Berliner Senat weitet Befugnisse der Polizei massiv aus

Die Reform des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) durch die schwarz-rote Berliner Landesregierung unter Kai Wegner (CDU) ist Bestandteil eines Frontalangriffs auf demokratische Grundrechte.

Polizei geht gegen friedliche Demonstranten auf Pro-Palästina-Demo auf dem Potsdamer Platz in Berlin vor, 20.04.2024

Die Koalition inszeniert diesen Angriff als angeblich notwendige Modernisierung der Polizei im Namen der Sicherheit. „Die Gefahren wachsen“, behauptet Burkard Dregger, innenpolitischer Sprecher der CDU, „die aus dem Inland kommen, genauso wie aus dem Ausland.“ Deshalb setze Berlin „auf eine technologische Modernisierung, weil die Polizei nicht schwächer als die Kriminellen sein“ dürfe, so Innensenatorin Iris Spranger (SPD).

In Wahrheit dient das neue Polizei- und Ordnungsrecht nicht dem Schutz der Bevölkerung, sondern ihrer flächendeckenden Überwachung und Repression. Es ist ein Schritt zu einem Polizeistaat.

Die über 700 Seiten starke ASOG-Novelle wurde vom zuständigen Innensenat Mitte Juli dieses Jahrs dem Abgeordnetenhaus vorgelegt. Am 18. Dezember sollen die Abgeordneten über die endgültige Fassung abstimmen, welche bereits im Januar 2026 in Kraft treten soll.

Unabhängig von der Ausgestaltung der endgültigen Fassung stellt das neue Polizei- und Ordnungsgesetz eine gegen die Arbeiterklasse gerichtete Erweiterung der Befugnisse des Staatsapparats dar: Jede Person soll jederzeit und überall im öffentlichen Raum videoüberwacht und seine Handy-Kommunikation ausgespäht werden; Bilder aus der Videoüberwachung sollen mit im Netz befindlichen Fotos abgeglichen und gespeichert werden.

Zu den wichtigsten Inhalten der ASOG-Novelle und ihren Auswirkungen im Einzelnen:

  • Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum

Die derzeit sieben von der Polizei als „kriminalitätsbelastete Orte“ (kbO) eingestuften Orten – darunter der Alexanderplatz in Berlin-Mitte sowie das Kottbusser Tor und der Görlitzer Park in Friedrichshain-Kreuzberg – wird die Behörde dauerhaft überwachen. Bisher ist dies nur temporär erlaubt.

Unabhängig von der tatsächlichen Kriminalitätshäufung (wie Raub, schwere Körperverletzung, Brandstiftung oder Drogenhandel) kann die Polizeibehörde eine solche Klassifizierung auf Grundlage ihrer eigenen Einsatzpräsenz festlegen, etwa bei „erfahrungsgemäß konfliktträchtigen Versammlungen“.

Für die Anwohner in der Hermannstraße und am Hermannplatz in Berlin-Neukölln, Stadtteilen mit hohem arabischem und palästinensischem Bevölkerungsanteil, hatte sich die Einstufung als kbO’s, die mit besonderen und vor allem anlasslosen Polizeibefugnissen einhergeht, im Jahreswechsel 2023/2024 drastisch bemerkbar gemacht.

Nach angekündigten pro-palästinensischen Demonstrationen ließ die Polizeibehörde den Hermannplatz, die Sonnenallee und den Reuterplatz mit dutzenden Einsatzfahrzeugen absperren. Massenhafte Identitäts- und Taschenkontrollen von Anwohnern wie Passanten wurden flächendeckend durchgeführt, polizeiliche Übergriffe und Brutalität waren allgegenwärtig.

  • KI-Auswertung

Erstmals soll zwecks schnellen Identifizierens von „auffälligen Verhaltungsmustern“ Künstliche Intelligenz (KI) zum Auswerten von Bilddaten eingesetzt werden. Zu „auffälligen Verhaltungsmustern“ gehören das Hin- und Hergehen vor einem Objekt oder längeres Beobachten, Rennen oder hastiges Bewegen in ungewöhnlichen Bereichen, „verdächtiges“ Versammeln, längeres Liegen oder Hinsetzen an unüblichen Orten.

Wie bereits in Mannheim (seit 2018), in Hamburg (seit 2023) oder in Frankfurt (seit Sommer 2025) wird die KI hierfür mit sämtlichem verfügbarem Bildmaterial gespeist: aus Überwachungskameras, von öffentlichen Veranstaltungen oder Ansammlungen, mit Aufnahmen von gefährdeten Gebäuden und Objekten, aus Hubschraubern und Drohnen.

Datenschützer warnen, dass zukünftig „große Teile der Berliner Innenstadt nicht mehr unüberwacht passiert werden können“ (Meike Kamp, Datenschutzbeauftragte im Abgeordnetenhaus) und „Menschen, die sich atypisch im öffentlichen Raum verhalten – wie wohnungslose oder körperlich eingeschränkte – von der Software als gefährlich erkannt werden und damit erhöhtem Überwachungsdruck ausgesetzt sind“ (David Werdermann, Jurist von der Gesellschaft für Freiheitsrechte).

Die Speicherung der Videoaufnahmen aus BVG-Kameras, mit denen Bahnhöfe und Haltestellen überwacht werden, wird von 48 auf 72 Stunden verlängert, was einen weiteren Schritt in Richtung lückenloser Datenerfassung und Vorratsdatenspeicherung bedeutet.

„Biometrische Echtzeit-Identifizierung“ von Personen (Gesichtserkennung), versichert die schwarz-rote Landesregierung, sei im Gesetzentwurf hingegen ausgeschlossen und der Einsatz der KI diene ausschließlich zur Erkennung bestimmter Muster oder von Gruppenverhalten. Lediglich bei gezielter Fahndung nach bestimmten Personen solle nach richterlicher Anordnung die KI-Nutzung erlaubt sein.

Doch es liegt auf der Hand, dass die KI-Nutzung zukünftig dazu dienen wird, oppositionelle Personen und Gruppen in ihrer Versammlungsfreiheit noch stärker zu behindern, zu verfolgen und als „Gefährder“ festzusetzen.

  • „Finaler Rettungsschuss“

Erstmals erhalten in Berlin Polizeibeamte das gesetzlich verbriefte Recht zum gezielten Töten, dem „finalen Rettungsschuss“. Doch schon jetzt ist die Polizei potentiell todbringend mit ihren Schusswaffen, Elektroschockern und Schmerzgriffen.

Bundesweit kamen im vergangenen Jahr mindestens 44 Menschen bei Polizeieinsätzen zu Tode, 22 von ihnen durch tödliche Schüsse. Die meisten Todesfälle wurden in Nordrhein-Westfalen (7), in Berlin und Bayern (jeweils 5) und in Hessen (3) registriert. Bei den tödlichen Polizei-Einsätzen kamen mehrheitlich Menschen mit psychischen Erkrankungen zu Tode. Die Dunkelziffer ist höher, da offizielle Erfassungen meist fehlen und die vorhandenen unvollständig sind.

Zudem werden mit dem Einsatz der KI-Bildauswertung in Echtzeit polizeiliche Einsätze „aufgerüstet“. Während bisher der Einsatz von Schusswaffen an unmittelbar wahrnehmbare Gefahren gebunden war (individuelle Fehleinschätzung eingeschlossen), können nun schon die KI-Analysen Polizeibeamte zu Gewaltmaßnahmen bis hin zum Schusswaffengebrauch veranlassen. Das klassische „Augenzeugenverfahren“ wird von einer vorgeblich objektiven Algorithmus-Interpretation überlagert oder gar ausgehebelt.

  • Staatstrojaner, Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung

Gravierend ist auch die Ausweitung digitaler Überwachung.

Die Polizei erhält Zugang zu sämtlicher Ende-zu-Ende-Kommunikation und zu E-Mails, wenn ein Richter zustimmt. Außerdem kann die Behörde dann mit richterlicher Zustimmung durch den Einsatz von Staatstrojanern jegliche Kommunikationsdaten, gespeicherte Daten, in Echtzeit laufende Programme und nicht öffentliche Social-Media-Inhalte in IT-Systemen aus- und mitlesen.

In den Überwachungsradius geraten auch alle regelmäßigen wie zufälligen Kommunikationspartner der eigentlichen Zielperson, der sogenannte „Beifang“. Was noch vor wenigen Jahren als dystopisches Science-Fiction-Szenario galt, wird nun zum offiziellen Mittel der „Prävention“ deklariert.

Gleichzeitig wird mit einer anstehenden Reform des Berliner Verfassungsschutzgesetzes der geheimdienstliche Zugriff auf alle Überwachungsvideos und auf die Internetkommunikation ausgeweitet und die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz weiter gestärkt.

Die Novelle des Berliner Verfassungsschutzgesetzes (VSG Bln) steht im direkten Zusammenhang zur ASOG-Reform. Es handele sich um ein sicherheitspolitisches Gesamtpaket, wie die CDU und SPD lobend betonen. Dabei ergänzen sich Polizei- und Geheimdienstbefugnisse sowohl auf institutioneller Ebene wie auch inhaltlich.

Das ist die Aufhebung der Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst, die nach den Erfahrungen mit der Nazi-Herrschaft und der Gestapo im Gesetz festgeschrieben wurde.

Unterdrückung der Bevölkerung

Der Aufbau von Polizeistaatsstrukturen hat nur ein Ziel: Die Landesregierung bereitet sich darauf vor, einen Klassenkrieg gegen die arbeitende Bevölkerung zu entfesseln.

Während Berlins öffentliche Schulen verfallen, soziale Einrichtungen vor dem Aus stehen und in Krankenhäusern, Pflege, Hochschulen und öffentlicher Infrastruktur rücksichtslos gestrichen wird, pumpt die Wegener-Koalition gleichzeitig Millionen in den Ausbau staatlicher Repression.

Diese Entwicklung ist nicht auf Berlin oder Deutschland beschränkt, sondern Teil eines weltweiten autoritären Rechtsrucks. Überall reagieren die Regierungen auf die wachsende soziale Polarisierung, auf Massenproteste gegen Armut, explodierende Mieten, den Völkermord an den Palästinensern, die allgegenwärtige Militarisierung und gegen Krieg mit verschärfter Überwachung, Einschüchterung und Kriminalisierung.

Die Zahl der Demonstrationen zeigt die wachsende Opposition: Allein in Berlin fanden 2023 7.151 und 2024 7.665 Proteste statt, über 20 täglich. Der Widerstand wächst und die Landesregierung bereitet sich vor, ihn niederzuschlagen.

Die schwarz-rote Koalition ist sich dabei der Unterstützung durch die Grünen und die Linkspartei gewiss. Die Linkspartei hatte in der rot-roten Koalition von 2007 das Polizeigesetz ASOG mit eingeführt und dafür gezielt innerparteiliche Kritiker an der damaligen Ausweitung der Videoüberwachung unter Druck gesetzt. Zuletzt 2017, in der Regierungskoalition mit SPD und Grünen, unterstützte die Linkspartei ebenfalls die massive Budgetaufstockung der Berliner Polizei und forderte im Namen der „Sicherheit“ mehr Polizeipräsenz.

Ungeachtet ihrer jetzigen Kritik an der ASOG-Novelle unterstützt und beteiligt sich die Linkspartei am Aufbau des polizeilichen Unterdrückungsapparats gegen die arbeitende Bevölkerung.

Gegen die Verschärfung des staatlichen Repressions- und Überwachungsapparats ruft die Sozialistische Gleichheitspartei alle Arbeiter, Studierende und Kriegsgegner auf, sich im unabhängigen und bewussten politischen Kampf zu vereinen. Die Regierungen greifen immer offener zu autoritären und faschistischen Methoden, um ihre Kriegspolitik und ihren unermesslichen Reichtum gegen den wachsenden Widerstand zu verteidigen. Nur ein vereinter, internationaler Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus kann das stoppen.

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