Am 26. Oktober wurde al-Fashir, die Hauptstadt der westsudanesischen Region Darfur, nach 18-monatiger Belagerung von den Schnellen Unterstützungskräften (Rapid Support Forces, RSF) eingenommen, einer der Parteien im brutalen sudanesischen Bürgerkrieg. Seither sind mehr als 80.000 Menschen aus der Stadt und der umliegenden Region geflohen.
Die meisten von ihnen fliehen zu Fuß in das rund 60 Kilometer entfernte Tawilah. Sie berichten von Massenvergewaltigungen, Entführungen und von Straßen voller Leichen. Satellitenbilder zeigen von Blut getränkte Straßen, übersät mit Leichen, sowie Bodenmarkierungen, die auf Massengräber hindeuten. Viele der 250.000 Einwohner von al-Fashir gelten als vermisst.
Die RSF-Miliz ist aus der berüchtigten Dschandschawid-Miliz hervorgegangen ist, die Darfur vor 20 Jahren verwüstet hatte. Wie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte erklärt, hat diese Miliz in al-Fashir zahlreiche Gräueltaten verübt, darunter „standrechtliche Exekutionen“ von Zivilisten, die versuchten, vor ihren Angriffen zu flüchten. Es gebe „Hinweise auf ethnische Motivation für die Morde“. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Turk, erklärte: „Das Risiko weiterer umfassender, ethnisch motivierter Verbrechen und Gräueltaten in al-Fashir wächst mit jedem Tag.“
Dies hat die Bevölkerung von al-Fashir und die Menschen, die aus der Stadt geflohen sind, und die größtenteils unter offenem Himmel leben, in eine katastrophale Lage gebracht. Die Internationale Beobachtungsstelle für den Welthunger (IPC) hat eine Hungersnot ausgerufen. Die UN und internationale Hilfsorganisationen warnten, der Sudan befinde sich in einer der schwersten humanitären Krisen der Welt. Vierzehn Millionen Kinder bräuchten dringend Hilfe zum Überleben, und die Gesundheits- und Lebensbedingungen verschlechterten sich zusehends.
Seit Beginn der Kämpfe im April 2023 wurden 40.000 Menschen getötet und mindestens 12,6 Millionen vertrieben. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) der UN bezeichnete die Lage als die weltweit größte Vertreibungskrise. Rund 3,3 Millionen dieser Vertriebenen sind in Nachbarländern wie dem Tschad, dem Südsudan und in Ägypten untergekommen und müssen von deren knappen Ressourcen zehren. Die große Mehrheit befindet sich weiterhin im Sudan, viele von ihnen in Lagern für Binnenflüchtlinge.
Laut Amnesty International hat die RSF u.a. wahllose Morde von Haus zu Haus und brutale Angriffe auf Zivilisten verübt – und das unter schrecklichen Bedingungen, die das Leid der Bevölkerung verschlimmern und Befürchtungen wegen Kriegsverbrechen nähren.
Die RSF haben angesichts der internationalen Empörung und der allgemeinen Kampfmüdigkeit Forderungen der so genannten Quad nach einem humanitären Waffenstillstand zugestimmt. Die Quad besteht aus den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Ägypten und Saudi-Arabien, die beide die sudanesischen Streitkräfte (SAF) unterstützen.
Der Konflikt tobt zwischen zwei ehemaligen Verbündeten und militärischen Oberbefehlshabern: dem General Abdel Fattah al-Burhan, Anführer des Souveränen Rats, Oberbefehlshaber der sudanesischen Streitkräfte (SAF) und de-facto-Herrscher des Landes, - und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, Befehlshaber der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF). Im April 2023 brachen zwischen diesen beiden heftige Kämpfe aus, die in den Bürgerkrieg mündeten. In dem äußerst erbitterten Konflikt kam es auf beiden Seiten zu Kriegsverbrechen und Angriffen auf Zivilisten, sowie der Blockade humanitärer Hilfslieferungen.
Dieser Bürgerkrieg hat den Sudan gespalten: Die in der Darfur-Region stationierten RSF kontrollieren den Westen des Landes, die SAF den Osten, einschließlich der Hafenstadt Bur Sudan (Port Sudan) am Roten Meer. Im März dieses Jahres haben al-Burhans Truppen mit Unterstützung Ägyptens, der Türkei, des Iran und anderer ausländischer Mächte Khartoum zurückerobert. Al-Burhan ernannte Kamil Idris zum Regierungschef, den ersten zivilen Premierminister seit dem Rücktritt von Abdalla Hamdok und dem Zusammenbruch der Übergangsregierung im Jahr 2022. Nach monatelangen Massendemonstrationen hatten damals Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) einen präventiven Militärputsch gegen den langjährigen Diktator Omar al-Bashir unterstützt un die Einsetzung einer Übergangsregierung gutgeheißen, um den Sudan auf ihre Seite zu ziehen.
Seither unterstützen ständig wechselnde internationale Kräfte und verschiedene lokale Milizen jeweils eine der beiden rivalisierenden Fraktionen des Militärs, die aus ethnischen Gruppen mit konkurrierenden wirtschaftlichen Interessen bestehen. Ägypten, Saudi-Arabien, Eritrea und der Iran haben al-Burhan und die SAF unterstützt, während die VAE und die russische Söldnergruppe Wagner Dagalo und die RSF unterstützt und regionale Verbündete in Libyen, dem Tschad und dem Südsudan mobilisiert haben. Seit kurzem unterstützt Russland jedoch al-Burhan.
Diese arabischen und afrikanischen Staaten nutzen den Konflikt im Sudan, um sich Macht, Einfluss und Zugang zu Rohstoffen, Gold, Mineralien und Agrarland in dem vom Krieg zerrütteten Land zu verschaffen. Als Tor zur Sahara, zur Sahelzone und zum Horn von Afrika besitzt der Sudan aufgrund seiner Lage – er grenzt an sieben Länder – und seiner 800 Kilometer langen Küste am Roten Meer, durch das etwa 15 Prozent des Welthandels-Volumens passieren, eine enorme geostrategische Bedeutung.
Mehrere Quellen belegen, dass die VAE der RSF Waffen geliefert hat. Bulgarische Experten haben im Sudan Granatwerfergeschosse gefunden, die aus den VAE dorthin exportiert wurden. Daneben wurden auf einem Schlachtfeld im Sudan Teile gefunden, die das Vereinigte Königreich an die VAE geliefert hat und die von den RSF eingesetzt wurden. Daneben tauchten auch Beweise auf, dass die VAE Dagalo und den RSF Waffen und Söldner aus Kolumbien zur Verfügung gestellt haben. Diese gelangten über einen von den VAE kontrollierten Stützpunkt im somalischen Bosaso nach Libyen, den Tschad und in andere Teile der Region und von dort aus in die Gebiete, die die RSF kontrollieren.
Abu Dhabi hat zwar dementiert, der RSF Waffen geliefert zu haben, doch seine Beziehungen zu Dagalo gehen bis in die Zeit zurück, als dieser RSF-Kämpfer und Soldaten der SAF für den Kampf gegen die Huthi im Jemen zur Verfügung stellte. Dagalo ist Multimillionär und Vorsitzender zahlreicher Unternehmen mit Beteiligungen an Goldabbau, Landwirtschaft und Baugewerbe, und er hat auch Gold in die VAE fließen lassen. Abu Dhabi betrachtet ihn als die beste Wahl, um die wiedererstarkten Islamisten in den SAF zu bekämpfen. Kopf dieser Islamisten ist Sudans ehemaliger Diktator Omar al-Bashir, der von Katar und der Türkei unterstützt wurde, und der militanten Islamisten wie Osama bin Laden Zuflucht gewährte.
Doch ein weiteres Mitglied des Quad, der ägyptische Diktator und enge Verbündete Washingtons, Abdel Fattah al-Sisi, unterhält enge Beziehungen zu SAF-Anführer al-Burhan, obwohl Ägypten wirtschaftlich von den VAE abhängig ist. Al-Sisi betrachtet die SAF und al-Burhan, dessen Truppen Bur Sudan (Port Sudan) am Roten Meer, nahe der Einfahrt zum Suezkanal, kontrollieren, als nützliches Bollwerk gegen jede demokratische Lösung der Krise im Sudan, denn eine solche würde indirekt auch seine eigene Herrschaft in Ägypten bedrohen. Zudem sieht er al-Burhan als wichtigen Verbündeten gegen Äthiopien. Äthiopien hatte vor kurzem den Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm eingeweiht, den Al-Sisi als potenzielle Bedrohung für Ägyptens Wasserversorgung betrachtet. Zu diesem Zweck begrüßte al-Sisi im August den von den SAF eingesetzten sudanesischen Premierminister Kamil Idris zu einem Treffen im Präsidentenpalast.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Anfang des Jahres unterzeichnete al-Burhan ein Abkommen mit Moskau, das Russland den Bau und Betrieb eines Marinestützpunkts in Bur Sudan ermöglicht. Dort sollen bis zu 300 russische Soldaten und vier Kriegsschiffe stationiert werden, darunter atomgetriebene Schiffe Damit würde Russland einen Stützpunkt an der Meeresstraße Bab al-Mandab erhalten, einem der wichtigsten Meerengen, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden und dem Indischen Ozean verbindet.
Da sich die imperialistischen Mächte weigern, sich gegen die VAE zu stellen, die ein wichtiger Verbündeter im rohstoffreichen Nahen Osten bei den Kriegsvorbereitungen gegen den Iran sind, haben die Vereinten Nationen bisher nichts unternommen, um ihr gegen den Sudan verhängtes Waffenembargo auch wirklich durchzusetzen. Bestätigten Berichten zufolge nutzen die RSF Waffen und Technologie aus den USA, dem Vereinigten Königreich, China, Russland und Frankreich.
Die UN und Hilfsorganisationen haben im Februar einen Spendenaufruf für humanitäre Hilfe in Höhe von sechs Milliarden Dollar gestartet. Bis letzten Monat haben die UN-Behörden nur 1,13 Milliarden Dollar aufgebracht, sodass Millionen Menschen weiterhin ohne Nahrungsmittel, Wasser, Unterkunft und medizinische Versorgung sind.
Seit der Eroberung von al-Fashir und dem Rückzug der SAF kontrollieren nun die RSF alle Hauptstädte der Region Darfur und haben direkten Zugang zu den Trans-Sahara-Handelsrouten. Sie sind außerdem in der Lage, Blockaden zu verhängen und Bodenschätze auszubeuten.
Damit wird 14 Jahre nach der Sezession des Südsudan das Land ein weiteres Mal aufgeteilt. Die RSF unter Dagalo kontrollieren den Westen und Süden, die SAF unter al-Burhan die Mitte und den Osten des Landes, einschließlich der Hauptstadt Khartoum, die sie im letzten März von den SAF zurückerobert haben, sowie die Kornkammer entlang des Flusses Nil und Bur Sudan. Eine solche Teilung ist jedoch höchst instabil, da die ausländischen Unterstützer der beiden Militärfraktionen darum konkurrieren, ihre Position und ihren Einfluss zu stärken. Die Folge wird eine weitere Fragmentierung entlang ethnischer und Stammeslinien sein wie in Libyen und Somalia.
Dies wird eine Region, die bereits mit mehreren Krisen inmitten von Dürre und Hungersnot zu kämpfen hat, weiter destabilisieren, in der schon zwischen Äthiopien und Eritrea zunehmend angespannte Beziehungen herrschen. Äthiopien drängt auf einen Zugang zum Roten Meer, was erneut zum Krieg führen könnte. Politische Spannungen und Unsicherheit, die den Süden erschüttern, gefährden jede politische Ordnung, auch über das Rote Meer hinaus.
Ein Krieg in dieser Region könnte den Schiffsverkehr stören, die Hafeninfrastruktur im Roten Meer gefährden und ausländische Mächte hineinziehen, die bereits in der Region engagiert sind. Der Konflikt könnte vom Sudan aus auf die Türkei und Russland und auch auf die Golfmonarchien, sowie die Seestreitkräfte der USA, Japans, Chinas, Frankreichs und Italiens übergreifen, die bereits in Dschibuti Position bezogen haben.
