Der neue Dokumentarfilm Julian Assange und die dunklen Geheimnisse des Krieges wurde am 5. Oktober auf dem Human Rights Film Festival Berlin (HRFFB) uraufgeführt. Das Werk wurde von der Filmemacherin Sarah Mabrouk und dem türkischen Journalisten Can Dündar gemeinsam gedreht.
In dem Film stellt Dündar Ähnlichkeiten zwischen seiner eigenen Behandlung als Journalist in der Türkei und der Verfolgung von Assange durch die britische und amerikanische Regierung fest.
Im November 2015 wurde Dündar, damals Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, zu einer Haftstrafe verurteilt, nachdem seine Zeitung über die „MİT-Lkw-Affäre“ berichtet hatte. Dabei ging es um die Entdeckung von Waffen in Lastwagen des türkischen Geheimdienstes (MİT) im Jahr 2014, von denen anzunehmen war, dass sie für die islamistischen Dschihadisten in Syrien bestimmt waren. Dündar wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, die nach weiteren Gerichtsverfahren auf zweimal lebenslänglich verlängert wurde. Außerdem konnte er nur knapp einem Mordversuch durch ein Mitglied einer mit der MİT verbundenen Mafiagruppe (ebenfalls im Film zu sehen) entkommen. Sehr zum Ärger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurde Dündar schließlich durch ein höchstrichterliches Urteil freigelassen und lebt derzeit im Exil in Deutschland.
Der Film beginnt damit, dass Dündar eine Nachbildung der zwei mal drei Meter großen Zelle betritt, die Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten Londons zugewiesen worden war. Nach seiner Entführung aus der ecuadorianischen Botschaft durch die britische Polizei im Jahr 2019 war Assange insgesamt fünf Jahre und drei Monate lang 23 Stunden am Tag in Einzelhaft in seiner winzigen Zelle eingesperrt. Dündar stellt fest, dass er in der autoritären Türkei besser behandelt wurde als Assange im vermeintlich „demokratischen“ Großbritannien.
Dündar bezeichnete Assange als „umstrittene Persönlichkeit“ und beschloss, sich in seinem Film auf die Botschaft und nicht auf den Überbringer zu konzentrieren, d. h. auf „The Iraq War Logs“, die von WikiLeaks veröffentlichten US-Militärberichte. Die Logs enthüllten die Tötung von 66.081 Zivilisten durch US-Streitkräfte im Rahmen der neokolonialen Invasion und Besetzung des Irak und brachten insbesondere das berüchtigte Video „Collateral Murder“ (Kollateralmord) ans Licht. Das Video zeigt, wie US-Soldaten in einem Apache-Hubschrauber während des Irak-Kriegs im Jahr 2007 in Bagdad Journalisten und irakische Zivilisten erbarmungslos niederschießen.
Dündar reist sowohl in die USA als auch in den Irak, um einen der beiden Überlebenden des tödlichen Angriffs ausfindig zu machen, den damals zehnjährigen Sajad Mutashar, und Ethan McCord (2010 von der WSWS interviewt), den US-Army-Soldaten, der den halbtoten Jungen und seine schwer verletzte dreijährige Schwester aus dem Wrack des von ihrem Vater gefahrenen Fahrzeugs zog. Der Vater der Kinder war zum Ort des Geschehens gefahren, um Opfer (darunter zwei Reuters-Journalisten) des mörderischen Hubschrauberangriffs zu retten. Für seinen Akt der Barmherzigkeit bezahlte Sajads Vater mit seinem Leben.
Zu den aufschlussreichsten Episoden des Films gehört die Aussage von McCord. Der aus Wichita (Kansas) stammende Mann erzählt, dass die Grausamkeit des amerikanischen Militärs an jenem Tag im Irak sein Leben für immer verändert habe. McCord stellt fest, dass die 30-mm-Geschosse, die der Apache-Hubschrauber tausendmal pro Minute abfeuerte, etwa so groß waren wie sein Unterarm. Alles, was von den Opfern am Boden übrig blieb, die von den Geschossen der Soldaten in einem Hubschrauber, der weit ab von jeder möglichen Bedrohung flog, getroffen wurden, waren grausam verstümmelte und oft kopflose Fleischhaufen.
McCord beschreibt, wie ihn die „America First“-Propaganda nach dem 11. September in die Armee trieb und dazu brachte, alle Muslime zu hassen. Die Ereignisse im Irak zwangen ihn jedoch, seine Überzeugungen zu überdenken, und er wurde sich der realen und blutigen Rolle bewusst, die der US-Imperialismus überall auf der Welt spielt. Von Schuldgefühlen geplagt, erzählt McCord, dass er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, und beschreibt, wie acht traumatisierte Mitglieder seiner Einheit Selbstmord begingen.
Der Dokumentarfilm endet mit einer sehr bewegenden Versöhnung zwischen McCord und dem erwachsenen Sajad Mutashar, der zwar an seinem Hass und seiner Verachtung für die US-Truppen festhält, die seine Familie zerstört haben, aber dem amerikanischen Soldaten, der ihm das Leben gerettet hat, seinen Dank und seine Vergebung ausspricht.
Das in den USA und im Irak gedrehte Filmmaterial ist sehr eindrucksvoll. Dennoch hat der Film auch Schwächen. In einem frühen Clip führt Dündar in Begleitung von Assanges Frau Stella Assange und ihren beiden Kindern seine eigene Freiheit auf die Intervention von US-Präsident Joe Biden beim türkischen Präsidenten zurück.
Während Biden kein Problem damit hat, das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit verbal anzuerkennen, sorgte er in der Praxis wie alle US-Präsidenten der letzten Jahre dafür, dass Assange im Gefängnis blieb und sein Leben vom amerikanischen Staat bedroht wurde.
Wie die WSWS im Juni in ihrer Perspektive zur Entlassung von Julian Assange aus dem Gefängnis schrieb: „Assanges Verfolgung war eine üble Lügen- und Verleumdungskampagne. Vier US-Regierungen unter Bush, Obama, Trump und Biden versuchten, diesen mutigen Journalisten zum Schweigen zu bringen.“
Ein weiterer kurzer Clip in der Dokumentation zeigt den ehemaligen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn, der sich in jüngster Zeit für die Freilassung von Assange ausgesprochen hat. Aber zwischen 2015 und 2019 hatte er fast vier Jahre lang geschwiegen, obwohl er als Vorsitzender der Labour-Partei durchaus sein politisches Gewicht hätte einsetzen können, um zugunsten von Assange zu intervenieren.
In eben diesem Zeitraum fand die üble und verleumderische Kampagne gegen Assange statt, die von Medien wie dem Guardian und der New York Times geführt wurde. Der in Berlin gezeigte Dokumentarfilm enthält in dieser Hinsicht einen wichtigen Hinweis. Im Jahr 2010 hatte Assange dem isländischen Journalisten (und heutigen WikiLeaks-Chefredakteur) Kristinn Hrafnsson das Video „Collateral Murder“ gezeigt und gemeint, dass „er [Assange] bis ans Ende der Welt gejagt werden würde“, wenn es veröffentlicht würde.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Hrafnsson verrät, dass er damals dachte, dass Assange dramatisch übertrieben hätte und er behauptete, dass sie „es nicht wagen würden... Du arbeitest mit den größten und mächtigsten Medienhäusern der Welt zusammen... Das können sie nicht tun.“ In seinem Kommentar über den völligen Zusammenbruch der Unterstützung für Assange durch eben diese so genannten „mächtigen Medienhäuser“ muss Hrafnsson zugeben, dass er 2010 falsch lag: „Sicher konnten sie das tun und sie haben es getan.“
Im Anschluss an die Vorführung des Dokumentarfilms am 5. Oktober fand eine Podiumsdiskussion statt, an der die Ko-Regisseure Mabrouk und Dündar, Hrafnsson, Mutashar – der persönlich anwesend war – und McCord per Videoschaltung aus Kansas teilnahmen.
In der Diskussion wurde eine Reihe wichtiger Punkte angesprochen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die amerikanischen Truppen an jenem Tag im Irak zwar eindeutig Kriegsverbrechen begangen hatten und das US-Militär nach der Veröffentlichung des Videos gezwungen war, eine interne Untersuchung durchzuführen, aber keiner der beteiligten Soldaten jemals vor Gericht gestellt wurde.
McCord stellte klar, dass es in der Tat keine Strafverfolgung geben könne, da die Truppen „das taten, wozu sie entsandt wurden“. Ähnliche Vorfälle wie an jenem Tag in Bagdad ereigneten sich während der US-Besetzung des Irak jeden Tag. Eine einzige Strafverfolgung hätte die gesamte US-Kriegsstrategie in Frage gestellt. Gerade aus diesem Grund waren die USA und ihre Verbündeten fest entschlossen, Wikileaks zu sperren und Assange zum Schweigen zu bringen.
Während der Podiumsdiskussion machten sowohl Mabrouk als auch Hrafnsson deutlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den von den USA im Irak begangenen Gräueltaten und dem aktuellen Völkermord in Gaza durch die USA und Israel besteht. In der Dokumentation hatte Hrafnsson bereits einen „Bogen von ‚Collateral Murder‘ über den Drohnenkrieg [und den Einsatz von] künstlicher Intelligenz [bis hin zu den mörderischen israelischen Bombardierungen] in Gaza“ gespannt.
Hrafnsson betonte, dass die Zahl der zivilen Opfer in den jüngsten Konflikten und Kriegen zwischen 5 und 10 Prozent liegt. Im Gazastreifen hingegen wird der Anteil der zivilen Todesopfer auf 46 Prozent geschätzt. Abschließend erklärte Hrafnsson, die einzige Pflicht von Journalisten bestehe darin, die Wahrheit zu sagen, und das bedeute, dass man anerkennen müsse, dass in Gaza ein Völkermord stattfinde.
Die Videoversion des 55-minütigen Dokumentarfilms ist in Englisch und Deutsch auf Youtube verfügbar.