Streikende Boeing-Mechaniker verurteilen das „beste und letzte Vertragsangebot“ des Unternehmens

An einem Streikposten der Boeing-Mechaniker, Renton (Washington)

Am Montag unterbreitete der Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing den 33.000 Mechanikern, die seit elf Tagen streiken, sein „bestes und letztes Vertragsangebot“. Der neue Vorschlag ist nicht besser als der erste, den 95 Prozent der Arbeiter abgelehnt hatten, obwohl die Bürokraten der International Association of Machinists (IAM) den Vorschlag einstimmig billigten.

Das Angebot sieht eine Lohnerhöhung um 30 statt 25 Prozent über vier Jahre und eine Erhöhung des Antrittsgelds von 3.000 auf 6.000 Dollar vor. Das Unternehmen erklärt, es werde auch die jährliche AMPP-Bonuszahlung (Aerospace Machinists Performance Program) wieder einführen; allerdings will es gleichzeitig jegliche Ausgleichszahlungen für das 401-(K)-Programm, eine private, von der Gewerkschaft IAM verwaltete Altersvorsorge, einstellen. Stattdessen wird Boeing die Beiträge für seinen eigenen 401-(K)-Rentenplan geringfügig erhöhen.

Nicht wiederhergestellt wird die unternehmensfinanzierte Betriebsrente (auch bekannt als Defined Benefit Pension Plan). Im Jahr 2014 hatten das Unternehmen und der IAM-Apparat den Arbeitern erklärt, dass sie auf dieses grundlegende Recht verzichten müssten. Andernfalls würde das Unternehmen seinen Betrieb in gewerkschaftsfreie Bundesstaaten verlagern. Die Wiederherstellung der Betriebsrente ist eine der Hauptforderungen der Arbeiter.

Die Arbeiter fordern außerdem eine Lohnerhöhung um mindestens 40 Prozent, da ihre Löhne seit zehn Jahren nicht mehr erhöht wurden und es davor nur minimale Erhöhungen gab. Selbst 40 Prozent würden den Anstieg der Lebenshaltungskosten nicht ausgleichen, die seit der Unterzeichnung des letzten Tarifvertrags im Jahr 2008 um 46 Prozent gestiegen sind.

Provokativ erklärte das Unternehmen, sein aktueller Vorschlag müsse bis Freitag, den 27. September, ratifiziert werden.

Der Vorschlag stieß bei den Beschäftigten auf breite Ablehnung. Sie erklärten, sie seien entschlossen, durchzuhalten und ihre Forderungen durchzusetzen.

Ein streikender Arbeiter sagten einem Team der World Socialist Web Site: „Wir werden nicht für die Fehler von Boeing bezahlen. Wenn der neue Vorstandschef genug Geld für ein neues Haus im Wert von 4,1 Millionen Dollar bekommt, dann kann das Unternehmen auch uns zahlen, was es uns schuldet.“

Auch in den sozialen Netzwerken gab es massive Opposition.

„Sie haben 3.000 draufgelegt. Fünf Prozent Lohnerhöhung. 100 % auf 8 % und 4 % Beitrag für 401k, den sie vorher hatten. Außerdem haben sie die 44 Cent COLA (Teuerungsausgleich) gestrichen und in die fünfprozentige Lohnerhöhung gesteckt, die jetzt 30% statt 25% beträgt.

Ansonsten sind sie auf nichts eingegangen. Das ist Müll, und die Leute sollten mit Nein stimmen.

Zwei Treffen zwischen Boeing und der Gewerkschaft mit einem Schlichter, und nichts passiert, und plötzlich bekommen wir einen Tarifvertrag angeboten? Sie wollen uns reinlegen. Bleibt stark.“

Ein anderer schrieb: „Die anderen Dinge, um die wir uns Sorgen machen, haben sie nicht mal erwähnt. Die neue Vorschrift, ,ruft an bevor eure Schicht beginnt, oder ihr bekommt einen Eintrag‘, ist ein Schlag für alle, die einen Notfall haben oder in einem Gebiet ohne Telefon leben. Diese Vorschrift gehört abgeschafft. Dass man 90 Tage lang keinen Schutz durch die Gewerkschaft hat, muss angegangen werden. Neu eingestellte Arbeiter sollten keine Gewerkschaftsbeiträge zahlen müssen, wenn sie nicht geschützt sind. Mir persönlich wäre es aber lieber, wenn sie geschützt wären. Obligatorische Überstunden sind noch immer in Kraft und erfordern nur eine sehr kurze Vorwarnung.

Es wird auch weiterhin nichts für Leute getan, die am Limit sind. Keine Erhöhung der Urlaubs- oder Krankentage. Nichts, was die verlorenen Renten oder die stagnierenden Löhne der letzten 16 Jahre ausgleicht.“

Die IAM-Führer behaupten, Vertreter von Boeing hätten den Verhandlungsausschuss der IAM umgangen und das Angebot direkt per E-Mail an die Mitglieder geschickt. Nachdem sie sich am Montag neun Stunden lang in schuldbewusstes Schweigen gehüllt hatten, veröffentlichten die Funktionäre des IAM-Distrikts 751 endlich eine Erklärung, in der sie versuchten, sich von dem zweiten Vorschlag zu distanzieren – zweifellos, weil sie die starke Opposition gesehen haben und wussten, dass dieser Vorschlag bei einer weiteren Abstimmung niemals durchkommen würde.

In der Streikmitteilung der Gewerkschaft heißt es dazu: „Euer Verhandlungsausschuss hat über dieses Angebot nicht diskutiert und hat keine Informationen darüber.“ Funktionäre des Distrikts 751 erklärten, sie hätten das Unternehmen mehrfach aufgefordert, die am 18. September gescheiterten Verhandlungen unter der Leitung eines staatlichen Vermittlers wieder aufzunehmen, doch das Unternehmen habe sich geweigert. Weiter hieß es: „Diese Taktik der direkten Ansprache ist ein schwerer Fehler, gefährdet den Verhandlungsprozess und ist ein Versuch, den gewerkschaftlichen Verhandlungsausschuss zu umgehen.“

Die Gewerkschaftsfunktionäre beklagten sich nicht über den faulen Charakter des neuen Vorschlags, sondern darüber, dass ihnen die Ratifizierungsfrist bis Freitag „nicht genug Zeit gibt, den Mitgliedern Details vorzulegen oder auch nur alle Wahllokale zu sichern. ... Das Unternehmen hat sich geweigert, sich zu weiteren Gesprächen zu treffen, daher werden wir am 27. nicht abstimmen.“

Die angebliche Sorge der IAM-Bürokraten um die demokratischen Rechte der Belegschaft ist pure Heuchelei. Die viertägige Frist ist genauso lang wie die, welche die IAM-Funktionäre den Arbeitern zur Abstimmung über den ersten Tarifvertrag gegeben haben. Details über den Tarifvertrag zu verheimlichen, ist der übliche Modus Operandi der Gewerkschaftsbürokratie.

In ihren „Verhandlungen“ hinter verschlossenen Türen mit Boeing und dem staatlichen Schlichter haben die IAM-Funktionäre bereits deutlich gemacht, dass sie umfangreiche Zugeständnisse akzeptieren werden. Dies hatte auch das Wall Street Journal in einem Artikel über den neuen Vorschlag geschrieben: „Das neue Angebot sieht keine Wiederherstellung der 2014 abgeschafften Renten vor. Die Gewerkschaftsführung hat erklärt, sie wolle die Renten zwar zurückgewinnen, räumte aber ein, dass sie wahrscheinlich Kompromisse eingehen müsse.“

In ferner Vergangenheit reagierten die Gewerkschaften auf Versuche des Managements, die Arbeiter einzuschüchtern und zur Rückkehr an die Arbeit zu zwingen, um einen Streik zu brechen, mit einer öffentlichen Verurteilung, mit Aufrufen zur Unterstützung durch andere Gewerkschaften oder sogar einer Ausweitung der Streiks. Von den IAM-Bürokraten kommt heute jedoch nichts Derartiges.

Die Arbeiter müssen als Reaktion darauf ihre demokratische Kontrolle über den Streik und die Tarifverhandlungen durchsetzen. Das Boeing Workers Rank-and-File Committee hat mehrfach erklärt, dass die Isolierung des Streiks durch die IAM-Bürokratie durchbrochen werden muss und direkte Aufrufe zu gemeinsamen Aktionen an die Arbeiter in Häfen, bei der Bahn, den Fluggesellschaften, der Autoindustrie, den öffentlichen Schulen und in anderen Branchen gerichtet werden müssen, um gemeinsam zu handeln und diesen Kampf zu gewinnen.

Die Bedingungen für einen solchen gemeinsamen Kampf entstehen überall. Am Montag legten 5.000 IAM-Mitglieder bei Textron Aviation in Wichita (Kansas) die Arbeit nieder, nachdem eine überwältigende Mehrheit von ihnen einen Tarifvertrag abgelehnt hatte. Dieser Ausverkaufsvertrag, den IAM-Funktionäre als „einen der besten Verträge seit Jahrzehnten“ bezeichnet hatten, war fast identisch mit dem, den die Boeing-Arbeiter abgelehnt haben.

Darüber hinaus laufen am 30. September im Bundesstaat Washington die Tarifverträge von 50.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst und von 45.000 Hafenarbeitern an der Ostküste aus. Die Lehrkräfte in Seattle kämpfen derzeit gegen Schulschließungen und Etatkürzungen.

Die Einheit der Arbeiterklasse wird nicht von oben durch die Gewerkschaftsbürokratie geschaffen, sondern durch die Ausweitung der Aktionskomitees.

Das Unternehmensmanagement steht unter starkem Druck der Wall Street, den Streik so schnell wie möglich niederzuschlagen. Laut einer Schätzung der Bank of America kostet der Streik das Unternehmen 50 Millionen Dollar pro Tag. Kreditratingagenturen wie Fitch Ratings haben obendrein bereits gedroht, die Kreditwürdigkeit von Boeing herabzustufen, falls der Streik „mehr als eine oder zwei Wochen andauert“. Boeings Kreditwürdigkeit ist bereits jetzt durch den massiven Lieferrückstand und die Schulden in Höhe von 60 Milliarden Dollar sehr niedrig.

Das Unternehmen weiß genau, dass die IAM-Führung nichts tun wird, um den Streik auf breitere Teile der Arbeiterklasse auszuweiten, und dass sie genauso darauf bedacht ist, die Arbeiter zu zermürben und den Streik zu beenden wie das Management. Deswegen erhöht das Unternehmen durch sein „letztes“ Angebot den Einsatz.

Das Management und die reichen Investoren von Boeing haben nicht die Absicht nachzugeben. Die Redaktion des Wall Street Journal, die für die Finanz- und Wirtschaftselite spricht, forderte Boeing letzte Woche auf, die Produktion aus Washington, wo die meisten gewerkschaftlich organisierten Arbeiter beschäftigt sind, in andere Bundesstaaten zu verlagern.

In dem Leitartikel hieß es: „Der Streik rechtfertigt Boeings Entscheidung von 2011, einen Teil der Produktion in eine nicht gewerkschaftlich organisierte Fabrik in North Charleston (South Carolina) zu verlagern und könnte es dazu anspornen, künftig mehr Flugzeuge dort zu produzieren. Die Zahl der Beschäftigten in der Produktion in der Metropolregion Seattle ist in den letzten zehn Jahren um 19.300 gesunken, während sie rund um North Charleston um 10.200 gestiegen ist.“

Weiter hieß es provokativ:

„Den Boeing-Arbeitern würde es langfristig besser gehen, wenn sie nach South Carolina umziehen würden.“

Die IAM-Führung spricht sich jetzt zwar öffentlich gegen eine Abstimmung aus, würde sie aber mitmachen, wenn sie zu der Ansicht käme, man habe die Arbeiter weich genug gekocht, um einen Abschluss zu akzeptieren. Stattdessen sagen der Präsident von Distrikt 751, Jon Holden, und der Rest der Bürokratie praktisch den Unternehmern: „Handelt nicht ohne uns! Gebt uns die Chance, die Arbeiter mit 250 Dollar Streikgeld pro Woche so auszuhungern, dass sie sich unterwerfen, dann setzen wir eure Zugeständnisse durch!“

Genau das hat die Bürokratie der United Auto Workers in den letzten Jahren bei Volvo Trucks, Mack Trucks, CNH und anderen Unternehmen getan, die während Streiks „letzte, beste und endgültige“ Abmachungen angeboten haben. In diesen Fällen haben UAW-Präsident Shawn Fain und der Rest der UAW-Bürokratie gemeinsam mit den Unternehmen die Arbeiter erpresst und ihnen erklärt, sie hätten keine andere Wahl als die Abmachung zu akzeptieren, da das Unternehmen ansonsten möglicherweise Streikbrecher einstellen würde, um sie zu ersetzen.

Die Eskalation des Angriffs auf die Boeing-Arbeiter wird auch von der Biden/Harris-Regierung uneingeschränkt unterstützt. Sie will verhindern, dass der Streik die Waffenlieferungen an Israel und die Ukraine sowie die militärische Aufrüstung der USA gegen China beeinträchtigt. Fast 40 Prozent der Einnahmen von Boeing stammen vom US-Militär.

Die Boeing-Arbeiter können nicht alleine gegen diesen riesigen Konzern kämpfen, der von beiden Parteien des Großkapitals uneingeschränkt unterstützt wird. Das Boeing Workers Rank-and-File Committee muss ausgeweitet werden, und Delegationen streikender Arbeiter müssen zu den Häfen, der Eisenbahn und zu anderen Unternehmen geschickt werden, um Unterstützung für einen Sieg in diesem entscheidenden Kampf aufzubauen.

Der Vizepräsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party, Jerry White, schrieb auf X/Twitter:

Der Streik von 33.000 Boeing-Arbeitern in Washington, Oregon und Kalifornien befindet sich in einer kritischen Phase. Mit der Bekanntgabe ihres „letzten“ Vertragsangebots versuchen die Boeing-Vorstände und ihre Hintermänner von der Wall Street, die Arbeiter einzuschüchtern, zu spalten und zu zwingen, eine aufgewärmte Version des Vertrags zu akzeptieren, den die Arbeiter zuvor mit 95 Prozent abgelehnt haben.

Die IAM-Funktionäre haben zwar erklärt, sie würden nicht über den Vorschlag abstimmen lassen, aber nur, weil sie wissen, dass die Arbeiter ihn nicht akzeptieren werden. Hinter den Kulissen haben IAM-Vertreter bereits zugestimmt, die wichtigsten Forderungen der Arbeiter aufzugeben, einschließlich der Wiederherstellung der Renten.

Laut dem Office of Financial Management von Washington sind die Durchschnittspreise für Häuser in diesem Bundesstaat um etwa 142 Prozent von 253.800 Dollar vor zehn Jahren auf 613.000 Dollar im Jahr 2023 gestiegen. Dennoch werden junge Arbeiter, die Flugzeuge bauen, für etwa 20 Dollar Stundenlohn eingestellt, während altgediente Arbeiter seit mehr als zehn Jahren keine Lohnerhöhung mehr erhalten haben.

Der Streik muss in eine mächtige industrielle und politische Gegenoffensive der Arbeiterklasse gegen den jahrzehntelangen Niedergang ihres Lebensstandards verwandelt werden, an der sich die Wirtschafts- und Finanzoligarchie bereichert hat. Das Boeing Workers Rank-and-File Committee muss ausgeweitet werden, und die Boeing-Arbeiter müssen sich mit den streikenden Arbeitern bei Textron Aviation, den Hafenarbeitern an der Ostküste, den Eisenbahnern und anderen Arbeitern zusammenschließen, um diesen entscheidenden Kampf zu gewinnen.

Der Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung muss verbunden werden mit einem Kampf gegen die Kriege, die der globalen Vorherrschaft des US-Imperialismus dienen, und gegen die Gefahr von Faschismus und Diktatur. Die einzige Lösung dafür ist der Kampf für den Sozialismus, einschließlich der Umwandlung der Riesenkonzerne wie Boeing in öffentliche Versorgungsbetriebe in kollektivem Besitz und unter demokratischer Kontrolle der Arbeiterklasse, um einen sicheren Flugverkehr für alle zu gewährleisten.

Beteiligt euch an den Aktionskomitees und kämpft gegen den Ausverkauf durch die Gewerkschaften! Meldet euch über das untenstehende Formular!

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