Nach vier Jahren in der Opposition sind der rechte Milliardär Andrej Babiš und seine Partei ANO als Sieger aus der tschechischen Parlamentswahl vom 3. und 4. Oktober hervorgegangen. ANO erzielte knapp 35 Prozent der Stimmen und liegt damit deutlich vor dem bisher regierenden Rechts-Bündnis Spolu um Regierungschef Petr Fiala, das nur noch 23 Prozent der Stimmen auf sich vereinte.
Das Ergebnis wirft erneut ein Schlaglicht auf die tiefe und andauernde politische Krise in Tschechien. Babiš’ Wahlsieg ist der Tatsache geschuldet, dass die Regierung Fiala verhasst war, wie kaum eine vorherige.
Unmittelbar nach Regierungsantritt im November 2021 hatte die Koalition ihr Sparprogramm mit dem Titel „Tschechien in Form bringen“ vorgestellt. Umgerechnet rund vier Milliarden Euro wurden damit im letzten Jahr eingespart und in diesem Jahr sind noch einmal über fünf Milliarden an Kürzungen eingeplant.
Darin beinhaltet waren Subventionskürzungen für kleine und mittlere Unternehmen, Kürzungen im öffentlichen Dienst, Steuererhöhungen sowie Kürzungen der Rentenanpassungen und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Beschäftigte müssen heute neun Jahre länger arbeiten als noch vor 35 Jahren. Dabei reichen die niedrigen Renten schon heute kaum zum Leben, vor allem in teuren Großstädten wie Prag.
2022 und 2023 kam es zu großen Protesten gegen die brutalen Sparmaßnahmen der Regierung, die mit einer zweistelligen Inflationsrate zusammenfielen, die Güter des täglichen Lebens und Energie enorm verteuerte.
Gleichzeitig wurde die Aufrüstung vorangetrieben. Fiala beschloss eine Erhöhung der Militärausgaben von zwei auf drei Prozent des BIP bis 2030. Die Regierung stellte sich an die Spitze der Kriegseskalation der Nato gegen Russland. Sie trieb die Beschaffung von Flugabwehrsystemen sowie von Kampf- und Schützenpanzern voran. Die von ihr initiierte tschechische Granaten-Initiative stellte der Ukraine seit Anfang 2024 3,5 Millionen Schuss Artillerie-Munition zur Verfügung. Erst im September hat die nun abgewählte Regierung ein Hilfspaket von jährlich 41 Millionen Euro bis 2030 für die Ukraine beschlossen.
Der Wahlkampf der Regierungsparteien stand ganz im Zeichen der angeblichen Gefahr eines russischen Angriffs auf Europa. Damit verbunden bekräftigte Fiala die Notwendigkeit für weitere Sparmaßnahmen.
Ebenso vehement, wie die Regierung ein härteres Vorgehen gegen Russland forderte, stand sie hinter dem Völkermord Israels in Gaza. Tschechien sei „Israels Stimme in Europa“, erklärten Regierungsvertreter und wandten sich gegen jede UN- oder EU-Resolution, die auch nur milde Kritik am Vorgehen Israels gegen die Palästinenser enthielt. Gleichzeitig verdoppelte Tschechien die Waffenlieferungen an Israel zwischen 2022 und 2024.
Wie weit rechts die Prager Regierung stand, wurde auch deutlich, als im letzten Monat die Koalitionspartei KDU-ČSL eine Gedenkmesse an den in den USA ermordeten Faschisten Charlie Kirk organisierte, die Prags Kardinal Dominik Duka zelebrierte. Fiala bezeichnete das Attentat auf Kirk als „abscheuliches Verbrechen“, ohne dessen faschistischen Ansichten zu erwähnen oder gar zu kritisieren.
Auch die nominell „linken“ oder „progressiven“ Kräfte hatten dieser Politik nichts entgegenzusetzen. Während die Piratenpartei, auf deren Liste auch Vertreter der Grünen antraten, den Sprung ins Parlament schaffte, scheiterten die Sozialdemokraten (CSSD) und Kommunisten (KSCM) mit ihrer Liste Stačilo! an der Fünf-Prozent-Hürde. Nachdem dies schon 2021 der Fall gewesen war, stehen beide Parteien vor dem politischen Aus.
Die weitverbreitete Ablehnung der rechten Regierungspolitik und das gleichzeitige Fehlen einer politischen Alternative machte sich Babiš zu Nutze. Er kündigte im Wahlkampf ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine an und versprach niedrigere Steuern und günstigere Energie. Die Mittel, die für die Unterstützung der Ukraine verwendet werden, sollten besser „für unsere eigenen Leute“ ausgegeben werden, erklärte er.
Babiš, der oft als „tschechischer Trump“ bezeichnet wird – sein Unternehmen Agrofert macht ihn mit einem Vermögen von 4,3 Milliarden US-Dollar (Forbes) zu einem der reichsten Männer des Landes – hetzte im Wahlkampf gegen Migranten, wetterte gegen die „Bürokratie“ und „Kontrollwut“ Brüssels, warnte vor der Gefahr eines Kriegs mit Russland und versprach höhere Renten.
„Die Verteidigung der Brötchenpreise hat über die Verteidigung des Landes gesiegt,“ kommentierte ein Verteidiger Fialas das Wahlergebnis.
Tatsächlich hat die Bevölkerung bereits umfangreiche Erfahrungen mit Babiš gemacht, der bereits zwischen 2017 und 2021 an der Spitze der tschechischen Regierung stand. 2019 hatten in Prag hunderttausende für den Rücktritt des ANO-Chefs demonstriert.
Der 71-jährige Milliardär war bis zu deren Sturz 1989 Mitglied der stalinistischen Kommunistischen Partei der Tschoslowakei. Als Sohn eines hochrangigen Diplomaten verbrachte er einen Teil seiner Kindheit in Paris und Genf. Wie andere stalinistische Funktionäre nutzte er die Einführung des Kapitalismus, um riesige Vermögenswerte an sich zu reißen. Sein Agrofert-Konzern besitzt Unternehmen im Agro-, Chemie-, Lebensmittel- und Medienbereich.
2011 wurde Babiš auch politisch aktiv und gründete die rechtspopulistische Partei ANO. Der Name bedeutet auf Tschechisch „ja“ und ist gleichzeitig die Abkürzung für „Aktion unzufriedener Bürger“. Trotz ihrer stramm rechten Politik koalierte ANO mehrmals mit den aus der stalinistischen Staatspartei hervorgegangenen Sozialdemokraten (CSSD) und Kommunisten (KSCM). 2018 bildete Babiš eine Koalition mit der CSSD, die von der KSCM unterstützt wurde.
Auf europäischer Ebene schloss sich ANO anfangs der liberalen Fraktion an. Im Sommer 2024 gründete Babiš dann gemeinsam mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und dem Chef der österreichischen FPÖ, Herbert Kickl, die „Patrioten für Europa“, denen sich zahlreiche andere rechtsextreme Parteien anschlossen: darunter die spanische Vox, die portugiesische Chega, die niederländische PVV von Geerd Wilders, die italienische Lega und der französische Rassemblement National (RN).
Babiš ist tief in Korruption und kriminelle Aktivitäten verstrickt. Im Fall „Storchennest“ wurde er wegen Subventionsbetrugs beim Bau eines Wellnesszentrums angeklagt. Das Prager Stadtgericht sprach ihn zweimal frei, die Urteile wurden jedoch vom Prager Obergericht kassiert. Für einen erneuten Prozess müsste das Abgeordnetenhaus jedoch Babiš Immunität aufheben, was nach den aktuellen Mehrheitsverhältnissen unwahrscheinlich ist.
Wie schon während seiner ersten Regierung wird Babiš die sozialen Angriffe auf die Bevölkerung fortsetzen. Während seiner Amtszeit war es immer wieder zu Massenprotesten gekommen. Während der Corona-Pandemie hatte ANO eine Politik der Durchseuchung verfolgt, die zu einer der höchsten Infektions- und Sterberaten in ganz Europa führte. Eine weitere ANO-Regierung wird erneut eine Politik im Interesse der dünnen Oberschicht machen, die mit Hilfe der extremen Rechten durchgesetzt wird.
Bereits am Wahlabend erklärte Babiš, dass er eine Alleinregierung seiner Partei anstrebe. Da er über keine Mehrheit verfügt, benötigt er die Unterstützung von mindestens zwei weiteren Parteien. Am wahrscheinlichsten dafür sind die Autofahrer-Partei Motoristé, die auf knapp 7 Prozent der Stimmen kam, und die SPD, die knapp 8 Prozent erzielte. Beide Parteien sind rechtsextrem und haben enge Verbindungen zu faschistischen Gruppen. Sie verbinden den Ruf nach offenen Märkten mit einem Austritt aus EU und NATO. Erste Gespräche der Parteien am Samstagabend in Průhonice wurden im Geheimen geführt.
Die Rückkehr der ANO an die Regierung dürfte sich allerdings weit weniger auf die Kriegspolitik gegen Russland und auf Tschechiens Haltung zur EU auswirken, als Babiš im Wahlkampf verlauten ließ. Babiš weiß um die Abhängigkeit Tschechiens von der EU. „Kein Beobachter geht davon aus, dass er die Tschechen aus der EU führen würde, schon allein, weil der Milliardär mit seinem Agrofert-Konzern sehr starke eigene wirtschaftliche Interessen innerhalb der EU hat,“ kommentiert die Frankfurter Allgemeine das Wahlergebnis.
Und das Wahlversprechen, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen, hat Partei-Vize Karel Havlicek, der als möglicher Premierminister im Gespräch ist, noch am Wahlabend relativiert. Man verlange lediglich, dass überprüft werde, ob die Finanzierung und der Kauf der Munition korrekt abliefen, sagte er.
Auch die Tageszeitung Lidove Noviny, ein Sprachrohr der EU-freundlichen Kreise, erklärte, es drohe keine „Koalition des Grauens“ und es bestehe keine Gefahr für die Sicherheits- und Außenpolitik der Tschechischen Republik.