Am Montag brachen in Nepal dreitägige Massenproteste mit zehntausenden überwiegend jungen Teilnehmern aus, die das Land in eine politische Krise stürzten. Der unmittelbare Auslöser war zwar, dass die Regierung am vergangenen Donnerstag 26 Social-Media-Plattformen verboten hatte, darunter Facebook, Instagram, X und YouTube, doch in den Protesten drückte sich auch die weit verbreitete Frustration und Wut über mangelnde Chancen, Korruption und die soziale Kluft zwischen Arm und Reich aus.
Die Jugend betrachtete das Verbot von sozialen Medien als Zensur. Bevor es verhängt wurde, deckten Posts auf X und TikTok mit dem Hashtag #nepokids den verschwenderischen Lebensstil der Familien von Politikern auf. Nicht verifizierte, aber weit verbreitete Fotos zeigen den Sohn eines Ministers, der mit Verpackungen von Luxusmarken posiert. Zudem ging vor kurzem ein Video viral, das den Sohn eines ehemaligen Richters beim Essen in teuren Restaurants und neben einem Mercedes zeigt.
Einige der Parolen der Proteste lauteten: „[Premierminister] Oli ist ein Dieb, verlass das Land“, „Verbietet Korruption, nicht die sozialen Medien“, „Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht für verlorene Menschenleben“, „Wir stehen hier für unsere Zukunft“ und „Bietet wirtschaftliche Chancen“.
Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Die offizielle Arbeitslosenquote lag letztes Jahr bei 10,7 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit (15 bis 24 Jahre) bei 22,7 Prozent. Viele junge Menschen sind gezwungen, das Land zu verlassen, um Arbeit zu suchen.
Obwohl die Polizei brutal und unter Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen, Wasserwerfern und scharfer Munition gegen die Proteste vorging, gerieten sie schnell außer Kontrolle. In einem verzweifelten Versuch, die Demonstranten zu beschwichtigen, trat Innenminister Ramesh Lekhak am Montag zurück, und die Regierung kündigte die Aufhebung des Verbots der sozialen Medien an.
Doch die Demonstranten ignorierten diese Beschwichtigungsversuche ebenso wie eine Ausgangssperre, die nicht nur in der Hauptstadt Kathmandu, sondern auch in anderen Städten im gesamten Land verhängt wurde. Aus Wut über die Polizeigewalt kam es zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei sowie Angriffen auf Symbole des politischen Establishments, wie das Parlamentsgebäude, den Obersten Gerichtshof und andere Regierungsgebäude.
Demonstranten drangen in die Häuser von bekannten Politikern ein und verwüsteten sie – darunter die Häuser der beiden ehemaligen Premierminister Sher Bahadur von der Nepalesischen Kongresspartei und Pushpa Kamal Dahal von der Kommunistischen Partei Nepals (Maoistisches Zentrum). Die Nepalesische Kongresspartei ist Teil der Regierungskoalition. Auch der Flughafen von Kathmandu wurde vorübergehend wegen Bränden außer Betrieb genommen.
Premierminister K.P. Sharma Oli von der Kommunistischen Partei Nepals – Vereinigte Marxisten-Leninisten (KPN-VML) trat am Dienstag zurück, nachdem die Medien und die Oppositionsparteien die Reaktion der Regierung auf die Proteste allgemein kritisiert hatten. Laut einigen Berichten hat auch Chief General Ashok Raj Sigdel Oli zum Rücktritt aufgefordert. Oli bleibt jedoch als geschäftsführender Premierminister weiterhin im Amt.
Vor dem Hintergrund der Einsatzes von Truppen und anhaltender Proteste traf sich die Militärführung am Mittwoch mit Vertretern der Demonstranten, die die Bildung einer technokratischen Übergangsregierung vorschlugen. Als mögliche vorläufige Übergangspremierministerin ist die Richterin am Obersten Gerichtshof, Sushila Karki, im Gespräch. Allerdings wurde keine Einigung erzielt.
Am Mittwoch kam es auch zu Ausbrüchen von Häftlingen aus mehreren Gefängnissen, bei denen laut schwankenden Schätzungen zwischen 3.000 und 13.500 Gefangene entkamen. Das Militär ist weiterhin im Einsatz auf den Straßen, um eine Ausgangssperre durchzusetzen, und warnte, es werde harte Maßnahmen gegen Plünderer und Randalierer einsetzen. Etwa 25 Menschen wurden wegen Plünderungen und Gewaltanwendung verhaftet. Die Zahl der Todesopfer der letzten drei Tage liegt bei 25, und laut dem Gesundheitsministerium wurden bis zum Mittwoch mehr als 1.000 Menschen verletzt.
Die Protestbewegung ist die bedeutendste seit König Gyanendra Shah im Jahr 2008 durch Massendemonstrationen zur Abdankung gezwungen wurde, was zur formellen Abschaffung der 240 Jahre alten absoluten Monarchie des Landes führte. Seither leidet Nepal unter politischer Instabilität. In den letzten 17 Jahren gab es 14 Regierungen, von denen keine ihre volle Amtszeit von fünf Jahren vollendet hat. Der 73-jährige Oli wurde letztes Jahr zum vierten Mal zum Premierminister vereidigt.
Keine der großen Parteien ist in der Lage, die wirtschaftliche und soziale Krise beizulegen. Die diversen stalinistischen Parteien – darunter Olis KPN-VML und die KPN (Maoistisches Zentrum) von Pushpa Kamal Dahal – haben genauso rücksichtslos wie die konservative Nepalesische Kongresspartei die Last der Krise der arbeitenden Bevölkerung aufgebürdet. Vor allem junge Menschen waren davon betroffen.
Pushpa Kamal Dahal war Parteichef der KPN (Maoisten), bevor sich diese aufspaltete. Sie hatte einen langen Guerillakrieg gegen das Militär und die Monarchie geführt. Nach dem Sturz der Monarchie hat sie ihre Waffen abgegeben, sich dem politischen Establishment Kathmandus angeschlossen und eine wichtige Rolle bei der Eindämmung von Widerstand und Wut auf die bestehenden Parteien gespielt.
Dahal, der seither dreimal als Premierminister diente, hat sich als entschlossener Verteidiger des nepalesischen Kapitalismus und der Interessen des Großkapitals sowie als Befürworter von marktwirtschaftlichen Reformen erwiesen. Die Verwandlung der nepalesischen Maoisten in zuverlässige Stützen der bürgerlichen Herrschaft ist ein weiterer anschaulicher Beweis für den reaktionären Charakter der stalinistischen Zwei-Stufen-Theorie, die die Unterstützung für den Kapitalismus und die sogenannten progressiven Schichten der Bourgeoisie rechtfertigt.
Hintergrund der politischen Unruhen ist die ausufernde Wirtschaftskrise des Landes. Im April erschien ein Kommentar in der englischsprachigen Wochenzeitung Annapurna Express, der die Frustration und Besorgnis in Wirtschaftskreisen ausdrückte. Darin hieß es:
„Die Wirtschaft liegt in Trümmern, die Bürger schreien auf, und die Mächtigen verstopfen sich die Ohren mit Geld. Die derzeitige Rezession, mit der die Nation konfrontiert ist, ist das Ergebnis von jahrzehntelanger Korruption, Ineffizienz und falschen Prioritäten.“
Die Zeitung wies auf die fehlende ausländische Hilfe hin, was sich durch die Einstellung von USAID verschärft hat, und warnte vor „harten Zeiten in der Zukunft“. Sie wies darauf hin, dass optimistische Wachstumszahlen fragwürdig seien und zeichnete das Bild einer rückständigen kapitalistischen Wirtschaft, die vom Tourismus, der Landwirtschaft und Überweisungen von Arbeitern aus dem Ausland abhängig ist. Etwa 67 Prozent der Erwerbsbevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig, die aber weniger als ein Viertel zum BIP beiträgt.
Daher ist es kein Wunder, dass es für junge Menschen wenig Chancen gibt, und die wachsende Frustration darüber findet in den traditionellen Parteien kein Ventil. Die einzige Partei, die irgendeine Unterstützung oder Sympathie für die Demonstranten geäußert hat, ist die populistische Rastriya Swatantra Party (RSP), die erst im Juni 2022 gegründet wurde und 20 Sitze im Parlament gewonnen hat, indem sie mit einem Programm gegen Korruption an die Jugend appelliert.
Allerdings ist nicht die Korruption, sondern der Kapitalismus die Ursache der politischen und wirtschaftlichen Krise in Nepal, die die massive Unzufriedenheit und Wut in der gesamten Region und international anheizt. Auch in Indonesien kam es in den letzten Wochen zu Massenprotesten von Jugendlichen.
Die einzige progressive Lösung liegt im politischen Kampf für den Sozialismus auf der Grundlage einer vereinigten Bewegung der internationalen Arbeiterklasse. Wir rufen Arbeiter und Jugendliche auf, sich mit der World Socialist Web Site und dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale in Verbindung zu setzen, die als einzige für diese Perspektive kämpfen.