Israelische Panzer rollen in Gaza-Stadt ein, den letzten noch unzerstörten Teil des Gazastreifens. Sie sprengen ein Gebäude nach dem anderen und vertreiben die hungernde Bevölkerung mit Waffengewalt.
Das Medienbüro der Regierung in Gaza berichtet, dass israelische Streitkräfte bei ihrem Vormarsch mehr als 80 Sprengroboter in Gebäuden in Gaza-Stadt gezündet hätten, was als „Politik der verbrannten Erde” bezeichnet wird. Der Angriff findet statt inmitten einer absichtlich herbeigeführten Hungersnot, der bereits hunderte palästinensischer Männer, Frauen und Kinder zum Opfer gefallen sind.
Die Eroberung von Gaza-Stadt wird den gesamten Gazastreifen unter israelische Militärbesatzung stellen und damit die Voraussetzungen für das schaffen, was der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als „abschließende Schritte” in Gaza bezeichnet hat: die Ghettoisierung der palästinensischen Bevölkerung in Lagern und ihre Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.
Als US-Präsident Donald Trump im Februar ankündigte, die Vereinigten Staaten würden Gaza „einnehmen“ und „besitzen“ und die Palästinenser in „andere Länder“ vertreiben, wurden seine Äußerungen in den US-amerikanischen und internationalen Medien als „unrealistisch“, „undurchführbar“ und „unseriös“ abgetan.
Sieben Monate später ist klar geworden, dass Trumps Plan nicht nur todernst gemeint ist, sondern die konkrete Strategie hinter dem von den USA unterstützten israelischen Völkermord in Gaza darstellt.
Am Mittwoch veröffentlichte die Washington Post ein Strategiepapier, das derzeit im Weißen Haus aktiv diskutiert wird und vollständig mit den von Trump und Netanjahu verkündeten Plänen für Gaza übereinstimmt – unter aktiver Mitwirkung der anderen imperialistischen Mächte.
Das Dokument wurde von führenden Persönlichkeiten der sogenannten „Gaza Humanitarian Foundation“ entwickelt, die die Verteilung von Hungerrationen an die palästinensische Bevölkerung als Mittel zur Durchführung gezielter Massaker an Hilfsbedürftigen genutzt hat, wobei israelische Truppen die ausdrückliche Anweisung erhielten, in unbewaffnete Menschenmengen zu schießen. Es wurde in Absprache und unter Mitwirkung der Boston Consulting Group erstellt, einer großen Unternehmensberatung und einem Think Tank, zu dem auch Mitarbeitern der Tony Blair Foundation zählen.
Der Plan sieht laut der Washington Post „zumindest eine vorübergehende Umsiedlung der gesamten Bevölkerung von Gaza, also mehr als 2 Millionen Menschen, vor, entweder durch sogenannte ‚freiwillige‘ Ausreise in ein anderes Land oder in begrenzte, gesicherte Zonen innerhalb des Gebiets während des Wiederaufbaus“.
Die 38-seitige Präsentation übersetzt die Konzepte der gewaltsamen ethnischen Säuberung aus der Sprache der faschistischen Mythologie in die Fachsprache der Unternehmensvorstände. Sie ist vollgestopft mit Begriffen wie „ROI“ (Return on Investment), „PPP“ (Public-Private Partnership), „CAPEX“ (Capital Expenditure) und „AI“ (Artificial Intelligence).
In diesem Rahmen versieht der Plan sowohl individuelle als auch kollektive Akte ethnischer Säuberung mit einem Dollarzeichen. Die Existenz jedes einzelnen Palästinensers wird für die US-amerikanischen und israelischen Besatzer Palästinas und ihre milliardenschweren Investorenpartner als Nettoverlust bewertet. Jeder Palästinenser, der gezwungen wird, den Gazastreifen zu verlassen, spart den Besatzern 23.000 Dollar.
Gemäß dem Plan würden diejenigen, die den Gazastreifen verlassen, 5.000 Dollar in bar und den Gegenwert von zwei Jahresmieten erhalten. Wenn jedoch ein Palästinenser ohne diese Zahlungen aus dem Gazastreifen verschwinden würde, wäre der wirtschaftliche Nutzen für die Besatzer Palästinas sogar noch größer als die 23.000 Dollar, die mit jedem aus dem Gazastreifen vertriebenen Palästinenser „eingespart” werden. Das heißt, ein toter Palästinenser ist in der Weltanschauung der Autoren des Berichts viel wertvoller als ein lebender.
Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Plans wurde eine Resolution veröffentlicht, die von der International Association of Genocide Scholars mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. In ihr heißt es, dass „die Regierung Israels systematisch und in großem Umfang Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord begangen hat”.
Dieser Plan zur ethnischen Säuberung wird nicht nur als äußerst lukratives Spekulationsgeschäft dargestellt, das darauf abzielt, aus ethnischer Säuberung und Völkermord Profit zu schlagen. Er gilt auch als wichtiger Bestandteil von Bemühungen der Vereinigten Staaten, den Nahen Osten zu dominieren.
Die ersten Vorteile für die Vereinigten Staaten durch die ethnische Säuberung des Gazastreifens sind laut dem Dokument 1) „massive Gewinne in Dollar“ und 2) „die Beschleunigung des IMEC … die Stärkung der Position im östlichen Mittelmeerraum und die Sicherung des Zugangs der US-Industrie zu Seltenen Erden im Wert von 1,3 Billionen Dollar aus dem Golf“.
Der „IMEC“, kurz für India-Middle East-Europe Economic Corridor (Wirtschaftskorridor Indien-Naher Osten-Europa), ist der strategische Rahmen, der die Bemühungen der USA und Israels zur Schaffung eines „neuen Nahen Ostens“ unter direkter imperialistischer Herrschaft leitet.
Am 9. September 2023 veröffentlichte das Weiße Haus unter Biden eine Absichtserklärung, in der die Einrichtung eines „Wirtschaftskorridors Indien-Naher Osten-Europa“ (IMEC) angekündigt wurde, der als Gegengewicht zu Chinas Belt and Road Initiative dienen soll.
Weniger als zwei Wochen später verwies der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Rede vor den Vereinten Nationen auf diesen „visionären Korridor, der sich über die Arabische Halbinsel und Israel erstrecken wird“. Netanjahu hielt dann eine Karte hoch, auf der der Staat Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan zu sehen war – einschließlich des Gazastreifens und des Westjordanlands. Der „Segen“ dieses Wirtschaftskorridors würde den „Fluch“ des Iran und seiner Verbündeten im Nahen Osten besiegen, einschließlich des Widerstands der palästinensischen Bevölkerung.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Zwei Wochen nachdem Netanjahu seine Karte des „neuen Nahen Ostens“ vor den Vereinten Nationen präsentiert hatte, startete Israel unter dem Vorwand der Ereignisse vom 7. Oktober den Völkermord in Gaza.
Der in dem 38-seitigen Dokument der Washington Post skizzierte Plan nutzt diesen „Korridor“ als Rahmen und stellt die ethnische Säuberung und Annexion des Gazastreifens in den Kontext der „umfassenderen IMEC-Initiative“. Es erklärt, dass „Gaza ein iranischer Außenposten ist ..., der die IMEC/abrahamitische Architektur bedrohen wird“.
Mit anderen Worten: Das Dokument macht deutlich, dass die ethnische Säuberung Gazas ein wesentlicher Bestandteil der Bemühungen der USA ist, den Nahen Osten zu dominieren, und zwar als Teil einer Strategie der globalen Vorherrschaft, die nicht nur gegen den Iran, sondern letztlich auch gegen Russland und China gerichtet ist.
Der russische Marxist Wladimir Lenin schrieb in seinem Werk „Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“ 1916, dass das Finanzkapital „nicht Freiheit, sondern Herrschaft“ will. Ihm zufolge „verwandelt die Ausbeutung der unterdrückten Nationen […] und insbesondere die Ausbeutung der Kolonien durch ein Häuflein von ‚Groß‘mächten die ‚zivilisierte‘ Welt immer mehr in einen Schmarotzer am Körper der nichtzivilisierten Völker, die viele hundert Millionen Menschen zählen”. (In: Werke Bd. 23, Berlin 1957, S. 103f.)
In dem Dokument, das derzeit von der Trump-Regierung diskutiert wird, sehen wir den wahrhaftigsten und tiefsten Ausdruck des Kapitalismus in seiner imperialistischen Form. Shakespeare sagte in den Worten seines Timon, dass „Gold, das Falsche schön, das Unrecht richtig und das Niedrige edel macht“. Der Kapitalismus in seiner Form des globalen Imperialismus setzt Dollarzeichen auf jedes Kind, das aus seiner Heimat vertrieben oder unter den Trümmern an der levantinischen Küste begraben wurde.
Die ungeheuren Verbrechen, die der US-Imperialismus und der internationale Imperialismus in Gaza begehen, sind eine Warnung vor den Schrecken, die der Kapitalismus bereithält. Wenn der amerikanische Imperialismus bereit ist, in der Anfangsphase seines Kriegsplans gegen China schon Millionen Menschen zu vernichten, wie viele Milliarden wird er dann im Falle eines umfassenden Krieges zu töten bereit sein? Die Arbeiter der Welt können es sich nicht leisten, das herauszufinden.
Das monumentale Verbrechen, das sich in Gaza abspielt, liegt in der politischen Verantwortung aller imperialistischen Mächte und jeder politischen Partei der herrschenden Klasse. Seit fast zwei Jahren bewaffnen, finanzieren und rechtfertigen sie diesen Völkermord. Dieselbe kapitalistische herrschende Klasse, die Palästinenser ausrottet, errichtet im eigenen Land eine Diktatur, baut Sozialprogramme ab, kürzt Löhne und Arbeitsschutz und geht dazu über, jede Opposition mit Gewalt und Unterdrückung zu zerschlagen.
Der Kampf gegen den Völkermord kann nicht vom Kampf gegen das kapitalistische System selbst getrennt werden. Die Arbeiter müssen Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen, um den Völkermord in Gaza zu stoppen, als Teil einer vereinten Massenbewegung der internationalen Arbeiterklasse, die Arbeitsplätze, Löhne, Gesundheitsversorgung und demokratische Rechte verteidigt und gleichzeitig einen kompromisslosen Kampf gegen den imperialistischen Krieg führt. Der Kampf gegen die ethnische Säuberung in Gaza ist untrennbar mit dem Kampf gegen die globale Diktatur des Finanzkapitals verbunden.