Seit über einer Woche läuft eine Hetzkampagne gegen die Präsidentin der Technischen Universität Berlin, Geraldine Rauch. Ihr wird fälschlicherweise Antisemitismus vorgeworfen, weil sie drei israelkritische Posts gegen den Völkermord in Gaza auf Twitter/X geliked hatte. Obwohl sie sich danach entschuldigte und äußert defensiv reagierte, hat eine Phalanx von Politikern, Medien und Organisationen wie der Zentralrat der Juden eine Diffamierungskampagne gegen sie losgetreten, um ihren Rücktritt zu erzwingen.
Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, und die israelische Botschaft haben sie öffentlich angeprangert. Zuletzt hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Unipräsidentin am Freitag aus seinem Beratergremium, dem sogenannten „Zukunftsrat“, entfernt.
Am Mittwoch tagte der Akademische Senat der TU zur Causa Rauch und gab ein Meinungsbild ab: 13 Senatsmitglieder stimmten für ihren Rücktritt, 12 dagegen. Rauch erklärte daraufhin, dass sie nicht zurücktreten werde, sondern ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst einleite, um für Aufklärung zu sorgen.
Rückendeckung erhielt die 41-jährige Mathematikerin von Studierenden und Mitarbeitern ihrer Universität. Laut dem rbb unterzeichneten 129 Mitarbeitende, vor allem wissenschaftliche und studentische Mitarbeiter sowie einige Professoren, einen Unterstützerbrief, in dem sie die „unverhältnismäßigen Anfeindungen gegen Geraldine Rauch als Person“ kritisieren. Vor der Sitzung des Akademischen Senats hatten Studierende protestiert und ein Transparent am Studienkolleg der TU angebracht, auf dem steht: „Hochschulautonomie statt Hetze – Geraldine bleibt!“
Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) verurteilen die Hetzkampagne gegen Geraldine Rauch und verteidigen die Professorin gegen die rechten Angriffe. Der falsche Vorwurf des Antisemitismus wird genutzt, um Professoren, Dozierende und Studierende einzuschüchtern. Vor dem Hintergrund der internationalen Studentenproteste gegen den Genozid in Gaza zielt diese Kampagne darauf ab, legitime und notwendige Kritik an der Kriegspolitik der Regierungen, ihrer Komplizenschaft beim Völkermord in Gaza sowie am Rechtsruck an den Universitäten mundtot zu machen.
Es sind drei Likes von Social-Media-Beiträgen, für die Rauch jetzt durch die Manege getrieben wird: Ein Beitrag kritisierte den „Völkermord“ in Gaza, ein weiterer Beitrag die „Kriegsverbrechen“ der israelischen Armee und in einem dritten Beitrag hieß es: „Tausende türkische Bürger gehen derzeit auf die Straße, um einen Waffenstillstand im Gazastreifen zu fordern und die Operation in Rafah zu verurteilen!“
Dieser letzte Post, der nun zum Aufhänger des Antisemitismus-Vorwurfs genommen wird, zeigte auch zwei Bilder der türkischen Proteste; auf einem der beiden halten Demonstranten eine Pappfigur des rechtsextremen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hoch, auf dessen Brust Hakenkreuze gemalt wurden. Wie Rauch anschließend betonte, habe sie diesen Post nur wegen der Forderung eines Waffenstillstands geliked.
Dass Geraldine Rauch für diesen Post als Antisemitin an den Pranger gestellt wird, ist absurd und vorgeschoben. Tatsächlich hat die Kampagne einen größeren politischen Hintergrund. Wie der Spiegel berichtet, hatte die TU-Präsidentin im April und Mai die Polizei-Räumung des Protestcamps gegen den Gaza-Krieg an der Freien Universität Berlin und die gewaltsame Räumung des besetzten Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität kritisiert.
Anfang des Jahres, im Februar, hatte sich Rauch in einem Beitrag für die Online-Zeitung Table Media gegen das 2021 gegründete rechte „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ ausgesprochen und richtigerweise erklärt, dass dieser Zusammenschluss von Professoren, darunter auch einige der TU, „das Narrativ der Neuen Rechten“ stärke.
Kurz vor Beginn der Kampagne für ihren Rücktritt hatte sie den Historiker Uffa Jensen zum Antisemitismusbeauftragten der TU ernannt und damit Kritik von Seiten pro-zionistischer Organisationen wie dem Zentralrat der Juden auf sich gezogen. Jensen arbeitet seit 2018 am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU und ist Mitunterzeichner der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ von 2021. Diese richtet sich gegen die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Association (IHRA) von 2016, die dazu genutzt wird, Kritik am Zionismus und der Politik Israels mit Antisemitismus gleichzusetzen. Die IHRA-Definition dient als ideologische und juristische Rechtfertigung, um Opposition gegen das rechtsextreme Netanjahu-Regime zu unterdrücken.
In der Causa an der TU Berlin geht es nicht um einen Kampf gegen „Antisemitismus“ oder „Judenhass“. Im Gegenteil: Die herrschenden Eliten verfolgen derzeit eine rechtsextreme Agenda, die tatsächlichen Antisemitismus schürt und die AfD stärkt. Dabei sind ihnen Akademiker wie Geraldine Rauch oder Uffa Jensen ein Dorn im Auge. Sie wollen keine Hochschulen, an denen Kriegsgegner und standhafte Wissenschaftler lehren, sondern ideologische Kaderschmieden für ihre Kriegspolitik im Nahen Osten und Osteuropa.
An Geraldine Rauch soll nun ein Exempel statuiert werden. Jeder Akademiker, der ein kritisches Wort über den Genozid in Gaza äußert, soll um seinen Ruf und seinen Arbeitsplatz fürchten müssen. Im Wissenschaftsbetrieb herrschen seit Jahren prekäre Arbeitsverhältnisse, besonders für wissenschaftliche Mitarbeiter im Mittelbau, die mit befristeten Verträgen abgespeist werden und alle zwei bis drei Jahre um die Verlängerung ihrer Stelle bangen müssen. Werden sie künftig gefeuert oder zur Kündigung gezwungen, wenn sie sich öffentlich gegen Israels rechtsextreme Politik positionieren und Posts liken oder gar teilen, die Kriegsverbrechen anprangern?
Mit dieser jüngsten Schmutzkampagne und den Polizeiangriffen auf Studentenproteste wird die politische Gleichschaltung der Universitäten weiter forciert. „Kritischer Diskurs“ und „Meinungsfreiheit“ werden zu leeren Worthülsen und werden nur noch dann bemüht, wenn es darum geht, rechtsextreme Hetze zu rechtfertigen. Etwa wenn der rechtsradikale Professor Jörg Baberowski an der Humboldt-Universität den Vernichtungskrieg der Nazis verharmlost. Dieser Prozess begann bereits vor zehn Jahren mit der Verkündung der neuen deutschen Außenpolitik, die mit einer ideologischen Kampagne im Bildungsbereich einherging.
Wir rufen alle Studierenden und Unibeschäftigten auf, sich mit der TU-Präsidentin Geraldine Rauch zu solidarisieren und gegen die Rücktrittsforderungen zu protestieren. Rauch beweist Mut, indem sie den Rücktritt ablehnt. Aber mit ihrer defensiven Reaktion und dem von ihr selbst eingeleiteten Disziplinarverfahren hat sie dem politischen Druck bereits ein Stück weit nachgegeben. Die Angriffe auf die demokratischen Rechte, die gerade in ganz Deutschland unter Beschuss stehen, können jedoch nur mit einer politischen Gegenoffensive zurückgewiesen werden.
Diese Offensive führen wir von den IYSSE gerade anlässlich der Wahlen zum Studierendenparlament an der Humboldt-Universität. Zwei Fragen, die in der Kampagne gegen die TU-Präsidentin im Mittelpunkt stehen, wollen wir in unseren nächsten Veranstaltungen diskutieren: „Wie weiter im Kampf gegen Polizeigewalt und Völkermord?“ (11. Juni, 19:00 Uhr) und „Der falsche Vorwurf des Antisemitismus und die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen an der HU“ (17. Juni, 19:00 Uhr), beide im Audimax II am Campus Nord der HU.
In unserer Wahlerklärung betonen wir:
Wir werden nicht zulassen, dass Kriegsgegner an der HU mundtot gemacht werden und die Uni in eine Kaderschmiede des deutschen Militarismus verwandelt wird.
Dasselbe muss für die TU und alle deutschen Hochschulen gelten. Doch Studierende und Unibeschäftigte allein können weder das Massaker in Gaza noch die Kriegseskalation in der Ukraine stoppen, wie wir in unserem Wahlaufruf schreiben:
Die einzige soziale Kraft, die in der Lage ist, den Genozid zu beenden und die demokratischen Rechte zu verteidigen, ist die internationale Arbeiterklasse, die große Mehrheit, die den ganzen Reichtum der Gesellschaft schafft. Als Jugendorganisation der Vierten Internationale stehen wir für die Vereinigung der Arbeiter über alle nationalen, religiösen und ethnischen Grenzen hinweg im Kampf gegen Kapitalismus und Krieg.
Die brutale Gewalt gegen Kriegsgegner zeigt gerade, dass es sinnlos ist, Appelle an die Regierung zu richten. Ein Weltkrieg kann nur verhindert werden, wenn der Kapitalismus gestürzt und durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzt wird, in der die Bedürfnisse der Menschen vor den Profitinteressen stehen.