Gerade einmal zweieinhalb Jahre gibt es das Kleine Grosz Museum in Berlin. Das durch private Initiative entstandene Museum sollte eigentlich mindestens fünf Jahre bestehen. Aber kürzlich meldete der Trägerverein, dass es schon Ende November schließt.
Das Projekt erhielt zwar Förderungen, dennoch ließ sich der Betrieb nicht aufrechterhalten. Es bestehe eine zu große Lücke, um das Ziel zu erreichen, das Museum verlustfrei zu betreiben, teilte der Verein George Grosz in Berlin mit. Wie die Betreiber durchblicken ließen, konnte das Museum nur durch viel ehrenamtliches Engagement seiner Mitarbeitenden über die Runden kommen.
Die Schließung ist ein großer Verlust, denn gerade in der gegenwärtigen politischen, von Kriegen und Krisen gezeichneten Lage ist die Kunst des Malers, Grafikers und Karikaturisten Grosz von brennender Aktualität. Es ist eine Schande und offenbar ein Zeichen der Zeit, dass Berlin, die Stadt, in der Grosz 1893 geboren wurde, lange gelebt und gewirkt hat und 1959 gestorben ist, diese private Initiative nicht stärker unterstützt und sich zu eigen gemacht hat.
Georg Ehrenfried Groß, so sein eigentlicher Name, änderte aus Protest gegen die Englandhetze im Ersten Weltkrieg seinen Nachnamen in die anglisierte Form Grosz. Seine Familie lebt im Arbeiterviertel Wedding, aber nach dem frühen Tod des Vaters 1902 zieht die Mutter mit dem Sohn nach Stolp in Pommern (heute polnisch Słupsk), wo sie die Bewirtschaftung eines Offizierskasinos übernimmt. Dort hatte der Junge schon früh die Gelegenheit, die Physiognomie und das Gehabe der Militärs zu beobachten.
Die großen deutschen Museen haben in den letzten Jahrzehnten nur selten größere Ausstellungen der Werke von Grosz in ihr Programm genommen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte es bis 1964, bis in Westdeutschland auf der documenta III Handzeichnungen von Grosz zu sehen waren. Nach einigen kleineren Ausstellungen in Österreich und Deutschland, Ost und West, war die letzte umfassende Ausstellung seiner Werke, „George Grosz: Berlin – New York“, 1994/95 in Berlin und Düsseldorf zu sehen.
2018 nahm das Berliner Bröhan-Museum den hundertsten Jahrestag der Novemberrevolution zum Anlass, vor allem das umfangreiche graphische Werk aus den 1920er Jahren sowie einige Bilder seines Früh- und Spätwerks zu zeigen. Es war insofern sehr verdienstvoll und gerade in der heutigen Zeit sehr angemessen, für Grosz in Berlin ein Museum einzurichten. Grosz Werke sind auf viele Museen überall in der Welt verteilt, daher war es ein großes Verdienst, ihm endlich in Berlin ein Museum einzurichten, in dem seine Aktualität zur Geltung kommt.
Das Kleine Grosz Museum in der Schöneberger Bülowstraße 18, das in einer genial umgebauten ehemaligen Tankstelle untergebracht ist, liegt nicht weit vom Nollendorfplatz in dem Stadtgebiet, in dem Grosz sich in der Zeit zwischen Kaiserreich und der Machtübernahme der Nazis 1933 zu einem großen Teil seiner Kunst inspirieren ließ. In der Nähe befindet sich auch die Neue Nationalgalerie. In ihr hängt eines der bissigsten Gemälde von George Grosz, „Stützen der Gesellschaft“ (1926), das Staatsmacht, Justiz, Militär, Presse, Kirche und Sozialdemokratie als Vertreter der herrschenden Klasse karikiert.
Das Kleine Grosz Museum konnte in seinen Ausstellungen einen Fokus auf Teilaspekte des Schaffens von Grosz richten, welche, wie sein Wirken in den USA, hierzulande nicht sehr bekannt waren. Darüber hinaus informierte es durch eine multimediale Dauerausstellung über das Leben und Werk des Künstlers.
Das Museum konnte in seiner kurzen Lebensdauer einige sehr gut besuchte interessante Ausstellungen, wie die im vorigen Jahr gezeigte „1922: George Grosz reist nach Sowjetrussland“, präsentieren und damit den Künstler wieder in die Gegenwart holen, aber gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zu seiner historischen Einordnung liefern. In der ersten Jahreshälfte 2024 zeigte es eine Sonderausstellung: „George Grosz. A Piece of My World in a World Without Peace – Die Collagen“.
Die Betreiber meldeten, dass pro Jahr mehr als 30.000 Besucher in das Museum kamen. Das war das Verdienst des Vereins und seiner Initiative. Der Vorstandsvorsitzende des Vereins, Ralf Kemper, erklärte zwar: „Wir könnten mit dem Erreichten nicht zufriedener sein, denn George Grosz ist wieder in aller Munde.“ Der Co-Vorsitzende, Pay Matthis Karstens, ergänzte, man wolle „auf dem Höhepunkt schließen“. Dennoch lässt sich der Verlust nicht schönreden. Es steht zu befürchten, dass angesichts zunehmender Kürzungen im Kulturbereich gerade ein so politisch bedeutender Künstler wie George Grosz nicht allzu häufig ausgestellt wird.
Die gegenwärtig laufende Ausstellung „Was sind das für Zeiten? Grosz, Brecht & Piscator“ geht noch bis zum 25. November. Sie widmet sich der intensiven künstlerischen Zusammenarbeit zwischen George Grosz, dem Dichter und Dramatiker Bertolt Brecht und dem revolutionären Theatermacher Erwin Piscator.
Ein Höhepunkt dieser gemeinsamen Arbeit war 1927 die Inszenierung Piscators von Jaroslav Hašeks „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“ im Theater am Nollendorfplatz, die ein großer Erfolg wurde. Brecht hatte intensiv an der Dramatisierung des Romans mitgearbeitet. Die gemeinsame Arbeit aller drei Künstler gegen Militarismus, Spießertum und die Angriffe auf Kunst- und Meinungsfreiheit hat auch nach mehr als 100 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt.
Grosz lieferte Hunderte von Zeichnungen für das Stück. Die begleitend zur Aufführung veröffentlichte Mappe von Grosz führte zum längsten Kunstprozess der Weimarer Republik.
Dies war nicht das einzige Mal, dass die Justiz der Weimarer Republik den Künstler vor Gericht brachte. Schon 1921 war er auf Grund der Mappe „Gott mit uns“ wegen „Beleidigung der Reichswehr“ zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt worden. 1923 wurde er wegen „Angriffs auf die öffentliche Moral“ nach dem Unzuchtsparagrafen 184 StGB, angeklagt.
Ein Jahr später wurden Georg Grosz, sein Verleger Wieland Herzfelde und Julian Gumperz, ein Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung, zu einer Geldstrafe von jeweils 500 Mark verurteilt. Fünf Aquarelle und 17 Zeichnungen mussten aus der Mappe entfernt werden; die entsprechenden Platten und Formen sollten zudem unbrauchbar gemacht werden. 1927 bis 1932 musste sich Grosz fünfmal vor Gericht verteidigen. Einmal wurde er wegen Gotteslästerung angeklagt. Besonders übel nahm man ihm die Zeichnung „Maul halten und weiter dienen“, die Christus am Kreuz mit einer Gasmaske darstellt.
Wie kein anderer hat Grosz mit beißender Satire das hässliche, undemokratische Gesicht der deutschen Bourgeoisie und ihrer sozialdemokratischen Helfershelfer in der Weimarer Republik bloßgestellt.
Grosz hatte zu den Gründern der deutschen Dada-Bewegung gehört, die zunächst einmal alles Traditionelle in Frage stellte und Kunst und Kultur gründlich aufmischte. Aber im Zuge der Russischen Revolution und der revolutionären Bestrebungen der Arbeiter 1918/1919 begriff er sich als Vertreter der Kunst für eine neue Zeit. Zusammen mit seinen Freunden Wieland Herzfelde, John Heartfield und dem Theaterregisseur Erwin Piscator tritt Grosz 1919 der neugegründeten Kommunistischen Partei bei. Er wird Mitglied der Novembergruppe, einer Künstlervereinigung, die sich als radikal und revolutionär versteht und eng mit dem Arbeitsrat für Kunst zusammenarbeitet.
Da aber die Sozialdemokratie mit den alten Eliten paktierte und die Revolution verriet, sah er seine Aufgabe zunehmend darin, die Gefahren der Konterrevolution und der Heuchelei der neuen Machthaber aufzudecken.
Grosz‘ Karikaturen widerlegen die allgegenwärtige Propagandalüge, die Weimarer Republik sei die Geburtsstunde der deutschen Demokratie gewesen. Er zeigt vielmehr, wie sich hinter der demokratischen Fassade die Kräfte der Reaktion sammelten, wie in allen Poren des Staatsapparats die Konterrevolution lauerte, nachdem die Revolution niedergeschlagen und die Macht des Kapitals und des Militarismus gerettet worden waren.
Die Parallelen zur heutigen Situation liegen auf der Hand: Die sogenannten demokratischen Parteien und ihre Medien propagieren Nationalismus, Militarismus, Polizeistaat und Hetze gegen Migranten. Die Eliten fördern völkische Ideologen, die ungestraft ihren Fremdenhass ausbreiten können und ein Klima erzeugen, in dem Diktaturvorbereitungen gedeihen. Denn die Krise des Kapitalismus spitzt sich von Tag zu Tag weiter zu: Die angekündigten Massenentlassungen und die schreiende soziale Ungleichheit sind mit Demokratie nicht vereinbar.
Grosz war neben Otto Dix der von den Nazis bestgehasste Künstler. Kurz vor der Machtübernahme der Nazis konnte sich Grosz vor der Verhaftung als Staatsfeind in die USA absetzen, wo er zwar durchaus intensiv künstlerisch tätig war und ein umfangreiches Werk schuf. Aber viele seiner späten Werke drücken wie die Serie „Stickmen“ eine düstere Resignation aus.
In den 1940er Jahren fühlt er sich zunehmend ausgebrannt und leer. Seine Bilder mit dem Titel „Maler des Lochs“ (1947/48) sind ein Sinnbild für sein damaliges Lebensgefühl, voller trauriger Selbstironie scheint er der Meinung, dass der Maler in seinem Tun eigentlich keinen Sinn mehr sieht. Auch seine Rückkehr nach Berlin 1959 bedeutete keinen Neuanfang. Kurze Zeit danach starb er nach einem Treppensturz infolge von Trunkenheit.