David North an der Humboldt-Universität: „Wohin geht Amerika?“

Veranstaltung "Wohin geht Amerika" an der HU-Berlin, 18.11.2025

Mit Entsetzen und Schock verfolgen Menschen in aller Welt, wie der Faschist Donald Trump versucht, in den USA eine Diktatur zu errichten. Doch der kriminellen Oligarchie unter Trump steht auch ein anderes Amerika gegenüber – das Amerika der Arbeiterklasse und der sozialistischen Bewegung.

Das zeigte sich am Dienstag an der Berliner Humboldt-Universität, wo der amerikanische Sozialist und Chefredakteur der World Socialist Web Site, David North, zu der drängendsten Frage dieser Zeit sprach: „Wohin geht Amerika? Sozialismus oder Barbarei“. 130 Studierende und Arbeiter nahmen an der Veranstaltung teil, zu der die Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) eingeladen hatte.

Auf die im Titel gestellte Frage „Wohin geht Amerika?“ würden viele Menschen heute zurecht erst einmal antworten: „Zur Hölle!“ Doch im Laufe seines Vortrags erklärte David North, warum die tiefen Widersprüche des Kapitalismus und der dramatische Niedergang der amerikanischen Demokratie eine ganz andere Antwort ermöglichen: „Zum Sozialismus!“

David North am 18.11.2025 an der HU Berlin

Was in den USA passiert, betreffe die ganze Welt:

Das alte Sprichwort „Wenn Amerika niest, bekommt die Welt einen Schnupfen“ erhält nun eine neue und beängstigendere globale Bedeutung, denn was derzeit in den Vereinigten Staaten geschieht, ist weitaus schlimmer als ein Niesen. Was die Welt derzeit erlebt, ist ein historisch beispielloser Zusammenbruch der amerikanischen Demokratie. Die groteske Figur Donald Trump ist davon nur ein oberflächlicher Ausdruck. Um die Krise – ihre Ursachen und Folgen – zu verstehen, muss man über den Schein hinausgehen, unter die Oberfläche blicken und ihre tieferen wirtschaftlichen und sozialen Wurzeln untersuchen.

Davon ausgehend analysierte North in seinem Vortrag anschaulich und detailliert die objektiven Grundlagen der globalen kapitalistischen Krise, die in den USA ihre schärfste Form annimmt. Anhand von umfangreichem Faktenmaterial wies er nach, dass diese Krise weder vorübergehend ist noch in den persönlichen Eigenschaften eines Donald Trump begründet liegt.

Wie einst Karl Marx, der die Finanzaristokratie in Frankreich als „Lumpenproletariat auf den Höhen der bürgerlichen Gesellschaft“ bezeichnete, charakterisierte North die heutige Finanz- und Konzernoligarchie als „Super-Mafia an der Spitze der kapitalistischen Gesellschaft, die ihre Verbrechen und Perversion zur Schau stellt, während die einfache Bevölkerung den Preis mit Elend und Blut bezahlt“.

Gestützt auf den jüngsten Oxfam-Bericht und andere Quellen zeichnete North die gigantische soziale Ungleichheit in den USA nach. Die Mitglieder im Trump-Kabinett selbst haben zusammen ein Nettovermögen von über 60 Milliarden Dollar. Seine Regierung verkörpere daher die „direkte Herrschaft der Oligarchie“.

North betonte, dass eine herrschende Klasse im Niedergang umso aggressiver wird, je mehr sie ihrem Ende zugeht: „Je irrationaler ihr System wird, desto gewaltsamer bemüht sie sich um seine Rechtfertigung.“ Sowohl die Aristokratie vor der Französischen Revolution 1789 als auch die amerikanischen Sklavenhalter vor der zweiten Amerikanischen Revolution 1861–1865 hätten das bewiesen.

US-Präsident Trump – der „vulgärste Repräsentant der parasitären Oligarchie“, der sich mit den Tech-Milliardären im Weißen Haus traf und mit King Charles im Windsor Castle dinierte – lasse jetzt einen riesigen Ballsaal errichten und verwandele das Weiße Haus in ein neues Versailles. Es entstehe ein Anachronismus – das Verschmelzen alter Formen despotischer Herrschaft mit den Technologien und der produktiven Kraft der Weltwirtschaft, was zu außerordentlich scharfen Widersprüche führe.

North schilderte den Niedergang der geopolitischen und wirtschaftlichen Macht der USA in den letzten Jahrzehnten, der der heutigen Krise zugrunde liegt. Die Finanzialisierung der Wirtschaft zeige sich am deutlichsten in der massiven Zunahme von fiktivem Kapital, das in keiner Relation mehr zur realen wirtschaftlichen Produktion stehe. Der Gesamtwert aller börsennotierten US-Aktien entspreche mehr als dem doppelten der jährlichen Wirtschaftsleistung der USA.

„Doch können die Fakten über den kriminellen Charakter des Kapitalismus auch den historischen Zusammenbruch des Systems belegen?“, fragte North seine Zuschauer und ging in seiner Antwort genauer auf Marx’ Werttheorie und den tendenziellen Fall der Profitrate ein. Dieser werde mit dem zunehmenden Einsatz Künstlicher Intelligenz und den damit verbundenen Massenentlassungen weiter verschärft.

Es reiche jedoch nicht, auf die Verbrechen des Kapitalismus mit moralischer Empörung zu reagieren, betonte North. Das Scheitern moralischer Appelle an die herrschende Klasse führe meist zu Enttäuschung, Pessimismus und Demoralisierung sowie zu einer gewaltigen Überschätzung der Macht der herrschenden Eliten. „Die Widersprüche innerhalb des kapitalistischen Systems, die die Bedingungen für eine revolutionäre Explosion schaffen, werden nicht erkannt. Und der größte Fehler von allen: Die zentrale Rolle der Arbeiterklasse im Kampf gegen den Kapitalismus wird ignoriert oder sogar abgelehnt.“

North leitete aus der tiefen Krise des Kapitalismus die objektive Notwendigkeit des Sozialismus ab, aber machte klar, dass dies keine automatische Entwicklung ist:

Je tiefer die Krise, desto gewalttätiger und rücksichtsloser werden die Anstrengungen der herrschenden Klasse sein, ihr System zu retten – selbst um den Preis der Zerstörung der Zivilisation. …

Im Endeffekt hängt der Sturz des Kapitalismus vom bewussten Kampf der Arbeiterklasse für den Sozialismus ab. Objektive Prozesse schaffen sowohl die Notwendigkeit als auch die Bedingungen für den Sturz des Kapitalismus. Doch die sozialistische Revolution ist das Ergebnis eines enormen Anwachsens des sozialistischen Bewusstseins der Massen und ihres bewussten Eingreifens in den historischen Prozess.

Die großen Kämpfe des 20. Jahrhunderts hätten gezeigt, dass eine siegreiche Revolution nur möglich ist, wenn sie von einer marxistischen Partei geführt wird, die sich auf die Arbeiterklasse stützt.

Neue Klassenkämpfe stünden bevor, in denen die amerikanischen Arbeiter eine zentrale Rolle spielen werden. North verglich die heutige Welt mit einem „schlummernden Vulkan“.

Der Ausbruch des Klassenkampfs in den Vereinigten Staaten wird die verrotteten Strukturen des Kapitalismus zerstören, aber auch die Möglichkeiten für eine neue Welt eröffnen. Aus den Tiefen gesellschaftlicher Unterdrückung wird eine Kraft entstehen, größer als jede Armee oder jedes Unternehmen: die kollektive Macht einer Klasse, die allen Reichtum produziert und doch nichts besitzt. Wenn diese Kraft bewusst handelt, geleitet vom wissenschaftlichen Sozialismus und der Analyse der objektiven Realität, wird sie die nationalen und ethnischen Grenzen hinwegfegen und die Menschheit in einem gemeinsamen Kampf für ihre Befreiung vereinen.

Nach diesem starken Schlusswort folgte eine angeregte Diskussion mit dem Publikum. North ging darin auf die Frage ein, welche Unterschiede und Parallelen zu den 1930er Jahren bestehen. Er erklärte, dass der Faschismus damals wie heute die Interessen der Bourgeoisie vertritt. Aber er hob einen wesentlichen Unterschied hervor: Zwar herrsche in den USA heute enorme politische Verwirrung, aber keine Demoralisierung.

Die allgemeine Stimmung ist geprägt von wachsender Wut und zunehmender Kampfbereitschaft. Und das unterscheidet sich grundlegend von der Lage in Deutschland im Jahr 1933.

Hitler kam an die Macht nach einem Jahrzehnt von Niederlagen: dem Scheitern der Revolution von 1923, der reaktionären Rolle der Sozialdemokratie und dem politischen Bankrott, fast Wahnsinn, der KPD, die die Theorie des „Sozialfaschismus“ entwickelte und Trotzkis Aufruf zu einer Einheitsfront der Arbeiterparteien gegen Hitler zurückwies. Ihr Motto lautete: Nach Hitler kommen wir. Trotzki warnte in seinen hervorragenden Schriften zwischen 1930 und 1933 eindringlich, dass dies in eine Katastrophe führen werde. Und genau unter solchen Bedingungen der tiefen Demoralisierung konnte Hitler buchstäblich ohne einen einzigen Schuss an die Macht gelangen.

Heute sei das anders. North verwies auf die bisherigen Massenproteste gegen Trump und den Völkermord in Gaza. Das Hauptproblem dieser Proteste sei das Fehlen eines Programms und des Bewusstseins darüber, dass nur die Arbeiterklasse diesen Verbrechen ein Ende setzen kann.

Deshalb sage ich euch: Orientiert euch politisch an der Arbeiterklasse. Kämpft für ihre Unabhängigkeit von der SPD, den Grünen, der Linkspartei und all jenen Kräften, die als Sicherheitsventile des kapitalistischen Systems fungieren.

Das ist das Programm unserer Partei, der Sozialistischen Gleichheitspartei und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Sie tritt für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von allen bürgerlichen Parteien und ihren politischen Vertretern ein. Das marxistische Bewusstsein muss in der Arbeiterklasse wiederhergestellt werden, in ihren fortgeschrittensten Schichten. Und es gibt unter den Massen ein wachsendes Publikum dafür. Ihr müsst darauf vertrauen.

Zum Abschluss der Veranstaltung rief Tamino Wilck, Abgeordneter der IYSSE im Studierendenparlament der Humboldt-Universität, alle Studierenden und jungen Arbeiter auf, bei den IYSSE aktiv mitzumachen. Daraufhin ließen viele Anwesende ihre Kontaktdaten da, kauften Bücher von David North und führten lebhafte Diskussionen am Büchertisch.

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