Am Montag, den 22. September, organisierten zehntausende italienische Arbeiter und Jugendliche eine der europaweit größten Demonstrationen gegen den israelischen Genozid in Gaza, der von den USA und den europäischen Mächten unterstützt wird. In mehr als 75 italienischen Städten kam es zu Protesten und Streiks unter dem Motto „Blocchiamo tutto“ (Blockieren wir alles). Schulen wurden geschlossen, der öffentliche Verkehr lahmgelegt und strategisch wichtige Häfen blockiert.
Die Proteste, die zu den größten Italiens seit Jahrzehnten zählen, brachten die enorme und wachsende Wut der Arbeiter und Jugendlichen über den Völkermord in Gaza und die offene Komplizenschaft der italienischen Regierung, der Europäischen Union und der USA zum Ausdruck. Sie zeigten auch das immense Potenzial für eine Bewegung, die sich zu einer internationalen Gegenoffensive der Arbeiterklasse entwickeln könnte – gegen Krieg, Faschismus und das kapitalistische System, das sie hervorbringt.
Im Stadtzentrum von Mailand versammelten sich mehr als 50.000 Menschen, schwenkten palästinensische Flaggen, warfen Rauchbomben und riefen „Free Palestine“. In Rom versammelten sich über 20.000 Menschen auf der Piazza dei Cinquecento, nachdem kleinere Demonstrationszüge aus anderen Stadtteilen der Hauptstadt gestartet waren. In Bologna, Turin, Neapel, Palermo, Bari, Florenz, Venedig und Dutzenden kleinerer Städten besetzten Menschenmengen Plätze und Durchfahrtstraßen, legten den Verkehr lahm und unterbrachen den Handel.
Das Ausmaß der Demonstrationen war beispiellos. In Genua und Livorno blockierten Hafenarbeiter wichtige Häfen und verurteilten Italiens Rolle bei der Ermöglichung von Waffenlieferungen an Israel. In Ravenna hatten nur wenige Tage zuvor Hafenarbeiter den Bürgermeister Alessandro Barattoni gezwungen, die Verladung von zwei Containern mit Sprengstoff nach Haifa zu verhindern, nachdem deren Inhalt bekannt gemacht wurde. Diese Aktionen zeigen die wachsende Bedeutung der Häfen als Hauptschlagadern des globalen Handels in der sich anbahnenden Konfrontation im imperialistischen Krieg.
Studierende und Jugendliche spielten eine entscheidende Rolle in den Protesten. In Rom blockierten Oberschüler die Straßen um das Kolosseum und versammelten sich auf den Plätzen Largo Preneste und Piazza Annibaliano, bevor sie sich der Hauptdemonstration anschlossen. An der Aldo-Fabrizi-Grundschule zeigten Kinder Friedensflaggen und Papierschiffe für die Kinder in Gaza. An der Universität La Sapienza besetzten Aktivisten die Eingänge und riefen „Blockieren wir die Universität“, während Professoren den Abbruch der Beziehungen zu israelischen Institutionen und der Rüstungsindustrie forderten.
Die Versuche, Palästina-Solidarität mit Antisemitismus gleichzusetzen, wiesen die Demonstranten entschieden zurück. Alessandra, eine Studierende aus Rom, erklärte: „Das bedeutet nicht, dass wir gegen Juden oder antisemitisch wären, und wir sind es leid, dass die Medien und Politiker es immer so darstellen. Es bedeutet nur, dass wir gegen eine Regierung sind, die Völkermord verübt, während die internationale Staatengemeinschaft wegschaut.“ Das war die allgemeine Stimmung bei den Protesten, an denen auch viele jüdische Organisationen teilnahmen.
Die Reaktion des Staats: Kriminalisierung und Unterdrückung
Trotz des überwiegend friedlichen Charakters der Demonstrationen nutzten die Regierung und die Medien kleinere Zusammenstöße in Mailand, um die ganze Bewegung zu kriminalisieren. Maskierte Demonstranten bewarfen den Hauptbahnhof mit Steinen und Rauchbomben, woraufhin die Polizei Pfefferspray einsetzte. In Bologna kamen Wasserwerfer zum Einsatz. Angesichts der politischen Bedeutung ist es mehr als wahrscheinlich, dass bei diesen Zusammenstößen Polizeiprovokateure beteiligt waren.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verurteilte die Proteste umgehend und erklärte: „Gewalt und Zerstörung haben nichts mit Solidarität zu tun und werden nichts am Leben der Menschen in Gaza ändern.“ Melonis Worte sind beispielhaft für den Zynismus einer Regierung, die sich einerseits als Verteidigerin der „Ordnung“ inszeniert, aber das Massaker an Palästinensern unterstützt und Israel vor Konsequenzen schützt.
Verkehrsminister Matteo Salvini folgte dem Beispiel der Rhetorik, die Donald Trump in den USA gegen Demonstranten einsetzt, und tat die Massenbewegung als „linksextreme Mobilisierung“ ab. Innenminister Matteo Piantedosi sprach von einem „vorsätzlichen Angriff auf die Polizei“. Außenminister Antonio Tajani sagte: „Mit Gewalt wird man der palästinensischen Zivilbevölkerung nicht helfen.“ Der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala von der Partitio Democratico verurteilte den „Vandalismus“ und betonte, dafür gäbe es „keine Rechtfertigung“.
Diese koordinierte Verurteilung der Bewegung zeigt, dass die italienische herrschende Klasse – von den Faschisten bis hin zu den Demokraten – übereinstimmt, wenn es darum geht, die Völkermordpolitik Israels und die unverzichtbare Rolle Italiens in der Militärmaschinerie der Nato zu verteidigen.
Hafenarbeiter an der Spitze
Die Aktionen der Hafenarbeiter in Genua haben die Arbeiterklasse einmal mehr in den Mittelpunkt des Widerstands gegen Krieg gerückt. In den letzten Wochen hatten sie die Beladung des saudischen Schiffs Bahri Yanbu mit Kriegsmaterial verhindert. Letzten Monat stellte sich das Autonome Kollektiv der Hafenarbeiter (CALP) bei einer Kundgebung mit Tausenden von Teilnehmern hinter die Global Sumud Flotilla, die mit humanitären Hilfsgütern für Gaza aufgebrochen war.
Einer ihrer Sprecher warnte: „Wenn wir den Kontakt mit unseren Booten auch nur für 20 Minuten verlieren, werden wir ganz Europa blockieren. Vom Hafen von Genua aus wird nichts mehr losfahren.“ Die Aussage macht deutlich, dass es ein großes Potenzial für ein internationales, von Arbeitern kontrolliertes Netzwerk gibt, das die Kriegsmaschinerie des Imperialismus lahmlegen kann.
Mit ihren Aktionen widersetzten sich die Hafenarbeiter dem „Anti-Gandhi-Gesetz“, das Meloni im Juni 2024 eingeführt hatte, um bestimmte Formen öffentlicher Störungen, wie Hafenblockaden, zu kriminalisieren.
Die Heuchelei der Demokraten, Pseudolinken und Gewerkschaften
Wie vorherzusehen war, versuchte die Partito Democratico, auf beiden Seiten zu stehen. PD-Sekretärin Elly Schlein verurteilte die Demonstranten in Mailand mit den Worten: „Es fällt mir nicht schwer, die Verwüstung des Hauptbahnhofs und die Verwundung von Beamten zu verurteilen. Wir haben stets jede Form von politischer Gewalt abgelehnt, weil wir sie unter keinen Umständen für berechtigt halten.“ Auf Druck der Hafenarbeiter forderte sie jedoch scheinheilig ein „vollständiges Waffenembargo von und nach Israel“.
Das Gehabe der Demokraten ist reine Schadensbegrenzung. Sie haben die Einbindung des italienischen Imperialismus in die Nato, die Entsendung von Waffen und Truppen auf den Balkan, nach Libyen und in die Ukraine sowie die Nutzung italienischer Häfen und Stützpunkte für US-amerikanische und israelische Operationen konsequent unterstützt. Ihre unkritische Verurteilung von „Gewalt“ gegen Gebäude, während in Gaza ein Völkermord passiert, entlarvt sie als zynische Verteidiger des Status quo.
Hinter der parteiübergreifenden Unterstützung für den Krieg steht die Verflechtung des italienischen Staats mit der Rüstungsindustrie. Der führende italienische Rüstungskonzern Leonardo S.pA. befindet sich zu 30 Prozent im Staatsbesitz. Die Regierung hat die Vollmacht („Golden Powers“) in strategischen Verteidigungsbranchen zu intervenieren und ernennt das oberste Management. Fincantieri, Avio und Officina Stellare sind ebenfalls in den Apparat der Rüstungsproduktion integriert. Zu ihren wichtigsten Investoren gehören globale Finanzgiganten wie BlackRock, Vanguard und Capital Research and Management.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der italienische Staat hat sowohl unter Melonis Faschisten als auch unter den Demokraten die Fortsetzung der Waffenlieferungen an Israel und die Nato-Staaten garantiert und damit vom Massensterben im Ausland profitiert. Die Regierung hat zugelassen, dass die USA italienische Stützpunkte für die Weiterleitung von Waffen nutzten – was auch von der PD und ihren Verbündeten, einschließlich der Gewerkschaften, uneingeschränkt unterstützt wurde. Die Verteidigung dieser weitreichenden Interessen erklärt, warum sich alle Fraktionen der herrschenden Klasse, von Salvini bis Schlein, zusammenschließen, um Demonstranten zu verleumden und zu unterdrücken.
Die Proteste haben zwar enorme Wut und Militanz gezeigt, wurden aber von den Gewerkschaften und den pseudolinken Organisationen systematisch eingedämmt. Am 19. September rief die größte italienische Gewerkschaft CGIL zu einem vierstündigen Streik und Protesten in vielen Städten auf. Damit versuchten sie die größeren Protestveranstaltungen, die für drei Tage später geplant waren, zu verhindern und zu schwächen.
In Nachahmung der heuchlerischen Haltung imperialistischer Länder wie Großbritannien, Kanada, Australien und Portugal appellierten italienische Gewerkschaftsführer an die Meloni-Regierung, den Staat Palästina anzuerkennen.
Mit ihren Appellen an die Faschisten, Palästina anzuerkennen oder ein „Waffenembargo“ zu verhängen, schüren diese Kräfte die Illusion, der kapitalistische Staat – das eigentliche Instrument des Kriegs – könne zu einem Kurswechsel gedrängt werden. Sie haben eine nationalistische Orientierung und sind gegen eine unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse. Ihnen geht es darum, die Kontrolle zu behalten und den Widerstand in die sicheren Kanäle der parlamentarischen Politik und des Gewerkschaftsapparats zu lenken.
Der Weg zu einem internationalen Kampf
Die Proteste vom 22. September haben bewiesen, dass es in der Arbeiterklasse Europas und der Welt eine starke Opposition gegen den Völkermord gibt. Die extreme Rechte – ob in Italien oder den USA – ist nicht aus eigener Kraft aufgestiegen, sondern dank der Feigheit und Unterstützung der bürgerlichen „Opposition“. Die Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Pseudolinken haben den Widerstand der Arbeiterklasse unterdrückt und damit die Gefahr einer faschistischen Machtübernahme geschaffen.
Ein Durchbruch ist möglich, aber nur, wenn die Arbeiter ihre Kämpfe unabhängig von allen Institutionen organisieren, die das kapitalistische System und den imperialistischen Krieg verteidigen. Zu diesem Zweck müssen sie Aktionskomitees in allen Fabriken, Häfen und Betrieben gründen, die von den Arbeitern demokratisch kontrolliert werden. Diese Komitees müssen gemeinsame Aktionen diskutieren und vorbereiten, um die Arbeiterklasse gegen Ausbeutung und Sparmaßnahmen zu verteidigen und sich mit Arbeitern international gegen imperialistischen Krieg und Faschismus zusammenzuschließen.
Der Ausbruch von Protesten in Italien ist Teil einer breiteren Opposition gegen alle bürgerlichen Parteien, die die Arbeiter für die Kosten der Aufrüstung und des sich entwickelnden Weltkriegs zur imperialistischen Eroberung von Gaza, des Irans, Russlands und Chinas bezahlen lassen wollen.
Die Zukunft dieser Bewegung hängt davon ab, ob sie Klarheit über ihre Ziele gewinnt, sich aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften und des Parlamentarismus befreit und eine bewusste internationalistische und sozialistische Perspektive vertritt, die mit dem Aufbau unabhängiger Aktionskomitees beginnt. Nur auf dieser Grundlage kann die gewaltige Macht, die sich in Italiens Straßen und Häfen gezeigt hat, zu einer Kraft entwickelt werden, die den Krieg und seine Ursache, den Kapitalismus, beendet.