Perspektive

Drohnenabschuss über Polen: Europäische Mächte bereiten Weltkrieg vor

Polizei und Militärpolizei sichern Teile eines beschädigten Objekts, das von den polnischen Behörden am 10. September 2025 in Polen abgeschossen wurde [AP Photo/Rafal Niedzielski]

„Diese Situation bringt uns einem offenen Konflikt so nahe wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr,“ sagte Premierminister Donald Tusk gestern vor dem polnischen Parlament, nachdem Kampflugzeuge der Nato einige Drohnen über polnischem Territorium abgeschossen hatten. Seine Regierung hat Konsultationen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags beantragt.

Artikel 4 verpflichtet die Mitglieder der Nato, gemeinsame Abwehrmaßnahmen zu beraten, wenn sich ein Mitgliedsstaat in seiner Sicherheit bedroht sieht. Er wurde in der 76-jährigen Geschichte des Militärbündnisses erst sieben Mal in Anspruch genommen. Er bildet die Vorstufe zu Artikel 5, der die Nato-Staaten im Kriegsfall zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet.

Wenn Tusk und seine Nato-Kollegen überzeugt sind, dass ein offener Konflikt mit Russland, mit der zweitgrößten Atommacht der Welt, unmittelbar bevorsteht, weshalb setzen sie dann nicht alle politischen und diplomatischen Hebel in Bewegung, um eine solche Katastrophe zu verhindern?

Selbst während der Kuba-Krise von 1962, als die Welt so nahe vor einem nuklearen Showdown stand wie niemals zuvor und danach, ging US-Präsident John F. Kennedy zwar gewaltige Risiken ein. Doch er setzte sich schließlich gegen die Scharfmacher im eigenen Militär durch und erzielte eine diplomatische Lösung.

Heute findet man unter den führenden Vertretern der Nato keine einzige Stimme der Mäßigung. Kaum war gemeldet worden, polnische und niederländische Kampfflugzeuge und deutsche Patriot-Raketen hätten mit Unterstützung italienischer AWACS-Überwachungsflugzeuge Drohnen im polnischen Luftraum abgeschossen, überboten sie sich gegenseitig in Kriegsrhetorik.

Nato-Generalsekretär Mark Rutte beschuldigte Russland, den polnischen Luftraum verletzt zu haben, und sagte: „Ob es nun absichtlich war oder nicht, es ist absolut rücksichtslos, es ist absolut gefährlich.“ Die EU-Außenbeauftragte und frühere estnische Regierungschefin Kaja Kallas behauptete, alles deute darauf hin, dass „die schwerwiegendste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland seit Beginn des Krieges absichtlich erfolgte und nicht versehentlich“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte Russland in einer Rede vor dem Europaparlament für die „rücksichtslose und beispiellose Verletzung des polnischen Luftraums“ und sagte der Ukraine sechs Milliarden Euro aus den Zinsen eingefrorener russischer Vermögen für die Produktion eigener Drohnen zu.

Der britische Premierminister Keir Starmer verurteilte „die ungeheuerliche und beispiellose Verletzung des Luftraums von Polen und der NATO durch russische Drohnen“ als „zutiefst besorgniserregend“ und einen „extrem rücksichtslosen Schritt“. Er habe Tusk die Unterstützung Großbritanniens zugesichert.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius behauptete im Bundestag, über 19 Drohnen seien „offensichtlich von belarussischem Gebiet aus auf ihren Weg geschickt worden“. Es gebe „definitiv keine Anlässe zu vermuten, dass es sich hier um Kurskorrekturfehler handelt“. Die Drohnen seien „offenkundig gezielt auf diesen Kurs gebracht worden“. Er beschuldigte die russischen Streitkräfte ständiger Bedrohungen und Provokationen und versprach, bei den Nato-Konsultationen Signale zu setzen.

Dabei liegen die Hintergründe des Vorfalls völlig im Dunkeln. Weder die Anzahl noch die Herkunft der Drohnen ist bekannt. Während Tusk von 19 Drohnen sprach, die in den polnischen Luftraum eingedrungen seien, wurde nur der Abschuss von 3 oder 4 gemeldet. Selbst der polnische Präsident Karol Nawrocki, ein rechter Hardliner, musste zugeben, dass er erst in 48 Stunden mit vollständigen Informationen über die Ereignisse rechne.

Das russische Verteidigungsministerium bestritt jede Absicht, Ziele in Polen zu treffen, und erklärte sich zu Konsultationen mit dem polnischen Verteidigungsministerium über das Thema bereit. Bereits in der Vergangenheit hatten sich Drohnen aus dem Ukrainekrieg nach Polen verirrt, ohne dass die Nato Russland eine Absicht unterstellte.

Pavel Muravyeika, stellvertretender Verteidigungsminister des an Polen grenzenden Belarus, sagte, es seien versehentlich Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen, weil ihr Navigationssystem gestört worden sei. Belarus habe selbst Drohnen über seinem Territorium abgeschossen, weil sie die Orientierung verloren hätten. Das Stören von GPS-Signalen ist im Ukrainekrieg ein weitverbreitetes Kampfmittel.

Doch selbst wenn alles, was die Nato behauptet, wahr wäre, stellen einige Drohnen keine ernsthafte militärische Drohung für das Militärbündnis dar. Die Umstände deuten vielmehr darauf hin, dass die europäischen Nato-Mächte die Aktion vorbereitet und teilweise inszeniert haben, um weitere militärische Maßnahmen gegen Russland zu rechtfertigen und ihre Fähigkeit zu demonstrieren, diese in eigener Regie durchzuführen.

Seit sich US-Präsident Trump in Alaska mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin traf, haben die europäischen Mächte auf eine solche Gelegenheit gewartet. Sie haben aus dem Alaska-Gipfel den Schluss gezogen, dass man sich nicht mehr auf die USA verlassen kann, und gehen immer aggressiver gegen Russland vor. Sie haben ihre finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine massiv erhöht, ermutigen Präsident Selenskyj, Ziele tief im Innern Russlands anzugreifen, und planen, eigene Truppen in die Ukraine zu schicken.

So bewegen sie sich immer tiefer auf eine Katastrophe zu, die das Überleben der Menschheit in Frage stellt. Dieser Wahnsinn folgt einem internationalen Muster. Überall eskalieren politische Krisen und Gewalt. Demokratie, soziale Sicherheit, Menschenrechte und Völkerrecht werden mit Füssen getreten.

In den USA hat Präsident Trump soeben das Verteidigungsministerium in Kriegsministerium umbenannt – und dabei ausnahmsweise nicht gelogen. Um „Amerika wieder groß zu machen“ – d.h. die Profite der amerikanischen Oligarchen zu verteidigen –, überzieht er die ganze Welt mit Strafzöllen und Kriegsdrohungen. Im Innern errichtet er eine autoritäre Diktatur: Die ICE-Gestapo jagt Migranten, Nationalgarde und Militär werden in große Städte geschickt, um „soziale Unruhen“ – d.h. Streiks, Proteste und jede Form von sozialem und politischem Widerstand – zu unterdrücken.

Das zionistische Regime Israels setzt sich über alle rechtlichen und moralischen Normen hinweg, vernichtet den Gazastreifen mit seinen zwei Millionen Einwohnern, greift ungestraft Katar an und wird dabei von USA und EU unterstützt. Wer dagegen protestiert wird als angeblicher „Antisemit“ verfolgt und verhaftet.

Europa geht dabei denselben Weg wie die USA. Die Umschichtung von Hunderten Milliarden in Aufrüstung und Krieg, die Abzahlung explodierender Schulden und der Reichtum einiger Weniger vertragen sich nicht mitsozialem Ausgleich und Demokratie. Mit derselben Rücksichtslosigkeit, mit der die europäischen Mächte den Krieg gegen Russland eskalieren, gehen sie gegen die eigene Arbeiterklasse vor. Krieg und Klassenkrieg sind zwei Seiten derselben Medaille.

Im Gründungsprogramm der Vierten Internationale schrieb Leo Trotzki 1938, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs:

Unter dem wachsenden Druck des kapitalistischen Niedergangs haben die imperialistischen Gegensätze die Grenze erreicht, jenseits derer die einzelnen Zusammenstöße und blutigen Explosionen (Äthiopien, Spanien, Ferner Osten, Mitteleuropa) unausweichlich in einem Weltbrand umschlagen müssen. Die Bourgeoisie ist sich selbstverständlich der tödlichen Gefahr bewusst, die ein neuer Krieg für ihre Herrschaft bedeutet. Aber diese Klasse ist heute noch unendlich weniger imstande, den Krieg abzuwenden, als am Vorabend von 1914.

Dieselbe Grenze haben die Krise des Kapitalismus und die imperialistischen Gegensätze heute wieder erreicht. Das ist der Grund für die Eskalation des Kriegs gegen Russland. In der breiten Bevölkerung gibt es dafür keine Unterstützung, und in der Arbeiterklasse wächst der Widerstand gegen Entlassungen, Lohnsenkungen, Sozialabbau und Diktatur.

Diese explosive Opposition muss sich vom Einfluss der Gewerkschaften und aller Parteien – rechter wie angeblich „linker“ – befreien, die den Kapitalismus verteidigen. Nur eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse, die für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft kämpft, kann den Abstieg in Krieg, Diktatur und Armut stoppen.

Für diese Perspektive kämpfen die Sozialistischen Gleichheitsparteien und das Internationale Komitee der Vierten Internationale.

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