Auf dem zweiten Treffen des Aktionskomitees VW wurden grundlegende Fragen der Kolleginnen und Kollegen diskutiert und beantwortet. Sie reichten von der Einschätzung der aktuellen Krise bei VW und in der gesamten Autoindustrie über die Umsetzung praktischer Solidarität bis hin zur Notwendigkeit, die VW-Belegschaften aller Werke und Länder unabhängig zu organisieren.
„Die VW-Konzernspitze hält daran fest, ihren Kahlschlag durchzusetzen. Zwei bis fünf Werke stehen laut Medienberichten zur Disposition.“ Mit diesen Worten leitete Dietmar Gaisenkersting die Diskussion ein. Kurz zuvor war die Nachricht reingekommen, dass Porsche keine weiteren Aufträge an Osnabrück geben wird. Noch bis Anfang 2026 produzieren die Osnabrücker das T-Roc Cabriolet sowie zwei Porsche-Modelle. Aufgrund von Absatzrückgängen bei Porsche – vor allem in China – bleiben Folgeaufträge für das ehemalige Osnabrücker Karmann-Werk aus.
„Das heißt, das kleinste der Produktionswerke in Osnabrück hat ab Anfang 2026 eigentlich keinerlei Aufträge mehr“, so Gaisenkersting. „Das ist mit Sicherheit eins der Werke, um das gekämpft werden muss.“
Aber die IG Metall mache überhaupt keine Anstalten, einen Kampf aufzunehmen. Sie versuche, die Belegschaften zu beruhigen und einzuschläfern. Laut Gewerkschaft sollen die Belegschaften auf die Verhandlungen der IG Metall und ihres Betriebsrates vertrauen, sie sollen abwarten.
In der anschließenden Diskussion waren sich alle einig, dass dies keine Option ist und man sofort aktiv werden muss. Über das wie und warum wurde dann intensiv diskutiert.
Absatz- oder kapitalistische Weltkrise?
Ein VW-Kollege aus Hannover berichtete über Diskussionen mit seinen Kollegen über die aktuelle Situation. „Wir haben in unserer Produktion einen Personalüberhang seit dem Auslaufen des T 6, das ist der VW Kastenwagen, Ende Juni, Anfang Juli“, berichtete er. Jetzt würden der ID-Bus und der T 7 gebaut. „Da sind die Verkaufszahlen aber massiv eingebrochen. Also da muss was geschehen.“
Er und seine Kollegen glauben, dass der Automarkt zwar aktuell schwächele, aber das er sich bestimmt auch wieder erhole. „VW hat letztes Jahr über 9 Millionen Autos verkauft und 22 Milliarden Euro als operatives Ergebnis erzielt [knapp 18 Milliarden Gewinn].“ Auch 2024 werde vermutlich nicht viel schlechter. „Ich weiß auch, dass das eine ernste Lage ist, aber ich glaube nicht, dass es so ernst ist. Oder dass es notwendig ist, Werke zu schließen.“
Den Grund für die Krise VWs sehen er und seine Kollegen eher in Fehlern des Managements. „Und damit meine ich nicht nur die Fehler in Bezug auf die ‚Dieselthematik‘, wie das bei uns heißt. Mein eigentliches Problem ist, dass sowohl die IG-Metall-Vertreter als auch die Konzernmanager standardmäßig mit Sparmaßnahmen beim Personal darauf reagieren, anstatt echte Lösungen zu finden.“
In Hannover ginge das „Waschkauengerücht“ um, dass sie Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres auf die Vier-Tage-Woche zurückkehren wie in den 90er Jahren. Das hatte Betriebsratschefin Daniela Cavallo bereits vorgeschlagen, um über diesen Mechanismus Lohnsenkungen für die Arbeiter und Personalkostensenkungen für den Konzern zu organisieren. „Aber die Vier-Tage-Woche wird dem Konzern nicht reichen“, ergänzte er.
Ein anderer Kollege betonte hingegen, dass „wir nicht bloß mit einer Absatzkrise konfrontiert sind, sondern dass im Moment ein gewaltiger Konkurrenzkampf zwischen den verschiedensten Automobilkonzernen auf dem ganzen Erdball vor sich geht“. Und dies wiederum sei Teil einer internationalen Wirtschaftskrise in allen Branchen.
„In dieser systemischen Krise kämpfen jetzt alle um schwindende Marktanteile, und das auf dem Rücken der Beschäftigten“, ergänzte Gaisenkersting.
Nach intensiver Diskussion kamen alle überein, „dass wir es nicht mit einer Wirtschaftsflaute, sondern mit einem echten Umbruch zu tun haben“. Das sei „die Einsicht, die bei mir jetzt angekommen ist aus den Gesprächen“, schloss der Kollege aus dem Hannoveraner Nutzfahrzeugwerk.
Ein anderer betonte, dass diese Einschätzung wichtig sei. „Wenn man das Ausmaß dieser Krise versteht, dann weiß man auch, dass alle davon betroffen sind.“ Dann könne man auch wirklich Solidarität organisieren, weil die dann zur praktischen Notwendigkeit werde.
Wie sieht konkrete Solidarität aus?
Die aktuell mangelnde Solidarität unter den Kollegen war ein weiterer wichtiger Punkt der Diskussion. Ein Kollege aus Wolfsburg berichtete, dass bei ihnen im Werk alle fest davon ausgehen, dass ihr Werk nicht geschlossen werde. Es beträfe wohl andere, Osnabrück, vielleicht auch Emden oder Zwickau. „Das erschreckt mich wirklich.“
Mehrere Kollegen berichteten, auch zwischen den Stammbeschäftigten und den Leiharbeitern existiere keine Solidarität.
„Und das wäre für mich die Frage“, schloss einer an. „Die Situation scheint ja für viele eigentlich ziemlich klar zu sein, dass es starke Einschnitte für die Arbeitnehmer geben wird. Was kann man da als Einzelner tun? Wie gehe ich da am besten vor?“
Ulrich Rippert, Ehrenvorsitzender der SGP, erklärte, dass dazu das Aktionskomitee gegründet worden sei. „Wir müssen die Initiative ergreifen, um diese Solidarität zu schaffen.“ Das Aktionskomitee sei dazu da, die Kollegen aller Standorte zusammenzuschließen. „Die Gewerkschaft und der Betriebsrat machen das nicht, sie versuchen zu spalten, wo sie nur können.“ Das Aktionskomitee habe sich daher zur Grundlage gemacht: „Ein Angriff auf einen Standort ist ein Angriff auf alle.“
„Wir müssen dieses und andere grundlegenden Prinzipien von Arbeitersolidarität mit vielen Kollegen diskutieren und nicht nachgeben“, sagte Rippert. „Wie wollen wir denn unsere Arbeitsplätze in Hannover verteidigen, wenn wir uns einen feuchten Kehricht kümmern um den Arbeitsplatzverlust unserer Kollegen an anderen Standorten“, fragte Gaisenkersting. Man könne nicht allein einem Konzern entgegentreten, der weltweit 114 Werke betreibe und drohe, die Produktion zu verlagern.
Der Kollege aus Hannover ergänzte, dass es „schon für einige Leute, mit denen ich gesprochen habe, wichtig ist, Solidarität zu organisieren“; dass sich „alle zusammentun und gegen die Unternehmensführung unsere Interessen durchsetzen“.
Die Interessen der Leiharbeitskollegen anderer Werke und auch der Beschäftigten bei den Zulieferern müssten berücksichtigt werden. „Wir müssen auch deren Rechte schützen und unterstützen. Denn wenn wir nicht zusammenhalten, wenn wir die anderen in Not nicht unterstützen, dann sind sie weg und wir stehen hinterher immer schwächer da als zuvor.“ Dieses Verständnis müsse man „transportieren, den anderen Kollegen verklickern“.
Das ginge nur im Kampf gegen die IG Metall und deren Betriebsrat, schloss Rippert. „Die haben diese Entsolidarisierung bewusst geschaffen in den letzten Jahrzehnten. Ihre Beschwörungen der Solidarität, die sie gerne am 1. Mai kundtun, sind hohle Phrasen ohne konkreten Inhalt.“
Krieg und Kahlschlag in den Betrieben
„Es gibt eine Opposition in den Werken“, fasste Gaisenkersting zusammen. „Aber die Opposition hat noch keinen Ausdruck. Das Aktionskomitee muss diese Opposition artikulieren und auf eine feste Grundlage stellen, mit der die Belegschaften gegen die Angriffe angehen können.“
Daher betonte er noch einmal den Zusammenhang der Angriffe bei VW mit der eskalierenden Kriegsentwicklung. „Krieg ist die Fortsetzung des Wirtschaftskriegs mit anderen Mitteln“, erinnerte er. Der Handelskrieg, der Konkurrenzkampf in der Automobilindustrie habe seine Entsprechung in den Kriegen. Damit setzen die großen imperialistischen Nationen, allen voran die USA und Deutschland, ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen mit militärischer Gewalt durch. Sie streben die Neuaufteilung der Welt an, zum dritten Mal. „Deswegen sagen wir immer, der Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze muss einhergehen mit dem Kampf gegen Krieg.“
Die Verteuerung der Produktionskosten durch steigende Energiepreise, der Rückgang der Reallöhne durch die Inflation, die sozialen Kürzungen, weil die Ampel-Koalition fast jeden Euro in Rüstung und Krieg steckt – das alles seien Folgen von Krieg und Aufrüstung, so Gaisenkersting.
Rippert ergänzte, man müsse das Selbstvertrauen der Arbeiter wiederaufbauen. Die jahrzehntelange Dominanz der Gewerkschaft habe im Wesentlichen die Arbeiter in Bittsteller verwandelt. „Wir müssen klarmachen, dass hier nichts existiert, was nicht durch uns Arbeiter geschaffen worden ist.“
Arbeiter seien keine Bettler, sie hätten Rechte. Das Recht auf Arbeit müsse durchgesetzt werden. „Deswegen müssen wir die Verteidigung der Arbeitsplätze an allen Standorten unter allen Bedingungen zum Prinzip erheben. Wenn uns die Unternehmer oder ihre Gewerkschaftslakaien sagen, das ginge aber nicht, dann sagen sie nur, dass ihr Gesellschaftssystem, das auf Profit aufgebaut ist, am Ende ist, nicht mehr funktioniert.“
So solle man auch Kollegen antworten, die sagen, die „Zeiten des Kommunismus“ seien angeblich vorbei. Die Zeiten seien nicht vorbei, sie seien hochaktuell. „Vorbei ist die Zeit der DDR und der späten Sowjetunion. Vorbei ist die Zeit des Stalinismus, der Diktatur die in diesen Ländern existiert hat“, so Rippert. Das war kein Sozialismus und schon gar nicht Kommunismus.
Diese geschichtlichen Fragen sowie die Erfahrungen der Arbeitskämpfe bei Opel in Bochum oder Ford in Saarlouis konnten nur kurz angesprochen werden. Sie werden weitergeführt auf den nächsten Treffen.
Alle Teilnehmer des Treffens waren anschließend hochmotiviert, das Aktionskomitee unter den VW-Beschäftigten bekannter zu machen. Der Kollege aus Hannover kündigte an, er werde persönlich für eine Alternative zur IG Metall bei seinen Kollegen eintreten. „Nach diesem Abend, nach diesen Gesprächen auch etwas forcierter.“
Das nächste Treffen ist am 15. Oktober um 19 Uhr. Meldet euch mit einer Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 und registriert euch gleich über das folgende Formular.