Wir veröffentlichen hier die Rede für Helen Halyard, die ihr Sohn Jamal auf einer Gedenkveranstaltung der Socialist Equality Party (US) und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 3. Dezember für sie hielt. Helen Halyard, mehr als 50 Jahre lang ein wichtiges SEP-Führungsmitglied, verstarb am 28. November unerwartet im Alter von 73 Jahren.
Ich danke allen, die heute hier teilnehmen, und möchte zunächst auf die Würdigungen für Mom eingehen, die andere vor mir aussprachen. Es ist unglaublich zu hören, wie geduldig ihre Freunde und Genossen einen Blick auf Mutters Lebenswerk geworfen haben. In diesem Zusammenhang möchte ich über die Erfahrungen und Gefühle sprechen, die mir an meiner Mutter lieb und teuer sind.
Vieles davon habt auch ihr erlebt, und wie ihr wisst, war ihre politische Arbeit davon geprägt. Meine Mutter ist nicht von ihrem Kampf an der Seite der Arbeiterklasse zu trennen. Die Erinnerung an sie ist weit verzweigt und hat tiefe Wurzeln, die noch weiter wachsen werden. So werden unsere gemeinsamen Momente uns in Vergangenheit und Zukunft mit ihr verbinden.
Mom ist nicht die Art Mensch, die man in bloßen Worten vollständig fassen kann. Für die Bewegung, für mich und für viele von uns persönlich ist sie viel mehr als das: so erfolgreich in ihrem persönlichen wie in ihrem politischen Leben. Sie war stark, sie trug die Last einer Tragödie. Sie ist der lebende Beweis dafür, dass der Gegner nur dann zum Monster wird, wenn man sich entscheidet, vor ihm zu kapitulieren – und dazu war meine Mutter nicht bereit.
Das Einfache war nicht ihre Art und oft auch nicht ihre Wahl. Keiner der hier Anwesenden hat es leicht, aber Helen hat sich durchgesetzt und hat überlebt, und das können wir auch. Trotz all des Tragischen, das sie auf den Schultern trug, fand sie die Zeit, Menschen um sich herum aufzuheben und zu retten – was ganz klar auf mich zutrifft.
Einen Siebenjährigen zu adoptieren ist keine leichte Aufgabe. Aber meine Mutter hat sie mit Bravour gelöst. Ohne sie wäre ich zweifellos nicht der Mensch geworden, der ich jetzt bin. Sie verbrachte unzählige Nächte damit, mir die mütterliche Aufmerksamkeit zu schenken, die ich zuvor nie hatte. Und sie sorgte dafür, dass ich von einem Beinahe-Analphabeten zu einem leidenschaftlichen Englischschüler wurde.
Ich erinnere mich, dass ich 12 Jahre alt war, als es da eine Schülerin gab, die genau wie ich Schwierigkeiten in Englisch und Mathe hatte. Ihr Name war Brittany. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich den Ruf der Freundlichkeit (wie ich es heute nenne) vernahm. Ich nahm mir Zeit für dieses junge Mädchen, um ihr bei den Klassenarbeiten zu helfen und sie vor ihren Mitschülern zu schützen. Ich ahmte einfach nach, was Mom für mich getan hatte, und es fühlte sich mühelos und gut an. Meine Mutter fand es heraus, und Mom und Dad hätten nicht stolzer auf mich sein können. Ich halte an diesem „Ruf zur Freundlichkeit“ fest als eine meiner wertvollsten Eigenschaften, die ich von ihr übernommen habe.
Als junger Erwachsener ließ ich mich ohne klares Ziel in der Welt treiben. Ich brauchte einen festen Schubs aus dem Nest. Mom (und Nancy, die heute hier ist) haben das für mich getan. Man bot mir die Möglichkeit, bei der Feuerwehr von Farmington Hills als Rettungssanitäter und Feuerwehrmann zu arbeiten. Als ich nach dem Ausbildungstraining im Bett lag und mich vor lauter Muskelkater nicht rühren konnte, war Mom da und bot mir Hilfe an. In solchen Momenten wusste ich, dass ich alle Unterstützung der Welt hatte. Mit Mom im Rücken – was konnte ich nicht alles erreichen!
Den Arbeitsplatz, den ich damals fand, nenne ich heute noch mein Eigen. Ich nutze jede Gelegenheit und behandle jeden Patienten so wie damals das Mädchen Brittany. All dies ist ein Versuch, den derzeitigen Zustand der Welt, die durch die Gier einiger weniger so geschädigt ist, positiv zu beeinflussen, so wie sie es getan hat. Sie hat diesen Antrieb in mir geweckt; ich kann mir nur vorstellen, wie sehr sie euch alle hier inspiriert haben muss.
Wir müssen die Zeit nutzen, um Helen Halyard zu gedenken. Das soll nicht heißen, dass Mom etwa eine Frau wäre, die man leicht vergessen könnte. Im Gegenteil, davon ist sie weit entfernt. Aber sie hat ihre Interaktionen mit jedem von uns auf persönliche Weise gestaltet, und so kennt jeder von uns sie in einer besonderen Farbe als die Frau, die sie im Leben war.
Sie wurde 1950 in New York geboren. Das war eine Zeit in New York, von der man gar nicht genug betonen kann, wie schwierig und prägend sie für Mom war. Nach dem Tod ihres Bruders entwickelte sie eine tiefe Verbundenheit mit ihrer Familie, und später erweiterte sie ihre Definition von Familie auf fast jeden. Sie unternahm Besuche bei entfernten Verwandten im tiefen Süden, und dort entdeckte sie ihre Leidenschaft für die Geschichte der Kolonialzeit und später für Politik. Dort erfuhr sie auch (wie sie sagte): „Man kann das Mädchen aus der Stadt entfernen, aber die Stadt kann man nicht aus dem Mädchen entfernen.“ Der Verlust ihrer Familie, als sie noch sehr jung war, und ihre Reisen zu weit entfernten Verwandten prägten ihre herausragenden Eigenschaften: die unaufhaltsame Zielstrebigkeit, das Mitgefühl und das Verständnis.
Sie verbrachte einen Großteil ihrer Freizeit damit, die Kluft zwischen verlorenen Familienmitgliedern zu überbrücken. Sie besuchte sogar Menschen, die so weit voneinander entfernt waren, dass man den Verwandtschaftsgrad nur auf einer Tabelle feststellen konnte. Sie hielt diese Kontakte aufrecht und schätzte sie sehr.
Die Parteimitglieder haben ihre eigenen Geschichten darüber, wie sie zu ihren politischen Ansichten gekommen sind. Aber etwas ist sicher wahr. Eine Person wie Helen – mit ihrer tiefen Liebe zu den Menschen und ihrer Leidenschaft für Gerechtigkeit – musste einfach den Kampf für eine gesunde, einige Arbeiterklasse aufnehmen.
Moms Sinn für Recht und Unrecht war tief verwurzelt und kam in vielem, was sie tat, zum Ausdruck. Sie konnte nicht tatenlos zusehen, wie unschuldige Menschen Ungerechtigkeiten erfuhren. Ich erinnere mich, dass meine Mutter sich sehr für Obdachlose einsetzte. Sie sagte mir einmal, dass sie mit dem Bild, das man sich von den Obdachlosen macht, nicht einverstanden sei. Es seien keine Strolche, sondern Menschen, die Hilfe brauchten. Das System, wie es ist, hat sie im Stich gelassen. Immer wieder hielt sie ihren Wagen an und gab dem Mann, der um etwas Kleingeld bat, fünf Dollar aus ihrem Portemonnaie – eine Gewohnheit, die ich bis heute beibehalte. Ich verstehe das jetzt. Es ist nicht etwas, das ich tun muss, aber ich will es tun, es ist mühelos, zu helfen, und ich weiß, dass es das auch für Mom war.
Bei ihrer politischen Arbeit hat sie immer den praktischen Ansatz gesucht; sie besuchte die Menschen persönlich und reiste an verschiedene Orte. Sie knüpfte Kontakte zu vielen Menschen und inspirierte viele weitere, ihre politischen Ansichten zu teilen. Das ging von ihrem Engagement für Gary Tyler bis hin zu der einfachen, aber wichtigen Aufgabe, mit den Unterstützern ihrer Partei in Kontakt zu bleiben. Mutter setzte sich für eine bessere Zukunft der Arbeiterklasse ein, und die Versammlung heut hier ist ihr Hauptwerk, ihr Magnum Opus.
Von ihrem Magnum Opus zu ihrer Mona Lisa – unsere Mutter, Freundin, Tante, Schwester und Vertraute war wunderbar. Sie war die Art von Person, die bei Zusammenkünften von Freunden und Familie mühelos ein Gespräch mit neuen Leuten oder Leuten von außerhalb beginnen konnte, die Art von Person, die man am Rande von Zusammenkünften findet. Meine Mutter gesellte sich zu den Leuten, und nach wenigen Augenblicken unterhielten sie sich, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Das war aber nicht das Ende ihrer Zuwendung. Wenn sie ihr Wochen oder sogar ein Jahrzehnt später wieder begegneten, setzte sie das begonnene Gespräch fort, als wäre es gerade gestern gewesen. Und das galt nicht nur für schüchterne Menschen auf Partys. Vor ihr war niemand sicher, weder zufällige Fremde im Flugzeug noch Taxifahrer in New York. Wenn die Welt Mutters Auster war, dann waren die Menschen ihre Perlen.
Mutter war auch nicht als Schwächling bekannt. Bei einem Streit ihr am Tisch gegenüber zu sitzen, ist eine Erfahrung, die jedermanns Selbstsicherheit auf die Probe stellte. Bloß dass man dabei lernte, dass einem geholfen wurde, die eigene Meinung zu bilden. Aber wenn sie sich einmal entschieden hatte, änderte sie ihre Meinung nur selten. Als junger Erwachsener empfand ich Helens Entschlossenheit als Schwäche; sie zeichnete jemanden aus, der sich zu schnell entschied. Heute, da ich auf die 30 zugehe, trage ich ihre Lehren und Ideale in mir, und ich habe noch viel zu lernen. Ich habe gelernt, dass die Welt Ebbe und Flut ist und ein reißender Strom. Wenn ich mich entscheide und dies in die Tat umsetze, kann ich schwimmen, während andere untergehen.
So wie der Wind an dem Baum zerrt, damit er stark werde, so war Mom für viele von uns. Zuweilen war das, was wir brauchten, nicht unbedingt das, was wir wollten. Aber mit Mom erhielt man immer, was man brauchte. Manchmal fand man das erst viel später heraus. Ich bin sicher, dass sie mir noch viele Jahre eine gute Lehrerin sein wird, auch wenn sie jetzt nicht mehr unter uns ist.
Nicht alles war streng und intensiv bei Mutter. Sie war auch zur Stelle, wenn man eine Schulter zum Ausheulen oder eine Gelegenheit brauchte, sich bei ein paar Glas Wein auszusprechen. Mom war da, wenn wir jemanden brauchten, der uns bei den Hausaufgaben half oder der rumtelefonierte und die nötige Autowerkstatt fand. Mom war da, wenn man was Günstiges shoppen oder Musik hören wollte. Mom war da, wenn man einen Babysitter brauchte oder wenn es darum ging, einen Streikposten zu verstärken.
Mom war da, als wir unsere Mütter verloren, und Mom ist jetzt hier bei uns: als lebendige Erinnerung, ein Stück im großen Mosaik aus vielen hundert Menschen und unzähligen mehr. Ein Wandteppich, vergleichbar mit den Industriemurals von Diego Rivera in Detroit. Wir alle sind traurig, weil sie gegangen ist. Aber wir freuen uns, dass sie hier unter uns bleiben wird. Ich danke euch.