Flanders Festival lädt Dirigent Lahav Shani aus: Das verlogene Geschrei über Antisemitismus

Die Ausladung der Münchner Philharmoniker unter ihrem designierten Chefdirigenten Lahav Shani vom Flanders Festival im belgischen Gent hat in Deutschland einen Proteststurm ausgelöst, der an Verlogenheit und Heuchelei nicht zu überbieten ist.

Lahav Shani [Photo by Christian Michelides / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer sprach von „einer Schande für Europa“, „blankem Antisemitismus“ und „einem Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur“. Auch Bayerns Kunstminister Markus Blume nannte die Genter Entscheidung „groben Antisemitismus“. F.A.Z.-Herausgeber Jürgen Kaube wertete die Ausladung als Beweis, dass „israelbezogener Antisemitismus“ keine Erfindung sei, „um Kritik an der Regierung Netanjahu zu stigmatisieren“, sondern dass er tatsächlich existiere.

Die Genter Festivalleitung hat die Absage des für den 18. September geplanten Konzerts damit begründet, dass Shani auch Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra sei. „Lahav Shani hat sich in der Vergangenheit mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen,“ begründete sie ihre Entscheidung, „aber in Anbetracht seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra sind wir nicht in der Lage, seine Haltung gegenüber dem völkermörderischen Regime in Tel Aviv hinreichend zu klären.“ Deshalb habe sie in Absprache mit dem Stadtrat von Gent, einem Bündnis von Liberalen, Sozialisten und Grünen, entschieden, „von der Zusammenarbeit mit Partnern abzusehen, die sich nicht eindeutig von diesem Regime distanziert haben.“

Man kann die Entscheidung der Festivalleitung kritisch sehen. Insbesondere da Shani, wie sie selbst erklärt, „sich in der Vergangenheit mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen“ hat. So hat der 36-jährige Dirigent im August in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung die Hoffnung ausgesprochen, „dass auf beiden Seiten bald sehr mutige Menschen nach vorn kommen, Menschen, die in die weitere Zukunft denken und die schwierigen Schritte zum Frieden wagen“. „Alles, was ich weiß, ist, dass jedes getötete Leben eines zu viel ist,“ fügte er hinzu.

Shani hat auch das von seinem Mentor Daniel Barenboim gegründete West-Eastern Divan Orchestra dirigiert, in dem jüdische, palästinensische und arabische Musiker gemeinsam spielen. Seine Ehefrau Miri Saadon ist Klarinettistin dieses Orchesters.

Dass die Entscheidung der Festivalleitung antisemitisch sei, ist aber eine üble Verleumdung. Die Festivalleitung hat ausdrücklich erklärt, die Entscheidung habe nichts mit Shanis persönlichen Ansichten oder gar seiner jüdischen Identität zu tun, sondern ausschließlich mit seiner Funktion als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra (IPO). Das Orchester habe sich als Institution nicht eindeutig von der Regierung distanziert, „und Völkermord lässt unserer Ansicht nach keinen Raum für Unklarheit“, sagte Jan Van den Bossche, der künstlerische Leiter des Festivals.

Das IPO, zu dessen musikalischem Direktor Shani 2018 im Alter von 29 Jahren als Nachfolger Zubin Methas berufen wurde, gilt seit Jahrzehnten als Aushängeschild des israelischen Staats. Dass ein Musikfestival, das sich der Auffassung verschrieben hat, Musik müsse eine Quelle der Verbindung, der Versöhnung und des gegenseitigen Respekts sein, mit diesem Staat nicht in Verbindung gebracht werden will, ist mehr als legitim.

Die israelische Regierung und die israelische Armee begehen in Gaza Menschheitsverbrechen, die jeder Beschreibung spotten. Selbst wenn eine Steigerung nicht mehr möglich scheint, verschärfen sie den Terror weiter.

Mit dem Angriff auf Gaza Stadt will die israelische Armee 1,5 Millionen Menschen in einem Gebiet zusammenpferchen, das nur etwas mehr als doppelt so groß ist wie das Warschauer Ghetto, wo auf dem Höhepunkt etwa ein halbe Million Menschen lebten. Und während im Ghetto in mehrstöckigen Gebäuden 7 bis 8 Personen in einem Zimmer zusammengepfercht lebten, sollen im Gazastreifen alle auf ebener Erde in Zelten ohne sanitäre Einrichtungen untergebracht werden. Um dem Massenmord den Hohn hinzuzufügen, bezeichnet die israelische Regierung dieses Konzentrationslager als „humanitäre Zone“.

Dieselben Politiker und Journalisten, die jetzt Zeter und Mordio „Antisemitismus“ schreien, verfolgen, zensieren und unterdrücken seit Jahren jeden Künstler, Wissenschaftler, Studenten und Arbeiter, der gegen dieses mörderische Unrecht protestiert. Viele haben deshalb ihre Existenz verloren.

Von der Ruhrtriennale über die Kasseler Documenta bis hin zur Berlinale gibt es kein größeres Kunstereignis, das nicht ins Kreuzfeuer proisraelischer Zensoren geraten ist. Der Schachtruf „Antisemitismus“ ist zur Waffe all jener geworden, die den brutalsten Genozid der jüngeren Geschichte rechtfertigen. Die Doppelstandards und der Mangel an elementarem menschlichem Mitgefühl, die sie dabei an den Tag legen, sind atemberaubend.

So sind es erst drei Jahre her, seit der Vorgänger Shanis an der Spitze der Münchner Philharmoniker, der russische Dirigent Varly Gergiev, fristlos gefeuert wurde, weil er sich nicht schriftlich von der russischen Regierung distanzierte.

„Regierungen, Medien, Universitäten, Kultur- und Sportfunktionäre verlangen von russischen Künstlern, Wissenschaftlern und Athleten öffentliche Bekenntnisse gegen ihre Regierung, sonst werden sie fristlos entlassen,“ schrieben wir damals. „Dabei stört es die Verantwortlichen nicht, dass sie mit ihrem Gesinnungsdiktat eben jene Methoden einführen, die sie dem russischen Präidenten Wladimir Putin vorwerfen.“

Die Propaganda von Politik und Medien ist mächtig, aber sie ist nicht allmächtig. Die Verbrechen, die die israelische Regierung vor den Augen der Weltöffentlichkeit begeht, haben ein Ausmaß angenommen, die Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gegen sie aufbringt. Das kann auch das verlogene Zetergeschrei über Antisemitismus nicht verhindern.

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