Die folgende Rede hielt Keith Jones, nationaler Sekretär der Socialist Equality Party (Kanada), am Samstag, den 4. Mai auf der internationalen May Day Online-Rally 2024.
Es gibt Ereignisse, die auf einen Schlag tiefe Wahrheiten über ein komplexes soziales Phänomen offenbaren, das die herrschende Klasse bisher durch Mystifizierung und Lügen sorgsam verschleiert hielt. Ein solcher Vorfall ereignete sich am 22. September letzten Jahres, als das kanadische Parlament und die versammelten Würdenträger, darunter der ukrainische Präsident Selenskyj und die diplomatischen Vertreter von Kanadas G7-Verbündeten, sich wie ein Mann von den Sitzen erhoben, um den 98-jährigen ukrainischen Waffen-SS-Veteranen Jaroslaw Hunka mit einer stehenden Ovation zu ehren.
Angesichts des darauf folgenden internationalen Aufschreis behaupteten hernach alle – sowohl die liberale Regierung Kanadas, die die Unterstützung der Gewerkschaften genießt, als auch die Oppositionsparteien – dass ihre Würdigung des Nazis Hunka als eines „ukrainischen“ und „kanadischen Helden“ ein bedauerlicher Irrtum gewesen sei.
Welch erbärmlicher Betrug!
Die Rehabilitierung ukrainischer Faschisten, die mit den Nazis im Holocaust und im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion kollaboriert hatten, ist für die westlichen Imperialisten von zentraler Bedeutung. Es dient ihrem heutigen Ziel, Russland einzukreisen und zu unterjochen.
Ukrainische Rechtsextreme haben im Februar 2014 den Putsch angeführt, den Washington und Berlin mit Unterstützung Kanadas inszeniert hatten, um den demokratisch gewählten prorussischen Präsidenten des Landes zu stürzen.
Heute sind das Asow-Bataillon und andere faschistische Milizen vollständig in das ukrainische Militär integriert. Mit der Unterstützung von Ausbildern der kanadischen Streitkräfte dienen sie als Stoßtruppen der Ukraine im Nato-Krieg gegen Russland. Parteigänger des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera und seiner faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten besetzen heute im Selenskyj-Regime und im militärischen Sicherheitsapparat hohe Positionen. Sie sind die loyalsten Unterstützer Washingtons und Ottawas bei der Kriegsführung gegen Russland bis zum letzten Ukrainer.
Die Förderung der ukrainischen Faschisten durch die Nato-Mächte ergibt sich aus den räuberischen Zielen und Interessen, die sie mit ihrem Krieg gegen Russland verfolgen. Wie in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts führen die imperialistischen Mächte Krieg um Ressourcen, Märkte und strategische Regionen. Wie Vampire versuchen sie in einer Orgie von Tod und Zerstörung neue Energie zu tanken.
Die stehende Ovation für den Nazi-Kriegsverbrecher Hunka im kanadischen Parlament spricht auch für die überragende Rolle, die der kanadische Imperialismus bei der politischen und ideologischen Vorbereitung, Anstiftung und Umsetzung des US-Nato-Krieges gegen Russland spielt.
Wie die World Socialist Web Site ausführlich dokumentiert hat, unterhält der kanadische Imperialismus seit mehr als einem dreiviertel Jahrhundert ein Bündnis mit den ukrainischen Rechtsextremen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs bot Kanada Zehntausenden von ukrainischen Nazi-Kollaborateuren Zuflucht, darunter Waffen-SS-Veteranen wie Hunka und Anhänger der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten und der Ukrainischen Aufständischen Armee.
Um die Außenpolitik Kanadas im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu fördern und die starken linken Sympathien unter vielen ukrainischen Einwanderern zu unterdrücken, half Ottawa den ukrainischen Faschisten, ihre Verbrechen zu beschönigen und einen virulent antibolschewistischen und antirussischen ukrainischen Nationalismus zu propagieren. Um es mit den Worten des bekanntesten kanadisch–ukrainischen Historikers zu sagen: Der von der Regierung gegründete und finanzierte Ukrainisch-Kanadische Kongress stellte die „Verherrlichung“ des Faschisten Bandera und seiner Anhänger „ins Zentrum des ukrainischen nationalen Identitätsprojekts“.
Zu denjenigen, die nach der Auflösung der UdSSR durch die stalinistische Bürokratie halfen, diesen rechtsextremen, westlich-imperialistisch ausgerichteten Nationalismus zurück in die Ukraine zu bringen, gehört auch Chrystia Freeland. Sie ist selbst Enkelin eines führenden ukrainischen Nazi-Kollaborateurs und heute Kanadas stellvertretende Premierministerin.
Bei der Ukraine-Kriegshetze der liberalen Trudeau–Regierung steht Freeland an erster Stelle.
Die Ereignisse der letzten sieben Monate bestätigen auf erschreckende Weise, was die Hunka-Affäre wie im Mikrokosmos enthüllt hat: die räuberische Natur und den gewalttätigen, barbarischen Kurs des kanadischen und weltweiten Imperialismus.
Die kanadische herrschende Klasse steht voll und ganz hinter dem völkermörderischen Angriff Israels auf die Palästinenser in Gaza. Das massenhafte Abschlachten von Zivilisten durch 2.000-Pfund-Bomben, die systematische Zerstörung der zivilen Infrastruktur, das Einebnen ganzer Stadtteile, das Aushungern der Bevölkerung im Gazastreifen –all das wird im Namen von Israels sogenanntem „Recht auf Selbstverteidigung“ gerechtfertigt.
Unterdessen integriert sich Kanada immer stärker in den globalen Krieg des US-Imperialismus gegen Russland und China und für die uneingeschränkte Herrschaft über den Nahen Osten.
Anfang dieses Monats legte die Trudeau-Regierung eine Aktualisierung der Verteidigungspolitik vor und kündigte damit zusätzliche Militärausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe für das nächste Jahrzehnt an. Wie es heißt, müsse Kanada über die militärischen Fähigkeiten verfügen, auf allen Kontinenten und Ozeanen Krieg zu führen, um die „globale Stabilität“ und die vom Westen auferlegte „internationale Ordnung“ zu wahren.
Das gleiche Establishment, das den Nazi-SS-Veteranen Hunka gefeiert hat und die ukrainischen Faschisten als wertvolle Verbündete betrachtet, verleumdet die laufenden Massenproteste gegen den Völkermord in Gaza und gegen die Mitschuld Kanadas an dem Gemetzel als „antisemitisch“. Unverfroren geht die Regierung daran, die Proteste zu kriminalisieren und zu unterdrücken.
Schon früher wurde versucht, alle Versammlungen zu stören und zu verhindern, die sich gegen den von dem USA und der Nato angezettelten Krieg in der Ukraine richten.
Im vergangenen Juni haben die IYSSE und die SEP die erste öffentliche Versammlung gegen den Ukrainekrieg in Kanadas bevölkerungsreichster Stadt, Toronto, abgehalten. Sie trotzten damit einer konzertierten Zensur, die von Ontarios Arbeitsminister und dem staatlich unterstützten rechtsextremen Ukrainisch-Kanadischen Kongress ausging.
Die größte Angst der kanadischen herrschenden Klasse – wie auch die ihrer imperialistischen Partner und Rivalen – besteht darin, dass der wachsende Aufschwung der Arbeiterklasse von einer echten Antikriegsperspektive, d. h. einer sozialistischen internationalistischen Perspektive durchdrungen wird.
Arbeiter aus allen Bereichen der Wirtschaft, darunter mehr als eine halbe Million Beschäftigte des öffentlichen Sektors in Quebec, Hafenarbeiter an der Westküste, Supermarktverkäuferinnen, Bundesbedienstete und Metallarbeiter, haben in den letzten 12 Monaten die Arbeit niedergelegt. Sie wehren sich gegen die staatlich gewollten, inflationsbedingten Reallohnkürzungen und die Abschaffung jahrzehntelanger Errungenschaften. Allein im letzten Jahr gab es mehr Streiks als in den sechs vorangegangenen Jahren zusammen.
Eine wichtige Rolle spielen die deutlich härteren Tarifverhandlungen, bei denen die Gewerkschaften gerne nachgiebiger wären, und die immer einflussreicheren Aktionskomitees, die der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) angeschlossen sind. Es sind dies deutliche Anzeichen einer Rebellion gegen die korporatistischen Gewerkschaften. Sie kann jedoch nur als unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse erfolgreich sein, die den Kampf um die Arbeitermacht aufnimmt.
Die staatlich geförderten Gewerkschaftsapparate unterdrücken systematisch den Klassenkampf. Dies zeigt sich im Bündnis, das die Gewerkschaften mit der NDP und der liberalen Regierung unterhalten. Damit unterstützen sie einen Zweifrontenkrieg der Trudeau-Regierung, die der Ukraine Waffen in Milliardenhöhe liefert und den Völkermord in Gaza unterstützt, während sie gleichzeitig die Ausbeutung der Arbeiter im eigenen Land durch Sparmaßnahmen und Lohnkürzungen verschärft.
Als im Jahr 1934 Kriegswolken aufzogen, erklärte Trotzki, dass unsere Aufgabe darin besteht, nicht der Karte des Krieges zu folgen, sondern der Karte des Klassenkampfs.
Sechs Jahre später, als der Zweite Weltkrieg ausbrach – ein Krieg, der unvermeidlich geworden war, weil die stalinistische Bürokratie die revolutionären Bestrebungen der Arbeiterklasse in Spanien, Frankreich und anderswo unterdrückte – erklärte Trotzki: „Die revolutionäre Partei basiert ihre ganze Politik auf das Klassenbewusstsein der Arbeiter; die Komintern ist mit nichts anderem beschäftigt, als dieses Klassenbewusstsein zu verderben und zu vergiften.“
Der krisengeschüttelte globale Kapitalismus stürzt die Menschheit in den Abgrund und treibt Arbeiter und junge Menschen auf der ganzen Welt in den Widerstand. Wenn die Arbeiterklasse siegen soll, muss sie vom Verständnis durchdrungen sein, dass die objektive Logik ihres Widerstandes gegen Krieg, Reaktion und soziale Ungleichheit zur sozialistischen Weltrevolution führt.
Die Arbeiterklasse muss sich mit einer revolutionären Führung und Strategie bewaffnen, die auf den Lehren der Geschichte beruht. Es gibt keine bessere Art, den Ersten Mai 2024 zu feiern, als sich dieser Aufgabe zu stellen und dem IKVI beizutreten.
Mehr lesen
- Faschismus und imperialistischer Krieg – Warum das kanadische Parlament einem ukrainischen SS-Veteranen huldigt
- Eine Fallstudie über imperialistisches Gangstertum: USA und Kanada setzen ihren haitianischen Marionettenherrscher ab
- Kanada: Siebentägiger Streik von 420.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst