Österreich: Bundeskanzler Faymann tritt zurück

Am Montagmittag erklärte der österreichische Regierungschef Werner Faymann auf einer Pressekonferenz in Wien seinen sofortigen Rücktritt von allen Ämtern. Neben dem Amt des Bundeskanzlers gibt er auch den Vorsitz der sozialdemokratischen Partei (SPÖ) auf.

Faymanns Rücktritt ist das Ergebnis einer seit langem anhaltenden Rechtsentwicklung der SPÖ, die zu dramatischen Stimmenverlusten geführt hat. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung war die Bundespräsidentenwahl Ende April. SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer, ein langjähriger Gewerkschaftsbürokrat, erhielt nur etwas mehr als 10 Prozent der Stimmen und verpasste damit den Einzug in die Stichwahl.

Obwohl die SPÖ unter Faymanns Leitung nahezu vollständig ruiniert wurde, erklärte dieser in seiner Rücktrittserklärung, er sei stolz auf seine „Arbeit für das Land“. In kaum zu überbietender Selbstgefälligkeit sagte er, trotz „struktureller Defizite“ sei die „soziale Kraft des Landes“ gestärkt worden. Wo immer er in Europa hinkomme, werde er gefragt: „Wie habt ihr das geschafft?“

Werner Faymann hatte den Vorsitz der SPÖ im Krisenjahr 2008 übernommen und war kurz darauf zum Bundeskanzler gewählt worden. Im Bündnis mit der konservativen Volkspartei (ÖVP) verfolgte er einen strikten Sparkurs auf Kosten der Arbeiterklasse. Unter seiner Regierungsverantwortung wurden das Renteneintrittsalter erhöht, massiv öffentliche Arbeitsplätze abgebaut und die Löhne gedrosselt. Die Zahl der Arbeitslosen stieg während der vergangenen fünf Jahre von 300.000 auf 475.000. Mehr als jeder Zehnte ist arbeitslos. Gleichzeitig nahm der Reichtum an der Spitze der Gesellschaft zu.

Der Widerstand gegen diese Politik drückte sich in einer Wahlniederlage nach der anderen aus. Der Wiener Standard weist nach, dass die SPÖ unter Faymann bei 18 von 20 Wahlen auf Landes-, Bundes- und Europaebene Stimmen verloren hat. Vor wenigen Tagen wurde Faymann auf der 1. Mai-Kundgebung auf dem Wiener Rathausplatz ausgepfiffen. Er konnte seine Rede nur mit Mühe zu Ende führen.

Die rechte Politik, die die SPÖ im Bündnis mit der ÖVP gegen jeden Widerstand durchsetzte, ebnete der rechtsradikalen FPÖ den Weg. Das zeigte sich vor allem in der Flüchtlingspolitik. Nach einem anfangs liberalen Kurs vollzog die Regierung Faymann eine abrupte Kehrtwende, schottete die Grenzen zu Ungarn und Italien ab, führte Obergrenzen für Flüchtlinge ein, beseitigte das Asylrecht und arbeitete dabei eng mit den rechten Regierungen in Ungarn und anderen Balkanstaaten zusammen.

Aber nicht nur inhaltlich näherten sich die Sozialdemokraten den Rechtsextremen an. Im Burgenland bildete die SPÖ bereits im vergangenen Jahr eine gemeinsame Regierung mit der FPÖ.

Unter diesen Umständen gewann der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 35 Prozent der abgegebenen Stimmen. Er hat gute Aussichten, am 22. Mai die Stichwahl zu gewinnen. Damit würde zum ersten Mal seit Gründung der Zweiten Republik vor 71 Jahren ein Ideologe der extremen Rechten in die Wiener Hofburg einziehen, der islam- und fremdenfeindliche Standpunkte vertritt, mit der deutschen Pegida-Bewegung sympathisiert und die EU ablehnt.

Faymann und die Sozialdemokraten haben auf diesen Wahlerfolg der Rechtsextremen mit einem weiteren Rechtsruck reagiert. Inzwischen haben sie das Asylrecht faktisch abschafft. Die Regierung kann nun den Notstand ausrufen, wenn „die öffentliche Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit“ wegen hoher Flüchtlingszahlen nicht mehr gewährleistet sind. Praktisch bedeutet das: Wenn die von der Regierung selbst festgelegt Obergrenze von 37.500 Migranten im Jahr erreicht ist.

Faymann verteidigte bei seinem Rücktritt ausdrücklich den rechten Kurs der Partei. Es sei richtig gewesen, die „Willkommens-Kultur“ zu beenden und eine restriktive Flüchtlingspolitik zu verfolgen. „Es wäre verantwortungslos gewesen, nicht auch eigene Maßnahmen zu setzen“, sagte er.

Mit Faymann Rücktritt nähert sich die SPÖ der FPÖ weiter an. Hauptthema auf dem gestrigen Treffen des Bundesparteivorstandes war die sogenannte „Neuausrichtung der Partei“. Damit wird eine engere Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen umschrieben.

Schon Ende April hatte Faymann die Gründung einer „Strategiegruppe“ zum weiteren Umgang mit der FPÖ angekündigt. Dabei geht es darum, einen offiziell noch bindenden Parteibeschluss aus dem Jahr 2014 aufzuheben, der eine Koalition mit der FPÖ verbietet. In der Praxis hat er ohnehin seit Langem keine Bedeutung mehr. Aber das Koalitionsverbot auch offiziell zu beenden, wäre ein deutliches Zeichen, dass die sozialdemokratische Parteiführung ihren Rechtskurs noch weiter verschärft.

Kanzleramtsminister Josef Ostermayer hat am Wochenende bereits die Aufhebung des Beschlusses angedeutet. „Es könnte in die Richtung gehen: Einerseits entscheiden die verschiedenen Ebenen – Gemeinden, Länder – für sich, ob eine Zusammenarbeit sinnvoll ist“, so Ostermayer in der Tageszeitung Österreich.

Die burgenländischen Sozialdemokraten, die bereits gemeinsam mit der FPÖ regieren, sprachen sich – ebenfalls noch vor Bekanntwerden von Faymanns Rücktritt – dafür aus, auf Bundesebene die „Ausgrenzung“ der FPÖ zu beenden. Der Fraktionsvorsitzende Robert Hergovich erklärte am Montag in Eisenstadt: „Wir halten nichts davon, einen strategischen Vorteil der ÖVP zu überlassen, indem wir sagen, wir arbeiten mit sonst keinem außer mit der ÖVP zusammen.“ Die Zeit sei „jetzt reif, um diese pragmatischen Positionen zu formulieren“.

Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ), der seit vergangenem Jahr gemeinsam mit der FPÖ regiert, erklärte im Ö1-Morgenjournal, es gehe um die Zukunft der Sozialdemokratie. Es sei nicht alles mit dem Auswechseln einer Person erledigt. Es gehe auch um die künftige Haltung der SPÖ zur FPÖ. Da müsse sich etwas ändern. Auch der sozialdemokratische Bürgermeister von Steyr, Gerald Hackl, betonte die „Schnittpunkte“ mit der FPÖ und forderte eine Zusammenarbeit.

Am vehementesten treten die Gewerkschaften für einen weiteren scharfen Rechtsruck ein. Erich Foglar, Chef des Gewerkschaftsbundes ÖGB, plädierte ausdrücklich für eine Zusammenarbeit mit den Ultrarechten. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin profil erklärte er, man dürfe eine „Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ nicht ausschließen“. Ein Bündnis mit einer Partei, die ein offen ausländerfeindliches und nationalistische Programm vertritt, ist laut Foglar „nichts Verwerfliches“.

Auch Josef Muchitsch (Vorsitzender Gewerkschaft Bau-Holz) wetterte in einem Gastkommentar für profil gegen „Linksträumer“ in der SPÖ und forderte den Rücktritt Faymanns, um damit die Ausrichtung auf die FPÖ zu erleichtern: „Die Ausgrenzungspolitik gegenüber der FPÖ ist ein Fehler. Abgrenzung dort, wo es verständlich ist, aber generelles Ausgrenzen nein. Wenn es auf Gemeinde- und Landesebene in der FPÖ vernünftige Personen gibt, die uns in der Umsetzung unserer Politik unterstützen, darf es nicht verhindert werden.“

Der Rücktritt von Faymann und die engere Zusammenarbeit von SPÖ und FPÖ leitet das letzte Stadium des Niedergangs der österreichischen Sozialdemokraten ein.

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