Die Socialist Equality Party verurteilt die bevorstehende Hinrichtung von Melissa Lucio durch den US-Bundesstaat Texas. Wir rufen Arbeiter und Jugendliche in den USA und weltweit dazu auf, Proteste zu organisieren, um den Stopp ihrer Hinrichtung, ihre Freilassung aus der Todeszelle und die sofortige Aufnahme eines neuen Prozesses zum Beweis ihrer Unschuld zu fordern.
Lucio ist heute 53 Jahre alt und Mutter von 14 Kindern. Sie wurde 2007 zum Tode verurteilt, nachdem sie des Mordes an ihrer zweijährigen Tochter Mariah für schuldig befunden worden war. Ihr Fall ist ein vernichtendes Beispiel für alles, was am „Strafrechtssystem“ in Amerika und an der Brutalität der Todesstrafe verwerflich ist.
Wie in zahllosen anderen Kriminalfällen begann auch Lucios Weg in die Todeszelle mit einem Verhör, das von Drohungen und Einschüchterung geprägt war. Fast sechs Stunden lang wurde die Amerikanerin mexikanischer Herkunft, die mit Zwillingen schwanger war und gerade den Verlust ihres kleinen Kindes erlitten hatte, von Polizeibeamten beschimpft und schikaniert, bis sie das gewünschte Geständnis abgab. Das vielleicht schockierendste an diesem Fall ist, dass eine Untersuchung der Beweise kaum Zweifel daran lässt, dass das Kind nicht ermordet wurde, sondern durch einen unglücklichen Sturz von einer Treppe starb.
Während Lucio von den Ermittlern verhört wurde, wurden ihre anderen Kinder (sie hatte damals neun) ebenfalls befragt. Sie sagten aus, dass sich ihre Mutter ihnen gegenüber nie missbräuchlich oder gewalttätig verhalten habe.
Die Beamten, die Lucio in Cameron County verhörten, wandten die sogenannte „Reid-Technik“ an, eine Verhörmethode, die während der McCarthy-Ära entwickelt wurde und immer noch in Polizeiwachen überall in den USA eingesetzt wird, um falsche Geständnisse zu erzwingen. Lucios Verhör zog sich bis spät in die Nacht hinein. Dabei wurde sie von den Texas Rangers, von denen mindestens einer bewaffnet war, aus nächster Nähe angeschrien. Die Beamten hätten „viele Beweise“ dafür, dass sie für den Tod ihrer Tochter verantwortlich sei. Gleichzeitig wurde sie von den Rangers gezwungen, sich Fotos von der Leiche des Mädchens anzusehen.
Die Polizisten änderten dann abrupt ihren Standpunkt und versicherten Lucio, sie könne „die Sache aus der Welt schaffen“, wenn sie ihre Schuld gestehe. Nachdem sie mehr als 100 Mal beteuert hatte, dass sie unschuldig sei, begann sie, den Satz zu wiederholen, den die Beamten ihr unablässig eingetrichtert hatten. „Ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen“, sagte sie und brach schließlich zusammen. „Ich bin dafür verantwortlich ... ich schätze, ich habe es getan.“ Dieses skrupellos erzwungene und zweideutige Geständnis war das zentrale Beweismittel in ihrem Mordprozess.
Lucios Anwälte bestritten bei ihrem Prozess 2008 die Behauptungen der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Todesursache und legten die Aussage eines Neurochirurgen vor, wonach Mariah an einem Schädel-Hirn-Trauma starb, das durch einen Sturz von einer steilen Außentreppe zwei Tage vor ihrem Tod verursacht wurde. Die Geschworenen erfuhren nicht, dass das Kleinkind aufgrund einer körperlichen Behinderung beim Laufen unsicher war.
Nachdem Lucios so genanntes Geständnis vorgetragen worden war, verweigerte der Richter der Verteidigung die Möglichkeit, eine Expertenaussage hinzuzuziehen, die Lucios Lebensgeschichte als Opfer von sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt darlegen sollte. Sandra Babcock, ein Mitglied von Lucios derzeitigem Verteidigungsteam, erklärte gegenüber dem Guardian, dass Lucio seit ihrem sechsten Lebensjahr sexuellen Übergriffen und körperlichen Misshandlungen ausgesetzt war und im Alter von 16 Jahren heiratete, um dem Missbrauch zu entkommen. Doch nach ihrer Heirat litt sie lange Jahre unter häuslicher Gewalt. Diese Erfahrungen trugen dazu bei, dass sie für die beharrlichen Versuche der Vernehmungsbeamten, sie zu einem Geständnis zu zwingen, anfällig war.
Bei der Verhandlung wurde Lucio von einem schändlichen Staatsanwalt verfolgt und von einem Verteidiger vertreten, der bestenfalls ineffektiv war. Der Staatsanwalt Armando Villalobos verbüßt derzeit eine 13-jährige Haftstrafe, weil er während seiner Amtsausübung von 2006 bis 2012 mehr als 100.000 Dollar an Bestechungsgeldern angenommen hatte, die seine Entscheidungen beeinflussten. Lucios ursprünglicher Anwalt, Peter Gilman, arbeitet jetzt für die Staatsanwaltschaft von Cameron County.
2019 kam ein dreiköpfiges Gremium des US-Berufungsgerichts für den Fünften Bezirk einstimmig zu dem Schluss, dass Lucio ein neues Verfahren zusteht. Ein Berufungsgericht hob diese Entscheidung jedoch im Februar 2021 auf. Im Oktober 2021 lehnte der Oberste Gerichtshof der USA einen Antrag zur Anhörung ihres Falles ab und machte damit den Weg für den Staat Texas frei, den Termin für ihre Hinrichtung durch die tödliche Injektion auf den 27. April festzulegen.
Lucio wird bereits seit fast eineinhalb Jahrzehnten unter Bedingungen festgehalten, die Folter gleichkommen. Wie Sabrina Van Tassel, die Regisseurin des Films The State of Texas vs. Melissa, letztes Jahr in einem Interview mit der WSWS erklärte:
Seit 13 Jahren, seit sie im Todestrakt sitzt, hat sie keinen physischen Kontakt mehr zu irgendjemandem gehabt. Sie [die Gefangenen] sind in verschiedenen Zellen. Sie kennen sich nur, weil sie durch die Wände miteinander reden. Zweimal in der Woche darf sie für eine Stunde nach draußen gehen. Jede dieser Frauen hat einen kleinen Garten, und das ist der Grund, warum sie nicht verrückt werden. Im Todestrakt darf man nicht einmal ein Bild an die Wand hängen, weil man jeden Tag bereit sein muss, getötet zu werden.
Lucios Verteidiger haben ein Gnadengesuch beim texanischen Begnadigungsausschuss eingereicht, in dem sie argumentieren, dass neue Expertengutachten zu den Beweisen in ihrem Fall zeigen, dass das Kleinkind durch einen unglücklichen Sturz auf einer steilen Treppe außerhalb des Mietshauses der Familie starb. Das Gesuch enthält Unterstützungserklärungen von Geschworenen, medizinischen Experten, Aktivisten gegen häusliche Gewalt, Freigesprochenen, Lucios Geschwistern und Kindern und anderen.
Der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, kann einen einmaligen, 30-tägigen Aufschub einer Todesstrafe gewähren. Abbott hat seit seinem Amtsantritt im Jahr 2015 nur einem zum Tode Verurteilten einen Gnadenerlass gewährt. Nach staatlichem Recht kann der Gouverneur Begnadigungen nur auf Empfehlung der Mehrheit des Begnadigungsausschusses gewähren, der aus Personen besteht, die von Abbott selbst ausgewählt wurden.
Die Regierung Biden hat signalisiert, dass sie Abbott nicht dazu auffordern wird, die Hinrichtung zu stoppen. Auf die Frage der britischen Zeitung Independent Anfang des Monats, ob das Weiße Haus zu der Hinrichtung Stellung nehmen werde, antwortete die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, dass sie in diesem Fall „nichts vorhersagen“ werde.
Die Gewährung eines Gnadengesuchs ist in den USA in Fallen, bei der die Todesstrafe verhängt wurde, selten. Nach Angaben des Death Penalty Information Center (DPIC) wurden seit 1976, als der Oberste Gerichtshof die Todesstrafe wieder einführte, im Durchschnitt weniger als zwei Angeklagte pro Jahr begnadigt. In dieser Zeit wurden landesweit mehr als 1.500 Hinrichtungen vollstreckt.
Sollte Melissa Lucio am 27. April hingerichtet werden, so werden alle, die an dieser Hinrichtung beteiligt waren – von den Vernehmungsbeamten über die Staatsanwälte, dem Begnadigungsausschuss, Gouverneur Abbott, dem Obersten Gerichtshof der USA und das Weiße Haus –, Lucios Blut an ihren Händen haben.
Die Arbeiterklasse kann Lucios Schicksal nicht den kapitalistischen Gerichten oder den Politikern der beiden Parteien des Großkapitals überlassen. Arbeiter und Jugendliche müssen Proteste und andere Aktionen organisieren, um einen Aufschub der Hinrichtung und ihre Freilassung durchzusetzen, bis ein neuer Prozess stattfindet, bei dem alle entlastenden Beweise in ihrem Fall vorgelegt werden, damit ihre Unschuld bewiesen werden kann.
Nach Angaben des DPIC saßen am 1. Januar 2.436 Gefangene in den USA in den Todeszellen. Bis heute wurden mindestens 187 der in den USA zum Tode Verurteilten freigesprochen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass unschuldige Menschen hingerichtet wurden.
Die Todesstrafe, die sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern unterstützt wird, kann nicht „gerechter“ oder menschlicher gemacht werden. Sie muss als barbarisches und antidemokratisches Relikt der Vergangenheit abgeschafft und als Verstoß gegen das verfassungsmäßige Recht auf Schutz vor grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung geächtet werden.
Der Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe muss als eine Bewegung der Arbeiterklasse gegen den gesamten staatlichen Repressionsapparat – eine abscheuliche Manifestation der Realität der Klassenherrschaft in den Vereinigten Staaten – und gegen das kapitalistische System, zu dessen Verteidigung er existiert, entwickelt werden.