Mörderische EU-Flüchtlingspolitik

40 Menschen in Bootshavarie vor Tunesien ertrunken

Migranten und Flüchtlinge warten auf die Hilfe der spanischen NGO Open Arms, Mittelmeer, internationale Gewässer vor der libyschen Küste [AP Photo/Bruno Thevenin]

Die Bootshavarie am 22. Oktober vor der tunesischen Küste, bei der mindestens 40 Menschen, darunter auch Kleinkinder, ums Leben kamen, ist kein Unglück, sondern ein Verbrechen. Verantwortlich sind die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsregierungen, darunter auch die Berliner Koalition von Union und SPD. Mit ihrer menschenverachtenden Flüchtlingspolitik nehmen sie solche Katastrophen bewusst in Kauf.

Nicht zufällig bezeichnete Kanzler Friedrich Merz (CDU) am selben Tag, als frühmorgens 40 Geflüchtete vor Tunesien ertranken, abends in Berlin Migranten einmal mehr als „Probleme im Stadtbild“. Stolz hat die berüchtigte EU-Agentur Frontex vor kurzem gemeldet, dass die „irregulären Grenzübertritte“ im ersten Halbjahr 2025 um 20 Prozent zurückgegangen seien.

Politiker wie Merz in Berlin, Macron in Paris, Starmer in London oder von der Leyen in Brüssel sind dafür verantwortlich, dass an den Außengrenzen Europas wahrhaft tödliche Bedingungen entstanden sind. Wie sehen diese Bedingungen konkret aus? Die Havarien vor Tunesien vom 22. Oktober wirft ein Schlaglicht darauf.

Anstatt wie normale Reisende ein Flugticket zu lösen oder eine Schiffspassage zu buchen und nach wenigen Stunden Europa über Häfen, Flughäfen und Bahnhöfe zu erreichen, waren die Menschen gezwungen, zunächst die Sahara zu Fuß zu durchqueren. Sie mussten sich dabei vor tunesischen Grenzwächtern in Acht nehmen, die dafür berüchtigt sind, dass sie Migranten aufgreifen und ohne Trinkwasser in der Wüste aussetzen.

Vermutlich haben die Betroffenen Tausende von Euro an ein Schleusernetzwerk oder einen Schlepper bezahlt, ehe sie die Überfahrt nach Italien antreten konnten. Die Küste südlich von Mahda um Salakta ist ein wichtiger Startpunkt, da von hier aus die Strecke zur italienischen Insel Lampedusa nur etwa 130 km beträgt.

Mitten in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober bestiegen die Menschen dort einen alten Holzkahn, der mit rund 70 Passagieren völlig überfüllt war. Auch war der Motor der unruhigen See dieser Nacht nicht gewachsen.

Das Boot kenterte schon kurz nach dem Ablegen noch in tunesischen Gewässern, und entsetzliche Szenen müssen sich abgespielt haben. Erst in den frühen Morgenstunden erreichte die tunesische Küstenwache den Ort der Havarie. Von etwa 70 Menschen konnte sie nur noch 30 retten. Unter den Ertrunkenen waren Familien mit Kleinkindern, und eine italienische Quelle berichtet gar von einem ertrunkenen Neugeborenen.

Der Gerichtssprecher von Mahdia, Walid Chaterbi, hat bestätigt, dass alle Opfer und Überlebenden aus Ländern südlich der Sahara stammten. Die tunesischen Behörden reagierten mit der Versicherung, dass sie dabei seien, ihre Bemühungen zur Verhinderung von Überfahrten massiv zu verstärken.

Genau dafür wird die tunesische Regierung von der EU bezahlt: für die Verhinderung von Migration nach Europa. Nur wenige Tage vor der Havarie hatte die EU in Brüssel einen neuen Pakt für das Mittelmeer vorgestellt, der eine solche Zusammenarbeit mit Tunesien ins Zentrum rückt. Der Pakt soll im November verabschiedet werden, wenn die EU den 30. Jahrestag des sogenannten „Barcelona-Prozesses“ (EUROMED), ihrer Partnerschaft mit den Nachbarn südlich des Mittelmeeres, feiern wird.

Mit der Abriegelung der nordafrikanischen Küste erhöht sich jedoch nur der Druck auf Migranten und Schleuser, immer riskantere und tödlichere Überfahrten zu wagen.

So fügt die Havarie vom 22. Oktober der grausigen „Missing Migrants“–Bilanz der IOM (Internationale Organisation für Migration) weitere 40 Tote hinzu. Die IOM hat seit 2014 bis heute weltweit über 77.330 Todesfälle auf Migrationsrouten gezählt. Im letzten Jahr 2024 wurde mit fast 9.200 Toten ein neuer, trauriger Rekord erreicht. Dabei ist die Dunkelziffer hoch, denn sehr viele dieser Todesfälle werden gar nicht gemeldet und erfasst.

Sicher ist, dass die zentrale Mittelmeerroute die bei weitem tödlichste Fluchtroute der Welt ist. Auf dieser Route sind seit 2014 schon mindestens 25.500 Menschen ums Leben gekommen. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres hat die IOM schon über tausend Menschen registriert, die als Ergebnis der Abschottung und Abschiebepolitik der EU-Staaten beim Überquerung des Mittelmeers ihr Leben verloren.

Die Kooperation der EU mit Tunesien ist enger geworden, nachdem ihre Unterstützung der berüchtigten libyschen Küstenwache erfolgreich war und zur Verschiebung der Flüchtlingsströme westwärts geführt hat. Seither wird die Fluchtroute über Tunesien stärker genutzt. In Tunesien kennt das UN-Flüchtlingshilfswerk fast 16.000 Geflüchtete, darunter 7.400 sudanesische Staatsangehörige, die sich auf der Flucht vor dem Krieg im Sudan befinden, aber auch Geflüchtete aus Libyen und andern Ländern.

Die EU hat die illegitimen „Pushbacks“ (das Zurückstoßen von Geflüchteten) in „Pullbacks“ umgewandelt und den afrikanischen Staaten – Tunesien, Marokko, Libyen, Algerien, auch Mauretanien und Niger – übertragen. Deren Sicherheitskräfte werden damit zu brutalen Abfangjagden auf See und am Land und zu unrechtmäßigen, kollektiven Abschiebungen von Migranten angestachelt.

Die tunesischen Sicherheitskräfte sind mittlerweile dafür berüchtigt, dass sie schwarzafrikanische Migranten an den Südgrenzen aufgreifen und unter lebensbedrohlichen Umständen in der Wüste aussetzen, was die Sahara neben dem Mittelmeer in den größten Friedhof verwandelt hat.

Im Rahmen eines „Memorandum of Understanding“ (MoU) unterstützt die EU die tunesische Regierung unter Präsident Kais Saied finanziell, solange diese die Abfahrten von Migranten unterbindet. Dabei ist das Saied-Regime für Menschenrechtsverletzungen an den Migranten berüchtigt, sowie auch für seine Repression im Innern, bei der es kritische Journalisten und die politische Opposition unterdrückt. Durch all dies lässt die EU sich nicht in ihrer Kooperation mit Tunesien stören.

Schon vor einem Jahr richteten über 60 Menschenrechtsorganisationen, darunter Human Rights Watch, Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, Pro Asyl, SOS Méditerranée, Sea-Eye, Sea-Watch und Seebrücke, gemeinsam einen Appell an die EU und ihre Mitgliedsländer. Insbesondere forderten sie in ihrem Brief „die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf, ihre Zusammenarbeit mit den tunesischen Behörden bei der Migrationskontrolle zu beenden“, da diese „für schwere Menschenrechtsverletzungen auf See und in Tunesien verantwortlich“ seien. Tunesien dürfe nicht als „sicherer Ort für die Ausschiffung von auf See aufgegriffenen oder geretteten Personen“ betrachtet werden.

Die EU sieht jedoch in ihrem Abkommen mit der tunesischen Regierung (wie Ursula von der Leyen im Juni 2023 betont hat) ein Modell für ihre weiteren „Partnerschaften“, zum Beispiel mit Libyen, Ägypten, Marokko, dem Niger, dem Tschad, dem Sudan oder mit Äthiopien.

Derweil werden auch innerhalb der europäischen Länder die Abschiebungen hochgefahren. So brüstet sich Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) damit, dass Deutschland von Januar bis September 2025 schon 17.651 Menschen abgeschoben habe – rund 3.000 mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Das entspricht einem Anstieg um 20 Prozent. Fast jede fünfte abgeschobene Person war ein Kind oder Jugendlicher (insgesamt 3095 Abgeschobene).

Die Bootshavarie vor Tunesien mit 40 Toten stellt der EU-Politik und den europäischen Staaten ein vernichtendes Urteil aus. Diese stehen der menschenverachtenden Politik der Trump-Regierung in den USA, die Millionen Einwanderer ohne Green Card zum Freiwild erklärt hat, in nichts nach. Diesseits und jenseits des Atlantik sind Geflüchtete und Migranten zu den ersten Opfern einer Spar- und Kriegspolitik geworden, die letztlich die gesamte Arbeiterklasse bedroht.

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