist, nicht mehr in Polen gelebt. „Wenn das durchgeht, würde mich das aus der Gemeinschaft herausreißen, die ich hier aufgebaut habe“, sagt er.
Besonders heftig würde die Abschiebung US-Staatsbürger Cooper Longbottom (27) treffen. Longbottom dürfte mindestens für die nächsten zwei Jahre keines der 29 Schengen-Länder betreten. Als Transperson wäre Longbottom außerdem in den USA direkter Gefahr für Leben und Unversehrtheit ausgesetzt. Longbottom studiert an der Alice-Salomon Hochschule in Berlin und bräuchte nur noch sechs Monate, um seinen Master abzuschließen. Durch die drohende Abschiebung ist unklar, ob Longbottom das schafft.
Gegen jeden der vier wird im Abschiebebescheid eine separate Liste von Vorwürfen erhoben. Sämtliche Anschuldigungen stammen dabei aus Polizeiakten und stehen im Zusammenhang mit pro-palästinensischen Protesten. Unter den Vorwürfen befinden sich unter anderem folgende Punkte: Zwei der vier sollen Polizisten als „Faschisten“ bezeichnet haben; drei sollen an Demonstrationen teilgenommen haben, bei denen Parolen wie „From the river to the sea“ gerufen wurden. Allen vier wird vorgeworfen, „antisemitische oder anti-israelische“ Slogans skandiert zu haben – ohne nähere Spezifizierung. Zudem wird allen vieren unterstellt, die Hamas zu unterstützen – auch hier ohne jeglichen Beweis.
Die einzige Anschuldigung, die vor ein Strafgericht gelangte, betraf O’Brien: Ihm wurde vorgeworfen, einen Polizisten als „Faschisten“ bezeichnet zu haben – vor Gericht wurde er jedoch freigesprochen. In keinem der anderen Fälle kam es zu einer Verurteilung.
Ferner wird den vier Angeklagten vorgeworfen, im Oktober 2024 an der Besetzung des Präsidiums der Freien Universität beteiligt gewesen zu sein, bei der es zu Sachbeschädigungen kam. Dabei wird keinem von ihnen die Sachbeschädigung selbst zur Last gelegt, sondern lediglich der Verdacht geäußert, sie hätten an einer „koordinierten Gruppenaktion“ teilgenommen, in deren Verlauf es zu den Beschädigungen gekommen sei.
Der Entzug der Bewegungsfreiheit von EU-Staatsbürgern unterliegt in Deutschland normalerweise sehr hohen Hürden. Laut Bundesinnenministerium müsse dafür eine „schwere Gefährdung“ vorliegen, „die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ und auf dem Verhalten der betroffenen Person beruht. In der Regel setzt dies schwere Straftaten voraus – etwa großangelegten Handel mit harten Drogen oder sexuellen Missbrauch von Kindern.
Die Vorwürfe gegen die vier basieren rechtlich jedoch auf einer so schwachen Grundlage, dass selbst innerhalb der Berliner Bürokratie Zweifel aufkamen, ob sie überhaupt durchsetzbar seien. The Intercept berichtet, dass der Redaktion interne E-Mail-Verläufe vorliegen, aus denen hervorgeht: Nachdem Berlins Innensenat einen unterschriebenen Abschiebebescheid angefordert hatte, warnte Silke Buhlmann – die Leiterin der Abteilung Kriminalprävention und Rückführung der Einwanderungsbehörde –, dass die rechtliche Grundlage unzureichend sei und eine Abschiebung rechtswidrig wäre.
Die zugrundeliegenden Polizeiberichte suggerierten zwar eine potenzielle Gefahr, es lägen jedoch „keine rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen vor, die eine hinreichend schwere und konkrete Bedrohung begründen“. Diese Bedenken wurden jedoch rasch zurückgewiesen – und der Abschiebebescheid wurde erlassen.
Alexander Gorski, der Anwalt von zwei der vier Demonstranten, erklärt gegenüber The Intercept: „Was wir hier sehen, sind die härtesten Maßnahmen, die es gibt – basierend auf Anschuldigungen, die extrem vage und teils völlig unbegründet sind.“
Er warnt zudem, dass diese Fälle lediglich ein Testlauf für eine breiter angelegte Repression gegen Einwanderer und Aktivisten in Deutschland seien. „Sie werden als Versuchskaninchen benutzt“, erklärt er. „Was wir hier sehen, stammt direkt aus dem Spielbuch der extremen Rechten … Aus rechtlicher Sicht waren wir erschrocken über die Argumentation – sie erinnerte uns an den Fall Mahmoud Khalil“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Gorskis Warnungen sind korrekt: Hier wird ein Präzedenzfall geschaffen, der den Weg ebnen soll für ein Vorgehen gegen jede Form politischer Opposition in Deutschland. Wenn diese vier Aktivisten allein aus politischen Gründen abgeschoben werden können – ohne jemals verurteilt worden zu sein –, dann kennt die Welle staatlicher Repression keine Grenzen mehr.
In den USA wird bereits jetzt ein umfassendes System staatlicher Repression aufgebaut, mit dem Andersdenkende kriminalisiert werden und der juristische Rahmen für eine Diktatur geschaffen wird. Während friedlich demonstrierende Studierende wie Mahmoud Khalil oder Rumeysa Öztürk von maskierten Polizeieinheiten verschleppt werden, sehen sich andere wie Momodou Taal gezwungen, das Land zu verlassen, um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen. Diese Szenen, die in den USA mittlerweile zur Tagesordnung gehören, erinnern an die Diktaturen in Chile und Argentinien – bis hin zu den Methoden der Nazi-Herrschaft.
Die herrschende Klasse in Deutschland mag Differenzen mit Donald Trump über Zollpolitik oder die Aufteilung von Rohstoffen in der Ukraine und Russland haben – doch in diesem Punkt sind sie sich einig: Jeglicher Protest in der eigenen Bevölkerung soll mit allen Mitteln unterdrückt werden.
Die Verfolgung von Momodou Taal und Mahmoud Khalil in den USA sowie von Longbottom, Wlaszczyk, O’Brien und Murray in Deutschland richtet sich gegen die gesamte Arbeiterklasse. Die Maßnahmen, die heute an Einzelnen erprobt werden, sollen morgen gegen streikende Arbeiter und alle zum Einsatz kommen, die sich dem Sozialkahlschlag und dem Rüstungswahnsinn entgegenstellen.
Das zeigt: Demokratische Rechte lassen sich nur durch den Aufbau einer politischen Massenbewegung innerhalb der Arbeiterklasse verteidigen. Der Kampf gegen Abschiebungen und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit ist untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen Krieg – und seine Wurzel: den Kapitalismus.