Vor 100 Jahren vollendete Dmitri Schostakowitsch als junger Musikstudent am Konservatorium von St. Petersburg seine 1. Sinfonie. Er beendete das Werk im April 1925 und wurde erst fünf Monate später 19 Jahre alt.
Dies war eine im 20. Jahrhundert nahezu beispiellose Frühreife. Der jugendliche Komponist lässt sich sogar mit Franz Schubert und Felix Mendelssohn aus dem vorigen Jahrhundert und mit Wolfgang Amadeus Mozart vor ihnen vergleichen. Schostakowitschs Werk, das er als Abschlussarbeit am Konservatorium komponierte, ist keineswegs nur eine Studienarbeit. Es wurde fast sofort in das Repertoire von Orchestern aufgenommen, nicht nur in der Sowjetunion, sondern weltweit. Der junge Mann, schüchtern, aber unerschütterlich in seiner Entschlossenheit, sein Leben der Musik zu widmen, wurde schlagartig berühmt.
Der weltberühmte deutsche Dirigent Bruno Walter, der nach Hitlers Machtübernahme aus seiner Heimat vertrieben wurde, dirigierte 1927, nur ein Jahr nach der Uraufführung in Leningrad, die Berliner Philharmoniker mit Schostakowitschs 1. Sinfonie. Ihm folgten bald Arturo Toscanini und Otto Klemperer. Das Urteil der Kritiker und des Publikums über das Werk war durchweg begeistert.
Keines der oben genannten Wunderkinder tauchte einfach aus dem Nichts auf. Zwar gibt es Faktoren, die uns unbekannt sind, und zweifellos auch genetische, die mit einer solchen musikalischen Frühreife zusammenhängen, doch wurde diese intensive Begabung auch von der Welt geprägt, in die sie hineingeboren wurden und in der sie sich entwickelten. Dies gilt insbesondere für Schostakowitsch. Er wurde ein Jahr nach der Revolution von 1905 in Russland geboren und feierte seinen 11. Geburtstag inmitten der epochalen Ereignisse von 1917. Der Massenaufstand im Februar stürzte die Romanow-Dynastie nach dreihundertjähriger Herrschaft, und die Oktoberrevolution, angeführt von der bolschewistischen Partei acht Monate später, brachte die Arbeiterklasse an die Macht. Die Revolution ging nach einem dreijährigen Bürgerkrieg, in dem sie sich der Intervention der vereinten imperialistischen Kräfte der ganzen Welt gegenübersah, als Siegerin hervor.
Die Eltern des jungen Dmitri gehörten zur liberalen Intelligenz. Sie waren selbst keine Revolutionäre, bewegten sich jedoch in radikalen Kreisen. Eine Tante und ein Onkel waren Mitglieder der Bolschewiki. Schostakowitschs Mutter war Pianistin und förderte das musikalische Talent ihres Sohnes nach Kräften. Dmitri, der sich viel mehr für Musik als für Politik interessierte, war dennoch unweigerlich den weltverändernden Ereignissen um ihn herum ausgesetzt. Er nahm im April 1917 an der Massenbeerdigung für die Opfer der Februarrevolution auf dem Marsfeld teil. „Ihr seid Opfer eines schicksalhaften Kampfes geworden“ -- dieses russische revolutionäre Volkslied, das bei der Beerdigung wie auch bei vielen anderen Anlässen gesungen wurde, floss in mehreren späteren Kompositionen des Komponisten ein, insbesondere in seine Sinfonie Nr. 11, „Das Jahr 1905“.
Schostakowitschs Begabung wurde schon früh von seinen Eltern erkannt. 1919, im Alter von nur 13 Jahren, wurde er in das St. Petersburger Konservatorium aufgenommen. Die renommierte Institution war 1862 von Nikolai Rimski-Korsakow, dem Komponisten von Scheherazade und anderen bekannten Werken, gegründet worden. Rimski-Korsakow, der 1908 verstorben war, wurde von einem anderen berühmten Namen der russischen Musikszene abgelöst: Alexander Glasunow. Dieser produktive Komponist widmete sich nun der Leitung und Ausbildung der jungen Generation. Glasunow gehörte zu den Musikern, die sich dem neuen Arbeiterstaat treu verbunden zeigten.
Das Jahr 1919 war der Höhepunkt des Bürgerkriegs, als die Revolution am stärksten bedroht war. Die Bedingungen am Konservatorium wurden durch die Hungersnot und den wirtschaftlichen Zusammenbruch des revolutionären Russlands stark beeinträchtigt. Es gab keine Heizung und auch kein zuverlässiges Verkehrssystem. Die Studenten gingen zu Fuß zur Schule, in Schostakowitschs Fall jeden Tag mehrere Kilometer durch den strengen russischen Winter. Sie besuchten den Unterricht mit Mützen und Mänteln.
Schostakowitsch wird von Zeitgenossen in Interviews viele Jahrzehnte als ein zielstrebiger und entschlossener Schüler bereits als Teenager geschildert. Diese Entschlossenheit ging mit einer außergewöhnlichen musikalischen Begabung einher. So war er ein ausgezeichneter Pianist mit einer erstaunlichen Fähigkeit, vom Blatt zu spielen. Dies beruhte nicht nur auf seiner Technik, sondern vielmehr auf ernsthaftem Nachdenken und einer Vorstellung davon, was er spielte.
Die 1. Sinfonie war zwar das erste Werk, das große Anerkennung fand und regelmäßig aufgeführt wurde, aber keineswegs das erste ernsthafte Werk Schostakowitschs. Seine Acht Präludien op. 2 stammen aus den Jahren 1919-20. Es folgten Drei phantastische Tänze op. 5 (1922). Der junge Komponist begann 1923 im Alter von 17 Jahren mit Konzerten. Ein großer Teil seines Programms bestand aus eigenen Werken. Im November desselben Jahres spielte er beispielsweise die Appassionata, eines der berühmtesten Werke Beethovens, zusammen mit seinen eigenen Präludien, Phantastischen Tänzen und Themen und Variationen (1921-22).
Ein Kritiker schrieb:
Ich erlaube mir, diesen jungen Mann mit denselben Worten zu begrüßen, mit denen ich den jungen Heifetz begrüßt habe. In Schostakowitschs Spiel beeindruckt dieselbe freudige, gelassene Zuversicht eines Genies. Meine Worte beziehen sich nicht nur auf das außergewöhnliche Spiel Schostakowitschs, sondern auch auf seine Werke. Was für ein Reichtum an Fantasie und erstaunlicher Überzeugung, was für ein Vertrauen in das eigene Werk (vor allem in den Variationen) – und das mit nur siebzehn Jahren!
Schostakowitschs musikalisches Erwachsenwerden fiel in die frühen Jahre der Revolution, die einen enormen Einfluss auf die Kultur sowie auf Politik, Bildung und alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hatte. Es war die Zeit des Konstruktivismus von Alexander Rodtschenko und Wladimir Tatlin, des Suprematismus von Kasimir Malewitsch, des Futurismus von Wladimir Majakowski und des avantgardistischen Theaters von Wsewolod Meyerhold.
Mikhail Druskin, ein Pianist und Musikwissenschaftler, der Schostakowitsch in den frühen 1920er Jahren sehr gut kannte, wurde fast 70 Jahre später in Elizabeth Wilsons wertvollem Werk Shostakovich: A Life Remembered (1994) zu diesem Thema zitiert:
Der frische Wind der Revolution belebte das gesamte Leben, das sich auf den offenen Flächen der Straßen und Plätze abspielte. Die Jugend, angetrieben von der Kraft seiner stürmischen Böen, streckte gierig die Hände nach allem Neuen und Zukunftsorientierten aus; oft waren ihre Ideen idealisiert und illusorisch und hatten keinen Bezug zur Realität. Denn nur wenige Schöpfer geistiger Werte verstanden es, auf die wahre Stimme der Geschichte zu hören, den „Lärm der Zeit“, um Alexander Bloks Ausdruck zu verwenden. Auf die eine oder andere Weise beherrschte die Zeit die Menschen und prägte sie, darunter auch den empfindsamen Schostakowitsch. Seine Zukunft als Künstler wurde durch diese Jahre bedingt und geprägt. Schostakowitsch hatte viele verschiedene und bedeutende Facetten, vergleichbar mit den vielfältigen Ebenen des künstlerischen und kulturellen Lebens seiner Zeit.
Leo Trotzki fasste die allgemeine Situation der Kultur in diesen ersten Jahren in Verratene Revolution klar zusammen:
Als die Diktatur sich noch auf eine begeisterte Massenbasis stützen konnte und noch die Perspektive der Weltrevolution vor Augen hatte, fürchtete sie weder die Experimente noch das Suchen und die Kämpfe der Schulen, denn sie begriff, dass nur auf diesem Wege die neue Kulturepoche vorbereitet werden kann. Die Volksmassen bebten noch in allen ihren Fasern und begannen, zum erstenmal nach tausend Jahren, laut zu denken. Die besten jungen Kräfte der Kunst waren in ihrer Gesamtheit vom Leben erfüllt. (Leo Trotzki: Verratene Revolution. Trotzki-Bibliothek, Mehring Verlag 2009, S. 197)
Während dieser turbulenten Zeit war der junge Schostakowitsch in einem Kreis von studentischen Komponisten aktiv. Sie trafen sich regelmäßig, um die Werke von Strawinsky, Schönberg, Hindemith und anderen zu diskutieren, darunter auch Les Six, eine Gruppe französischer Komponisten, deren prominenteste Vertreter Darius Milhaud und Francis Poulenc waren und die sich für eine Offenheit gegenüber neuen Formen des musikalischen Ausdrucks, einschließlich des Jazz, einsetzten. Schostakowitsch brachte seine eigenen Kompositionen in die Diskussion über zeitgenössische Musik in dieser Gruppe ein.
Es gab auch direkte Versuche, die Kultur der Arbeiterklasse näherzubringen. Schostakowitsch schloss sich mit einem Geiger und einem Cellisten zusammen, um Trios für Soldaten der Roten Armee und in lokalen Fabriken aufzuführen. In dieser Zeit lernte Schostakowitsch auch Michail Tuchatschewski kennen, einen jungen Bürgerkriegshelden, der ebenfalls Musikliebhaber und Amateurgeiger war und dem jungen Musiker seine begeisterte Bewunderung aussprach. Tuchatschewski wurde später Anführer der Roten Armee, bevor er 1937 in den stalinistischen Säuberungen ums Leben kam.
In dieser Zeit verlor Schostakowitsch seinen Vater nach kurzer Krankheit. Eine Zeit lang war er gezwungen, als Kinopianist zu arbeiten, um seine Familie zu ernähren. Diese Arbeit empfand er als langweilig und oft unangenehm, da er Stummfilme begleitete, die in der Regel von geringer künstlerischer Qualität waren. Außerdem erkrankte er an einer Tuberkulose des Lymphsystems, die zwar weniger tödlich war als die übliche Form der Krankheit, aber dennoch schwerwiegend. Glasunow, der sich der Bedeutung Schostakowitschs bewusst war, obwohl er als Vertreter der älteren Generation einige Schwierigkeiten hatte, sich mit der Musik seines Schülers anzufreunden, wandte sich direkt an Anatoli Lunatscharski, den damaligen Kulturkommissar, mit der Bitte, den jungen Mann zur Erholung und medizinischen Behandlung auf die Krim zu schicken. „Der Tod einer solchen Person wäre ein unersetzlicher Verlust für die Welt der Kunst“, schrieb er. Daraufhin wurde ein mehrmonatiger Aufenthalt arrangiert.
Der Plan für die 1. Sinfonie entstand 1923, in einer stürmischen Zeit des Austauschs zwischen jungen Musikern. Im folgenden Jahr, zwischen Dezember 1924 und April 1925, wurde sie fertiggestellt.
Schostakowitschs jugendliche Sinfonie schlägt einen neuen musikalischen Ton an, unverwechselbar und nicht einfach von Komponisten des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts wie Tschaikowski oder Mahler abgeleitet. Der sowjetische Dirigent Nicolai Malko erinnert sich später an Schostakowitschs Aufführung des Werks für ihn am Klavier:
Ich war sowohl von der Sinfonie als auch von seinem Spiel begeistert ... Es fiel mir sofort auf, dass diese Sinfonie nicht den „akademischen Stempel” trug, der normalerweise für angehende Komponisten charakteristisch ist ... Es war sofort klar, dass diese 1. Sinfonie von Schostakowitsch das lebendige, individuelle und beeindruckende Werk eines Komponisten mit einem originellen Ansatz war. Der Stil der Sinfonie war ungewöhnlich; die Orchestrierung erinnerte in ihrem Klang und ihrer instrumentalen Ökonomie stellenweise an Kammermusik ...
Wenn es man einen Vorläufer in Bezug auf die Stimmung des Werks nennen möchte, dann könnte es sein russischer Landsmann Sergej Prokofjew sein, der 15 Jahre älter als Schostakowitsch und bereits bekannt war.
Die 1. Sinfonie von Schostakowitsch hinterlässt einen modernen Eindruck, der ganz dem 20. Jahrhundert entspricht. Vor allem im ersten und letzten Satz zeigt sie eine nervöse Energie mit einer Reihe kontrastreicher Episoden, die die großen Widersprüche und Kämpfe dieser Zeit zum Ausdruck zu bringen scheinen.
Der junge Komponist beansprucht hier bereits seine Größe und verwendet einige der Techniken, für die er später bekannt werden sollte. Der Komponist der späteren Sinfonien, insbesondere der 5., 7. und 8. mit ihren bekannten tragischen und heroischen Assoziationen, wird in der Dynamik und den unerwarteten Tempowechseln des ersten Satzes, dem Humor des etwas sarkastischen Scherzos, der Stille und Düsternis des langsamen Satzes und der Dramatik des Finales vorweggenommen.
Auffällig ist der prominente Einsatz des Klaviers. Dieses Instrument, auf dem Schostakowitsch als Solist brillierte, wurde natürlich auch in der Orchestermusik verwendet, jedoch nur in Form von Konzerten. Das Klavier als Soloinstrument im Kontrast zum Orchester spielte in einigen der berühmtesten Werke von Meistern des 19. Jahrhunderts wie Beethoven (unter anderem in seinem Kaiserkonzert) und Brahms eine wichtige Rolle. Beethoven oder Brahms verwendeten es jedoch nie als Teil des Orchesters, ebenso wenig wie andere bedeutende Komponisten vor dem 20. Jahrhundert. Seine Verwendung hier, besonders hervorgehoben im 2. und 4. Satz, unterstreicht die rhythmische Energie, die für das gesamte Werk charakteristisch ist.
Die ersten Minuten der Sinfonie geben den Grundton vor: nervöse Spannung, unerwartete Tempowechsel und melodische Richtungswechsel, eine Eigenartigkeit, die insbesondere im Finale wiederkehrt. Es folgt der zweite Satz, ein Scherzo, ein lebhaftes und energiegeladenes Zwischenspiel, das sich durch Witz und einen etwas spöttischen Ton auszeichnet, wie er für Schostakowitsch während des größten Teils seiner Karriere charakteristisch war. Das Klavier spielt durchgehend eine wichtige und auffällige Rolle mit mehreren Solopassagen.
Der langsame Satz Lento bildet einen weiteren Kontrast, eine Musik von düsterer Qualität, die zu einem langen und leidenschaftlichen Höhepunkt der Solovioline führt. Das Finale, das ohne Pause auf den langsamen Satz folgt, kehrt zu den ungestümen und unerwarteten Eigenschaften des ersten Satzes zurück. Nach der Entwicklung von Themen, die mit denen zu Beginn des Werks verwandt sind, wird etwa drei Minuten vor dem Ende eine berühmte Passage für Solo-Pauke durch eine Fanfare der Blechbläser eingeleitet. Die Musik rast zu einem spannenden und dramatischen Ende, das durch eine marschartige Fanfare der Blechbläser und Becken in den Schlussakkorden gekennzeichnet ist.
Nach der Uraufführung seiner Sinfonie wollten viele der führenden Persönlichkeiten der Musikwelt mehr über den jungen Komponisten erfahren. Schostakowitsch hatte die Gelegenheit, einige der bekanntesten Kulturschaffenden seiner Zeit kennenzulernen, darunter die europäischen Komponisten Franz Schreker, Darius Milhaud, Artur Honegger und Alban Berg.
Milhaud, der Komponist von Le Boeuf sur la Toit und Scaramouche, schrieb später: „Trotz ihrer eher konventionellen Form und Konstruktion verriet [die Sinfonie] echte Begabung und hatte sogar gewisse Qualitäten von Größe, wenn man bedenkt, dass ihr Komponist, Schostakowitsch, damals erst achtzehn Jahre alt war ...”
Alban Berg, Schüler von Arnold Schönberg und Komponist von Wozzeck, der atonalen Oper, die im selben Jahr uraufgeführt wurde, in dem Schostakowitsch seine Sinfonie vollendete, schrieb einige Jahre später, nachdem er eine Aufführung der Sinfonie in Wien gehört hatte, an Schostakowitsch: „Es war mir eine große Freude, Ihre Sinfonie kennenzulernen. Ich finde sie ganz wunderbar, besonders den ersten Satz.“
Neben weiteren orchestralen und symphonischen Werken arbeitete Schostakowitsch 1929 mit dem Theaterregisseur Wsewolod Meyerhold und dem Dichter Wladimir Majakowski zusammen und lieferte die Originalmusik für eine Inszenierung von Majakowskis satirischem Stück Die Wanze.
Die 1. Sinfonie Schostakowitschs war Teil einer musikalischen Blütezeit, die die 1920er Jahre prägte. Klassische Komponisten bedienten sich Jazz-Idiomen sowie populären und volkstümlichen Elementen, ohne ihre Kompositionen zu „verflachen“. Dies war die Zeit von George Gershwins „Rhapsody in Blue“ und „An American in Paris“, Kurt Weills „Dreigroschenoper“ und „Mahagonny“ und vielem mehr.
Dazu gehörte auch der Wiener Musikgigant Schönberg und seine Zweite Wiener Schule. Während Schönberg der Tonalität zugunsten seines Zwölftonsystems den Krieg erklärte, entstand eine lebhafte Debatte über unterschiedliche Antworten auf die Frage „Wohin geht die Musik?“ im 20. Jahrhundert.
In dieser Atmosphäre begann Schostakowitsch seine fünf Jahrzehnte währende Karriere. Er sollte zu einem Komponisten werden, der Millionen bewegte, und durch die schiere Beständigkeit und Länge seiner Karriere ragte er über seine Zeitgenossen hinaus.
Er war ein Genie, dessen Aufstieg mit den heroischen Anfangsjahren der Russischen Revolution zusammenfiel – genauer gesagt, mit dem Ende dieser heroischen Periode. Es war eine Zeit, in der die Avantgarde ihre Blütezeit erlebte, eng verbunden mit dem Kampf für eine revolutionäre gesellschaftliche Umgestaltung. Viele Künstler und ein Teil der Intelligenzija schlossen sich der Sache der Arbeiterklasse an.
Und doch war Schostakowitsch dazu bestimmt, den größten Teil seines Lebens, die letzten 45 Jahre, im Schatten der monströsen Degeneration der Revolution zu verbringen, die die Hoffnungen der Massen von Arbeitern und Unterdrückten auf allen Kontinenten geweckt hatte. Diese Degeneration, die zur Dezimierung einer Generation revolutionärer Kämpfer führte, bedrohte auch Komponisten wie Schostakowitsch, Prokofjew und andere mit Repressionen.
Besonders bedrohlich wurde dies 1936, als der stalinistische Große Terror begann, und auch 1948, als Schostakowitsch und andere wegen des Verbrechens des „Formalismus“ von den bürokratischen Ignoranten angeprangert und mit Ächtung oder Schlimmerem bedroht wurden. Obwohl sich die Lage nach Stalins Tod 1953 und der darauf folgenden „Entstalinisierung“ erheblich entspannte, hielt das Klima der Angst und bürokratischen Kontrolle bis zum Tod des Komponisten an. Unabhängig davon, ob er diesen historischen Prozess vollständig verstanden hat – und es ist klar, dass er dies nicht tat –, wurde Schostakowitsch zu einem Symbol für Beharrlichkeit und Überleben, für die Opfer des sowjetischen Volkes und für das, was von den revolutionären Errungenschaften der Vergangenheit angesichts des stalinistischen Despotismus übrig geblieben war.
Dem Komponisten gelang es, in seinen großartigen Kompositionen, in der 5., 7. und 8. Sinfonie und später in der 11., 12. und insbesondere der 13. Sinfonie („Babi Jar“), den Triumph und die großen Tragödien eines ganzen Jahrhunderts erklingen zu lassen. Gleichzeitig wechselte er diese mit leichteren Werken ab, wie seinen 6. und 9. Sinfonien sowie seinen Filmmusiken. Nur sehr selten kam er der herrschenden Clique mit Werken entgegen, auf die er nicht stolz war.
Schostakowitsch blieb auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg musikalisch sehr aktiv und zeichnet sich neben seinem engen Freund Benjamin Britten und wenigen anderen dadurch aus, dass er sich in diesen Jahrzehnten erfolgreich gegen die Dogmen der Atonalität und des Serialismus gewehrt hat.
Er hinterließ ein Werk, das sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht im 20. Jahrhundert seinesgleichen sucht. Es umfasst 15 Sinfonien, 15 Streichquartette, zwei Klavierkonzerte, zwei Violinkonzerte und zwei Cellokonzerte, zwei Klaviertrios, ein Klavierquintett, zwei Opern, mehr als zwei Dutzend Orchestersuiten (darunter seine beiden berühmten Jazzsuiten und seine Suite aus „Der Gadfly“) sowie drei Dutzend Filmmusiken und vieles mehr. Die meisten seiner Sinfonien, Konzerte und anderen Orchesterwerke werden regelmäßig aufgeführt, und seine Kammermusik ist vielfach aufgenommen worden und oft zu hören.
In diesem Jahr jährt sich nicht nur der Beginn von Schostakowitschs öffentlicher Karriere zum 100. Mal, sondern auch sein Todestag am 9. August 1975 zum 50. Mal. In dieser Zeit wurden Dutzende Bücher und Tausende Seiten über den Komponisten geschrieben.
In den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod bestanden eine Reihe von Kritikern und Musikwissenschaftlern darauf, Schostakowitsch zu einem Symbol des Antikommunismus zu erheben (herabwürdigen wäre wohl das passendere Wort). Diese Polemiker nutzten die Tatsache, dass Schostakowitsch vom stalinistischen Regime verfolgt wurde, um den Verrat der Revolution durch die Stalinisten mit der Revolution selbst gleichzusetzen. Dies war lediglich eine Fortsetzung der uralten antikommunistischen Lüge, die Lenin mit Stalin gleichsetzte.
Im Fall von Schostakowitsch wurden einige Erinnerungen des Komponisten selbst, der als alter, kranker und enttäuschter Mensch dargestellt wurde, ausgiebig genutzt, wie Solomon Wolkow in seinem 1979 erschienenen Buch Zeugenaussage – Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch berichtete. Dieses Buch, das Gespräche mit Schostakowitsch mit verschiedenen Anekdoten kombinierte, wurde irreführenderweise als „Memoiren“ des Komponisten bezeichnet. Die antikommunistische Sichtweise auf Schostakowitsch hält sich bis heute in den oft oberflächlichen und ignoranten Programmnotizen zu Aufführungen seiner Werke, in denen er einfach als Opfer der „kommunistischen Tyrannei” dargestellt wird.
Die einseitige und irreführende Interpretation von Schostakowitschs Werk und Vermächtnis wurde durch Werke widerlegt, die sein Leben objektiver betrachteten. Unter ihnen ragen die Biografien von Laurel Fay und Elizabeth Wilson heraus. Auch die World Socialist Web Site hat Schostakowitschs Leben ausführlich untersucht und separat über einige seiner wichtigen Werke geschrieben, darunter die 1., 5. und 7. Sinfonie.
Das vor etwa 20 Jahren veröffentlichte Buch A Shostakovich Casebook enthält mehrere Dutzend separater Essays, Artikel und Rezensionen aus den ersten 25 Jahren nach dem Tod des Komponisten. Es ist ein hervorragendes Gegenmittel für diejenigen, die manchmal absurde Anstrengungen unternehmen, um die lächerliche und falsche Behauptung aufzustellen, dass alles, was Schostakowitsch jemals geschrieben hat, dem Kampf gegen den Kommunismus gewidmet war.
Der britische Musikwissenschaftler David Fanning kommentiert:
Aber wenn ich glaube, dass [Schostakowitsch] von vielen Erscheinungsformen des Stalinismus und Poststalinismus angewidert war, sicherlich ab Mitte der 1930er Jahre und vielleicht schon etwas früher, muss ich das dann mit Antikommunismus gleichsetzen? Welche Beweise gibt es gegen die Möglichkeit, dass Schostakowitsch zumindest einigen kommunistischen Idealen treu geblieben ist, bis zu dem Punkt, dass er viele der Dinge, die in ihrem Namen geschahen, tatsächlich als „Verzerrungen” und nicht als Ausdruck derselben betrachten konnte?
Und der britische Komponist Gerard McBurney schreibt in seinem Essay in A Shostakovich Casebook über die 5. Sinfonie: „Niemand kann oder sollte den allumfassenden Terror jener Zeit leugnen, noch könnte er jemals die Tränen derer wegwischen, die die ersten Aufführungen der 5. Sinfonie hörten ... So sehr sich dieses Werk auf den ersten Blick auch von den meisten früheren Kompositionen Schostakowitschs unterscheiden mag, es konnte nur von jemandem geschrieben worden sein, der den Weg zurückgelegt hatte, der dazu geführt hatte ...“ Schostakowitsch „war und blieb in gewisser Weise bis zum Ende seines Lebens ein Kind seiner Zeit, der sowjetischen 1920er Jahre; und ... er nahm das ohnehin schon faszinierende Erbe dieser Zeit auf und machte es zu etwas ganz Eigenem.“
Schostakowitschs 1. Sinfonie ist für sich genommen bereits ein Genuss, aber das Verständnis des Werks wird vertieft, wenn man die folgenden 50 Jahre von Schostakowitschs Leben betrachtet. Der Komponist war eine sehr widersprüchliche Persönlichkeit: ein Mann von enormer Zurückhaltung, der dennoch als internationales Symbol angesehen wurde, eine Figur von musikalischer Integrität und Originalität, die jedoch den Diktaten einer parasitären und reaktionären Bürokratie ausgesetzt war. Seine Musik kann nicht losgelöst von der Oktoberrevolution betrachtet werden, die die Umstände schuf, unter denen sie komponiert wurde. Sie entsprang der Geschichte der Sowjetunion selbst und ist untrennbar mit ihr verbunden.
