Letzte Woche schockierten die Bilder einer endlosen Reihe von Leichen, die von trauernden Angehörigen auf dem Asphalt der Favela (Elendsviertels) Penha in Rio de Janeiro aufgebahrt wurden, Brasilien und die Welt.
Beim größten Polizeimassaker in der Geschichte des Landes, das in den frühen Morgenstunden des 28. Oktober stattfand, wurden laut offizieller Zählung 117 Zivilisten getötet. Die Pflichtverteidigerkammer des Bundesstaats bestreitet diese Zahl jedoch, da sie bereits mehr als 130 Opfer identifiziert hat.
Die Operação Contenção (Operation Eindämmung) wurde unter dem Vorwand durchgeführt, 100 Mitglieder des Comando Vermelho zu verhaften, eine der größten Drogenschmuggel-Organisationen des Landes. Sie war als Kriegsoperation in den Hügeln angelegt, die von der armen Bevölkerung der zweitgrößten Metropole Brasiliens bewohnt werden. Insgesamt kamen etwa 2.500 Polizeibeamte, 32 gepanzerte Fahrzeuge, Dutzende von Abrissfahrzeugen, Hubschraubern und Drohnen zum Einsatz.
Während nur 20 Haftbefehle vollstreckt wurden, feierten die Behörden von Rio de Janeiro die „unvorhersehbare“ Ermordung von mehr als 100 Menschen als immensen Erfolg.
Der Sekretär der Zivilpolizei, Felipe Curi, erklärte: „Die Polizei hat sich das Ergebnis nicht ausgesucht, sondern sie [die Opfer] haben das. Die Toten werden offiziell als Verbrecher behandelt, die versucht haben, Polizeibeamte zu ermorden.“
Der faschistische Gouverneur von Rio, Cláudio Castro, verherrlichte das Polizeimassaker noch vehementer. Castro gehört der Partido Liberal (PL) des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro an, der im September wegen versuchten Staatsstreichs zu 27 Jahren Haft verurteilt wurde.
Am Mittwoch erklärte Castro: „Gestern waren die einzigen Opfer Polizeibeamte.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung nur 64 Todesfälle bestätigt, darunter vier Polizisten. Im Laufe des Tages fanden Einwohner mehr als 60 Leichen in den Wäldern rund um die Favelas. Die Leichen wiesen Folterspuren auf, und ihnen waren die Hände gefesselt, was auf eine Massenhinrichtung hindeutet.
Eines der Todesopfer, der 19-jährige Iago Ravel, wurde enthauptet aufgefunden. Die Mutter des jungen Mannes klagte: „Sie haben meinen Sohn enthauptet, ihm die Kehle durchgeschnitten und [seinen Kopf] wie eine Trophäe an einen Baum gehängt. Mein Sohn wurde ermordet. Sie haben ihn ohne Recht auf Verteidigung hingerichtet.“
Castro verteidigte diese illegalen und barbarischen Methoden offen: „Welche Beweise bringen uns zu der Annahme, dass sie alle Verbrecher waren? Der Konflikt fand nicht in einem bebauten Gebiet statt. Alles fand in den Wäldern statt. Ich glaube nicht, dass jemand an einem Tag, an dem ein Konflikt stattfindet, durch die Wälder spaziert. Deshalb können wir sie mit Sicherheit als Verbrecher einstufen.“
Zur tiefergehenden Bedeutung seiner Operation erklärte Castro:
Diese Operation hat sehr wenig mit öffentlicher Sicherheit zu tun. Es ist eine Verteidigungsoperation. [Weil] es ein Krieg ist, der die Grenzen überschreitet, die der Bundesstaat [Rio de Janeiro] alleine verteidigen sollte. Für einen solchen Krieg, der nichts mit städtischer Sicherheit zu tun hat, sollten wir viel größere Unterstützung bekommen. Momentan vielleicht sogar von den Streitkräften.
Danach attackierte Castro die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von der Partido dos Trabalhadores (PT), weil sie sich geweigert hatte, der Polizei von Rio de Janeiro gepanzerte Militärfahrzeuge zur Verfügung zu stellen. „Sie sagten, dafür müsste eine Operation zur Gewährleistung von Recht und Ordnung (GLO) angeordnet werden... Und da der Präsident bereits erklärt hat, er sei gegen GLOs, haben wir diese Tatsache akzeptiert.“
Castros Aussagen machen deutlich, dass die Operation bewusst als blutiges politisches Spektakel von den gleichen faschistischen Kräften inszeniert wurde, die den Putschversuch vom 8. Januar 2023 unterstützt haben und weiterhin hinter dessen diktatorischen Zielen stehen.
Am Nachmittag des 30. Oktober, zwei Tage nach der Operation, veranstaltete Castro im Guanabara-Palast, dem Sitz der Regierung des Bundesstaats Rio, ein Treffen von rechtsextremen Gouverneuren, bei dem das „Friedenskonsortium“ ins Leben gerufen wurde, eine Koalition zwischen den Bundesstaaten, deren angebliches Ziel der Kampf gegen das „organisierte Verbrechen“ ist.
Zu den Teilnehmern gehörte die Gouverneure Romeu Zema (Minas Gerais), Ronaldo Caiado (Goiás), Jorginho Mello (Santa Catarina), Eduardo Riedel (Mato Grosso do Sul) und Celina Leão, Vizegouverneurin des Bundesdistrikts. Der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, nahm per Videoschalte teil.
Die Beschreibung der Opfer der mörderischen Operation der letzten Woche als „Narco-Terroristen“ oder „Narco-Aktivisten“, wie Castro und seine Verbündeten sie bezeichneten, lässt keinen Zweifel daran, dass ihre faschistische Verschwörung mit der imperialistischen Offensive der Trump-Regierung gegen Lateinamerika koordiniert wurde.
Während die brasilianische Polizei in den Favelas von Rio de Janeiro ein Massaker verübte, weitete das US-Militär – ebenfalls unter dem Vorwand, „Narco-Terrorismus“ zu bekämpfen – seine illegalen Angriffe auf Fischerboote in lateinamerikanischen Gewässern aus, bei denen bereits mehr als 65 Menschen getötet wurden.
Die außergerichtlichen Hinrichtungen in der Karibik und im Ostpazifik sind Teil der weit fortgeschrittenen Vorbereitungen auf einen umfassenden US-Krieg zum Regimewechsel in Venezuela.
Es ist kein Zufall, dass Flávio Bolsonaro, der Sohn und politische Komplize des verurteilten Ex-Präsidenten Washingtons Morde systematisch unterstützt und ihre Ausweitung auf die Guanabara-Bucht vor Rio de Janeiro gefordert hat. Als Reaktion auf Castros Massaker erklärte er, Rio „braucht jeden Tag solche Operationen“.
Neben den aktiven Plänen für imperialistische Interventionen in Lateinamerika hängt die Legitimierung von außergerichtlichen Hinrichtungen auch mit Trumps Bestrebungen zusammen, in den USA selbst eine faschistische Diktatur zu errichten.
Dass der US-Imperialismus selbst die grundlegendsten demokratischen Rechtsnormen außer Kraft setzt, signalisiert den herrschenden Klassen und Militärführungen in Lateinamerika, dass es an der Zeit ist, zu diktatorischen Herrschaftsmethoden zurückzukehren.
Die Lula-Regierung und die PT in Brasilien unterstützen den falschen Vorwand der „Verbrechensbekämpfung“, den die brasilianischen Faschisten und der Imperialismus bei ihrer Offensive nutzen, während sie verzweifelt versuchen, sich mit ihnen zu arrangieren.
Lula erklärte nach dem Massaker in Rio de Janeiro:
Wir können nicht hinnehmen, dass das organisierte Verbrechen weiterhin Familien zerstört, Einwohner unterdrückt und in den Städten Drogen und Gewalt verbreitet. Wir brauchen koordinierte Maßnahmen, die ins Rückgrat der Schmuggler treffen, ohne Polizisten, Kinder und unschuldige Familien in Gefahr zu bringen.
Die PT-Regierung beugte sich Castros Erpressung und versuchte sofort ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der eskalierenden Repression in Rio de Janeiro zu demonstrieren.
Die Regierung schickte Justizminister Ricardo Lewandowsky in den Guanabara-Palast und kündigte die Schaffung einer „Behörde zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens“ an, um die „Barrieren“ zwischen der Landes- und der Bundesregierung „zu beseitigen“. Sie mobilisierte außerdem große Einheiten der Bundespolizei und schickte sie nach Rio de Janeiro.
Die gesamte Kritik der PT-Führung an der mörderischen Polizeioperation ging ausschließlich darum, ihre eigene Rolle im „Kampf gegen das Verbrechen“ zu propagieren.
Die Ministerin für institutionelle Beziehungen und ehemalige nationale Parteivorsitzende der PT, Gleisi Hoffmann, behauptete, die rechtsextremen Gouverneure hinter dem Friedenskonsortium würden „in politische Spaltung investieren und wollen Brasilien ins Visier von Donald Trumps militärischem Interventionismus in Lateinamerika bringen“. Stattdessen schlägt sie vor, „gemeinsam das organisierte Verbrechen zu bekämpfen, wie es der Verfassungszusatz für Sicherheit vorsieht, den Präsident Lula dem Kongress vorgelegt hat“.
Ein anderer Teil der PT-Führung unterstützt jedoch offen den gewaltigen Ausbau des bürgerlichen Staatsapparates.
Der nationale Vizepräsident der PT und Bürgermeister von Maricá, Washington Quaquá, hat sich offen hinter das Massaker von Rio de Janeiro gestellt und behauptet: „Niemand begegnet Sturmgewehren mit Küssen.“ Er sprach den „Familien der Polizeibeamten, die bei der Operation getötet wurden, seine Solidarität“ aus und nannte sie „wahre Helden, die im Kampf gegen das organisierte Verbrechen gefallen sind“.
Die PT kollaboriert somit direkt mit den faschistischen Kräften, die in Brasilien eine Diktatur errichten wollen.
Während mehrerer aufeinanderfolgenden Regierungen in den letzten zwei Jahrzehnten war die PT für eine massive Eskalation der staatlichen Unterdrückung, einen exponentiellen Anstieg der Gefängnisinsassen und den zunehmenden Einsatz des Militärs bei internen Operationen gegen die brasilianische Bevölkerung verantwortlich.
Im Jahr 2007, kurz vor den Panamerikanischen Spielen, organisierte Lula in seiner zweiten Amtszeit einen Überfall des Militärs auf die Favelas im Alemão-Komplex. Lula erklärte über die bis dahin gewaltsamste Operation in den Favelas: „Die Menschen haben erlebt, wie die Streitkräfte dem brasilianischen Volk dienen.“
Seine Nachfolgerin, Präsidentin Dilma Rousseff, steigerte die Intensität und den Umfang derartiger Militäroperationen dramatisch und setzte sie gegen Demonstrationen von Arbeitern ein sowie zur „sozialen Säuberung“ von Rio de Janeiro im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016. Im März 2016 unterzeichnete Dilma das Antiterrorgesetz, das heute die Grundlage für den Versuch der faschistischen Kräfte bildet, die Definition von „Terrorismus“ entsprechend den Forderungen des US-Imperialismus auszuweiten.
Die Intervention der brasilianischen Bundesregierung in Rio de Janeiro im Februar 2018, die Übergangspräsident Michel Temer nach Dilmas Absetzung anordnete, stellte die logische Entwicklung dieser Militarisierung dar. Der Befehlshaber der beispiellosen Intervention in Rio war General Walter Souza Braga Netto, der die uneingeschränkte Macht über die staatlichen Sicherheitskräfte übernahm.
Braga Netto wurde später Verteidigungsminister und im Jahr 2022 Bolsonaros Vizepräsidentschaftskandidat. Zudem war er einer der wichtigsten Mitverschwörer beim faschistischen Putschversuch vom 8. Januar, für den er zu 26 Jahren Haft verurteilt wurde. Nichts könnte die Folgen der Politik der „öffentlichen Sicherheit“, die die PT propagiert, besser entlarven.
Lula setzt diesen Kurs fort. Während der entscheidenden Ereignisse des Putschversuchs am 8. Januar 2023 wies er Forderungen der Militärführung und seines Verteidigungsministers nach Ausgabe einer GLO zurück und erklärte, sobald die Operation beginne, sei „Lula nicht mehr die Regierung, sodass irgendein General die Regierung übernehmen kann“.
Doch bereits im November 2023 erließ die PT-Regierung eine GLO, die die drei Teilstreitkräfte mobilisierte, um die Kontrolle über die Häfen und Flughäfen von Rio de Janeiro und Sao Paulo sowie die Grenzen zu Uruguay, Argentinien und Paraguay zu übernehmen. Die Operation, die unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenhandels stattfand, wurde allgemein nur als politische Machtdemonstration für das Militär interpretiert.
Während die PT heute dem Gouverneur von Rio, Castro, Bolsonaro und deren Verbündeten immer mehr Zugeständnisse macht, berufen sich die PT und ihre pseudolinken Unterstützer auf die „Popularität“ der Forderungen der extremen Rechten nach „öffentlicher Sicherheit“.
Diese faschistische Demagogie kann nur in einer politischen und sozialen Atmosphäre Anklang finden, deren wichtigstes Merkmal das Fehlen einer organisierten Bewegung der Arbeiterklasse ist. Die direkte Verantwortung für dieses politische Verbrechen liegt bei der PT und den Pseudolinken.
Die massenhafte Empörung über die wachsende soziale Ungleichheit, fehlende Zukunftsperspektiven und die Fäulnis des politischen Systems finden in keiner der bestehenden Parteien oder offiziellen Gewerkschaften einen Ausdruck.
Doch die jüngsten explosiven Ereignisse haben tiefgreifende Auswirkungen auf das Bewusstsein breiter Schichten der brasilianischen Arbeiter und Jugendlichen.
Nachdem der Film I'm Still Here auf starke Resonanz gestoßen war, stellte die World Socialist Web Site in einer Analyse der politischen Atmosphäre in Brasilien fest, dass in der Gesellschaft die weit verbreitete Überzeugung herrscht: „Die Lösung der derzeit akuten politischen Krise ist ohne eine ernsthafte Abrechnung mit der Geschichte des Landes, vor allem mit den Verbrechen und dem dunklen Vermächtnis der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 nicht möglich.“
Der Zusammenhang zwischen den Methoden und der Allgegenwärtigkeit staatlicher Gewalt, die unter der Militärdiktatur existierten, und den barbarischen Szenen in den Favelas Rio de Janeiro blieb nicht unbemerkt.
In Rio de Janeiro brachen Massenproteste aus, an denen Angehörige der Opfer, Bewohner der Favelas und andere Bevölkerungsgruppen teilnahmen und die Gouverneur Castro zu Recht als den wahren „Terroristen“ anprangerten. Am Freitag breiteten sich die Demonstrationen gleichzeitig auf Dutzende von Städten im Rest des Landes aus.
In dieser Woche sind weitere Proteste gegen staatliche Gewalt und die Regierung von Cláudio Castro geplant.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die zunehmende politische Radikalisierung auf den Aufbau einer Massenbewegung der Arbeiterklasse und einer revolutionären Führung gelenkt wird, die dieser Bewegung eine internationalistische sozialistische Perspektive geben kann.
