Mercedes erhöht den Druck auf 40.000 Beschäftigte, das Unternehmen zu verlassen

Als der Mercedes-Vorstand und die IG Metall im Februar das massive Sparprogramm „Next Level Performance” ankündigten, sprachen Mercedes-Chef Ola Källenius und der Mercedes-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ergun Lümali – neben den üblichen Floskeln über Effizienz und Performance – auch vom unvermeidlichen Abbau von Arbeitsplätzen, ohne jedoch konkrete Zahlen zu nennen. Der gesamte Sparprozess werde fair und sozialverträglich geregelt werden, versprachen sie.

Mercedes-Benz Werk Sindelfingen [Photo by Cdalkmann / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Schon wenig später hat der Konzern das widerlegt. Mercedes hat 40.000 Beschäftigten per Mail ein Abfindungsangebot geschickt, dass sie laut internen Berichten besser nicht ablehnen. Ein Artikel, der Ende Juli in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „In der erschütterten Mercedes-Welt” erschien, gibt Aufschluss über den Druck und den Terror, den Führungskräfte ausüben und der zu unerträglichen Arbeitsbedingungen im Unternehmen führt.

Die unerträgliche Situation ist das direkte Ergebnis des von Geschäftsleitung, IG Metall und Betriebsrat ausgearbeiteten Sparprogramms. Es soll in den kommenden drei Jahren jeweils 5 Milliarden Euro einsparen. Zusätzlich sind für 2026 eine Milliarde und für 2027 weitere 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Ein erheblicher Teil dieser Einsparungen soll durch den Abbau von Stellen erreicht werden. Außerdem beraten Källenius und Lümali über Lohnsenkungen und eine Verschärfung der Arbeitshetze.

Inzwischen ist klar, dass nahezu alle 40.000 angeschriebenen Beschäftigten aus dem Unternehmen gedrängt werden sollen. Von der „Freiwilligkeit“, die Lümali hochhält, kann keine Rede sein. Auch wenn es derzeit heißt, der Stellenabbau betreffe nur „indirekte“ Bereiche, also Verwaltung, Entwicklung und Technik sowie andere produktionsfremde Bereiche, machen sich die Fabrikarbeiter, mit denen die WSWS sprach, Sorgen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze.

Die laufenden Abfindungsgespräche, um die 40.000 zum Verlassen des Unternehmens zu zwingen, führen nicht direkte Vorgesetzte sondern höhere Führungskräfte. Das Programm läuft noch bis Ende März 2026. Wer bis Ende Juli gekündigt hat, erhält eine „Turbo-Prämie“.

Personalchefin Britta Seeger gab im Gespräch mit der F.A.Z. indirekt zu, dass massiver Druck auf die Beschäftigten ausgeübt wird: „Wir versuchen alles, damit die Mitarbeiter die Gespräche nicht als Druck empfinden.“ Dennoch müsse man sich sehr klar darüber sein, was man erreichen wolle. Die Entlassung von 40.000 Mitarbeitern sei die „Basis für eine schnellere und schlankere Organisation“.

Auch Gesamtbetriebsrat Lümali verteidigte das Vorgehen. Er könne verstehen, dass einige die harten Gespräche als „unangenehm“ empfänden. Er versicherte, es werde eingehalten, „wenn ein Mitarbeiter sagt, es ist genug, ich will keine weiteren Gespräche“.

Er rechtfertigte den Arbeitsplatzabbau mit den Worten: „Wir wussten, dass in einer so schwierigen Situation, in der wir uns befinden, auch die Frage aufkommt, ob wir die Zahl der Arbeitsplätze halten können. Ein Stellhebel ist da immer das Personal.“

Lümali prahlt, die IG Metall habe das Beste erreicht, indem sie für „Kollegen und Kolleginnen immerhin etwas Berechenbarkeit herausgehandelt“ habe. Trotz des Abbaus von 40.000 Arbeitsplätzen behauptet er: „Der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2035 gibt uns große Sicherheit.“

Mit dem „Ausschluss von betriebsbedingtne Kündigungen“ und angeblicher „Arbeitsplatzsicherheit“ beschwichtigen die IG Metall und ihre Betriebsräte die Arbeiter immer, wenn es darum geht, den Unternehmen freie Fahrt für Sparprogramme, Entlassungen und Werksschließungen zu geben.

Der IGM-Apparat dient der Unternehmensleitung als Werkspolizei. Er untergräbt jeden unabhängigen Widerstand der Beschäftigten durch Isolierung, Drohungen und Disziplinarmaßnahmen. Deshalb wischt Lümali auch die vorherrschende Wut und Frustration unter den Beschäftigten vom Tisch. „Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Mannschaft frustriert ist,“ behauptet er im Gespräch mit der F.A.Z..

Welche Rolle die Betriebsräte spielen, zeigte sich auch im März, wenige Wochen nach der Ankündigung von „Next Level Performance“, als die Geschäftsleitung trotz einer Betriebsvereinbarung zum Homeoffice Büro-Mitarbeitende zurück ins Unternehmen beorderte.

Die Betriebsratschefin der Stuttgarter Mercedes-Benz-Zentrale, Sabine Winckler, reagierte verstimmt. Doch weniger, weil die unzureichenden Arbeitsplätze und -bedingungen nach Jahren des Homeoffice den Druck auf die 40.000 Kolleginnen und Kollegen erhöhen, das Unternehmen zu verlassen. Vielmehr sorgte sie sich im Unternehmensintranet um den Betriebsfrieden. Sie schrieb, Källenius habe „mit einer Kette fragwürdiger Entscheidungen den sozialen Frieden und die Arbeitskultur im Unternehmen ins Wanken gebracht“.

Das Hauptinteresse der Gewerkschaftsfunktionäre ist der „soziale Frieden“. Er soll dafür sorgen, dass die Konzernspitze ein Sparprogramm nach dem anderen umsetzen kann, ohne von den Beschäftigten gestört zu werden. Für die Aufrechterhaltung dieses „sozialen Friedens“ werden die IGM-Funktionäre im Betriebs- und Aufsichtsrat fürstlich entlohnt. Spitzenverdiener wie Lümali erhalten von Mercedes ein mittleres sechsstelliges Gehalt.

Doch anders als die Vertreterinnen und Vertreter des IGM-Apparates behaupten, gibt es kein „letztes“ Sparprogramm. Das nächste ist bereits in Vorbereitung, weil der internationale Zoll- und Handelskrieg und der verschärfte Konkurrenzkampf in Asien und Amerika voll und ganz auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen werden.

Die Ergebnisse für das erste Halbjahr, die Mercedes-Benz letzte Woche bekanntgegeben hat, sind Ausdruck dieses mörderischen, weltweiten Wirtschaftskriegs. Der Umsatz ging um fast 9 Prozent auf 66,4 Milliarden Euro zurück, der Gewinn sank gegenüber dem Vorjahr sogar um mehr als die Hälfte. Dies sei ein historisch negatives Ergebnis für das Unternehmen in seiner über 100-jährigen Geschichte, betonen Analysten. Die Aktionäre reagierten sofort. Die Mercedes-Aktie verlor in den letzten fünf Tagen fast 12 Prozent.

Konzernchef Källenius gelobte, „Kurs zu halten“, das heißt das „konsequente Kostenmanagement“ weiterzutreiben.

Mercedes schreibt keine Verluste, sondern erzielt – ähnlich wie VW – weiterhin Milliardengewinne. Doch die Profitmarge, die Rendite sinkt. Die Folge wäre üblicherweise eine geringere Dividende für die Aktionäre wie Black Rock, Morgan Stanley, die chinesischen Autohersteller BAIC und Geely sowie das Emirat Kuwait. Das wird jedoch nicht akzeptiert. Die Profitinteressen der Aktionäre sind der einzige Unternehmenszweck und stehen daher über Arbeitsplätzen, Arbeitsbedingungen und Auskommen der Beschäftigten.

Nachdem Volkswagen, Mercedes, Audi, Bosch, Continental, ZF und viele andere Unternehmen auf dieser Grundlage die Existenzgrundlage von Hunderttausenden Arbeitern und ihren Familien zerstört haben, steigen mehrere Unternehmen in die Rüstungsindustrie ein. Die IG Metall und andere Gewerkschaften unterstützen das ausdrücklich und preisen es als Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Auch Mercedes steigt in die Kriegswirtschaft ein. Im März erhielt der Konzern von der Bundesregierung den „Verteidigungsauftrag” zur Lieferung von 4800 Fahrzeugen der G-Klasse. Die ursprünglich für den militärischen Einsatz entwickelten Fahrzeuge mit dem Codenamen „Wolf“ sollen in das Arsenal der Bundeswehr aufgenommen werden. Bei einem Stückpreis von über 124.000 Euro hat der Rüstungssauftrag einen Wert von rund 1,3 Milliarden Euro.

So profitiert Mercedes von der wahnsinnigen Aufrüstung der Bundesregierung und der Europäischen Union. Die Gewerkschaften unterstützen dabei die Aufrüstung und verteidigen „ihre“ Konzerne gegen internationale Konkurrenz. So betonte Jürgen Kerner, stellvertretender Vorsitzender der IG Metall, schon vor eineinhalb Jahren in einem gemeinsamen Positionspapier der IG Metall, des Wirtschaftsforums der SPD und des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV):

Aber anders als man denken könnte, führt das Sondervermögen Bundeswehr nicht automatisch zur Stärkung der heimischen Industrie. Sie droht vielmehr unter die Räder zu geraten, wenn mehr und mehr in Übersee gekauft wird und die Regierung keine Sorge trägt, dass Betriebe in Deutschland Wartung und Upgrades übernehmen. Wir brauchen endlich eine wehrtechnische Industriepolitik.

Die Beschäftigten sollen diese nationalistische Kriegspolitik nicht nur mit Arbeitsplätzen und Löhnen, sondern auch mit ihrem Leben auf den Schlachtfeldern bezahlen.

Arbeiterinnen und Arbeiter haben der WSWS vor den Werkstoren über den erhöhten Arbeitsdruck und die angespannte Stimmung berichtet – aber erst nachdem sie sich vergewissert hatten, dass die WSWS-Reporter nicht der IG Metall angehören. Sie sagten, es herrsche großer Widerstand gegen die Machenschaften des IG-Metall-Betriebsrats, der als verlängerter Arm des Managements diene und auch so gesehen werde.

Dieser Widerstand braucht eine Perspektive. Es ist unumgänglich, mit der IG Metall und ihren Betriebsräten politisch und organisatorisch zu brechen, um die Angriffe von Mercedes zurückzuschlagen. Notwendig ist der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees, die nur der Basis verantwortlich sind, den Kampf selbst in die Hände nehmen und sich mit Aktionskomitees in anderen Werken, Unternehmen und Ländern vernetzen.

Sie müssen alle Arbeitsplätze an allen Standorten prinzipiell verteidigen und alle Zugeständnisse bei Löhnen und sozialen Errungenschaften zurückweisen. Sichere Arbeitsplätze und auskömmliche Löhne sind wichtiger als die Profite der milliardenschweren Aktionäre.

Arbeiterinnen und Arbeiter, die damit übereinstimmen, rufen wir auf, Kontakt mit uns aufzunehmen. Meldet euch per Whatsapp unter +49-163-337 8340 oder registriert euch über das unten stehende Formular.

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